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Als Dorfhelferin ist Matilda in St. Christoph und den angrenzenden Weilern hoch angesehen. Jeder freut sich, wenn die junge Frau auftaucht und mit ihrer fröhlichen Art sogar notorischen Grantlern und Pessimisten ein Lächeln entlockt.
Und darum schickt Dr. Burger sie jetzt auf den Almbach-Hof. Wenn es einer schaffen kann, Gernot Pertauer, dem Besitzer des großen Anwesens, neuen Lebensmut zu schenken, dann ist es Matilda.
Voller Zuversicht macht sie sich auf den Weg zu ihrem schwierigsten Einsatz ...
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Seitenzahl: 109
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Das Ende der Unschuld
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ekaterina Pokrovskaya / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9767-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Das Ende der Unschuld
Sie träumte von einem Märchenprinz – und geriet an einen Lügner
Von Andreas Kufsteiner
Als Dorfhelferin ist Matilda in St. Christoph und den angrenzenden Weilern hoch angesehen. Jeder freut sich, wenn die junge Frau auftaucht und mit ihrer fröhlichen Art sogar notorischen Grantlern und Pessimisten ein Lächeln entlockt.
Und darum schickt Dr. Burger sie jetzt auf den Almbach-Hof. Wenn es einer schaffen kann, Gernot Pertauer, dem Besitzer des großen Anwesens, neuen Lebensmut zu schenken, dann ist es Matilda.
Voller Zuversicht macht sie sich auf den Weg zu ihrem schwierigsten Einsatz …
Matilda hatte sich daran gewöhnt, dass sie ihre Zeit genau einteilen musste.
Aber sie achtete darauf, genug Pausen einzuplanen. Wer etwas leisten wollte und einen verantwortungsvollen Beruf wie sie hatte, musste zwischendurch auch einmal die Seele baumeln lassen und sich entspannen. Dann lief der Alltag problemlos ab, uns alles klappte wie am Schnürchen.
Matilda war wegen ihrer Tätigkeit als Dorfhelferin trotz ihrer erst fünfundzwanzig Jahre in St. Christoph sehr angesehen. Jeder freute sich, wenn sie auftauchte und mit ihrer herzlichen Art sogar notorischen Grantlern und Pessimisten ein Lächeln entlockte.
Ihre besten Vorbilder waren ihre Eltern und ihr Bruder. Im Dorf scherzte man, dass die Hefters den falschen Nachnamen hatten, denn eigentlich hätten sie „Helfer“ heißen müssen. Denn schon immer hatten sie sich für andere eingesetzt und ihr Bestes gegeben, um anderen in schweren Situationen beizustehen.
Matilda hatte in Innsbruck eine hauswirtschaftliche Fachoberschule besucht. Als Dorfhelferin musste sie neben hauswirtschaftlichen Tätigkeiten auch mit Grundkenntnissen in der Krankenpflege und der Betreuung von Kindern vertraut sein. In diesen Bereichen hatte sie sich entsprechend ausbilden lassen.
Die Höfe und Haushalte, mit denen Matilda es zu tun hatte, benötigten Hilfe, weil die Mutter oder eine andere wichtige Person fehlte, weil jemand wegen Krankheit ausfiel oder einfach alles drunter und drüber ging.
Ältere Leute und kränkelnde Senioren, die allein nicht mehr zurechtkamen, wurden im Dorf von einem speziellen Pflegedienst betreut, stets auf Veranlassung von Dr. Martin Burger oder seiner Frau, die ebenfalls Ärztin war. Dr. Sabine Burger setzte sich sehr für hilfsbedürftige Menschen ein.
Was Matilda betraf, so wurde ihr täglich sehr viel Einfühlsamkeit abverlangt. Ein tröstendes Wort, eine Ermunterung oder ein Ratschlag halfen jedenfalls mehr als ein blitzblank geputztes Fenster oder ein frisch gejätetes Gartenbeet. Aber natürlich war es auch sehr wichtig, für Ordnung und einen geregelten Ablauf in Haus und Hof zu sorgen. Man musste von Fall zu Fall entscheiden, was am dringendsten nötig war.
Das Fensterputzen, zum Beispiel, ließ sich verschieben, aber Tränen trocknete man am besten sofort.
Obwohl Matilda noch so jung war, fand sie immer die richtigen Worte, um hinter dunklen Wolken die Sonne wieder hervorzulocken. Sie wusste, dass sie gebraucht wurde und dass man ihr aufrichtig dankbar war, weil sie niemanden im Stich ließ.
