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In einer stürmischen Nacht vor nunmehr vierzehn Jahren musste Leonie an der Hand ihrer verzweifelten Mutter den Grießerhof verlassen. Vorausgegangen war ein schrecklicher Streit zwischen den Eltern. Es ging um eine andere Frau und um ein Madel, das ihre Halbschwester sein sollte. Leonie gab ihr die alleinige Schuld daran, dass ihre Familie zerbrach, und schwor sich, ihr das niemals verzeihen.
Niemand im Dorf ahnte, dass ein infamer Betrug das Glück von Leonies Eltern zerstört hat. Doch jetzt, vierzehn Jahre nach jener unglückseligen Nacht, soll alles ans Licht kommen. Leonie erhält einen Anruf, dringend in die Heimat zurückzukehren ...
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Seitenzahl: 124
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Zerstörtes Glück
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0266-9
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Zerstörtes Glück
Dr. Burger und eine Tat mit schwerwiegenden Folgen
Von Andreas Kufsteiner
In einer stürmischen Nacht vor nunmehr vierzehn Jahren musste Leonie an der Hand ihrer verzweifelten Mutter den Grießerhof verlassen. Vorausgegangen war ein schrecklicher Streit zwischen den Eltern. Es ging um eine andere Frau und um ein Madel, das ihre Halbschwester sein sollte. Leonie gab ihr die alleinige Schuld daran, dass ihre Familie zerbrach, und schwor sich, ihr das niemals verzeihen.
Niemand im Dorf ahnte, dass ein infamer Betrug das Glück von Leonies Eltern zerstört hat. Doch jetzt, vierzehn Jahre nach jener unglückseligen Nacht, soll alles ans Licht kommen. Leonie erhält einen Anruf, dringend in die Heimat zurückzukehren …
„Hau-ruck!“
Die Bergretter packten das Seil fester. Hintereinander standen sie, stemmten ihre Stiefel in den schlammigen Untergrund und zogen aus Leibeskräften, bis ihre Augen aus den Höhlen traten und ihre Gesichter hochrot anliefen.
Der verflixte Baum bewegte sich jedoch keinen Zentimeter vom Fleck! Und er war nur einer von dreien!
Die Kiefern lagen quer über dem Pfad. Sie mussten weiter oben abgestürzt sein. Vermutlich hatte eine die anderen mitgerissen. Und nun versperrten sie den Weg. Dabei drängte die Zeit.
Die Männer mussten weiter! Nur wie?
Zu ihrer Linken ragte eine schroffe Felswand auf, und rechts schoss der Mühlbach vorüber. Die starken Regenfälle der vergangenen Tage hatten den Bach anschwellen lassen. Schäumend gurgelte er talwärts und riss alles mit, was ihm in den Weg geriet.
Über den Zillertaler Bergen ballten sich bleigraue Wolkentürme zusammen. Es regnete kräftig. Die Nässe kroch unter die Wetterjacken der Bergretter und ließ ihre Hosen unangenehm an ihren Beinen kleben. Obwohl der Nachmittag gerade erst angebrochen war, wurde es bereits dunkel.
Das Wetter war ihrer Unternehmung nicht gewogen. Mit etwas Glück blieb ihnen noch eine Stunde Licht für ihren Einsatz. Vermutlich jedoch weniger.
„So wird das nichts.“ Dominikus Salt hielt inne, und sein wettergegerbtes Gesicht verdunkelte sich unter der Kapuze. „Ohne schweres Gerät bekommen wir die Stämme net weg.“
„Wir haben aber keine Zeit, um auf Verstärkung zu warten. Der Verunglückte kann jeden Moment abstürzen.“ Dr. Burger sprach das aus, was sie alle drei wussten. Sein Notfall-Rucksack schien von Minute zu Minute schwerer zu werden. Er schob die Daumen unter die Riemen. „Wir müssen weiter.“
„Das ist wahr“, stimmte ihm Joseph Haller zu.
