Der Bergdoktor 2055 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2055 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Schon von klein auf war Sofie, die jüngste von vier Geschwistern, ein so schwieriges Kind, dass die Eltern keine andere Möglichkeit sahen, als sie auf eine strenge Klosterschule zu geben. Nun kehrt das Madel nach seinem Schulabschluss auf den Musikanten-Hof zurück. Die ganze Familie hält den Atem an und betet, dass die Jüngste ihre Boshaftigkeit bei den Nonnen abgelegt und dort zu innerer Zufriedenheit gefunden hat.
Diese Hoffnung erfüllt sich jedoch nicht. Sofies Wut auf alles und jeden bricht sich wieder einmal Bahn, und das führt zu einer Katastrophe ...


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Seitenzahl: 131

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Musikanten-Hof

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Bastei Verlag / Wolf

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0636-0

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Der Musikanten-Hof

Die Jüngste schlägt aus der Art

Von Andreas Kufsteiner

Schon von klein auf war Sofie, die jüngste von vier Geschwistern, ein so schwieriges Kind, dass die Eltern keine andere Möglichkeit sahen, als sie auf eine Klosterschule zu geben. Nun kehrt das Madel nach seinem Schulabschluss auf den Musikanten-Hof zurück. Die ganze Familie hält den Atem an und betet, dass die Jüngste ihre Boshaftigkeit bei den Nonnen abgelegt und dort zu innerer Zufriedenheit gefunden hat.

Diese Hoffnung erfüllt sich jedoch nicht. Sofies Wut auf alles und jeden bricht sich wieder einmal Bahn, und das führt zu einer Katastrophe ...

»Wie friedlich es hier ist«, sagte Annamaria Leutacher leise und sah sich in dem Klostergarten um, den sie durchschritten.

»Man fühlt sich wie in einer anderen Welt«, stimmte ihr Mann zu und ließ seinen Blick über die weitläufige Anlage schweifen, die sich hinter dem Klostergebäude erstreckte.

Sorgfältig gehegte Blumenbeete, umgeben von niedrigen Buchsumrandungen, säumten den Weg, unterbrochen von Rosenbäumen, die in voller Blüte standen und die Luft mit Wohlgeruch erfüllten.

Weiter hinten befand sich ein Kräutergarten, in dem die Nonnen die Pflanzen für ihre Heilmittel zogen, die sie selbst zubereiteten. Er ging in einen Nutzgarten mit Spalierobst, Beerensträuchern und Hochbeeten mit Gemüse über, denn die Nonnen versorgten sich schon von alters her selbst.

Das Idyll wurde von den Umrissen der Gebirgskette, die sich im Hintergrund blau gegen den Sommerhimmel abhob, abgerundet, und das Ehepaar nahm dieses Bild ganz in sich auf. Schließlich wandten sie sich einer Bank zu, die von Bogen mit Goldregen überschattet war, und ließen sich darauf nieder.

Eine Weile saß das Paar still und gedankenversunken da, ehe Annamaria das Schweigen brach.

»Sofie lässt sich Zeit, der Abschied scheint ihr schwerzufallen.«

»Die Klosterschule war schließlich viele Jahre ihr Zuhause«, erwiderte ihr Mann, und es war nicht zu überhören, dass eine leise Bitterkeit in seinen Worten mitschwang.

»So ist es halt gekommen«, murmelte Annamaria leise und seufzte auf.

Sie schwiegen wieder und ließen noch einmal die friedvolle Atmosphäre des Klostergartens auf sich wirken.

»Wir sollten zur Mutter Oberin zurückkehren, vielleicht gibt es noch einiges zu besprechen«, schlug Jakob Leutacher vor.

Annamaria war einverstanden, und sie erhoben sich und durchquerten den Klostergarten. Auf halbem Wege kam ihnen die Mutter Oberin schon mit wehendem Habit entgegen.

Sie war eine beeindruckende Erscheinung, hochgewachsen und von kräftiger Gestalt, offensichtlich stammte sie aus bäuerlichem Geblüt. Ihre Züge wirkten weich und freundlich, dennoch verriet der Blick ihrer blaugrauen Augen, dass sie sich Respekt zu verschaffen wusste.

»Das Soferl ist noch nicht mit dem Packen fertig, es kann noch etwas dauern«, verkündete die Mutter Oberin lächelnd.