„Nichts ist wichtiger als ein anderer Mensch, der Hilfe braucht“, lautete das Lebensmotto ihrer Eltern.
Matildas Mutter hatte bis vor Kurzem in einem Seniorenheim als Altenpflegerin gearbeitet. Ihr Vater, vormals Einsatzleiter bei der Berufsfeuerwehr in Innsbruck und auch in tragischen Situationen stets ein Fels in der Brandung, war inzwischen im Ruhestand. Aber wenn ihn jemand brauchte, gab es für ihn kein Zögern, dann war er immer noch zur Stelle.
Jonas, Matildas Bruder, engagierte sich neben seinem Beruf als Notfall-Sanitäter am Schwazer Klinikum in der Bergwacht und hatte außerdem seinen Pilotenschein für den Rettungshubschrauber in der Tasche.
Die „Helfer“-Familie wurde von Lino ergänzt, einem treuen Labrador, der – wie könnte es anders sein – vor mehreren Jahren eine Ausbildung zum Rettungshund gemacht hatte. Da er aber nicht mehr der Jüngste war, wurde er mittlerweile nur noch selten eingesetzt.
Immerhin hatte er im vergangenen Herbst ein verirrtes Urlauberkind aufgespürt, einen anfangs sehr abenteuerlustigen Buben von sieben Jahren, der ohne Wissen der Eltern in den Wald gelaufen war. In der Dunkelheit hatte er sich ängstlich und verzweifelt in einer Höhle versteckt.
Bei Sonnenaufgang hatten Lino, Jonas Hefter und zwei Kollegen von der Bergrettung ihn gefunden. Die Abenteuerlust war dem Ausreißer hernach erst einmal vergangen.
Seine Eltern waren so dankbar gewesen, dass sie die Familie Hefter zu einem Essen im Berghotel eingeladen hatten. Lino war mit einer Auswahl köstlicher Leckerlis und einer neuen Frisbee-Scheibe belohnt worden.
Die hilfsbereite Familie wohnte im geräumigen, urgemütlichen „Turmhaus“, gar nicht weit von der Dorfmitte entfernt, aber dennoch mitten im Grünen zwischen Hollersträuchern, Buchenhecken und prächtigen Bergahornbäumen. Das Turmhaus besaß freilich nur ein kleines Türmchen mit einer Glocke, beides ein malerisches Überbleibsel aus vergangenen Zeiten.
Der Hausherr Egid Hefter war sehr stolz auf das alte, antiquarische Glöckchen, das die längst verblichenen Vorbesitzer des Hauses einst bei Sturm, Feuer oder anderen schlimmen Ereignissen geläutet hatten.
Die kleine Glocke war im Laufe der Zeit fast verstummt, mehr als ein leises, bescheidenes Bimmeln brachte sie nicht mehr zustande. Man musste die Ohren spitzen, um den feinen Ton überhaupt noch zu hören.
Jetzt war das Glöcklein wirklich nur noch eine Zierde auf dem breiten Dach des Turmhauses. Und wenn etwas Ungutes passierte, was den Hefters zum Glück bisher erspart geblieben war, dann gab es natürlich die Notrufe per Handy oder gar die Sirenen am Feuerwehrhaus von St. Christoph, alles hundertprozentig zuverlässig.
Davon hätte die kleine Glocke nur träumen können! Früher, als sie noch ihre Pflicht getan hatte, war es manchmal schwer gewesen, gegen Wind, Sturm, Blitz und Donner anzukommen und zu läuten, so laut sie konnte. Aber geschafft hatte sie es trotzdem.
Matilda stand wochentags in der Früh um sieben Uhr auf. Sie wohnte im ersten Stock ihres Elternhauses, aus dem Erkerfenster schaute sie geradewegs auf den Achenkegel.
Der im unteren Teil dicht bewaldete Berg verwöhnte den Betrachter abends mit wunderschönen Farbspielen in Purpurrot und Gold, denn hinter seinem Gipfel ging die Sonne unter. Unzählige Male hatte Matilda diesen Anblick schon bestaunt, sogar schon als kleines Madel.
Der Achenwald zu Füßen des Massivs, das an den mächtigen Feldkopf mit seinem Gletscher grenzte, war ein geheimnisvolles grünes Paradies mit Wasserfällen, Wildbächen und einsamen Pfaden, in dem viele Geschichten und Märchen aus der Zillertaler Sagenwelt ihren Ursprung hatten. Es handelte sich um einen „Naturwald“, nur ganz selten wurde hier seitens des Forstamtes eingegriffen, wenn beispielsweise Schädlinge wie die äußerst lästigen Borkenkäfer ihr Unwesen trieben.
