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Dr. Burgers letzter Krankenbesuch gilt heute Bettina Wallner auf dem Eschenbach-Hof. Auf den ersten Blick erkennt er, wie schlecht sie sich fühlt. Schmal ist sie geworden! Ihr Gesicht glüht, und plötzlich krümmt sie sich in einem Hustenanfall. Trotzdem liegt die kranke Bäuerin nicht im Bett, sondern erledigt weiter die schwere Hausarbeit.
Noch während Dr. Burger seine Patientin untersucht, wird ihm klar, dass Medikamente allein hier nicht zur Heilung führen. Bettina braucht vor allem viel Ruhe, wenn sie wieder zu Kräften kommen will!
Doch als er ihren Mann bittet, dringend eine Hilfe einzustellen, lacht Simon nur verächtlich ...
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Seitenzahl: 114
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Impressum
Die Auszeit der Bäuerin
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0794-7
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Die Auszeit der Bäuerin
So viele Jahre wartete sie vergebens auf ein liebes Wort
Von Andreas Kufsteiner
Dr. Burgers letzter Krankenbesuch gilt heute Bettina Wallner auf dem Eschenbach-Hof. Auf den ersten Blick erkennt er, wie schlecht sie sich fühlt. Schmal ist sie geworden! Ihr Gesicht glüht, und plötzlich krümmt sie sich in einem Hustenanfall. Trotzdem liegt die kranke Bäuerin nicht im Bett, sondern erledigt weiter die schwere Hausarbeit.
Noch während Dr. Burger seine Patientin untersucht, wird ihm klar, dass Medikamente allein hier nicht zur Heilung führen. Bettina braucht vor allem viel Ruhe, wenn sie wieder zu Kräften kommen will!
Doch als er ihren Mann bittet, dringend eine Hilfe einzustellen, lacht Simon nur verächtlich ...
Ein kalter, aber sonniger Januartag begrüßte das winterliche Zillertal in diesem neuen Jahr, das in St. Christoph wie immer mit einem Feuerwerk über den Bergen und einem feierlichen Glockenläuten um Mitternacht begonnen hatte.
Der Winter hatte weiterhin das Heft fest in der Hand. Nach dem Dreikönigstag wurden in den meisten Häusern die geschmückten Weihnachtsbäume, Goldsterne und die Kripperl abgeräumt, während in der Pfarrkirche noch bis Lichtmess am 2. Februar die schönen, alten Tiroler Krippenfiguren an die vergangene Weihnachtszeit erinnerten – bis auch sie sorgsam verpackt auf die nächste »Saison« warten mussten.
Man ging im Dorf zur Tagesordnung über. Nach dem Ende der Feiertage gab es nun eine Menge zu tun, denn vieles war liegen geblieben.
Das schöne Winterwetter verlockte allerdings dazu, gelegentlich auch weiterhin die Zügel ein bisschen schleifen zu lassen.
Kein Wunder, denn wer den Wintersport liebte, fand jetzt ideale Bedingungen zum Skilaufen vor. Andere atmeten bei Schneewanderungen oder Spaziergängen im Winterwald die klare, frische Luft ein und fühlten sich danach wie neugeboren.
Vor allem die Kinder freuten sich über den Schnee. Vor den Haustüren im Dorf standen große und kleine Schlitten, denn welches Kind wollte jetzt aufs Rodeln verzichten?
Es konnte aber auch ziemlich waghalsig zugehen. Die jungen Burschen (und später im zweiten Durchgang noch die »gestandenen« Mannsbilder) veranstalteten traditionell im Januar das alljährliche Wettrodeln und das beliebte Hörnerschlitten-Rennen vom sogenannten »Himmelshang« am Dorfrand, gar nicht weit von der Kirche entfernt.
Der steile Wiesenhang hätte im Winter aber eher »Höllenhang« heißen müssen, denn es erforderte sehr viel Geschick, mit den großen, wuchtigen Schlitten gut ans Ziel zu kommen. Es war aber noch nie etwas passiert, denn die Schlitten-Profis wussten ganz genau, wie sie das Ungetüm in der Bahn halten und dazu noch schnell vorankommen konnten.
Im Berghotel war kaum noch ein Zimmer zu bekommen. Wenn man sich nicht vorher angemeldet hatte, musste man unter Umständen damit rechnen, in einem der zwei Reserve-Zimmer im Parterre zu logieren, bis vielleicht doch eins der schönen, geräumigen Zirben-Gästezimmer oder gar ein Appartement frei wurde.