Es versetzte Annamaria einen Stich, dass die Mutter Oberin die Tochter so liebevoll »Soferl« nannte, ein Kosename, den sie zu Hause bei ihrer Familie nie geduldet hätte. Und niemandem wäre auch nur in den Sinn gekommen, Sofie so anzureden, denn es passte einfach nicht zu ihr. Jedenfalls damals war es so gewesen, bevor sie in die Klosterschule eingetreten war.

»Eigentlich haben wir gedacht, dass Sofie für immer im Kloster bleiben würde. Sie schien sich hier wohlzufühlen, was man ja verstehen kann«, sagte Jakob.

Die Mutter Oberin teilte seine Meinung.

»Ja, wir haben auch angenommen, dass sie nach dem Schulabschluss bei uns als Novizin bleibt. Sie hat mir in langen Gesprächen mehrmals erklärt, dass dies ihr größter Wunsch sei. Umso überraschter waren wir alle, als sie sich entschlossen hat, nach Hause zurückzukehren. Sie hat das damit erklärt, dass sie noch Bedenkzeit braucht, und dagegen ist nichts einzuwenden«, schloss die Nonne.

Die Leutachers schwiegen. Sofies Unterbringung in der Klosterschule war nicht ganz freiwillig vonstattengegangen. Sie war von einem derartigen Groll auf ihre Eltern erfüllt gewesen, dass sie selbst die Ferien in der Schule verbracht und jedes Treffen mit ihnen verweigert hatte. Noch nicht einmal die Weihnachtsgeschenke hatte sie entgegengenommen. Und jetzt, auf einmal, dieser Sinneswandel.

Es war ihnen, als ob sie eine völlig Fremde in Empfang nehmen würden.

Gerade als sich Jakob Leutacher noch bei der Mutter Oberin für ihre Mühen um die Tochter bedankte, trat ein junges Mädchen aus der rückwärtigen Tür des Klostergebäudes.

Annamaria verspürte eine tiefe Erschütterung. Sofie, die noch ein Kind gewesen war, als sie ihr Elternhaus verlassen hatte, stand nun als eine junge Frau vor ihr.

Sie war hochgewachsen und neigte zur Fülle, doch ihre Gestalt war durchaus wohlgeformt. Ihr dunkelblondes Haar hing ihr ungekämmt ins Gesicht, das tief gerötet war, was erschwerte, ihre Züge richtig zu erkennen. Sie war nachlässig gekleidet, ein formloser Rock umschwang ihre Waden, eine braune Bluse, die farblich nicht dazu passte und ungebügelt war, ging ihr bis über die Hüfte.

Derbe Schuhe, aus denen grauweiße Söckchen hervorlugten, vervollständigten den Aufzug. Ein schäbiger Rucksack hing über ihrer Schulter, und in der Hand hielt sie eine ausgebeulte, große Reisetasche.

Ihr Blick flog gleichgültig über ihre Eltern, als hätte sie sie erst vor Kurzem gesehen. Dann aber wandte sie sich der Mutter Oberin zu und sagte leise etwas zu ihr, was die Leutachers nicht verstehen konnten. Die Nonne war sichtlich bewegt und legte Sofie tröstend die Hand auf die Schulter.

Dann drehte sich das Mädchen abrupt zu den Eltern um.

»Fahren wir?«

Jakob wollte Sofie die schwere Tasche und den Rucksack abnehmen, aber sie wehrte entschieden ab. Sie warf ihr Gepäck auf den Rücksitz des Geländewagens und ließ sich daneben fallen.

Keinen Blick hatte das Madel für die herrliche Gebirgslandschaft, die sie durchfuhren, und sie zeigte auch nicht die geringste Neigung, sich mit ihren Eltern zu unterhalten. Stattdessen lehnte sie sich gegen ihren Rucksack und schloss die Augen, vielleicht aber stellte sie sich auch nur schlafend, wie ihre Mutter vermutete.

Sie richtete sich erst wieder auf, als sie durch das Tor des Leutacherhofs fuhren. Das Anwesen war nicht besonders stattlich, die Leutachers hatten noch nie zu den Großbauern, aber auch nicht zu den Kleinhäuslern gehört. Aber der Hof war ausnehmend gut instand gehalten.

