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Weil der Vater nach einem Traktorunfall auf den Rollstuhl angewiesen ist, muss Daniel Thalheimer schon früh die Verantwortung für den Hof am Rautenstein übernehmen. Freizeit ist fortan ein Fremdwort für ihn. Da kommt Ende Juli eine Fremde auf den Hof und bittet um Arbeit. Sie heißt Anna Pilcher und stammt aus Südtirol. Im ersten Impuls will Daniel die erschreckend magere Frau, der er kaum eine schwere Arbeit zutraut, schon weiterschicken, als ihn der traurige Blick ihrer Augen rührt. Anna darf bleiben und tut alles, damit der Bauer seine Entscheidung nicht bereuen muss. Doch an einem nebligen Septembertag ruft Daniel vergeblich nach Anna. Er macht sich auf die Suche und findet sie bewusstlos und schwer verletzt im eisigen Wildbach ...
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Seitenzahl: 138
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Die Fremde vom Thalheimer-Hof
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0534-9
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Die Fremde vom Thalheimer-Hof
Sie schenkte dem einsamen Bauern ein viel zu kurzes Glück
Von Andreas Kufsteiner
Weil der Vater nach einem Traktorunfall auf den Rollstuhl angewiesen ist, muss Daniel Thalheimer schon früh die Verantwortung für den Hof am Rautenstein übernehmen. Freizeit ist fortan ein Fremdwort für ihn. Da kommt Ende Juli eine Fremde auf den Hof und bittet um Arbeit. Sie heißt Anna Pilcher und stammt aus Südtirol. Im ersten Impuls will Daniel die erschreckend magere Frau, der er kaum eine schwere Arbeit zutraut, schon weiterschicken, als ihn der traurige Blick ihrer Augen rührt. Anna darf bleiben und tut alles, damit der Bauer seine Entscheidung nicht bereuen muss. Doch an einem nebligen Septembertag ruft Daniel vergeblich nach Anna. Er macht sich auf die Suche nach ihr und findet sie bewusstlos und schwer verletzt im eisigen Wildbach ...
»Kommt Besuch?« Der junge Bauer Daniel Thalheimer runzelte die Stirn.
Wenn die Mutter das gute Kaffeegeschirr aufdeckte, erwarteten sie Gäste. Sonst war ihr das Alltagsgeschirr mit den Kaffeehaferln und den zusammengewürfelten Tellern gerade gut genug.
»Ich hab Verena und ihren Vater eingeladen«, erklärte Burgunde, die allgemein nur Gundi gerufen wurde, und rückte das Geschirr zurecht. Als ihr Sohn hörbar stöhnte, richtete sie sich auf und blitzte ihn vorwurfsvoll an. »Du musst dich net schon wieder winden. Verena ist ein fesches Madel, hübsch und arbeitsam. Sie wird eine gute Bäuerin für unseren Hof abgeben. Eine bessere findest du net mehr. Also halt sie net länger hin. Sonst sucht sie sich noch einen anderen Burschen, der sie heiratet.«
Was mir gelegen käme, dachte der sechsundzwanzigjährige Jungbauer verdrossen bei sich. Dann hörte die Mutter wenigstens auf, ihn mit der zwei Jahre jüngeren Bauerstochter aus dem benachbarten Tuxertal verbandeln zu wollen.
Gewiss, Verena war eine ansehnliche junge Frau, um die ihn so manches Mannsbild beneiden würde. Aber sie war auch zänkisch und hochnäsig. Doch was noch wichtiger war, er liebte sie nicht und konnte sich auch nicht vorstellen, jemals innige Gefühle für sie zu entwickeln.
Eine Vernunftehe, wie seine Eltern sie führten, wollte er nicht eingehen. Diese hatten aus rein praktischen Gründen geheiratet. Alfred brauchte eine Bäuerin für seinen Hof, nachdem ihm die Verlobte davongelaufen war, und Gundi suchte einen Unterschlupf. Ihr Bruder hatte geheiratet und das elterliche Anwesen übernommen. Doch mit seiner jungen Frau war Gundi nicht zurechtgekommen. Also musste sie gehen.
Im Laufe der Zeit hatte sich zwar schon Zuneigung zwischen den Eltern entwickelt, aber echte Liebe war daraus nicht erwachsen. Das bekam der Vater besonders jetzt zu spüren, seit er nach dem schrecklichen Unfall im letzten Jahr auf den Rollstuhl angewiesen war.