„Also machen wir noch einen Versuch.“ Dominikus packte das Seil fester. „Und net wieder so zaghaft, Männer, wir sind hier net im Urlaub.“
„Sag bloß“, meinte Joseph trocken. „Und ich hab mich schon geärgert, dass ich die Sonnencreme vergessen hab.“
„Wer scherzen kann, ist noch net nass genug“, konstatierte Dominikus Salt und wischte sich mit dem Handrücken den Regen vom Gesicht. „Und los!“
Sie zogen und zerrten, aber der Stamm rührte sich nicht.
Ihnen blieb nichts anderes übrig, als über die drei Bäume hinwegzuklettern. Ein riskantes Unterfangen, weil das Holz rutschig vor Nässe war und das stachelige Geäst sie behinderte.
Fluchend und schwitzend mühten sie sich, kämpften sich über die massigen Stämme, während die Nadeln ihre Haut aufrissen.
Der Notruf war am frühen Nachmittag eingetroffen: Ein Gleitschirmflieger war über dem Feldkopf von einer Bö erfasst und abgetrieben worden. Irgendwo über den Bergen war er abgestürzt. Nun hing er in den Bäumen zwischen Leben und Tod.
Es war ihm noch gelungen, einen Notruf über sein Handy abzusetzen. Allerdings kannte er seine Position nicht genau, sodass die Retter ihn suchen mussten. Bei dem starken Regen war das ein Wagnis mit unsicherem Ausgang.
„Ein Königreich für eine Badewanne mit warmem Wasser und ein Glaserl Bier“, meinte Joseph schwärmerisch. „Dazu ein Krimi in der Hand. Das könnt‘ mir jetzt gefallen.“
„Mir würde schon ein Handtuch genügen“, sagte Dominikus trocken. „Nass bin ich gerade genug. Und zwar bis auf die Unterwäsche.“
„Du kannst dich daheim gleich komplett in den Trockner stecken“, neckte Dr. Burger seinen Kameraden. Er zog sich am oberen Stamm hoch und schwang sich darüber.
„Bring mich nur auf was.“ Dominikus grinste und kletterte als Letzter über die Hindernisse hinweg.
Im strömenden Regen stapften sie weiter bergan. Der Sturm zerrte an den Wipfeln der dicht stehenden Kiefern. Immer wieder krachte und knarzte das Holz. Die Gefahr, von herabstürzenden Ästen erschlagen zu werden, war ihnen allen bewusst, aber keiner der drei Männer verlor ein Wort darüber.
Was getan werden musste, musste getan werden. Darüber waren sie sich einig.
Unter anderen Bedingungen wäre der Helikopter ausgerückt, um den Verunglückten zu finden, aber bei dem heftigen Sturm konnte der Pilot nicht starten. Deshalb blieb ihnen nur, den Verunglückten zu Fuß aufzuspüren und vom Berg zu schaffen.
Hinter Dr. Burger, der von den Dörflern auch „Bergdoktor“ genannt wurde, lag ein langer Tag in seiner Praxis. Schon in aller Frühe war er zu einem Hausbesuch gerufen worden. Danach war der Strom an Patienten nicht mehr abgerissen. Er hatte immer ein offenes Ohr und half, wo er konnte.
Etliche Jahre hatte er in der Stadt gelebt und als Chirurg praktiziert, aber als ihn sein Vater heimgerufen hatte, um seine Praxis zu übernehmen, war er dem Ruf gefolgt. Er liebte das Zillertal und wollte auf Dauer nirgendwo anders leben.
Auch wenn der Mai heuer eine Katastrophe war. Auf Regen folgte Sturm und wieder Regen. Die Bauern fürchteten um ihr Saatgut, das von den Wassermassen einfach weggeschwemmt wurde, anstatt im Boden aufzugehen. Und die Urlauber liefen mit trüben Mienen umher oder reisten vor der Zeit wieder ab.
Keuchend mühten sich die Retter den Berg hinauf.
Unvermittelt schlug keine zehn Meter vor ihnen ein Ast schwer auf dem Boden auf. Noch bevor sie sich von ihrem Schrecken erholen konnten, gellte in der Nähe ein Hilferuf.