Die Schindelverkleidung an der Vorderseite war erneuert worden, und von der Balustrade, die teilweise um das Haus herumführte, leuchteten Hängegeranien in roten Farbabstufungen. Zu beiden Seiten der massiven geschnitzten Eingangstür standen neben der Hausbank Terrakottatöpfe, die mit Lavendel bepflanzt waren.

Annamaria Leutacher hatte den Hof von ihren bereits verstorbenen Eltern geerbt, ihr Mann hatte eingeheiratet und den Namen seiner Frau angenommen. Er war Musiklehrer an einem Gymnasium in Mayrhofen, und sein Einkommen trug wesentlich dazu bei, dass der Hof nicht aufgegeben werden musste, so wie es bei vielen anderen der Fall war.

Da inzwischen die Milchwirtschaft nicht mehr rentabel war, betrieben die Leutachers nun einen Obst- und Gemüsehof und verkauften ihre landwirtschaftlichen Produkte in einem Hofladen. Annamaria war zu einer geschickten Geschäftsfrau geworden und belieferte sogar Geschäfte in Mayrhofen und darüber hinaus.

Ihr Mann scheute sich nicht, mit anzupacken, wenn es notwendig war, denn er stammte aus einer alteingesessenen Bauernfamilie. Alle hatten anfangs Vorbehalte gegen ihn gehabt, doch er hatte sie eines Besseren belehrt.

»Nun bist du also wieder zu Hause, Sofie«, sagte Annamaria leise.

Das Mädchen gab keine Antwort, sondern wuchtete das Gepäck vom Rücksitz, dann erst sah sie sich kurz um.

»Hier sieht noch alles genauso aus wie früher. Als hätte die Zeit stillgestanden«, bemerkte Sofie dann.

Ihren Eltern entging nicht, dass in ihren Worten ein ironischer Unterton mitschwang, doch sie reagierten nicht darauf. Überhaupt war der Empfang, den man ihr nach der langen Anwesenheit bescherte, sehr verhalten. Es gab keinen Kranz an der Eingangstür, auch kein Schild mit der Aufschrift: Herzlich willkommen! Die Geschwister, die sonst immer herauseilten, um die Eltern zu begrüßen, ließen sich nicht blicken.

Im Flur umgaben sie die vertrauten Gerüche nach Apfelmost und Kräutern, aber auch nach frisch gekochtem Essen. Anscheinend hatte Roswith gekocht, dachte Annamaria erleichtert, wenigstens das.

Sie fanden die beiden Söhne und die Tochter in der Stube vor, wo sie an einem zwar nicht festlich, aber doch ansprechend gedeckten Abendbrottisch saßen. Roswith, ein bildschönes Mädchen, das mit ihrem reichen goldblonden Lockenhaar und der ebenmäßigen Gestalt ganz der Mutter nachgeriet, erhob sich.

»Ihr habt sicher Hunger nach der langen Fahrt. Ich hab Geselchtes, Knödel und Kraut zusammengerichtet. Hilfst du mir beim Reintragen, Fabi?«

Fabian, einer der Zwillingsbrüder, sprang sofort auf.

»Aber sicher.«

Wenn man die Brüder nebeneinander sah, hätte man nicht glauben können, dass sie Zwillinge waren. Fabian schlug mit seinen blonden Haaren, den gleichmäßigen Zügen und dem offenen Wesen ganz der Mutter nach, während Matteo wie sein Vater eine dunkle Erscheinung war mit schwarzem Lockenhaar und braunen Augen. Er wirkte eher zurückhaltend, oft sogar in sich gekehrt, und ließ selten jemanden an seinen Gedanken teilhaben.

Doch trotz dieser Gegensätzlichkeit vertrugen sich die beiden Brüder gut, und da jeder ein anderes Lebensziel anstrebte, gab es auch keine Rivalitäten.

Matteo, dem man ein großes Talent bescheinigte, ließ sich in Wien zum Dirigenten ausbilden, während Fabian sich darauf vorbereitete, später einmal den elterlichen Hof zu übernehmen.

Die Schüsseln und Platten wurden aufgetragen, man nahm Platz, nur Annamaria stand noch neben Sofie, deren Gesicht keine Regung zeigte.

»Die Sofie ist wieder zu Hause«, sagte sie etwas unglücklich.