Gundi pflegte ihren Mann, doch mehr wie eine pflichtbewusste Krankenschwester als wie eine mitfühlende Ehefrau. Das wiederum führte dazu, dass der Vater immer mehr zum unverbesserlichen Nörgler wurde.
Dabei war der Unfall die Folge seines Leichtsinns. Er hatte die Bremsen seines Traktors an dem abschüssigen Hang nicht richtig angezogen. Daraufhin war das Gefährt ins Rollen geraten und über seine Beine gefahren.
Dr. Martin Burger, der Landarzt von St. Christoph, dem Zillertaler Bergdorf, in dessen Umgebung ihr Hof seinen Platz hatte, hatte zwar alles versucht, um die Gliedmaßen des unglücklichen Bauern zu retten. Aber letztlich hatten die Ärzte in der Bezirksklinik Schwaz doch beide Unterschenkel amputieren müssen.
Inzwischen konnte Alfred zwar mithilfe von Prothesen einigermaßen laufen, aber nicht lange, dann musste er sich ausruhen. Deshalb lastete nun die gesamte Arbeit auf Daniels und Gundis Schultern.
Der alte Knecht, der schon lange auf ihrem Hof war, war ebenfalls nur noch bedingt belastbar, und andere Helfer konnten sie sich nicht leisten. Auch keine Magd, welche die Mutter bei der Hauswirtschaft unterstützen würde. Verständlich, dass sie sich eine Schwiegertochter wünschte, die ihr einen Teil der Arbeit abnahm.
Trotzdem musste es nicht gerade Verena sein. Daniel fühlte, dass sie nicht die richtige Frau für ihn war und er nicht der rechte Mann für sie. Trotzdem hoffte die Mutter auf eine Verlobung. Die Kaffeetafel mit der leckeren Torte, die sie nur zu besonderen Anlässen buk, verriet den Grund der Einladung. Aber knebeln ließ er sich nicht.
Daniel seufzte innerlich. Wäre er neulich nur standhaft geblieben, als Verena ihn auf die Tenne gelockt hatte, um ihn zu verführen! Gewiss hatte sie der Mutter davon erzählt und behauptet, er habe sie entehrt.
Doch davon konnte keine Rede sein, Verena hatte schon so manchem Burschen ihre Gunst erwiesen, wie er aus verlässlichen Quellen wusste. Sie war sehr leichtlebig, was ihn ebenfalls an ihr störte.
»Verena kann nicht länger auf dem elterlichen Hof bleiben«, fiel die Mutter in seine Gedanken ein. »Ihr Bruder Wolfi und seine Frau erwarten ihr viertes Kind, da ist für sie kein Platz mehr.«
Daniel schnaubte verächtlich. »Das Bauernhaus vom Hubertushof ist doch groß genug. Da wird der Bruder wohl nicht grad auf Verenas Kammer angewiesen sein.«
»Der Vater beansprucht die Erdgeschosswohnung noch immer für sich, obwohl seine Frau schon lang tot ist«, hielt Gundi dagegen. »Deshalb wird's Zeit, dass Verena auszieht, zumal ihr der Bruder vorhält, mit ihren vierundzwanzig Jahren überfällig zu sein, was das Heiraten betrifft.«
Sie wandte sich wieder dem gedeckten Tisch zu und faltete die Servietten, während sie mit belegter Stimme fortfuhr: »Ich habe diese Stichelleien am eigenen Leib erfahren. Hätte dein Vater mich damals net gefreit, hätte ich auf einem anderen Hof um Arbeit nachgesucht, statt mir daheim die Finger wundzuarbeiten und dafür nur Undank zu ernten.« Sie richtete sich auf, stemmte die Hände in die üppigen Hüften und blickte ihren Sohn aus engen Augen strafend an. »Du hast Verena die Unschuld geraubt, also ist es auch deine Pflicht, sie zu freien.«
Daniel lachte hart auf. »Das glaubst du doch selbst nicht, Mama. Verena war alles andere als unschuldig, als ...« Er winkte ab. »Vergessen wir das. Ich werde jedenfalls net um ihre Hand anhalten, nur damit du Hilfe bei der Hauswirtschaft bekommst. Lieber lege ich mich noch mehr krumm, um eine Magd zu bezahlen.«
Der Hof gehörte ihm bereits, die Eltern hatten ihm diesen nach dem Unfall des Vaters überschrieben. Deshalb konnte er auch eigene Entscheidungen treffen.