Davon abgesehen, waren die sogenannten »Reserve«-Stuben durchaus gemütlich und ansprechend eingerechnet, jedoch ziemlich klein und ohne die fantastische Aussicht auf das verschneite Gebirge.
Auf den Bergblick wollte derzeit kaum jemand verzichten, denn die weißen Gipfel im Wintersonnen-Licht sahen so prächtig aus wie im Märchenland. Ob dort oben das glitzernde, silberweiße Kristall-Schloss des Zillertaler Bergkönigs stand? Man hätte es beinahe glauben können!
Natürlich wollten nicht nur Winterurlauber aus den großen Städten die verschneite Bergwelt genießen, sondern auch die Einwohner von St. Christoph.
Das beste Beispiel dafür war Simon Wallner, dem der Eschenbach-Hof im Ortsteil Hochbrunn gehörte, ein sehr sportlicher junger Mann, der sich einen Winter ohne Skifahren nicht vorstellen konnte.
Er gehörte ohnehin nicht zu denjenigen, die sich winters an den warmen Ofen hockten oder zur Sommerzeit in der Hängematte lagen – obwohl man es sich hin und wieder auch mal so richtig bequem machen sollte!
In seinem ganz persönlichen Lebensplan gab es einige wichtige Punkte, in erster Linie die Arbeit als Agraringenieur auf seinem idyllisch gelegenen Bio-Alpenhof, außerdem sein Einsatz für den Bergwald und die Natur. Nach der Schneeschmelze standen Hütten- und Bergwanderungen auf dem Programm, zusätzlich Touren auf dem Mountainbike allein oder mit Freunden.
Simon gehörte der Bergwacht an. Er kümmerte sich zusätzlich darum, ein Auge auf Wege und Brücken in den Bergen zu haben, damit niemand beim Wandern unliebsame Überraschungen erlebte wie verschüttete Pfade oder marode Stege.
Außerdem interessierte ihn alles, was im Dorf passierte. Das war schon immer so gewesen. Trotz seiner erst zweiunddreißig Jahre hatte sich Simon im Gemeinderat bereits fest etabliert. Man gab viel auf seine Meinung.
Auch Bürgermeister Toni Angerer, der bodenständig und gleichzeitig immer offen für nützliche Vorschläge war, schätzte Simon sehr, weil er sich für vernünftige Neuerungen stark machte, ohne an der Tradition zu rütteln.
Wenn es erst einmal so weit war, dass das alte Brauchtum belächelt und unter den Teppich gekehrt wurde, ging ein Teil der alpenländischen »Seele« verloren, das war jedenfalls Simons Überzeugung.
Alte Überlieferungen waren ein Schatz, den man hüten musste. Sie bildeten die Wurzeln für das Leben und die Gemeinschaft der Menschen.
»Aus Altem erwächst Neues« war ein Spruch, den Simon in der Familienbibel gefunden hatte, säuberlich auf die Rückseite eines Zettels mit dem Vaterunser geschrieben.
Der Zettel hatte seinen festen Platz in der Bibel, einst hatte ihn Simons Urahn Leopold Wallner als Lesezeichen hineingelegt.
Urgroßvater Wallner war ein frommer und aufrechter Mann gewesen, ungebeugt bis ins hohe Alter und stets darauf bedacht, den Eschenbach-Hof in tadellosem Zustand an die Nachkommen zu vererben.
Das war ihm auch gelungen. Und wenn es wirklich ein ewiges Leben gab, woran Leopold nie gezweifelt hatte, dann schaute er jetzt aus dem Paradies hoch zufrieden auf den Alpenhof am Eschenbach im Zillertal hinunter, denn es stand drunten alles zum Besten.
Simon hatte wirklich eine ganze Menge auf dem Plan. Und wer sich fragte, ob es für ihn denn immer nur Umtriebigkeit gegeben hatte und nichts anderes, dem konnte man antworten: Doch, es gab natürlich noch etwas anderes. Nämlich ein ganzes Packerl an Gefühlen und Wärme, vor allem aber die Liebe zu seiner Frau Bettina, die er vor zwei Jahren nach sechs Monaten Verlobungszeit geheiratet hatte.
Simon und seine Tina galten im Dorf als ideales junges Ehepaar.
Er hatte immer nur sie gewollt, obwohl er bei den Mädchen »Hahn im Korb« gewesen war.
Ein fescher, gescheiter junger Mann, der wusste, worauf es ankam, dazu noch finanziell abgesichert und mit einem schönen, großen Hof, sodass eigentlich nichts zum Märchenprinzen fehlte. Es gab nichts zu bemängeln – bis auf die Tatsache, dass Simon sich zu viele Verpflichtungen aufgeladen hatte und außerdem nicht der Mann war, mit dem man verträumte, romantische Abende verbringen konnte. (Oder nur viel zu selten).
