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Als Susanne vom Tod ihres Großvaters erfährt, eilt sie sofort nach St. Christoph, um ihrer Großmutter beizustehen. Der Bergdoktor hat den Totenschein bereits ausgestellt. Als Susanne eintrifft, verabschiedet er sich mit den Worten: "Ruf mich an, wenn ich was für euch tun kann."
Susanne nickt dankbar und setzt sich dann zu ihrer Großmutter in die abgedunkelte Stube. "Madel", beginnt Josefa mit bebender Stimme, "ich werde dir jetzt ein Geheimnis anvertrauen. Und dann musst du mir helfen ..."
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Seitenzahl: 113
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Dr. Burger und der Glücksplan
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Chiemseer Dirndl & Tracht
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9769-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Dr. Burger und der Glücksplan
Doch dem Schicksal kann man nicht entrinnen
Von Andreas Kufsteiner
Als Susanne vom Tod ihres Großvaters erfährt, eilt sie sofort nach St. Christoph, um ihrer Großmutter beizustehen. Der Bergdoktor hat den Totenschein bereits ausgestellt. Als Susanne eintrifft, verabschiedet er sich mit den Worten: „Ruf mich an, wenn ich was für euch tun kann.“
Susanne nickt dankbar und setzt sich dann zu ihrer Großmutter in die abgedunkelte Stube. „Madel“, beginnt Josefa mit bebender Stimme, „ich werde dir jetzt ein Geheimnis anvertrauen. Und dann musst du mir helfen …“
Endlich kam der Frühling auch nach St. Christoph. Allzu lange war Väterchen Frost geblieben, nicht bereit, den Griff seiner eisernen Finger zu lockern. Selbst die sechs hohen Berge, die das Dorf wie steinerne Wächter umgaben, hatten die eisigen Winde nicht abgehalten, die über die Landschaft gefegt und an kahlen Ästen und Fensterläden gerüttelt hatten.
„Wenn das so weitergeht, fliegt uns der Wetterhahn noch vom Kirchturmspitzerl“, hatte die Bachhuber-Zenzi so manches Mal gesagt und dann die Vorhänge im Doktorhaus schon am Nachmittag zugezogen.
In den über vierzig Jahren, die sie hier lebte, war ihr kein solches Wetter untergekommen. Dreiundvierzig Jahre waren es genau genommen! So lange werkelte sie schon im Doktorhaus, das sie im zarten Alter von dreiundzwanzig Jahren bezogen hatte.
Nach dem allzu frühen Tod von Dr. Pankraz Burgers Frau hatte sie sich um den damals elfjährigen Martin und den Arzthaushalt gekümmert. Die Jahre waren ins Land gegangen, und aus dem kleinen Martin war inzwischen der angesehene Bergdoktor mit eigener Familie geworden, um die sich die Zenzi auch heute noch kümmerte wie um ihr eigen Fleisch und Blut.
Drei Kinder krönten die Liebe von Martin und Sabine: die achtjährige Tessa mit den Brombeeraugen, der fünfjährige Philipp, von allen nur Filli genannt, und Nesthäkchen Laura. Zenzi sorgte auf ihre ganz eigene Art und Weise für das Wohlbefinden ihrer Lieben, und wenn sie dem Wetter schon keinen Einhalt gebieten konnte, so sperrte sie es wenigstens aus.
Doch endlich hatte das raue Bergklima doch noch ein Einsehen. Der eisige Wind drehte ab, der Schnee schmolz, und dort, wo die weißen Flecken verschwanden, spross über Nacht frisches Grün.
Die Bäume streckten ihre Äste aus, die über und über mit schwellenden Knospen bedeckt waren. Ein Farbenteppich breitete sich in Vorgärten und auf Almwiesen aus: Gelbe Winterlinge, weiße Schneeglöckchen und wilde Krokusse in lila und weiß gaben sich ein Stelldichein.
Vögel zwitscherten, und zum ersten Mal seit dem vergangenen Herbst wärmten die Strahlen der Sonne wieder. Schon freuten sich die Kinder darauf, in T-Shirts und kurzen Hosen auf die Straße zu laufen. Die Tatsache, dass es so weit noch längst nicht war, verdarb ihnen an diesem Morgen gründlich die Laune.
„So was Blödes. Da scheint schon mal die Sonne, und dann darf ich trotzdem kein Kleiderl anziehen“, schimpfte Tessa, als sie an den Frühstückstisch zurückkehrte, nachdem ihre Mutter sie noch einmal hinaufgeschickt hatte.
