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Nachdem Dr. Burger den kleinen Benedikt Bergstetter untersucht und gewogen hat, trägt er sehr zufrieden die Ergebnisse in den Computer.
"Ein Prachtbüberl hast du", versichert er der besorgten Mutter. "Er hat gut zugenommen und entwickelt sich nach Lehrbuch. Sorgen mache ich mir trotzdem - nicht ums Baby, sondern um dich, Julia."
Natürlich ist die erste Zeit nach einer Geburt nie leicht, besonders für eine sehr junge, ledige Mutter wie Julia. Doch ihre bleichen Züge verraten dem Bergdoktor nicht nur Erschöpfung, sondern auch einen tiefen inneren Schmerz und eine abgrundtiefe Traurigkeit ...
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Seitenzahl: 126
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Nichts vergessen, nichts vergeben
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Bastei Verlag / Wolf
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9885-4
www.bastei-entertainment.de
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www.bastei.de
Nichts vergessen, nichts vergeben
Dr. Burger und die Tränen einer ledigen Mutter
Von Andreas Kufsteiner
Nachdem Dr. Burger den kleinen Benedikt Bergstetter untersucht und gewogen hat, trägt er sehr zufrieden die Ergebnisse in den Computer.
„Ein Prachtbüberl hast du“, versichert er der besorgten Mutter. „Er hat gut zugenommen und entwickelt sich nach Lehrbuch. Sorgen mache ich mir trotzdem – nicht ums Baby, sondern um dich, Julia.“
Natürlich ist die erste Zeit nach einer Geburt nie leicht, besonders für eine sehr junge, ledige Mutter wie Julia. Doch ihre bleichen Züge verraten dem Bergdoktor nicht nur Erschöpfung, sondern auch einen tiefen inneren Schmerz und eine abgrundtiefe Traurigkeit …
Als Julia Bergstetter das Wartezimmer der Arztpraxis betrat, verstummte das Gespräch der Frauen, die sich eben noch lebhaft unterhalten hatten, und machte einem verlegenen Schweigen Platz.
Die junge Frau setzte sich auf einen der freien Stühle am Fenster, ohne auf ihre Umgebung zu achten, und richtete stattdessen ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihren kleinen Sohn, der friedlich auf ihrem Arm schlief.
Die Altbäuerin vom Mühlenhof hüstelte und beugte sich hinüber zu Julia, um das Kind in Augenschein zu nehmen.
„Ein schönes Buberl hast du da, wie man es sich nur wünschen kann. Rosig und gesund! So ein Engerl ist doch eine große Freud“, sagte sie, und es war ihr anzumerken, dass sie es aufrichtig meinte.
Das brach den Bann.
„Wart nur, wenn er nimmer so ruhig schläft wie ein Engerl! Ich hab drei solche aufgezogen und konnte in der ersten Zeit keine Nacht durchschlafen“, meinte eine jüngere Bäuerin, doch sie klang dabei keineswegs betrübt.
„Aber das geht vorbei, und es wird immer leichter“, warf eine andere ein, „und das ist dann die beste Zeit, bevor man sie nimmer wiedererkennt.“
„Das hast du richtig ausgedrückt. Ich erkenn meinen Basti nimmer wieder. Immer war er ein braver Bub, und jetzt scheint er seine Eltern zu hassen, nichts kann man ihm recht machen“, klagte eine ziemlich erschöpft wirkende Frau mittleren Alters.
„Ach, am besten gehst du drüber hinweg. Außerdem musst du ihm ja net alles recht machen“, fand die Altbäuerin, die vier Söhne großgezogen hatte.
Und schon war eine angeregte Unterhaltung über Kindererziehung im Gange, bei der jede der Frauen ihre eigenen Erfahrungen einbrachte.
„Wie heißt denn der Kleine?“, fragte die Leitnerbäuerin dann lauernd. „Nach seinem Vater?“
Von der Leitnerin konnte man wahrlich nicht behaupten, dass sie mit großer Herzensgüte gesegnet war. Sie liebte vor allem Klatsch und Tratsch, und nun funkelte es in ihren blassblauen Augen neugierig.
