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Schon länger fühlt sich Emma als Hausfrau und Mutter nicht mehr ausgelastet. Ihr fehlen Kontakte. Sie ist unzufrieden. Darum würde sie gern wieder arbeiten. Nun, wo ihr Sohn zur Schule geht, könnte sie halbtags in einem kleinen Restaurant kochen. Sie ist überglücklich, als sie zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Die Stelle ist ihr Traum.
Doch kurz vor ihrem Aufbruch sagt ihr der Babysitter ab. Ihren Mann kann sie erst nicht erreichen, dann wehrt er ab. Er hat Termine und kann nicht auf Jonas aufpassen. Nicht einmal für eine Stunde.
Emma ist ratlos. Was soll sie nun tun? Das Vorstellungsgespräch sausen lassen, auf das sie sich so gefreut hat? Die Zeit drängt. Sie müsste längst unterwegs sein. Da beteuert ihr Jonas, alt genug zu sein, um für kurze Zeit allein zu bleiben.
Emma lässt ihr Kind zu Hause. Das Vorstellungsgespräch läuft gut - als plötzlich ihr Handy klingelt: Bei ihr daheim ist ein Feuer ausgebrochen!
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Seitenzahl: 126
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Die Entfremdung
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Bastei Verlag / von Sarosdy
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9868-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Entfremdung
Plötzlich war ihr Herz wie stumm
Von Andreas Kufsteiner
Schon länger fühlt sich Emma als Hausfrau und Mutter nicht mehr ausgelastet. Sie ist unzufrieden. Ihr fehlen Kontakte. Darum würde sie gern wieder arbeiten. Nun, wo ihr Sohn zur Schule geht, könnte sie halbtags in einem kleinen Restaurant kochen. Sie ist überglücklich, als sie zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Die Stelle ist ihr Traum.
Doch kurz vor ihrem Aufbruch sagt ihr der Babysitter ab. Ihren Mann kann sie erst nicht erreichen, dann wehrt er ab. Er hat Termine und kann nicht auf Jonas aufpassen. Nicht einmal für eine Stunde.
Emma ist ratlos. Was soll sie nun tun? Das Vorstellungsgespräch sausen lassen, auf das sie sich so gefreut hat? Die Zeit drängt. Sie müsste längst unterwegs sein. Da beteuert ihr Jonas, alt genug zu sein, um für kurze Zeit allein zu bleiben.
Emma lässt ihr Kind zu Hause. Das Vorstellungsgespräch läuft gut – als plötzlich ihr Handy klingelt: Bei ihr daheim ist ein Feuer ausgebrochen!
Was für ein Tag!
Johannes hatte heute bereits verhindert, dass der Geschäftsführer den alten Franz hinauswarf. Zugegeben, Franz brauchte erheblich länger als früher, um die Büros zu putzen, aber dafür waren die Räume auch blitzblank, sobald er fertig war. Da konnte sich der Geschäftsführer zehnmal mit der Stoppuhr hinter ihn stellen.
Danach hatte Johannes einen Abnehmer angemahnt, der seit zwei Monaten mit der Zahlung im Verzug war. Sie hatten sich auf eine dreimonatige Ratenzahlung geeinigt.
Und gerade eben hatte Johannes einen seiner Fahrer nach St. Christoph gelotst. Kein leichtes Unterfangen. Der Holzlaster war unterwegs in eine Straßensperre geraten. Die einzige Zufahrt zum Sägewerk war nach einem Bergrutsch versperrt. Es gab allerdings noch einen Schleichweg durch den Krähenwald, der leidlich gut befahrbar war. Den kannten jedoch nur die Einheimischen.
Johannes hatte den Fahrer von seinem Büro aus über das Handy durch den Wald navigiert. Dabei hatte er sich tüchtig konzentrieren müssen. Wäre der Transporter nur ein einziges Mal an einer Kreuzung im Wald verkehrt abgebogen, hätte er mitsamt der Lieferung Baumstämme in einer Rückegasse stecken bleiben oder in der Schwarzach-Klamm landen können.