Fabians Mund wurde schmal.

»Das sehen wir. Und wir täten gern mit dem Essen anfangen.«

»Willst du erst noch nach oben in deine Kammer? Es ist noch alles so wie vorher«, wandte sie sich an Sofie.

Das Mädchen schüttelte den Kopf.

»Das Essen soll ja net kalt werden.«

Die Mahlzeit war wirklich sehr wohlschmeckend, doch niemand, außer Sofie, griff richtig zu. Sobald der erste Hunger gestillt war, unterhielten sich die Leutachers gerne, doch jetzt hing ein seltsames Schweigen über der Familie.

Sofie ließ sich nachschenken, aß gemächlich, während die anderen schon vor ihren leeren Tellern saßen. Sie verlor aber kein Wort des Lobes über das Essen, das ihr augenscheinlich so gut schmeckte.

Jakob Leutacher war der Erste, der aufstand.

»Morgen müssen wir wieder früh heraus. Das kennst du ja auch vom Kloster, Sofie«, sagte er im Versuch, freundlich zu ihr zu sein.

»Dort fängt alles noch früher an«, bemerkte sie kurz und erhob sich ebenfalls.

»Soll ich dir mit dem Gepäck helfen?«, bot Fabian ihr an.

»Nein«, kam es nur kurz aus ihrem Mund.

»Alsdann, eine gute Nacht wieder unter unserem Dach«, sagte Annamaria gezwungen, doch Sofie war schon zur Tür hinaus und griff nach ihrem Gepäck.

Sofie polterte ungelenk die Treppe hoch, fast wäre ihr die Tasche entglitten. In ihrer Kammer unter dem Dach blieb sie schwer atmend stehen, nachdem sie die Tür hinter sich zugeworfen hatte.

Sie sah sich um. In ihrem einstigen Kinderzimmer war tatsächlich alles so geblieben, wie sie es verlassen hatte. Natürlich war regelmäßig geputzt und abgestaubt worden, und ihre Mutter hatte wohl vor ihrer Ankunft das Bett frisch bezogen und einen Strauß Wiesenblumen auf den Tisch neben dem Fenster gestellt. Es war das Zimmer eines Kindes, dem es an nichts gefehlt hatte, das war offensichtlich.

Auf Wandregalen standen zahlreiche Kinder- und Jugendbücher, Kuscheltiere waren im ganzen Raum verteilt. Es gab eine Sammlung von Musikkassetten, an den Wänden hingen die Plakate prominenter Sänger.

Die geschmackvolle Tagesdecke, die über dem Bett unter der Schräge ausgebreitet lag, war eine der schönsten Quiltarbeiten ihrer Mutter. Auch der farblich passende Flickenteppich auf dem Holzboden war von ihr angefertigt worden.

Sofie war zumute, als müsse sie ersticken.

Ungestüm riss sie das Fenster auf und sog mit gierigen Zügen die kühle Luft ein, bis eine eisige Ruhe über sie kam. Sie räumte die Regale ab, Bücher und Kuscheltiere landeten achtlos auf dem Boden, danach riss sie die Plakate von der Wand. Die schöne Quiltdecke rollte Sofie zusammen, dass sie – nun am Bettende – nicht mehr zur Geltung kam. Zuletzt stellte sie die Vase mit den Wiesenblumen vor die Kammertür.

Der freundliche Raum wirkte nun kahl und klösterlich, doch Sofie betrachtete zufrieden ihr Werk. Noch einmal ging sie zu dem kleinen Fenster und atmete tief ein, ehe sie es schloss. Dann ging sie zu Bett und sank in einen tiefen Schlaf.

***

Die Leutachers hatten sich in die Vertrautheit ihres ehelichen Schlafzimmers zurückgezogen. Die unerwartete Rückkehr ihrer Tochter lastete auf ihnen und warf viele Fragen auf.

Gedankenvoll zog Annamaria die Haarnadeln aus ihrem Knoten, und Jakob griff nach der Bürste. Das war ein Ritual bei ihnen. Sobald die goldene Haarflut seiner Frau über ihre Schultern herabfiel, begann er sie sanft zu bürsten.

Jakob und Annamaria waren immer noch ein schönes Paar. Der Hofbauer war von beeindruckender Stattlichkeit, und in seinen vollen dunklen Haaren zeigte sich noch kein Grau.