»Ich geh auf ein Bier in den ›Ochsen‹«, entwand er sich der Planung seiner Mutter und verließ das Haus.
Der Gasthof »Zum Ochsen« in St. Christoph war eine urige Wirtschaft gleich neben der Kirche, in der die Bauern ihren Stammtisch hatten. Noch immer verdrossen stapfte Daniel Richtung Tal.
***
Gundi kämpfte ebenfalls mit ihrem Groll.
Wie konnte Daniel sie nur so beschämen! Er lief einfach davon, während sie Verena und ihrem Vater schon versprochen hatte, dass sich ihr Sohn heute offiziell zu der Freundin bekennen würde. Immerhin waren sich die beiden jungen Leute schon nahegekommen. Da konnte Verena durchaus erwarten, dass Daniel Nägel mit Köpfen machte. Sie war keine Frau, die sich leichtfertig an einen Mann verschenkte, egal, was die Leute über sie erzählten. Wenn eine junge Frau mit vierundzwanzig Jahren noch nicht unter der Haube und lebensfroh war, wurde sie schnell zum Flitscherl abgestempelt.
Das war bei ihr auch nicht anders gewesen. Hätte Alfred sie nicht im gesetzten Alter von sechsundzwanzig Jahren gefreit, weil er eine Bäuerin für seinen Hof brauchte, hätte ihr Ruf ebenfalls gelitten. Dabei hatte sie vor ihrem Mann kaum ein Gspusi gehabt, denn der, den sie wollte, hatte sie verschmäht.
Aber sie konnte sich nicht beklagen. Alfred war ihr stets ein treusorgender Ehemann und dem Sohn, der sich bereits nach einem Jahr Ehe eingestellt hatte, ein fürsorglicher Vater gewesen. Fast hatte sie schon geglaubt, dass die Gefühle, die sich langsam zwischen ihnen entwickelten, doch eine Art Liebe waren.
Aber dann war der Unfall passiert, und Alfred wurde immer übellauniger und ungerecht. Sie verstand, dass ihn sein Handicap niederdrückte. Er war stets ein tatkräftiger Mann gewesen. Doch jetzt haderte er mit dem Schicksal, statt sein Gebrechen anzunehmen und zu versuchen, im wahrsten Sinn des Wortes wieder auf die Beine zu kommen.
Sie runzelte grübelnd die Stirn. Sollte sie die Einladung unter einem Vorwand absagen oder darauf hoffen, dass Daniel doch noch zur Vernunft kam? Natürlich konnte sie ihren Sohn nicht zwingen, eine ungeliebte Frau zu heiraten. Aber er konnte auch nicht leugnen, dass ihm Verena gefiel. Sonst hätte er sie wohl kaum verführt.
Gundi seufzte. Warum wollte Daniel nicht einsehen, dass Verena durchaus die rechte Frau für ihn war? Sie war jedenfalls nicht abgeneigt, Bäuerin auf dem Thalheimerhof zu werden, was auch nicht verwunderlich war.
Das Anwesen, das seinen Platz am Rautenstein hatte, einem der sechs steinernen Wächter um das abgeschiedene Hochtal, gehörte zu den schönsten Höfen im weiten Umkreis, und der junge Bauer war ein schneidiger Bursche. Groß gewachsen, von kräftiger Gestalt und das markante Gesicht von wilden braunen Locken umrahmt, ließ er das Herz manchen Madels schneller schlagen.
Ein triumphierendes Lächeln huschte um Gundis Lippen, als sie hörte, wie die Eingangstür geöffnet wurde. Daniel kam zurück, er hatte nur sein Mütchen kühlen müssen.
***
»Herr Doktor!«, schnappte die Bäuerin verdutzt, als anstelle ihres Sohnes Dr. Burger die Wohnstube betrat. »Sie habe ich ja ganz vergessen.«
»Es war ausgemacht, dass ich heute noch mal nach Alfred sehe«, erwiderte der Arzt gleichmütig, der von seinen Patienten allgemein nur »Bergdoktor« genannt wurde. »Hat er noch Schmerzen an dem entzündeten Stumpf?«
Der Bauer hatte sich an der rechten Beinprothese wundgescheuert, sodass er momentan an den Rollstuhl gefesselt war.
