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Er heißt Felix, und sein Name bedeutet "der Glückliche". Dabei ist der Siebenjährige alles andere als glücklich! Nicht nur, dass er seit dem Unfalltod seiner Mama im Waisenhaus lebt, er wird dort von den anderen Kindern wegen seines verkürztes Beins und seines hinkenden Gangs gehänselt und ausgestoßen.
Felix ist das unglücklichste Kind auf der ganzen Welt, davon ist er überzeugt. Er vermisst seine Mutter, und vom Vater hat er nur ein Foto, das einen großgewachsenen, attraktiven Mann zeigt. Im Hintergrund ist ein Bergdorf zu sehen, und auf der Rückseite steht St. Christoph im Zillertal.
Als ihn die Kinder wieder einmal verspotten, büxt Felix aus - versteckt sich in einem Lieferwagen und schafft es tatsächlich bis ins Zillertal. Dort wird Dr. Burger zufällig auf den schniefenden Kleinen aufmerksam und nimmt sich des Buben an. Als der ihm zögernd das Foto seines Vaters zeigt, bleibt dem Bergdoktor sekundenlang die Luft weg ...
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Felix, der (Un)glückliche
Vorschau
Impressum
Felix, der (Un)glückliche
Was der kleine Ausreißer nur dem Bergdoktor verraten will
Von Andreas Kufsteiner
Er heißt Felix, und sein Name bedeutet »der Glückliche«. Dabei ist der Siebenjährige alles andere als glücklich! Nicht nur, dass er seit dem Unfalltod seiner Mama im Waisenhaus lebt, er wird dort von den anderen Kindern wegen seines verkürzten Beins und seines hinkenden Gangs gehänselt und ausgestoßen.
Felix ist das unglücklichste Kind auf der ganzen Welt, davon ist er überzeugt. Er vermisst seine Mutter, und vom Vater hat er nur ein Foto, das einen großgewachsenen, attraktiven Mann zeigt. Im Hintergrund ist ein Bergdorf zu sehen, und auf der Rückseite steht St. Christoph im Zillertal.
Als ihn die Kinder wieder einmal verspotten, büxt Felix aus – versteckt sich in einem Lieferwagen und schafft es tatsächlich bis ins Zillertal. Dort wird Dr. Burger zufällig auf den schniefenden Kleinen aufmerksam und nimmt sich des Buben an. Als der ihm zögernd das Foto seines Vaters zeigt, bleibt dem Bergdoktor sekundenlang die Luft weg ...
»Du undankbarer Bengel«, schimpfte Lieselotte Kramer und stemmte wutentbrannt die Hände in die mageren Hüften. »Da schenke ich dir ein liebevolles Zuhause, gebe dir ein Dach über dem Kopf und füttere dich durch. Und du hast nichts Besseres zu tun, als meine Hunde zu vergiften!« Sie holte mit der flachen Hand aus und drohte, ihren Ziehsohn zu züchtigen.
Doch Felix duckte sich blitzschnell weg und ging hinter einem Sessel in Deckung. Von wegen liebevolles Zuhauses, dachte er trotzig. Tante Lotti, wie er die Cousine seiner Mutter nannte, war eine kalte, herzlose Frau, die nur ihre Hunde liebte. Kinder waren ihr ein Gräuel, besonders ein knapp siebenjähriger Junge, der nur Unsinn im Kopf hatte, wie sie klagte.
Felix schniefte. Warum hatte ihn die Mama nur verlassen!
»Aber ich hab doch Brutus und Stella gar net vergiftet«, verteidigte er sich und zog einen Schmollmund. »Ich hab ihnen nur mein Essen gegeben, weil ... weil ...«
Weil ich den Fraß nicht essen konnte, fügte er in Gedanken hinzu, hütete sich aber, es laut auszusprechen.
»Weil ich keinen Hunger hatte«, schloss er. Den Doggen war das Essen erst recht nicht bekommen, und sie hatten sich die Seele aus dem Leib gewürgt.