Doch Julia war gewappnet.
„Nein, nach seinem Großvater selig“, erwiderte sie und bekreuzigte sich kurz.
„Also auf Benedikt ist er getauft, das ist schön“, befand die Altbäuerin. „Dein Vater, Julia, war ein guter Mann, und es ist ewig schad drum, dass er so früh von uns gegangen ist.“
Auch sie bekreuzigte sich, wie es hier Sitte war, wenn man von einem geliebten Verstorbenen sprach, und ein oder zwei Frauen taten es ihr gleich.
„Ich hoffe, dass er nach ihm gerät“, sagte Julia leise, die sichtlich bewegt vom Zuspruch der Älteren war.
„Weißt du, am besten gehst du vor mir in die Sprechstunde, damit der kleine Benedikt net wach wird“, bot die Bäuerin ihr an.
Das kam Julia sehr entgegen, und sie bedankte sich.
Die Bäuerin betrachtete die junge Frau – eigentlich war Julia noch ein junges Mädchen – unauffällig, und das Herz zog sich ihr vor Mitgefühl zusammen.
Julia Bergstetter hatte immer als das schönste Madel im ganzen Tal gegolten, doch jetzt war ihre Schönheit dahin. Ihre fein geschnittenen, regelmäßigen Züge wirkten verhärmt, Schatten lagen unter ihren grünen Augen, die allen Glanz verloren hatten. Ihre Haut war graubleich, und das üppige schwarze Haar, das ihr früher seidig über die Schultern geflossen war, hatte Julia nachlässig im Nacken zusammengebunden.
Genauso wenig achtete sie noch auf ihre Kleidung. Zu einer leichten Sommerhose, die schlecht gebügelt war, trug sie einen farblich nicht dazu passenden Janker, der für die Jahreszeit viel zu dick war. Und sie hatte noch die erdverkrusteten Schuhe an, mit denen sie offensichtlich im Garten gearbeitet hatte.
Trotz ihrer Jugend erweckte die junge Frau den Anschein, als ob sie nichts mehr vom Leben erwartete.
Ehe die Altbäuerin ihren Gedanken weiter nachhängen konnte, öffnete sich die Tür des Sprechzimmers, und Julia verließ das Wartezimmer, den Kleinen sorgsam auf ihrem Arm gebettet.
Auf dem Flur jedoch kam es zu einer unangenehmen Begegnung mit Gottlieb Hähnel, der einmal wieder die Praxis des Bergdoktors heimsuchte. Als er Julia erblickte, warf er ihr einen verächtlichen Blick zu und erwiderte ihren Gruß nicht. Er hatte ein nicht eben sauberes Taschentuch um seine linke Hand gewickelt.
Bärbel Tannauer, die hübsche, unerschütterliche Arzthelferin, vermutete sofort, dass Hähnel sich einmal wieder als Heimwerker versucht hatte.
„Und, Gottlieb, was hast du heute wieder angestellt? Warst du wieder beim Heimwerken mit dem Hammer oder der Säge unterwegs?“, fragte sie mit unbewegten Zügen.
„Mit dem Hammer. Ich hab eine Blutvergiftung und brauche Hilfe, sofort!“, verlangte er gebieterisch.
„Haben wir dir net beim letzten Mal, als du dir den kleinen Spreisel in den Daumen gezogen hast, eine Tetanusspritze gegeben? Die müsste eigentlich noch wirken. Also, dann setz dich ins Wartezimmer und verhalt dich ganz ruhig, hast du gehört? Das ist besonders wichtig bei so schweren Verletzungen, wie du sie immer hast.“
Gottlieb tat wie geheißen und betrat grußlos den Raum, wo man ihn mit wenig freundlichen Blicken maß. Er ließ sich auf dem Platz neben der Altbäuerin nieder und verhielt sich ruhig. Doch der Frieden hielt nicht lange an.
„War das net eben die Bergstetter-Julia mit ihrem ledigen …“
„Untersteh dich, so über sie zu reden“, fiel ihm die Altbäuerin derart grimmig ins Wort, dass er erschrocken zurückfuhr.