„Wenn du so ein wütendes Gesicht machst, schaust du aus wie die Ziege von Bürgermeister Angerer“, lachte Filli.
„Und du wie der Ochs vom Grundhuber-Max“, konterte Tessa.
„Blöde Ziege.“
„Dummer Ochs.“
Ein Machtwort des Vaters bereitete der Zankerei ein abruptes Ende.
„Müsst ihr zwei die ganze Zeit streiten?“, schimpfte Dr. Martin Burger.
In dieser Nacht hatte er schlecht geschlafen. Einer seiner Patienten war am vergangenen Abend überraschend im Spital in Schwaz gestorben, und er machte sich Gedanken darüber, ob er einen Fehler gemacht hatte.
„Ich kann nichts dafür“, verteidigte sich Tessa energisch. „Filli fängt immer an.“
„Stimmt doch gar net. Schau, sogar der Poldi weiß, dass ich recht hab.“
Filli deutete auf den Rauhaardackel, der neben dem Esstisch auf dem Boden saß und lautstark seine Meinung kundtat. Vielleicht winkte ja eine Belohnung, wenn er sich so ins Zeug legte für seinen kleinen Freund. Ein Stückerl Butterkäs vielleicht? Ein Scheiberl vom Bio-Leberkäs wäre auch nicht zu verachten.
Als sich Filli hinunterbeugte, klopfte Poldis Schwanz aufgeregt auf den Boden. Aber was war das? Nur ein lausiger Streichler? Poldi wich zurück und trollte sich beleidigt wieder auf seinen Platz.
„Hast du gar net“, rief Tessa inzwischen erbost. „Du bist halt ein kleines …“
Das Geschirr auf dem Tisch klirrte, als Martins flache Hand neben seinem Teller landete.
„Schluss jetzt! Euer Gezanke ist net zum Aushalten“, schimpfte er, warf die Serviette auf den Tisch und stapfte aus dem Esszimmer.
Mit offenen Mündern starrten ihm die Kinder nach.
„Auweia. Jetzt ist der Papa richtig sauer“, flüsterte Filli.
Laura starrte ihren Bruder aus großen Kulleraugen an.
„Papa net saure Gurke is“, erklärte sie und verzog den Mund, gerade so, als ob sie in eine von Zenzis selbst eingelegten Gurken gebissen hätte.
Tessa lachte.
„Das ist net lustig“, schimpfte Filli weiter. „Du bist schuld, dass der Papa grantig ist!“
„Bin ich gar net.“
Normalerweise war Sabine die Geduld in Person. Genau wie ihr Mann. Doch was genug war, war genug.
„Jetzt ist aber Schluss! Ihr führt euch ja auf wie im Kindergarten.“ Sie zog ihre Jüngste auf den Schoß, drückte sie an sich und streichelte das weiche Kinderhaar. Die anderen beiden starrten betreten auf ihre Teller. Nach einer Weile seufzte Sabine: „Der Papa und ich hätten heut lieber im Bett bleiben sollen.“
„Aber das ist auch langweilig“, stellte Filli fest.
„Net streiten! Lauri mag net streiten“, befahl seine kleine Schwester.
„Niemand mag streiten“, versuchte Sabine, ihr Mauserl zu beruhigen.
„Aber irgendwie gehört’s doch zum Leben dazu“, brummte Pankraz, der sich bisher um sein Butterbrot gekümmert hatte, statt sich in die Zankerei einzumischen. „So wie es Sonnenschein und Regentage gibt, gibt’s halt auch in einer Familie Spaß und Freude, aber eben auch manchmal Ärger.“
„Du bist so klug, Opa.“ Fillis bewundernder Blick hing an seinem Großvater.
„Das nennt man Lebenserfahrung“, fuhr Pankraz ernst fort. „Wenn man so alt ist wie ich, dann weiß man auch, wie wichtig ein Streit ab und zu ist. Das ist wie ein Gewitter nach einem schwülen Sommertag. Hinterher ist die Luft wieder frisch und sauber.“
Tessa saugte jedes Wort ihres Opas auf wie ein Schwamm.
„Du meinst, wenn wir nie streiten würden, wüssten wir gar net, wie schön es ist, sich wieder zu vertragen?“
Sabine sah hinüber zu ihrer Tochter. Manchmal erstaunte sie dieses ungewöhnliche Kind schon sehr. Sie streckte die Hand aus und streichelte über Tessas Wange. Im nächsten Augenblick schnappte sie nach Luft.