»Es ist besser geworden. Die Salbe, die Sie ihm gegeben haben, wirkt Wunder«, erwiderte Gundi und wischte die Hände an der Schürze ab, bevor sie den Arzt gebührend begrüßte. »Trotzdem will er die Prothesen net mehr anlegen, meint der Rollstuhl genüge. Dabei wäre er mit den Gehhilfen viel beweglicher. Aber er hasst die Dinger.«
»Weil er net damit zurechtkommt«, seufzte Dr. Burger. »Ich habe ihm zugeredet, nochmals eine Therapie zu machen, um den Umgang mit den Prothesen zu üben. Doch davon will er nichts hören.«
Die Bäuerin rollte stöhnend die Augen.
»Mit seinem Dickkopf macht er uns allen das Leben schwer. Dabei war er früher ein umgänglicher Mann, freundlich und zupackend. Doch jetzt ...« Sie rang die Hände. »Andere meistern ihr Schicksal doch auch, ohne zu hadern.«
Dr. Burger nickte beifällig. Auch er verstand nicht, wieso sich der ehemals resolute Bauer von seinem Leiden so unterkriegen ließ. Aber Gundi war leider keine einfühlsame Frau, die ihrem Mann eine Stütze wäre.
Dr. Burger konnte ihr keinen Vorwurf machen, sie versorgte ihn vorbildlich und half ihm nach Kräften. Aber sie hatte nie ein aufmunterndes Wort übrig oder ließ ihn ihr Mitgefühl spüren.
»Wie ich sehe, erwartet ihr Gäste«, sagte er und wies mit dem Kopf zur Tafel. »Ich beeile mich, will net stören.«
»Aber Sie stören doch net, Herr Doktor«, beschwichtigte Gundi lächelnd. »Sie können gern zum Kaffee bleiben. Verena und ihr Vater haben gewiss nix dagegen.«
»Die Verena Hubertus kommt also«, wiederholte der Arzt nachdenklich und runzelte die Stirn. »Deshalb ist der Daniel wie ein wildgewordener Stier an mir vorbeigerauscht, ohne mich zur Kenntnis zu nehmen.« Er wusste, dass der junge Bauer von den hartnäckigen Versuchen seiner Mutter, ihn mit der Hoftochter zu verkuppeln, nicht begeistert war. Abermals ließ er seinen Blick über den festlich gedeckten Tisch gleiten. »Sieht fast nach einer Verlobungsfeier aus.«
Gundi senkte ertappt den Kopf.
»Das sollte es auch sein«, gab sie zu. »Aber Daniel will net begreifen, dass Verena die einzig richtige Frau für ihn ist. Er ist stur wie ein Maulesel. Dabei sind die beiden sich längst nahegekommen.«
Dr. Burger legte schwer seine Hand auf die Schulter der Bäuerin.
»Daniel muss seine Wahl selbst treffen, Gundi«, mahnte er eindringlich. »Also entscheide net über seinen Kopf hinweg.«
»Wird aber Zeit, dass endlich eine Schwiegertochter ins Haus kommt«, beharrte Gundi uneinsichtig. »Ich schaffe die Arbeit net mehr allein.« Sie wischte mit der Hand ärgerlich durch die Luft. »Ich weiß gar net, was mein Sohn an der Vreni auszusetzen hat. Sie ist doch eine hübsche Frau mit den schwarzen Haaren und der weiblichen Figur. Dazu scheut sie vor keiner Arbeit zurück.«
Dr. Burger dachte sich seinen Teil. Der lockeren Lebenswandel der Bauerstochter war kein Geheimnis, ebenso wie ihre Versuche, sich den jungen Thalheimerbauer zu angeln. Nur wusste er noch nicht, dass die beiden schon gemeinsam im Heu gelegen hatten.
»Ich schau mal nach deinem Mann«, beendete er die Diskussion. »Und vielen Dank für deine Einladung, aber meine Frau wartet bereits mit dem Kaffee auf mich.«
Das stimmte nicht. Sabine war nicht zu Hause, sondern mit den Kindern bei ihrer Tante Rika zu Besuch, die ebenfalls im Dorf lebte. Auch die Bachhuber-Zenzi, ihre langjährige Haushälterin, war nicht zugegen, und der Vater spielte mit seinem Spezl in Bergfelden Schach, einem kleinen Weiler, der zum Gemeindeverband St. Christoph gehörte. Die leckere Torte könnte ihn schon verlocken. Trotzdem hielt er es für ratsam, die Familienfeier zu meiden, zumal die Hauptperson gerade die Flucht ergriffen hatte.