„In früheren Zeiten wär man ganz anders mit ihr umgegangen.“
„So, wie denn?“, fragte eine junge Frau mit trügerischer Freundlichkeit und legte die Zeitung, in der sie gelesen hatte, beiseite.
„Die hätt sich nirgends mehr im Dorf blicken lassen können! Ihre Eltern hätten sie mitsamt ihrer Brut vor die Tür gesetzt.“
Wieder wurde er unterbrochen.
„Und der Hofhund wär auf sie gehetzt worden, oder?“
„Ja“, erwiderte Hähnel zufrieden, „und dann wär sie in die Großstadt gegangen und unter die Räder gekommen.“
„Und der Vater von dem Kind?“
„Was soll mit dem schon sein?“, fragte Hähnel dümmlich.
„Der ist schließlich schuld an dem ganzen Unglück“, kam es zurück, und es klang nun überhaupt nicht mehr freundlich.
„Ja, früher war halt alles besser, vor allem für die Mannsleut. Die konnten sich fei alles erlauben, und so ein armes verführtes Madel blieb mit Schimpf und Schande sitzen“, giftete eine der Bäuerinnen.
„Die Weiberleut sind aber auch net immer Unschuldslämmer“, warf Gottlieb unvorsichtigerweise ein.
„Was verstehst du denn von den Weiberleut!“
„Dich hätt ja keine für geschenkt genommen.“
„Einschichtig bist du geblieben, weil dich keine haben wollt mit deinen altbackenen Ansichten, so schaut das aus.“
So schallte es ihm entgegen, und Streithähnel reckte beleidigt seine Hühnerbrust etwas hervor, ein trauriger Anblick.
„Zu meiner Zeit hat es schon Frauen gegeben, die gern mit mir …“
Die Altbäuerin lachte schrill auf.
„Zu deiner Zeit? Daran kann sich keiner mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass du ein paarmal kreuzlahm über den Tanzboden geschlichen bist und alle Madeln einen weiten Bogen um dich gemacht haben!“
Es wurde immer lauter im Wartezimmer, denn das ließ Gottlieb natürlich nicht auf sich sitzen, und es wäre noch lange so weitergegangen, wenn nicht Bärbel Tannauer, gefolgt von Schwester Sophie, unvermittelt die Tür aufgerissen hätte.
„Gottlieb, was hab ich gesagt?“, herrschte Bärbel ihn ergrimmt an.
„Das ist net meine Schuld. Diese Bissgurn hier sind über mich hergefallen“, verteidigte er sich heftig.
Der Geräuschpegel stieg erneut an, und die tatkräftige Schwester Sophie meldete sich zu Wort.
„Wir haben schon lange kein großes Blutbild mehr von dir gemacht, Gottlieb. Am besten kommst du gleich mit ins Labor.“
Hähnel, der vor nichts mehr auf der Welt Angst hatte als vor Spritzen, erblasste.
„Du willst mir Blut abnehmen?“
Seine Stimme hatte sich zu einem unangenehmen Falsett hochgeschraubt.
„Hast du einen anderen Vorschlag?“
Streithähnel erhob sich und folgte Schwester Sophie mit unsicherem Gang, und im Wartezimmer wurde es wieder still.
„Das geschieht ihm ganz recht“, meinte die Leitnerin, die sich schon manches Wortgefecht mit Gottlieb geliefert hatte.
„Hier kümmert man sich wirklich gut um ihn“, sagte die junge Frau grinsend und wandte sich wieder ihrer Lektüre zu.
***
„Gut schaut es aus. Der kleine Beni hat ordentlich an Gewicht zugelegt. Ein Prachtbuberl ist das“, sagte Dr. Burger erfreut, nachdem er den kleinen Benedikt Bergstetter untersucht und gewogen hatte.
„Ja, und in der Nacht schläft er fast durch“, erwiderte Julia, und ein schwaches Lächeln erhellte ihr blasses Gesicht.