Es war ja nicht so, dass er etwas gegen Romantik hatte, aber manchmal empfand er es schlicht und einfach als Zeitverschwendung, bei Kerzenlicht am Kamin zu sitzen und sich tief in die Augen zu schauen.
Also doch kein Märchenprinz?
Wer Bettina fragte, wie es denn so lief daheim auf dem Hof, der erhielt nur ein Lächeln zur Antwort.
Manchmal sagte sie noch: »Mein Mann macht an einem Tag so viel wie andere Leute an zwei, drei Tagen. Das wusste ich schon, als ich ihn geheiratet habe.«
Und dann lächelte sie erneut. Niemand sah sie jemals mit einer unzufriedenen Miene. Was sie dachte und fühlte, wusste nur sie allein, die Leute hatten keine Ahnung.
Bettina und Simon galten als überaus glücklich, weil offenbar immer eitel Sonnenschein bei ihnen herrschte. Dass sie noch kein Baby planten – nun ja, eigentlich schade. Ein Kind gehörte zum Eheglück dazu, das dachten die meisten Dörfler. Aber die beiden wollten sich noch auf ihre Arbeit konzentrieren und den Eschenbach-Hof um einen Bio-Laden und einige andere Extras erweitern.
Schön, wenn zwei Menschen an einem Strang zogen und sich einig waren – das musste man anerkennen! Genau genommen, konnten sie sich auch noch Zeit lassen mit einem Baby, sie waren jung und unabhängig. Wozu also die Familienplanung überstürzen? Es stimmte doch alles bei ihnen!
Aber hinter den Kulissen sah es bei Weitem nicht so rosig aus, wie es den Anschein hatte ...
***
Heute war wieder so ein Tag, an dem Bettina sich so verloren fühlte wie ein Kind, das sich verlaufen hatte.
Sie erinnerte sich daran, dass sie als kleines Madel eines Morgens im Winter aus purem Übermut in den Wald gelaufen war. Es war noch gar nicht richtig hell gewesen, und eigentlich war ihr der dunkle Wald doch recht unheimlich vorgekommen.
Ihre Eltern hatten noch geschlafen. Die kleine Tina hatte sich verirrt und Angst vor wilden Tieren gehabt, Bären, Wölfen, Luchsen oder noch schlimmer: Drachen aus dem Märchen!
Der tief verschneite Wald so anders gewesen als sonst, fremd, kalt und feindselig, ein Albtraum für eine Fünfjährige.
Nach einer schier endlosen Zeit quälender Einsamkeit – in Wirklichkeit nur eine dreiviertel Stunde – hatte der Förster auf seinem frühen Kontrollgang die schluchzende Kleine gefunden und heimgebracht. Ihre Eltern, die inzwischen schon die nähere Umgebung abgesucht hatten, waren vor Sorge außer sich gewesen.
Aber nun war Bettina kein verirrtes Kind mehr, sondern eine verheiratete Frau und Bäuerin auf einem Alpenhof, der als einer der schönsten Höfe im Tal galt. Es gab eigentlich keinen Grund, sich verloren oder unsicher zu fühlen. Der Bio-Landhof der Familie Wallner war ein anerkannter Naturhof mit Gütesiegel-Produkten. Das schmucke Tiroler Anwesen war inzwischen sogar schon der »Star« in einigen Hochglanz-Magazinen, in denen besonders schöne Berghöfe abgebildet wurden.
Was nützte das alles, wenn man gar nicht dazu kam, auch mal die Seele baumeln zu lassen und die Früchte der Arbeit zu genießen? Wie konnte man die Liebe erhalten, wenn der Blick auf die Uhr wichtiger war als zärtliche Stunden zu zweit?
Bettina fühlte sich müde und erschöpft.
Kein Wunder, denn sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie in den letzten Wochen einmal Zeit für sich gehabt hatte. Ganz zu schweigen davon, dass ihr viel beschäftigter Mann es anscheinend als ganz normal ansah, dass sie auf dem Hof alles möglichst gleichzeitig erledigte: Haushalt, Küche und Kochen, Wäsche und tadellos gebügelte Kleidung, schön hergerichtete Zimmer, vor allem die gute Stube, denn Überraschungsgäste waren bei den Wallners nichts Ungewöhnliches.
Simon hatte jede Menge Freunde und auch Verwandte, die unter anderem in Jenbach, Hintertux und Kufstein wohnten und mit Begeisterung mal »kurz« hereinschauten.