An den Wochenenden hatte Matilda frei. Dann sprang eine ältere Kollegin für sie ein, die Anna aus dem Weiler Bergfelden. Anna half auch als Urlaubsvertretung oder einfach mal zwischendurch aus. Eine dritte Dorfhelferin, die demnächst eingesetzt werden sollte, stand kurz vor dem Ende ihrer Ausbildung.
Auch heute, an einem strahlend schönen Maitag, war Matilda pünktlich auf den Beinen.
Seit einiger Zeit verbrachte sie die meiste Zeit des Tages auf dem Almbach-Hof in Hochbrunn.
Ihr Einsatz dort war schwierig. Anfangs hatte sie gegen eine gewisse Beklemmung ankämpfen müssen, denn mit Gernot Pertauer, dem Besitzer des großen Anwesens, war das Schicksal alles andere als gnädig umgegangen.
Die Folgen spürte man deutlich. Es waren schwere Zeiten gewesen, die Spuren hinterlassen und Gernot tief verletzt hatten. Selbst Matilda, die so viel Sonne im Herzen hatte, stieß hier manchmal an ihre Grenzen.
Sie merkte zwar, wann sie ihn mit Samthandschuhen anfassen musste, aber wenn er launisch wurde oder sich in sein Schneckenhaus verkroch, wurde sie manchmal richtig ungeduldig. Und genau das ging bei Gernot Pertauer gar nicht.
Er war schnell gekränkt und fühlte sich missverstanden. Dabei wollte sie ihn doch eigentlich nur dazu bringen, dass er zuversichtlicher in die Zukunft schaute. Aber er versank immer wieder in den Tiefen seiner verletzten Seele.
Es gab zwei Knechte und eine Hauserin auf dem Hof, die sich redlich darum bemühten, alles in Schwung zu halten. Aber sie kamen ohne eine zusätzliche Hilfe nicht zurecht. Matilda war der rettende Engel, jedenfalls vorläufig.
Natürlich tat auch der junge Hofbesitzer alles, was er konnte. Aber gemessen an dem, was er früher geleistet hatte, war es zu wenig. Er litt unglaublich darunter, mittlerweile eine „halbe Portion“ zu sein.
So nannte er sich übrigens selbst („Ich bin nicht mehr ganz, ich bin zerbrochen“) und machte sich dadurch das Leben noch schwerer, als es ohnehin schon für ihn war.
Gernot war an einem Punkt angelangt, an dem er sich mit allerlei absurden Vorwürfen plagte und sich für wertlos hielt. An manchen Tagen zog er sich völlig zurück, weil ihn heftige Schmerzen plagten, gegen die er starke Medikamente nehmen musste.
Wenn Evi nicht gewesen wäre, sein fünfjähriges Töchterchen, hätte er vielleicht sogar den Hof verpachtet und wäre in ein kleines Haus umgezogen. Freilich ohne zu wissen, wie es hernach weitergehen sollte.
Der Gedanke an eine Verpachtung war ihm jedenfalls gekommen, aber dann hatte er daran gedacht, mit wie viel Freude und Unternehmungsgeist er vor sieben Jahren den schmucken Almbach-Hof gekauft hatte. Ein Traum, der sich für ihn wirklich erfüllt hatte – ein Hof in den Bergen, noch dazu in St. Christoph im Zillertal, seinem Wunsch-Wohnort.
Er hatte Klagenfurt, der schönen Stadt in Kärnten, leichten Herzens den Rücken gekehrt. Und Lea, seine lebhafte, unternehmungslustige Frau hatte behauptet, dass sie das Stadtleben nie und nimmer vermissen würde, auch nicht die abwechslungsreichen Wochenenden mit vergnügten Festen, Kino, Musicals, Festen am Wörthersee und allem, was man in Klagenfurt sozusagen „vor der Haustür“ gehabt hatte.
Aber sie war auf dem Hof unglücklicher gewesen, als es sich irgendjemand hätte vorstellen können. Daran hatte auch die Geburt der kleinen Evi nichts geändert.
Als Matilda auf dem Almbach-Hof aus ihrem Auto stieg, sah sie Gernot an der Pferdekoppel stehen.