Es war noch nicht einmal Mittag, und Johannes brummte bereits der Schädel. Es hatte sich jedoch gelohnt: Franz hatte noch seine Arbeit, es gab keinen Ausfall bei den Einnahmen des Sägewerks, und die Lieferung frischer Stämme aus dem Brauneckschen Wald war wohlbehalten angekommen. Damit konnte die Produktion weitergehen. Johannes nickte zufrieden.
Eingestellt worden war er für die Buchhaltung. Im Laufe der Zeit war er jedoch mit zahlreichen zusätzlichen Aufgaben betraut worden. Er galt als Mann für alles, der verlässlich arbeitete und nicht auf die Uhr sah, wenn er gebraucht wurde.
Johannes liebte seine Arbeit und machte sich berechtigte Hoffnungen auf eine Beförderung. Der Geschäftsführer ging in wenigen Monaten in Rente, und Johannes wollte auf den Posten nachrücken. Er wusste, dass er die Fähigkeiten und die nötige Erfahrung besaß.
Nach fünf Jahren in der Firma war es allmählich Zeit für eine Beförderung. Wenn alles so lief, wie er sich das vorstellte, würde er endlich genug Geld haben, um den Hauskauf ernsthaft anzugehen. Emma sollte den Garten haben, den sie sich schon so lange wünschte. Und der Bub brauchte viel Grün zum Spielen. Ihre Wohnung war zwar gemütlich, aber auch zu klein für drei Personen.
Johannes strich über die gerahmte Fotografie auf seinem Schreibtisch. Das Bild war am sechsten Geburtstag seines Sohnes aufgenommen worden.
Jonas hielt die beiden Meerschweinchen im Arm, die er geschenkt bekommen hatte. Wie er strahlte! Die Sommersprossen auf seinem Nasenrücken schienen vor lauter Freude zu tanzen.
Johannes musste unwillkürlich lächeln. Emma und er standen auf der Fotografie hinter ihrem Sohn. Seine geliebte Familie …
Unwillkürlich wanderten seine Gedanken zwanzig Jahre zurück.
Er war als Pflegekind aufgewachsen und von einer Familie in die nächste geschoben worden. Nie war er lange genug an ein und demselben Ort geblieben, um Freunde zu finden.
So hatte er seine Nachmittage in Büchereien verbracht, mit der Nase im Buch und dem Kopf in fremden Welten. Robinson, Jim Knopf und Harry Potter waren seine besten Freunde gewesen. Der beständige Punkt, auf den er sich verlassen konnte. Er musste nur ein Buch aufschlagen, und sie waren für ihn da gewesen.
Ob er schwierig gewesen war? Oh ja. Nach dem Unfall seiner Eltern war er unendlich traurig gewesen. Und wütend. Wie hatten sie ihn einfach alleinlassen können? Er hatte die Schule geschwänzt und sich gegen alle Regeln aufgelehnt. Bis es den Pflegefamilien zu viel geworden und er wieder fortgeschickt worden war.
Johannes hatte aufgehört zu zählen, in wie viele Familien er gesteckt worden war. Bei manchen war er nur für ein paar Tage gewesen, bei anderen Monate. Er hatte niemanden an sich herangelassen. Bis er Emma begegnet war. Sie hatte den Panzer aus Eis um sein Herz geschmolzen.
Emma war sein Licht. Sein Kompass.
Sie waren sich im strömenden Regen zum ersten Mal begegnet. Emma war gerade von einer verpatzten Verabredung gekommen. Sie hatte keinen Schirm dabeigehabt, und der letzte Bus war ihr gerade vor der Nase weggefahren.
Johannes hatte sie an der Haltestelle gesehen und ihr angeboten, sie mitzunehmen. Zum Dank hatte Emma ihn zum Kaffee eingeladen.
Stundenlang hatten sie geredet und gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen war. Sie hatten nur gespürt, dass sich sofort ein Band zwischen ihnen gespannt hatte, das mit jedem Herzschlag stärker geworden war. Und schnell war mehr daraus geworden.
Johannes hatte sich geschworen, alles richtig zu machen. Er wollte seiner Familie bieten, was sie brauchte: ein Zuhause. Sicherheit. Alles, was er selbst schmerzlich vermisst hatte.