„Net so fest!“, ächzte sie unter Fillis eifersüchtiger Umarmung. „Sonst erdrückst du mich am Ende noch.“ Der Druck ließ nach, und lächelnd schloss Sabine alle drei Kinder in die Arme. Zumindest für einen Teil der Familie Burger war das Gewitter weitergezogen.
Unterdessen hatte Martin Zuflucht bei Zenzi in der Kuchl gesucht.
„Wenn du jetzt net aufhörst, die beleidigte Leberwurst zu spielen, dann bist du kein bisserl besser als die Kinder“, rückte sie ihm den Kopf in ihrer bisweilen rauen, aber immer wohlwollenden Art zurecht.
Wohl oder übel musste Martin lachen.
„Hast ja recht, Zenzerl. Was würde ich nur ohne dich tun?“
„Wenn du jetzt net gleich rübergehst, kannst du’s ausprobieren“, drohte sie mit dem Kochlöffel in der Hand. In ihre Worte hinein klingelte das Telefon. „Ich geh schon“, beschied sie Martin, drängelte sich an ihm vorbei durch die Tür und lief hinüber zur Kommode, auf welcher der Apparat stand. „Josefa, was ist denn passiert?“
Martin wollte schon den munteren Stimmen folgen, die ihm aus dem Esszimmer entgegenschallten, als er innehielt. Zenzis Stimme verriet nichts Gutes. Und tatsächlich.
„Ich sag dem Doktor Bescheid. Er ist gleich bei dir“, versprach sie und legte auf.
Martin fackelte nicht lange.
„Was ist passiert?“
„Der Sagmeister-Josefa ihr Mann will net aufwachen.“ Mit einem Schlag war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. Dr. Burger kannte Zenzi gut genug, um zu wissen, was das bedeutete.
„Ich bin schon auf dem Weg!“, versprach er. Nach einem Blick Richtung Esszimmer wandte er sich ab. Die große Versöhnung mit seiner Familie musste warten.
***
Ganz leise, als könnte das Geräusch den Schlaf ihres Mannes stören, legte Josefa den Hörer zurück auf die Gabel. Mit schleppenden Schritten kehrte sie ins Schlafzimmer zurück und blieb vor dem Bett stehen.
Tatsächlich. Da lag er immer noch, der Hubert, und gab keinen Mucks von sich. Sein Gesicht war merkwürdig friedlich, wie sie es selten gesehen hatte. Trotzdem konnte und wollte sie nicht glauben, dass es wirklich vorbei war.
Stattdessen kehrten ihre Gedanken zurück zum Morgen.
Wie immer war Josefa schon im ersten Licht des Tages aufgestanden. Sie liebte die frühen Stunden des Tages, wenn alles noch still war. Wenn das Licht die Schatten der Nacht vertrieb und das Bergdorf St. Christoph aus der Dunkelheit auftauchte wie eines dieser Zauberbilder, deren Motive erst sichtbar wurden, wenn sie sich erwärmten.
Dann stand Josefa immer am Küchenfenster und ließ den Blick schweifen, hinunter zu den Bauernhäusern, manche krumm und schief, als wollten sie sich vor den Launen des Wettergottes verstecken. Andere dagegen boten ihm stolz und aufrecht die Stirn wie die weiße Dorfkirche mit dem goldenen Wetterhahn auf der Spitze.
Besonders schön war es natürlich, wenn ein blauer Himmel einen herrlichen Tag versprach und die ersten Sonnenstrahlen verheißungsvoll über die beeindruckenden Bergrücken kletterten.
Auch an diesem Morgen war Josefa dieses Schauspiel vergönnt gewesen, und sie spürte eine tiefe Ruhe in sich.
Das war beileibe keine Selbstverständlichkeit. Josefa machte keine Affäre daraus, doch sie konnte die Schmerzen in Brustbein und Rücken, die sie in letzter Zeit oft und häufig auch nachts plagten, nicht mehr als Zufall abtun. Sie war schon immer hart im Nehmen gewesen – wie sonst hätte sie dieses Leben ertragen? – und hatte diese Beschwerden hartnäckig ignoriert.
Da sie aber kein leichtsinniger Mensch war, war eine gründliche Untersuchung bei Dr. Burger unumgänglich. Mit diesen Gedanken war sie ins Schlafzimmer zurückgekehrt, um die Kittelschürze gegen anständige Kleidung zu tauschen. Hubert lag immer noch im Bett und schlief tief und fest. Josefa hatte sich gewundert, aber wahrscheinlich holte er nach dem Stammtisch im Ochsenwirt nur den versäumten Schlaf nach.