»Geh sofort in dein Zimmer!« Mit ausgestrecktem Zeigefinger wies Lieselotte durch die offene Tür in den Flur. »Ich will dich nicht mehr sehen, und zur Strafe musst du heute hungern. Ich stelle mich nicht noch mal in die Küche, um für dich Bengel eine Mahlzeit zuzubereiten.«
Da bin ich aber froh, durchfuhr es Felix erleichtert. Die Köchin war erkrankt, weshalb die Tante gezwungen war, selbst den Kochlöffel zu schwingen, was einer Katastrophe gleichkam. Rasch huschte er aus der Wohnstube und warf die Tür ins Schloss.
»O Gott, o Gott!«, hörte er die Tante jammern. »Ich rufe wohl besser den Tierarzt, meine Lieblinge.«
Erschrocken riss Felix die Augen auf. Besser, er verkrümelte sich, bevor Tante Lottis Zorn doch noch wie ein furchterregendes Gewitter über ihn hereinbrach. Hastig lief er zu seinem Zimmer am Ende des Ganges und schlüpfte hinein. Er warf sich aufs Bett und ließ den Tränen freien Lauf.
In Gegenwart von Tante Lotti würde er niemals weinen, das ließ sein Stolz nicht zu. Aber wenn er allein war, übermannte ihn die Trauer. Er vermisste die Mama schrecklich und haderte mit dem lieben Gott, der sie viel zu früh zu sich geholt hatte.
Miriam, wie die Mama hieß, hatte gerade erst ihren neunundzwanzigsten Geburtstag gefeiert, als vor knapp drei Monaten der Unfall passiert war. Ein unaufmerksamer Autofahrer hatte ihr Fahrrad gerammt, als sie in ihre Innsbrucker Wohnsiedlung abgebogen war. Sie war noch an der Unfallstelle verstorben, hatte man Felix erzählt.
Da es keinen Vater gab, der sich um den Buben kümmern konnte, hatte man ihn in die Obhut von Tante Lotti und ihrem Mann Klaus gegeben. Diese besaßen eine große Villa mit Garten in Schwaz und waren sehr vermögend.
Die Dame vom Jugendamt hatte darauf gedrungen, dass dies der Wunsch seiner alleinerziehenden Mutter gewesen war. Trotzdem hatte sich Tante Lotti gewunden wie ein Aal und alle erdenklichen Argumente angeführt, warum sie unmöglich einen kleinen Jungen bei sich aufnehmen konnte.
Onkel Kurt hatte sich jedoch sofort bereit erklärt, für ihn zu sorgen. Er war ein netter Mann, doch leider viel auf Reisen. Er handelte mit internationalen Immobilien, was ihn oft wochenlang ins Ausland führte. So war er, Felix, der Willkür der Tante ausgesetzt, die keinen Zweifel daran ließ, wie lästig er ihr war.
Tapfer schluckte Felix die Tränen hinunter, die abermals in seiner Kehle würgten. Er wäre viel lieber in einem Kinderheim untergekommen statt in dieser sterilen Villa, wo man nicht herumtoben durfte und nach Möglichkeit keinen Dreck machen sollte. Das wurde nur den Hunden nachgesehen.
Wenigstens waren die Doggen kinderlieb und seine einzigen Spielkameraden. Die Tante duldete keine fremden Kinder im Haus. Nur wenn der Onkel zugegen war, durfte er den Nachbarjungen zu sich einladen. Sonst hatte er keine Freunde.
Er kam diesen Herbst in die Schule. Deshalb hatte ihn Tante Lotti nicht mehr im Kindergarten angemeldet, wo ihn das Spiel mit Gleichaltrigen ein wenig von seiner Trauer abgelenkt hätte. Alles war besser als dieses Haus, in dem er sich so verloren fühlte und wo man nur von ihm Notiz nahm, wenn Onkel Klaus daheim war.