„Hiiierr! Hier oben bin ich!“
Dominikus Salt leuchtete mit der Suchlampe den Wald ab, richtete den Strahl nach links, rechts und schließlich nach oben. Da! Zwischen den grünen Wipfeln hing ein roter Gleitschirm! Sie hatten den Verunglückten gefunden!
Nun begann der knifflige Teil ihrer Arbeit: Sie mussten den Verletzten bergen.
Dr. Burger meldete sich freiwillig, zu dem Unglücksraben aufzusteigen. Als Arzt wollte er sich so schnell wie möglich ein Bild vom Ausmaß der Verletzungen machen. Das konnte er am besten vor Ort.
Dominikus nickte sein Vorhaben ab, hob die Schleuder und schoss die Rettungsseile über einen Ast, der stabil genug schien, um das Gewicht von zwei Männern zu tragen.
Dr. Burger setzte derweil seinen Helm auf und legte den Gurt an. Dann klinkte er sich in die Seile ein.
„Lasst mich bloß net fallen“, mahnte er.
„Keine Bange“, gab Joseph zurück. „Wir brauchen unseren Bergdoktor noch.“
„Das will ich hoffen.“ Martin Burger hob beide Daumen und gab damit das Zeichen, dass er bereit war.
Seine Kameraden zogen ihn nach oben, bis er bei dem Verletzten anlangte. Ein Urlauber schien es zu sein.
„Ich grüße Sie. Ich bin Doktor Burger und werde Ihnen helfen.“
„Ich heiße Veit Lorenzen. Ich bin so froh, dass Sie mich gefunden haben.“ Der Gleitschirmflieger mochte Mitte dreißig sein und war auffallend blass. Eine Platzwunde klaffte an seiner rechten Schläfe und blutete heftig.
„Wie geht es Ihnen, Veit?“
„Mei, was soll ich sagen? Ich hänge hier so rum.“ Ein mattes Lächeln huschte über das Gesicht des Verunglückten.
„Ihren Humor haben Sie net verloren. Dann besteht Hoffnung.“
„Das hoffe ich sehr. So hatte ich mir meinen Urlaubstag net vorgestellt. Ich wäre jetzt wirklich froh, von diesem elenden Baum herunterzukommen. Seit Stunden wage ich kaum, tief Luft zu holen, aus Angst, den Halt zu verlieren.“
Dr. Burger blickte nach oben. Der Gleitschirm hatte sich im Geäst verfangen. Es war schwer einzuschätzen, wie stabil der Halt war. Der Verletzte hing gut zwölf Meter über dem Boden. Ein Absturz würde sein Leben gefährden. Sie mussten schnell handeln, ehe die Situation noch brenzliger wurde!
„Ich werde Ihnen jetzt einen Gurt anlegen und Sie an unserem Seil festmachen. Versuchen Sie sich möglichst net zu bewegen“, sagte Dr. Burger und machte sich ans Werk.
Dem Klicken des Gurtes folgte ein erleichtertes Aufatmen.
Wenig später waren sie bereit, nach unten gelassen zu werden. Der Ast knackte unter ihrem Gewicht, aber er hielt.
Sie waren beide erleichtert, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Die Bergwachtler bauten die Trage auf, dann untersuchte Dr. Burger den Verunglückten. Er konnte eine Gehirnerschütterung und etliche Hautabschürfungen feststellen. Ob auch innere Verletzungen vorlagen, mussten die Untersuchungen in der Klinik zeigen.
Er verband die Kopfwunde, versorgte die ärgsten Schrammen und legte dem jungen Mann eine Infusion mit einer Kochsalzlösung. Anschließend legten sie den Verletzten auf die Trage, deckten ihn zu und sicherten ihn.
„Alles in Ordnung?“, vergewisserte sich Dr. Burger.