In der Firma galt er als Arbeitstier. Das war er wirklich. Er definierte sich über seine Arbeit. Und er verlangte viel von anderen, noch mehr aber von sich selbst. Als Junge hatte er sich ein wenig Taschengeld verdient, indem er Zeitungen ausgetragen oder die Haustreppe für ältere Nachbarn gewischt hatte. Später hatte er hin und wieder Hausaufgaben für ältere Schüler gemacht. Das Lernen war ihm immer leichtgefallen.
Das Piepen des Rückwärtsgangs eines der Transporter draußen im Hof riss Johannes aus seinen Gedanken. Er warf einen Blick aus dem Fenster. Der Fahrer winkte ihm grüßend zu. Johannes winkte zurück, konnte ein leises Seufzen jedoch nicht unterdrücken. Die Lieferung würde hier im Werk zu Brettern verarbeitet werden. Und die Nebenprodukte? Die würden verkommen. Was für ein Jammer!
„Alles in Ordnung?“ Der Geschäftsführer kam herein. Josef Eckstein war von untersetzter Statur. Man sah ihn nie anders als in einem schicken Anzug. Er arbeitete seit der Gründung vor neununddreißig Jahren im Sägewerk, war mit dem Besitzer befreundet und würde in wenigen Monaten in den Ruhestand gehen. „Sie schauen so sorgenvoll hinaus.“
„Ich habe darüber nachgedacht, wie schade es ist, dass wir bei unserer Produktion die Sägespäne, die Hobelspäne und das Hackgut so einfach verkommen lassen. Wir könnten daraus wertvolle Pellets für Holzfeuerungen fertigen.“
„Net dieses Thema schon wieder.“ Der Geschäftsführer runzelte die Stirn. „Darüber haben wir doch schon gesprochen. Für diese Pellets hätten wir keine Abnehmer. Wer sollte sie auch kaufen? Kaum jemand im Tal hat eine passende Heizungsanlage im Keller stehen.“
„Weil noch niemand die nötigen Biobrennstoffe anbietet. Wenn wir das übernehmen, werden schon bald die ersten Anlagen dafür gebaut. Daran zweifle ich net.“
„Das ist net gesagt. Genauso gut können wir auf einem Berg Holzpellets sitzen bleiben. Außerdem produzieren wir Schnitt- und Profilholz, keinen Brennstoff, Herr Pfister.“
„Wir könnten aber beides anbieten. Unsere Brennstoffe wären sauber, CO2-neutral und obendrein günstig. Während Heizöl und Erdgas in den vergangenen Jahren immer teurer geworden ist, bleiben die Preise für Holz ungefähr gleich. Obendrein wachsen unsere Rohstoffe nach, und die Asche kann sogar als Gartendünger verwendet werden. Nachhaltiger geht es net.“
„Net mit uns“, wehrte Josef Eckstein ab. „Wir haben ein stabiles Unternehmen und müssen keine Risiken mehr eingehen. Die Investition in die nötigen Maschinen und die Infrastruktur für den Vertrieb dieser Pellets wären enorm.“
„Man muss Geld investieren, um welches zu verdienen. Und es würde sich rentieren, das garantiere ich Ihnen. Ich hab alles durchgerechnet. Wenn Sie sich meine Zahlen nur einmal ansehen würden, Herr Eckstein. Die Ausgaben wären schon nach drei Jahren getilgt, dann würden wir Gewinn machen.“
„In drei Jahren kann viel passieren. Warum sollten wir das wagen, wenn unser Unternehmen bereits gute Gewinne abwirft?“
„Weil es eine gute Sache wäre. Wir könnten dazu beitragen, dass die Haushalte im Tal klimaschonend heizen.“
„Wir sind eine Firma und net die Heilsarmee. Sie wissen, wie ich darüber denke, und der Chef stimmt mir zu. Keine Risiken. Unser Sägewerk läuft gut, und so soll es auch bleiben.“
Johannes unterdrückte ein frustriertes Stöhnen.