Er bückte sich und holte eine Blechkiste unterm Bett hervor, in der er all seine Schätze hortete. In dem größeren Teil lag das Fotoalbum, das mit Bildern von ihm und der Mama bestückt war, und die seltenen Steine, die sie bei ihren gemeinsamen Wanderungen gefunden hatten. Auch sein Lieblingsbuch hatte dort seinen Platz.
In dem kleineren Teil, das einen luftdurchlässigen Deckel hatte, wohnte schon hin und wieder ein Tierchen, wie der Laubfrosch, der Tante Lotti ein für alle Mal die Neugierde ausgetrieben hatte.
Felix seufzte. Er war gewiss kein einfaches Pflegekind und hatte der Tante schon so manchen derben Streich gespielt. Aber das hatte sie auch verdient, so lieblos wie sie ihn behandelte. Dabei sehnte er sich nach einem Menschen, bei dem er sich wieder geborgen fühlen konnte. Wenn er nur wüsste, wo sein Vater wohnte.
Seine Mutter hatte nicht viel über ihn gesprochen und ihm nur ein Foto gegeben, damit er aufhörte zu fragen. Nur leider hatte sie ihm nicht gesagt, wer er war und wo er sich aufhielt. Sie hatte hatte keinen Kontakt zu ihm gewollt, aber gewusst, dass ihr Sohn alles versuchen würde, um den Papa ausfindig zu machen.
Felix öffnete die Kiste und nahm das Fotoalbum heraus. Sehnsüchtig blätterte er darin. Dann nahm er das Foto an sich, das seinen Papa zeigte, einen großen, gut aussehenden Mann vor der Kulisse eines Bergdorfes.
Nachdenklich betrachtete er es. Er drehte es um und suchte die Rückseite nach einem Hinweis ab, wo es aufgenommen worden war. Doch außer dem Aufkleber des Fotografen war nichts zu finden.
Traurig legte Felix das Bild zurück und schloss das Album wieder. Er verwahrte es sorgfältig in der Schatzkiste auf und holte nun sein Lieblingsbuch hervor, das vom vielen Durchblättern abgegriffen war.
Felix konnte schon gut lesen. Die Mama hatte es ihm beigebracht, weil er wegen seines späten Geburtstags im November ein Schuljahr verlor, wie sie meinte.
Selbst schreiben konnte der Bub einigermaßen. Jedenfalls gut genug, um der Mama Notizen zu hinterlassen, wenn er zur Nachbarin oder auf den Spielplatz gegangen war, während sie arbeiten musste.
Es hatte ihm nichts ausgemacht, mal ein paar Stunden allein zu sein, denn dann war sie ja immer heimgekommen. Doch jetzt kam sie niemals wieder, und er fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben wirklich allein.
Mit den Fingerspitzen strich er versonnen über das Buch. Es hieß »Fips, der traurige Clown« und erzählte die Geschichte eines kleinen Jungen, der aufgrund einer Missbildung von anderen Kindern gehänselt wurde. Nur, wenn er den Clown spielte und seine Späße machte, waren sie nett zu ihm. Er lachte, wenn er lieber weinen wollte, und schlug Purzelbäume, obwohl er still in einer Ecke sitzen und träumen wollte.
Felix kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. Er hatte viel mit Fips gemeinsam. Auch er hatte einen Geburtsfehler, der ihn oft zum Gespött anderer Kinder machte. Er hinkte, weil sein rechtes Bein kürzer als das linke war. Deshalb konnte er nicht herumrennen oder gar Fußball spielen.
Dafür konnte Felix aber einen Handstand machen und Radschlagen wie kaum ein anderes Kind. Er reckte das Kinn vor. Ab sofort war er Fips, der traurige Clown, denn Felix, der Glückliche, wie ihn die Leute oft neckten, wenn er seinen Namen nannte, war er schon lang nicht mehr.