Nach einer weiteren Stunde, die Josefa werkelnd in der Küche verbracht hatte, kam sie wieder am Schlafzimmer vorbei. Sie war ans Bett getreten. Erst jetzt war ihr sein Gesichtsausdruck aufgefallen.
Hubert wirkte friedlich, fast heiter, aber nicht mehr wie von dieser Welt.
Josefa hatte kurz nachgedacht und dann einen Spiegel aus ihrer altmodischen Frisierkommode gekramt. Sie hielt ihn vor Huberts Mund. Nicht der feinste Hauch schlug sich auf der glänzenden Oberfläche nieder. Ein eindeutiges Zeichen dafür, Hilfe zu rufen.
Und nun stand sie da und betrachtete das Gesicht des Mannes, der sie so viele Jahre lang gegängelt und gequält hatte.
Jetzt bin ich frei!, ging es ihr durch den Kopf, bevor sie sich in den Erinnerungen an die Demütigungen verlor, die sie in all den Jahren still ertragen hatte.
„Josefa?“ Zehn Minuten stand Dr. Burger nun schon vor dem Bauernhaus, das wie die Kulisse eines Heimatfilms wirkte. Sprossenfenster, flankiert von Fensterläden, eine helle Fassade, an der im Sommer Rosen emporrankten, mit einem Balkon über die gesamte Breite.
Höhepunkt aber war der prächtige Bauerngarten, der im Sommer von Einheimischen und Urlaubern gleichermaßen bestaunt wurde.
Doch in diesem Moment hatte Martin keinen Sinn für die Schönheiten seines Dorfes. Als er keine Antwort bekam, tat er das einzig Sinnvolle: Er drückte die Klinke herunter. Die Tür knarrte in den Angeln.
„Josefa!“, wiederholte Martin Burger seinen Ruf.
Endlich ein Rumoren.
„Hier oben bin ich, im Schlafzimmer.“
Er machte sich auf die Suche und fand Josefa schließlich am Ende des Flurs im ersten Stock. Sie stand noch immer am Bett und sah aus müden Augen zu ihm herüber.
„Der Hubert ist tot“, sagte sie mit leiser Stimme.
Dr. Burger beugte sich über Hubert Sagmeister und erkannte sofort, dass Josefas Worte wahr waren.
„Es tut mir leid. Ich kann nichts mehr tun.“
Josefa nickte ein paar Mal hintereinander.
„Ich weiß. Ich hab’s die ganze Zeit gewusst. Aber irgendwie wollt ich es net wahrhaben.“
Martin musterte sie verwundert. Schwang da etwa Erleichterung in ihrer Stimme? Bevor er nachhaken konnte, sprach Josefa weiter.
„Ich hab aus dem Fenster geschaut. Es war so friedlich. Derweil war der Hubert hier drinnen allein. Vielleicht hätt ich ihm helfen können.“
„Kein Mensch hätte ihm helfen können“, erklärte Dr. Burger und setzte sich an die Frisierkommode, um den Totenschein auszufüllen. „Es muss schon heute Nacht passiert sein.“ Der Kugelschreiber kratzte über das Papier.
„Da lag ich neben ihm und hab’s net gemerkt.“
Martin Burger dachte an die Schuldgefühle, die ihn wegen des Patienten in Schwaz plagten. Er konnte gut nachvollziehen, wie sich Josefa fühlte.
„Du darfst dir keine Vorwürfe machen. Der Hubert ist ganz friedlich eingeschlafen. Schau ihn doch nur an! Wahrscheinlich hat er noch net einmal gemerkt, dass sein Herz einfach aufgehört hat zu schlagen.“
Josefas Augen wurden kugelrund.
„So was gibt’s wirklich? Ich hab immer gedacht, dass das Märchen sind.“
„Wenn die Kraft verbraucht ist, kann das schon passieren.“ Martin setzte Datum und Unterschrift unter das Dokument.
Josefa nickte langsam.
„Das kommt davon, dass er net auf mich gehört hat. Immer diese Pfeifen und Zigarren. Und dann erst der Schnaps! Erst gestern war er noch beim Ochsenwirt. Ich hab ihm noch gesagt, dass er net trinken soll.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Aber er hat mich nur ausgelacht.“
Martin Burger stand auf. Er legte den Arm um Josefas Schultern und führte sie zur Tür.