„Durchaus. Ich fühle mich wie ein Scheich, der in einer Sänfte herumgetragen wird.“
„Wo soll es denn hingehen, Durchlaucht?“
„Am liebsten irgendwohin, wo es warm und trocken ist und es hübsche Madeln gibt.“
„Nun, das Bezirkskrankenhaus in Schwaz bietet all das. Dort bekommen Sie sogar das Essen ans Bett gebracht.“
„Wenn das nix ist.“ Der Verletzte grinste schief.
Gemeinsam trugen sie ihn zurück ins Tal. Es war keine Kleinigkeit, die Trage über die umgestürzten Bäume zu hieven, aber schließlich war auch das geschafft.
Am Waldrand wartete bereits der Rettungswagen. Zwei Sanitäter übernahmen den Verletzten.
Dr. Burger wünschte ihm alles Gute. Kurz darauf brauste das Fahrzeug mit Blaulicht und Martinshorn davon.
Ihr Einsatz hatte ein gutes Ende genommen. Dafür waren sie dankbar, denn so glimpflich ging es bei Weitem nicht immer aus. Sie verstauten ihre Ausrüstung im Wagen des Bergdoktors und fuhren zurück ins Tal.
Zuerst setzte Dr. Burger Joseph ab, danach fuhr er Dominikus heim. Dessen Zuhause grenzte an den Grießer-Hof, ein idyllisches Anwesen am Rand des Dorfes.
Sein Freund hatte die Hand schon auf dem Türhebel, als er plötzlich zögerte.
„Oh nein!“, murmelte er betroffen. „Wie furchtbar! Das arme Madel.“
„Was ist denn los?“, fragte der Bergdoktor alarmiert.
„Sieh nur!“ Dominikus deutete durch die Windschutzscheibe nach draußen. Hinter der grauen Regenwand kam die kleine Leonie gerade an der Hand ihrer Mutter aus dem Bauernhaus. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Furcht spiegelte sich darin. Ihre Mutter dagegen blickte grimmig drein. Ein Taxi wartete vor dem Hof. Der Fahrer lud soeben einen Koffer ein.
„Die Bäuerin verlässt ihren Mann“, erklärte Dominikus dem Landarzt. „Das hab ich kommen sehen.“
„Tatsächlich?“
„Man hat die Katharina und ihren Mann in letzter Zeit nur noch streiten hören. Genau weiß ich net Bescheid, aber um eine andere Frau ist es gegangen. Und um ein kleines Madel, das Leonies Halbschwester sein soll.“
„Der Bauer hatte eine Affäre?“ Mitfühlend schaute Martin Burger zu dem Kind, das sich an die Hand seiner Mutter klammerte. „Das arme Hascherl. Sie versteht es net.“
„Keiner tut das. Mit der Katharina hatte der Bauer das große Los gezogen. Was hat er nur bei dieser anderen Frau gesucht?“ Dominikus schnaufte. „Jedenfalls wird ihm die Katharina den Betrug net verzeihen. Sie ist eine stolze Frau. Wenn sie geht, kehrt sie nie zurück.“
„Und Leonie? Der Hof ist immerhin ihr Erbe.“
„Wer weiß.“ Dominikus rieb sich das bärtige Kinn. „Der Bauer wird seinen Fehler bald einsehen, daran zweifle ich net. Schön soll sie ja sein, seine neue Frau, aber Schönheit vergeht, und ein schlechtes Gewissen wird man so schnell net los.“
„Kennst du sie?“
„Das net. Sie soll net aus dem Dorf sein. Auf jeden Fall hat sie einer anderen Frau den Mann weggenommen. Anständig finde ich das net gerade. Mit ihr hat sich der Grießer-Bauer einen Stachel in sein Herz gesetzt. Er weiß es nur noch net. Sein Hof ist dem Untergang geweiht.“
„Siehst du das net zu schwarz, Dominikus?“
„Glaub ich net.“ Düster blickte der Leiter der Bergwacht zu Leonie hinüber, die sich soeben von der Hand ihrer Mutter losriss und weinend zurück zum Haus lief. In der hell erleuchteten Tür stand ihr Vater, aber just in dem Moment, in dem sie auf ihn zurannte, warf er ihr die Haustür vor der Nase zu! „Froh wird diese Familie ihr Lebtag nimmer“, glaubte Dominikus.