Sie war Dr. Burger in großem Dank verbunden. Der kleine Benedikt hatte es sehr eilig gehabt, auf die Welt zu kommen, eine Sturzgeburt, die sich für die junge Mutter als lebensbedrohlich erwiesen hatte. Doch der erfahrene Arzt hatte ihr Leben retten können, und das Neugeborene hatte sich besser entwickelt, als man erhoffen konnte.
Mit Julias Zustand war der Bergdoktor längst nicht so zufrieden. Natürlich war die erste Zeit nach einer Geburt eines Kindes nie leicht, besonders für eine sehr junge Mutter wie Julia. Doch ihre bleichen Züge verrieten nicht nur Erschöpfung, sondern auch einen tiefen inneren Schmerz und eine abgrundtiefe Traurigkeit.
Wahrscheinlich hing das mit dem Vater des Kindes zusammen, dachte er mitfühlend. Ein Vater, der sie anscheinend im Stich gelassen hatte und über den sie sich weigerte, Auskunft zu geben. Leider war es kein Einzelfall, dass sich Männer ihrer Verantwortung entzogen.
„Und wie geht es dir, Julia?“, fragte er behutsam.
Die junge Frau zuckte mit den mageren Schultern.
„Wie es halt so ist nach einer Geburt. Zu wenig Schlaf und zu große Angst, etwas falsch zu machen.“
„Bis jetzt hast du alles richtig gemacht, das Ergebnis sieht man ja deutlich“, versuchte er sie aufzumuntern, doch in ihrem Gesicht regte sich keine Miene. „Hilft dir deine Mutter wenigstens ab und zu?“, wollte er dann wissen.
Julias Miene umwölkte sich.
„Erst konnt sie sich net damit abfinden, dass ich ein Kind erwarte. Doch jetzt ist der Beni ihr Augenstern.“
Dr. Burger glaubte zu wissen, was sie damit andeuten wollte, nämlich, dass ihre herrschsüchtige Mutter das Kind inzwischen ganz für sich beanspruchte.
„Es ist dein Kind, Julia“, sagte er nachdrücklich.
„Das scheint sie inzwischen ganz vergessen zu haben“, gab die junge Frau niedergeschlagen zurück.
„Wenn ich mit deiner Mutter sprechen soll …“
Julia schüttelte heftig den Kopf, sodass sich ihre Haare lösten und sie sie mühsam wieder im Nacken zusammenband.
„Das tät nichts ändern, höchstens zum Schlechteren“, fiel sie ihm ins Wort. „Sie kennen ja meine Mutter, Herr Doktor.“
„Aber ich bin im Notfall für dich da“, versprach er.
„Ich bin Ihnen sehr dankbar, für alles“, sagte sie leise.
Das meinte sie aufrichtig, davon war er überzeugt. Dr. Burger kümmerte sich nicht nur um die körperlichen Leiden seiner Patienten, sondern er hatte auch ein offenes Ohr für ihre Kümmernisse und Sorgen.
Außerdem hatte er seinen Freund Dominikus Salt, den Leiter der Bergwacht, schon oft genug auf seinen gefährlichen Einsätzen begleitet, wenn es darum ging, einen leichtsinnigen Touristen aus Bergnot zu retten. Das hatte ihm den Beinamen „Bergdoktor“ eingetragen, worauf er insgeheim sehr stolz war.
Dr. Burger reichte Julia freundlich die Hand, strich dem kleinen Beni über das Köpfchen und verabschiedete sich von ihr. Er hatte den Eindruck, dass sie nicht mehr ganz so niedergeschlagen war wie zuvor, was ihn erleichterte.
Bevor der nächste Patient hereingerufen wurde, ging er hinaus zu Bärbel Tannauer am Empfang.
„Was war denn das vorhin wieder für ein Lärm?“, fragte er.
Bärbel lächelte.
„Streithähnel hat uns amal wieder die Ehre gegeben, natürlich wie immer schwer verletzt und dem Tode nah.“
„Aber das hat nicht die ganze Aufregung verursacht, oder?“, vermutete er.