Er wandte sich um und marschierte zur gegenüberliegenden Kammer. Seit dem Unfall lebte der Bauer im ehemaligen Gästezimmer, das ebenerdig lag und ihm zumindest mit dem Rollstuhl eine gewisse Beweglichkeit ermöglichte.
Das große Schlafzimmer im ersten Stock bewohnte Gundi nun allein. Aber das Eheleben war ohnehin zum Erliegen gekommen, wie sie ihm schon geklagt hatte. Alfred fürchtete, als Krüppel für seine Frau nicht mehr attraktiv zu sein, und verkroch sich immer mehr in seinem Schneckenhaus.
***
Der Bauer saß im Rollstuhl am Fenster und starrte hinaus.
»Wie geht's, Alfred, noch Schmerzen?«, fragte Dr. Burger und stellte seine Tasche auf der Wäschekommode ab.
»Lässt sich ertragen«, brummte der Bauer und wandte sich langsam um. Er hob abwehrend die Hände. »Aber kommen Sie mir net mit diesen Prothesen, Herr Doktor. Die lege ich net mehr an.«
»Sie würden dich aber unabhängiger machen«, beharrte Dr. Burger. »Wenn du sie regelmäßig trägst und dabei ein paar Regeln beachtest, wirst du damit auch zurechtkommen. Doch ...«
»Das sind Folterinstrumente, die mir meine Behinderung noch mehr bewusst machen«, widersetzte sich Alfred erneut. Eine unwillige Falte durchfurchte seine Stirn. »Ich hab das Gefühl, auf Stelzen zu laufen, und ständig Angst, umzufallen.«
»Es ist reine Übungssache«, widersprach Dr. Burger ruhig. »Sportler tragen mit ihren Prothesen sogar Wettkämpfe aus.« Als Alfred nicht antwortete und abermals düster aus dem Fenster starrte, zog er sich einen Stuhl heran und setzte sich ihm gegenüber. »Sieh es doch mal aus einer anderen Sicht«, beschwor er den starrköpfigen Mann. »Du hattest noch Glück im Unglück. Deine Kniegelenke sind verschont geblieben, wodurch du eine gute Chance hast, deine Beine, zumindest bedingt, wieder zu gebrauchen. Aber du musst es wollen und darfst dich net deinem Frust ergeben.«
»Sie haben ja keine Ahnung, Herr Doktor«, brauste der Bauer auf und wischte mit der Hand unwirsch durch die Luft. »Net nur die Tatsache, dass ich meinen Hof net mehr bestellen kann, drückt mich nieder. Ich kann net mehr in die Berge gehen, net mehr klettern und net mehr als Bergretter tätig sein. Ich war immer gern Mitglied der Bergwacht, hab keinen noch so schweren Einsatz gescheut und war stolz, wenn ich Leben retten konnte. Auch die Kameradschaft meiner Kumpels fehlt mir. Sie besuchen mich manchmal, aber ich merke ihnen an, wie ungern sie dem Krüppel begegnen, der nur noch ein Schatten seiner selbst ist.«
»Daran bist du net unschuldig, Alfred«, hielt Dr. Burger schonungslos dagegen. »Statt nach einer Betätigung zu suchen, die deinem Leben wieder einen Sinn gibt, badest du in Selbstmitleid.«
Trotzig drehte Alfred den Kopf zur Seite und presste die Lippen aufeinander. Der Arzt seufzte und schlug die Decke zurück, welche die Beine des Bauern bedeckte. Vorsichtig rollte er den Strumpf des rechten Beinstumpfs herunter und begutachtete die Entzündung.
»Sieht schon viel besser aus«, urteilte er. »Aber trage weiterhin die Salbe auf, das hält die Narbe geschmeidig, und die Prothese scheuert dann weniger.«
Alfred sandte dem Arzt einen mürrischen Blick, widersprach aber diesmal nicht.
»Du wärst vom Rollstuhl weitgehend unabhängig und könntest wieder in die Berge gehen, wenn du die Gehhilfen net länger so strikt ablehnst«, fuhr Dr. Burger gelassen fort und schmierte beharrlich den Beinstumpf mit dem Gel ein. »Es würde dir zu einer gewissen Freiheit verhelfen und dich möglicherweise auch wieder in die Bergwacht eingliedern.«
Jetzt horchte Alfred auf. »Wie meinen Sie das, Herr Doktor?«