„Das muss net das Ende sein“, erwiderte Dr. Burger. „Manchmal macht eine gute Tat eine böse ungeschehen.“
***
Vierzehn Jahre waren seit jener unglücklichen Nacht vergangen …
Wieder war es ein regnerischer Frühlingstag. Aus einem fahlgrauen Himmel nieselte es, aber Leonie spürte es nicht. Wie auf Wolken wirbelte sie die belebte Innsbrucker Ladenpassage hinunter und machte zwischendurch kleine Freudensprünge. Es war geschafft! Glänzend geschafft!
Eine schwere Last war ihr vom Herzen genommen.
Monatelang hatte sie gelernt und sich kaum eine Pause gegönnt. Und es hatte sich gelohnt. Das Zeugnis in ihrer Tasche bewies es.
Vor der Hofkirche saß ein graubärtiger Mann auf einer Decke und spielte auf einem Akkordeon einen Walzer. Der Hut zu seinen Füßen war noch leer.
Leonie blieb stehen und kramte in ihrer Umhängetasche nach einem Geldschein. Den legte sie dem Alten in den Hut.
„Vergelt’s Gott“, sagte er mit leuchtenden Augen. „Möge er dich behüten, Madel.“
„Danke. Sie auch“, erwiderte Leonie lächelnd. „Sie auch.“ Dann eilte sie weiter.
Sie lebte mit ihrer Mutter in einem hübschen, gelb angestrichenen Haus am Ufer des Inns. Morgens wurden sie vom Schnattern der Enten geweckt. Und abends saß Leonie gern mit ihrem Skizzenblock am Flussufer, lauschte dem Plätschern des Wassers und arbeitete an neuen Entwürfen.
Im Kellergeschoss hatte ihre Mutter sich ein Schneideratelier eingerichtet. Sie nähte, änderte und besserte Garderobe für ihre Kunden aus. Früher hatte Leonie zwischen ungezählten Ballen bunter Stoffe ihre Hausaufgaben gemacht und Papierkleider für selbst gebastelte Papierpuppen gestaltet.
Die Liebe zur Gestaltung schöner Stoffe hatte sie von ihrer Mutter übernommen und nach ihrem Schulabschluss eine Ausbildung zur Modedesignerin und Damenmaßschneiderin begonnen. Der doppelte Abschluss sollte ihr viele Türen öffnen. Er hatte sie aber auch viel Schweiß und viele schlaflose Nächte gekostet.
Und nun war es geschafft!
Leonie flog förmlich nach Hause. Sie konnte es kaum erwarten, ihrer Mutter das Zeugnis zu präsentieren.
Daheim spähte sie zuerst in den Briefkasten, in dem eine Ansichtskarte lag. Sie erkannte die schwungvolle Handschrift ihrer besten Freundin Nele sofort. Die Vorderseite zeigte eine Ansicht von Bornholm.
Die dänische Insel ist zauberhaft, schrieb Nele. Auf Schritt und Tritt begegnet man Spuren der alten Wikinger, Hügelgräbern und Menhiren. Leider ist mir noch kein echter Wikinger über den Weg gelaufen, aber ich suche weiter …
Unwillkürlich musste Leonie schmunzeln. So war sie, die Nele, immer auf der Suche. Obwohl sie schon einige Enttäuschungen erlebt hatte, hatte sie den Glauben an die Liebe nicht verloren. Manchmal wünschte sich Leonie, sie hätte etwas vom unverbrüchlichen Optimismus ihrer Freundin, aber sie wurde bei Gefühlen immer von Vorsicht und Zweifeln geleitet.
Die ersten Monate nach ihrem Umzug nach Innsbruck waren hart gewesen. Ihre Mutter hatte von früh bis spät gearbeitet, um die Schneiderstube aufzubauen, und Leonie hatte niemanden gekannt. Sie hatte ihre Freundinnen, ihr Zuhause und ihren Vater schrecklich vermisst.