»Kurz« war ein dehnbarer Begriff. Simons Verwandte verstanden darunter mindestens einen Tag von früh bis abends. Sie fühlten sich auf dem Eschenbach-Hof pudelwohl. Die großartige Aussicht, die schönen Stuben und dazu noch Simons Großzügigkeit. Wenn sie sich schweren Herzens wieder verabschiedeten, dann nicht ohne ein Packerl mit Köstlichkeiten vom Hof.
Obendrein konnte Bettina so gut kochen, dass es sich schon deswegen lohnte, nach St. Christoph heraufzufahren. Man blieb auch gern über Nacht, denn im Haus war genug Platz. Und wenn man eh schon zu Besuch gekommen war, weshalb dann überstürzt wieder abfahren?
Die Besuche dieser »lieben Menschen« empfand Bettina mit der Zeit als anstrengend, obwohl sie alle miteinander nett und harmlos waren. Sie freuten sich immer so sehr, in St. Christoph zu sein, dass man sie manchmal kaum noch loswurde. Konnten sie nicht mal woanders hinfahren oder per Flugzeug in die Ferne düsen, vielleicht auf eine einsame Insel?
Mit den »Kurzbesuchen« hatte Bettina ziemlich viel Arbeit. Dann waren da die Tiere.
»Die Viecherl hängen eh an dir, Spatzl«, sagte Simon gern und überließ seiner Frau den sogenannten »Kleintier-Zoo«.
Natürlich handelte es sich um ganz normale Hoftiere: Hühner, Enten, zwei Katzen, vier Geißen samt Geißbock »Hörndl«, den Ponys Max und Moritz, vier Zwerghasen, die immer nur kuscheln wollten – und natürlich Hund Lenz, der sowohl sein Herrchen als auch sein Frauchen abgöttisch liebte.
Um seine vier Haflinger und die fünfzig Milchkühe, die in einem neu erbauten Offenstall regelrecht verwöhnt wurden, kümmerte sich Simon selbst. Wenn er wieder mal unterwegs war, durften die beiden erfahrenen Knechte sich als »Kuhflüsterer« betätigen. Es kam darauf an, den Tieren einfühlsam zu begegnen und sie spüren zu lassen, dass man sie respektierte und nicht einfach nur als Milchlieferanten betrachtete.
Simon war der Meinung, dass keine Kuh so war wie die andere. Und auch Stier Baldur, der schon so manches Kälbchen hatte aufwachsen sehen, benahm sich überraschend sanftmütig. Alle waren gut zu ihm, also fiel es ihm überhaupt nicht ein, den Macho zu spielen. Baldur durfte winters sogar manchmal nach draußen, er blieb gern ein Stündchen im Schnee auf seiner Weide und ließ sich dann zufrieden wieder in den Stall führen.
Die einfühlsame Behandlung der Tiere war das oberste Gebot bei den Wallners. Jedes Tier auf dem Hof führte ein gutes, artgerechtes Leben.
Hof- und Familienhund Lenz war ein großer, kräftig gebauter Leonberger, treu, freundlich und absolut folgsam.
Niemals wurde er ungeduldig. Wenn niemand Zeit für ihn hatte, zeigte er dennoch keine Spur von Unwillen. Lenzi, wie er meistens gerufen wurde, durfte immerhin ziemlich oft mit Simon unterwegs sein.
Manchmal dachte Bettina, dass ihr Mann mehr Zeit mit Lenzi verbrachte als mit ihr. Und zuweilen fragte sie sich, ob es wirklich richtig gewesen war, Simon zu heiraten.
Was hätte sie aber sonst tun sollen? Ihr war keine andere Wahl geblieben. Und zwar deshalb, weil sie ihn so sehr geliebt hatte wie keinen anderen Menschen auf der Welt. Ihr war klar gewesen, dass man Simon nicht als pflegeleicht bezeichnen konnte. Ehrlich und zupackend, dabei herzlich und hilfsbereit – aber ein Mann, der seinen Standpunkt vertrat und sich nicht vor Arbeit und Problemen drückte. Genau das erwartete er auch von anderen, vor allem von Bettina. Ein Hascherl hätte nicht zu ihm gepasst.
Bettina war kein Hascherl, sondern eine selbstständige junge Frau, die ihre eigenen Vorstellungen vom Leben hatte. In vielen Dingen stimmten sie und Simon überein. Aber nicht darin, immer nur »auf Achse« und im Arbeitsstress zu sein.
Ich schaffe es nicht, ihn wenigstens ein bisschen umzukrempeln, ging es ihr durch den Kopf.