„Der Gottlieb hat sich abfällig über die Bergstetter-Julia ausgelassen“, sagte Bärbel finster, „aber die Frauen haben es ihm ordentlich gegeben.“
„Anscheinend braucht er wieder eine Aufbauspritze. Wo ist er eigentlich?“
„Im Labor. Ein großes Blutbild.“
Der Bergdoktor musste sich beherrschen, um nicht laut aufzulachen.
„Muss ich nach ihm sehen?“
„Nein, nein. Wir haben ihn auf die Liege gebettet und auch gleich seinen Daumen behandelt, das war nur eine harmlose Quetschung. Ein Haferl starker Kaffee wird ihn schon wieder aufrichten. Und es wär zu hoffen, dass er unserer Praxis nun für eine Weile fernbleibt“, schloss Bärbel ziemlich grimmig.
„Leider hat sie aber eine starke Anziehungskraft auf ihn. Sogar ein Streit mit der Leitnerin scheint ihn wiederzubeleben“, meinte Dr. Burger.
„Wie Hund und Katz sind die beiden. Man stelle sich bloß vor, die beiden wären miteinander verheiratet“, erwiderte Bärbel trocken.
„Das will ich mir lieber nicht vorstellen“, sagte der Bergdoktor lachend.
Der Rest der Sprechstunde verlief ohne Störungen, und Dr. Burger stellte zufrieden fest, dass er endlich einmal wieder einen Abend mit seiner Familie verbringen konnte. Natürlich nur, wenn nicht noch ein Notruf einging.
***
Kaum hatte er sein Zuhause betreten, hing auch schon die achtjährige Tessa an ihm und sah ihn aus ihren dunklen Brombeeraugen bittend an. Wegen ihrer schwarzbraunen Locken, die ihr reizendes Gesicht einrahmten, wurde sie oft liebevoll „Schneckerl“ genannt.
Sie war ein munteres, fantasiebegabtes Kind und brachte mit ihrem fünfjährigen Bruder Philipp, der Filli genannt werden wollte, Leben in das Doktorhaus. Die zweieinhalbjährige kleine Laura, einst das Sorgenkind der Familie, nun aber wieder völlig gesund, vervollständigte das Familienglück der Burgers.
„Der Filli und ich würden gern nach Mayrhofen fahren, aber ich weiß nicht, ob du uns das erlaubst“, sagte sie.
Auch Filli war herangekommen und nickte bestätigend. Er hatte das blonde Haar und die braunen Augen seiner Mutter geerbt und wirkte älter, als er tatsächlich war. Der Bub gehörte zu den Kindern, die alles ganz genau wissen wollten, und stellte oft Fragen, die für die Erwachsenen nicht immer leicht zu beantworten waren.
„Nach Mayrhofen wollt ihr fahren? Mit dem Bus?“
Die beiden nickten gleichzeitig.
„Aber doch net etwa allein?“
„Der Filli und ich zusammen, dann ist keiner von uns allein.“
„Und was habt ihr in Mayrhofen überhaupt zu suchen?“
Die Stimme ihres Vaters hatte einen scharfen Klang angenommen.
„In der Erlebniswelt von Mayrhofen findet ein Kinderfest statt, mit allerhand Vorführungen, einem Gesangswettbewerb, und man kann sogar das Los für eine Ballonfahrt gewinnen. Fast alle in meiner Klasse dürfen hin …“
„Nein, auf keinen Fall“, sagte ihr Vater entschieden.
Filli stieß seine Schwester in die Seite.
„Hab ich es dir nicht gleich gesagt? Das wird uns nicht erlaubt.“
In Tessas Augen stiegen Tränen.
„Warum seid ihr nur so streng mit uns. Mama …“
„Mama hat es auch nicht erlaubt“, erklang die Stimme von Sabine Burger, die gerade die Treppe hinunterkam, nachdem sie die kleine Laura zu Bett gebracht hatte.
„Seht ihr?“, sagte Martin Burger erleichtert. „Wir sind nicht streng, sondern wir machen uns Sorgen um euch. Ihr seid noch zu jung, um allein auf ein Kinderfest zu gehen und womöglich erst spätabends wieder zurückzukehren.“