Der Geschäftsführer stellte sich allen neuen Ideen in den Weg, und er hatte den Chef auf seiner Seite. Johannes hoffte, nach seiner Beförderung auf offenere Ohren zu stoßen.
„Diese Rechnungen müssen für das Quartal abgelegt werden.“ Josef Eckstein legte ihm eine Mappe mit Unterlagen auf den Schreibtisch. „Kümmern Sie sich bitte darum.“
„Wird erledigt.“
„Danke.“ Der Geschäftsführer kehrte in sein Büro zurück.
Johannes zog das Fenster noch etwas weiter auf.
Was für eine Hitze! Die Sonne heizte die Temperaturen hier im Tal auf über dreißig Grad auf. Die Luft schien zu flirren. Kaum ein Mensch war draußen unterwegs.
Johannes vertiefte sich wieder in seine Arbeit, bis ihn das Klingeln des Telefons hochriss.
„Pfister hier“, meldete er sich.
„Johannes? Bist du wirklich noch im Büro?“
„Emma?“ Verwundert erkannte er die Stimme seiner Frau. „Wo sollte ich denn sonst sein?“
„Bei uns natürlich.“ Ein sanfter Vorwurf schwang in ihrer Stimme mit. „Hast du vergessen, dass du heute mit Jonas und mir zum Hexenstein radeln wolltest? Wir wollten doch einen Ausflug machen und Beeren sammeln.“
„Aber erst heute Nachmittag, und jetzt ist es …“ Er spähte auf seine Uhr und zerbiss einen Fluch auf den Lippen. War es wirklich schon so spät? Wo war nur die Zeit geblieben? „Es tut mir leid, Liebes. Bei mir stapelt sich die Arbeit. Ich hab gar net bemerkt, wie spät es schon ist.“
„Das macht nix. Wenn du jetzt heimkommst, können wir immer noch losfahren.“
Johannes’ Blick wanderte über seinen Schreibtisch.
„Tut mir leid, aber ich kann hier noch net weg“, sagte er dann.
„Du kommst net mit? Aber du hast es versprochen. Jonas hat sich schon so auf unseren Ausflug gefreut. Und ich auch.“
„Es geht leider net. Heute net. Ich muss das hier zu Ende bringen, sonst hab ich keine Ruhe.“
„Johannes!“
„Ich weiß. Es tut mir ehrlich leid. Fahr allein mit dem Buben, ja? Ich komme dann beim nächsten Ausflug mit.“
„Das hast du beim letzten Mal auch gesagt.“
Oje! Hatte er das wirklich? Es war ihm gar nicht bewusst.
„Was soll ich denn machen? Meine Arbeit kann ich net einfach sausen lassen. Damit verdiene ich unsere Brötchen.“
„Ich möchte dir auch net hineinreden. Es ist nur so, dass du kaum noch daheim bist. Morgens fährst du in aller Frühe ins Büro, und wenn du abends zurückkommst, ist Jonas häufig schon im Bett. Er sieht dich kaum noch. Und er vermisst dich.“
„Das wird auch wieder anders. Sobald ich befördert wurde.“
Seine Frau antwortete nicht. Das Schweigen dröhnte ihm mit einem Mal in den Ohren.
„Emma? Bist du noch dran?“
„Ja … ich bin noch dran.“
„Sei net traurig. Wir holen unseren Ausflug nach.“
„Das wäre schön.“ Ein trauriges Lächeln schwang in ihrer Stimme mit. „Du musst auch bald nimmer allein für alles aufkommen. Wenn bei dem Vorstellungsgespräch alles gut geht, verdiene ich ab August auch wieder Geld.“
„Was für ein Vorstellungsgespräch?“
„Im ‚Almstüberl’. Sie suchen eine Köchin. Ich hab die Einladung vor einer Woche bekommen und dir beim Abendessen davon erzählt. Weißt du das denn nimmer?“
Johannes überlegte. Nun, wo sie davon sprach, schien es ihm so, als hätte sie es erwähnt. Allerdings war er abends häufig abgespannt und dachte noch über die Arbeit nach.