Er war anscheinend in seine Gedanken versunken. Das kam öfter vor, wenn er mal wieder mit den Erinnerungen kämpfte, die ihn nicht losließen, obwohl sie nur alte Wunden aufrissen.
Die Pferde, vier glänzend gestriegelte Haflinger, hingen an ihm. Gernot behauptete sogar, dass sie ihn verstanden: „Sie sind meine besten Freunde.“
Tiere können wirklich gute Freunde sein, dachte Matilda.
Aber jeder brauchte auch Menschen zum Reden und auch zum Schweigen, zum Lachen oder zum Weinen.
Es genügte auch, wenn man einen einzigen Menschen hatte, der einem nahe stand. Hauptsache, es gab jemanden, der zuhörte und auf den man sich immer verlassen konnte. Vor allem, wenn man das Gefühl hatte, an seinen Problemen zu ersticken …
***
„Servus, Gernot. Ein schöner Tag ist das heute wieder“, sagte Matilda. „Ich bin grad angekommen. Herrlich, die Aussicht und der blaue Himmel! Wie aus dem Bilderbuch. Der Mai ist doch der schönste Monat im Jahr.“
Er drehte sich um.
„Jeder Monat und jede Jahreszeit kann schön sein“, antwortete er rau. „Es kommt darauf an, wie man sich fühlt. Wenn man gut drauf ist, wird jeder düstere Novembertag zu einem Fest. Aber falls man einen Felsbrocken auf der Seele liegen hat, nützt einem auch der tollste Sommer nichts mehr. Und der Mai erst recht nicht. Ich finde den Mai eher lästig.“
„Warum?“
„Na, weil alle so tun, als ob man im Mai auf der Romantikwelle schwimmen muss. Blümchen, Blüten, Bienchen, Herzchen und Hochzeiten. Das ist nichts für mich.“
„Meine Eltern haben im Mai geheiratet“, erwiderte Matilda. „Sie reden oft davon, dass es wirklich der schönste Tag in ihrem Leben war. Und zwar mit Blümchen und Blüten. Ob Bienen durch den Garten summten, ist nicht bekannt. Aber meine Mutter erzählt gern von den vielen Schmetterlingen, die anscheinend Interesse an der Hochzeitstorte mit Vanillecreme hatten. Schmetterlinge werden nämlich von Vanille-Duft magisch angezogen. Zufällig weiß ich, dass einige Leute hier im Dorf im Mai Hochzeit gefeiert haben. Ob mit oder ohne Vanilletorte. Unter anderem Dr. Burger. Seine Frau hatte sich eine Maihochzeit gewünscht.“
„Jeder, wie er mag.“
„Ich hätte auch nichts gegen eine Maihochzeit“, bekannte Matilda. „Irgendwann, wenn mein Traummann auftaucht, kann ich das mal zur Sprache bringen.“ Sie lachte. „Schau nicht so finster drein, Gernot“, setzte sie hinzu. „Wir Mädels reden immer gern vom Märchenprinzen. Das ist nun mal so. Mädchen träumen im Frühling besonders viel. Ein bisserl Romantik vergoldet das Leben. Aber ich will dich damit nicht nerven. Es gibt eine Menge zu tun. Ist Everl schon im Kindergarten?“
„Leo ist ins Dorf hinunter und hat Evi mitgenommen. Er braucht ein paar Bescheinigungen, die der Bürgermeister persönlich unterschreiben muss.“
„Und die Burgl?“
„Ich glaub, sie hat in der Waschküche zu tun.“ Gernot vermied es, Matilda anzusehen. Es gab ihm nämlich jedes Mal einen Stich, wenn er in ihre Augen sah. Und diese Stiche taten weh. Sie war so hübsch und taufrisch, eine bezaubernde Bergfee mit einem hinreißenden Lächeln, süß und verlockend und dennoch voller Unschuld.
Für ihn war sie jedoch unerreichbar.
Wie hätte er jemals hoffen können, dass sie in ihm mehr sah als den Bauern vom Almbach-Hof? Er war kein Mann für eine Frau wie sie. Nach seinem Bergunfall vor einem Jahr war er kurz davor gewesen, sich aufzugeben. Der Unfall hatte ihm nach allem, was vorher schon passiert war, noch den letzten bitteren Stoß verpasst.
„Wo steckt Bertl?“, bohrte Matilda indessen weiter. „Wollte er nicht endlich die Scheune aufräumen? Gestern war die Rede davon. Es wäre dringend nötig.“