Annamaria gehörte zu den Frauen, denen die Reife der mittleren Jahre gut stand. Immer noch liebten und begehrten sie einander, obwohl es bei ihrer Heirat nicht wenige gegeben hatte, die prophezeit hatten, dass es mit ihnen nicht gut gehen würde.

»Der Leutacher, der am liebsten Klavier spielt, ist doch kein Hofbauer. Die Annamaria hat einen besseren Mann verdient, einer der bodenständig ist und richtig zupacken kann«, hatte es geheißen, und man hatte die junge Frau bedauert, die anscheinend blind vor Liebe gewesen war.

Doch die Ehe wurde überaus glücklich und strafte alle Unkenrufe Lügen.

Wenn es darauf ankam, half ihr Mann auch im Laden mit, sodass sie den Hof halten und ohne Geldsorgen leben konnten. In der Umgebung hieß das Leutachersche Anwesen inzwischen der »Musikantenhof«, denn häufig schallten Klavierspiel und Gesang heraus, sodass Vorübergehende stehen blieben und lauschten.

Aus der Ehe waren vier Kinder hervorgegangen, die Zwillinge Fabian und Matteo, Roswith und Sofie, die Jüngste. Matteo besaß hohes künstlerisches Potenzial, Roswith betrieb eine Töpferei, die an den Hofladen angrenzte, und auch Fabian besaß eine schöne Singstimme. Wohlgeratene Kinder, das waren sie, um die die Leutachers oft beneidet wurden.

Nur Sofie bildete eine Ausnahme.

Schon von Kind an war sie trotzig und verstockt, peinigte die ganze Familie mit nicht enden wollenden Schreianfällen, was nicht besser wurde, als sie in die Schule gekommen war. Wie oft waren die Leutachers von ratlosen Lehrern zu Besprechungen gebeten worden, auch Eltern hatten empört bei ihnen angerufen, weil Sofie einen ihrer Mitschüler drangsaliert hatte.

Zu Beginn der Pubertät hatte ihre Verhaltensauffälligkeit weiter zugenommen, und der Familienfrieden wurde noch mehr gefährdet, als er es ohnehin schon gewesen war. Dann war es zu Vorkommnissen gekommen, die die Leutachers bewogen hatten, endlich den Rat der Lehrer zu befolgen und Sofie in eine Klosterschule zu geben, die auf Mädchen ihrer Art ausgerichtet war.

Mit Sofies Weggang hatte sich die Atmosphäre auf dem Leutacherhof grundlegend geändert, und eine heitere Stimmung hatte die Oberhand gewonnen. Die Geschwister schienen Sofie nicht zu vermissen und waren sogar froh darüber, dass sie die schulfreie Zeit nicht bei ihrer Familie verbringen wollte.

Es verwunderte zwar alle, dass Sofie Nonne werden wollte, doch dann würde sie zur Erleichterung der ganzen Familie endgültig hinter Klostermauern verschwinden.

Das alles ging Annamaria durch den Kopf, als sie die behutsamen Bürstenstriche ihres Mannes genoss.

»Ob sich die Sofie inzwischen wirklich verändert hat?«, kam es dann leise und verzagt über ihre Lippen.

Jakob legte die Bürste auf die Kommode nieder.

»Darüber hab ich auch schon nachgedacht. Eigentlich während der ganzen Heimfahrt, denn ich bin überzeugt davon, dass sie net geschlafen hat, sie wollt nur net mit uns reden. Auf jeden Fall müssen wir sie im Auge behalten«, schloss er warnend.

»Ja, du hast recht. Wie konnten wir nur zu so einer Tochter kommen? Wir haben sie doch genauso behandelt wie ihre Geschwister, und es hat ihr auch sonst an nichts gefehlt«, sagte Annamaria niedergeschlagen.

»Du warst immer eine gute Mutter, Annamaria, es gibt keinen Grund für Selbstvorwürfe. Es kommt in vielen Familien vor, dass ein Kind aus der Art schlägt. Vielleicht haben sich bei ihr die Gene eines längst vergessenen Vorfahren durchgesetzt.«

»Dann ist unsere arme Sofie das Opfer irgendwelcher Gene eines missratenen Vorfahren?«, fiel Annamaria ihm ungläubig ins Wort.