„Kann sein, dass ich ein bisserl abgelenkt war. Im ‚Almstüberl’ also?“
„Genau. Das Lokal ist net groß, aber mit einer wunderbaren Tiroler Küche. Ich könnte dort halbtags arbeiten. Dann wäre ich daheim, wenn Jonas aus der Schule kommt. Es wäre perfekt.“
„Du hast dich also entschieden, die Stelle anzunehmen?“
„Wenn ich sie bekomme? Auf jeden Fall. Du weißt doch, wie gern ich wieder arbeiten möchte. Und jetzt ist Jonas aus dem Gröbsten raus. Der Zeitpunkt ist perfekt.“
„Darüber reden wir noch einmal, ja? Jetzt muss ich wieder an die Arbeit. Wir sehen uns heute Abend daheim.“
„Also kommst du wirklich net mit uns mit?“
„Ich kann net“, erklärte er seiner Frau noch einmal und ahnte nicht, dass er das schon bald bitter bereuen würde …
***
„Autsch! Oh! Warum bin ich so ungeschickt?“
Bärbel Tannauer, die Sprachstundenhilfe von Dr. Burger, sog scharf den Atem ein und streckte ihre linke Hand von sich weg. Auf ihrer Handfläche zeichnete sich ein gut fingerlanger Schnitt ab. Blut quoll aus dem Hautriss.
„Mei, Bärbel, wie ist denn das passiert?“ Der Bergdoktor legte eine Mappe auf ihrem Schreibtisch ab und sah sie alarmiert an.
„Ich wollte das Wartezimmer aufräumen, und Sie wissen ja, wie das mit guten Taten ist. Die bestraft der liebe Gott gleich. Mir ist eines der Wassergläser beim Wegräumen zersprungen, und eine der Scherben hat sich in meine Hand gebohrt.“
„Das sehe ich mir gleich einmal an. Kommst du bitte mit in mein Sprechzimmer?“ Dr. Burger ging voraus und wartete, bis seine Sprechstundenhilfe auf der Untersuchungsliege Platz genommen hatte. Dann beugte er sich über ihre Hand und untersuchte sie. „Der Schnitt ist lang, aber net sehr tief. Die Beweglichkeit deiner Finger ist net eingeschränkt. Das ist gut.“
„Es tut aber ziemlich weh.“
„Das geht gleich vorüber. Ich werde die Stelle lokal betäuben. Dann spürst du nix, wenn ich die Wunde säubere und klammere.“
Durch das weit geöffnete Fenster drang der milde Abendwind herein, als er sich an die Arbeit machte. Über den Bergen im Westen ballten sich dunkle Wolken zusammen. Ein Gewitter zog heran. Der auffrischende Wind ließ daran keinen Zweifel.
Dr. Burgers Praxis war im Anbau des Doktorhauses untergebracht. Von hier aus hatte man einen wunderbaren Ausblick auf die beiden schrundigen Gipfel des Hexensteins. Sein Heimatdorf St. Christoph war klein und lag weit ab von der Hektik der modernen Welt. Nur wenige Feriengäste verirrten sich hierher, aber diejenigen, die einmal hier gewesen waren, kamen gerne wieder.
Die Sprechstunde war seit einer halben Stunde beendet. Tagsüber war allerhand zu tun gewesen. Bei dieser Hitze mehrten sich Kreislaufbeschwerden und Sonnenbrände.
Nun kümmerte der Landarzt sich um Bärbel. Er spülte ihre Wunde sorgfältig und tupfte sie mit einer desinfizierenden Salbe ab.
„Du hattest Glück, Bärbel. Nach dem Klammern sollte die Verletzung gut verheilen. Wie sagt man so schön? Bis zur Hochzeit ist alles wieder gut.“
„Hochzeit?“ Bärbel blies eine blonde Ponysträhne aus ihrer Stirn. „Ich würde lieber heute als morgen heiraten, aber wenn es nach meinem zukünftigen Schwiegervater geht, gibt es noch lange keine Hochzeit.“
„Darüber solltest du dir keine Sorgen machen. Der Valentin liebt dich viel zu sehr, um noch ewig zu warten.“