***
Kaum hatte Klaus Kramer an diesem lauen Maiabend das Haus betreten, kam ihm seine Frau entgegengeeilt.
»So geht es nicht mehr weiter«, klagte sie und fuchtelte wild mit den Händen »Ich komme mit dem Bengel nicht zurecht. Er spielt mir ständig Streiche, und heute hätte er fast meine Hunde vergiftet.«
»Übertreibst du nicht ein bisschen, meine Liebe?« Klaus Kramer schüttelte missbilligend den Kopf. Er legte seine Aktentasche ab und vertauschte die Straßenschuhe mit den Hauspantoffeln, während er im ruhigen Ton richtigstellte: »Die Hunde haben sich den Magen verdorben, weil sie allzu gierig deinen Fleischtopf verschlungen haben.«
Natürlich hatte ihn Lieselotte über die Katastrophe schon ausführlich übers Handy informiert. Er seufzte leise.
»Der Tierarzt meinte, es sei unverantwortlich von Felix gewesen, die scharfe Speise an die Hunde zu verfüttern, wo sie doch sonst nur Spezialfutter bekommen«, lamentierte sie weiter und strich sich unwillig eine Haarlocke aus der Stirn. »Das hat der Bengel absichtlich getan, um mich zu ärgern.«
Klaus verdrehte genervt die Augen.
»Er ist doch noch ein kleiner Bub, und außerdem liebt er die Hunde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ihnen schaden wollte.«
Er griff nach der Zeitung, die auf dem Tischchen im Flur lag, und stapfte zum Wohnzimmer, wo er sich erschöpft in einen Sessel sinken ließ. Der Tag war anstrengend gewesen, da wollte er sich nicht auch noch mit den Querelen seiner Frau belasten.
Lieselotte war ein überaus pedantischer Mensch, alles musste seine Ordnung haben. Das Personal führte sie mit strenger Hand, und ihr gesellschaftliches Leben organisierte sie mit der Strategie eines Feldwebels.
Und jetzt brachte ein aufmüpfiger kleiner Junge ihre sorgsame Planung durcheinander. Doch statt dem Kind, das den plötzlichen Tod der Mutter noch nicht überwunden hatte und entsprechend traumatisiert war, Wärme und Liebe zu vermitteln, versuchte sie, es in die strengen Regeln ihres straff geführten Haushalts einzugliedern.
Kein Wunder, dass der Bub dagegen aufbegehrte, nachdem er bei der alleinerziehenden Mutter ein gewisses Maß an Freiheit genossen hatte und entsprechend selbstständig war.
Manchmal schloss sich Felix stundenlang in seinem Zimmer ein und war mit keinen noch so einfühlsamen Worten hervorzulocken. Trotzdem musste man Verständnis für seine verstörte, kindliche Seele aufbringen und durfte ihn nicht ständig schelten.
Klaus stöhnte. Er war leider viel zu selten zu Hause, um Felix eine Stütze zu sein, und Lieselotte war mit dem Buben hoffnungslos überfordert. Sie hatte nie Kinder gewollt, er hingegen schon.
Als Felix so unerwartet in ihr Leben getreten war, hatte er gehofft, dass seine Frau nun mütterliche Gefühle entwickeln und ihr Zuhause endlich ein Hort der Wärme und Geborgenheit werden würde. Doch inzwischen sah er ein, dass es falsch gewesen war, den Buben gegen ihren Willen bei sich aufzunehmen.
»Vielleicht sollten wir ein Kindermädchen einstellen, das sich um Felix kümmert«, schlug er vor. Er hatte den Jungen gern und wollte ihn nicht mehr hergeben.
»Das würde auch nichts bringen«, stieß Lieselotte hervor und ließ sich aufs Sofa fallen. »Felix hasst mich, deshalb sinnt er ständig auf irgendwelchen Blödsinn, mit dem er mich ärgern kann. Auch die Köchin beschwert sich schon über den Bengel. Neulich hat er Zucker ins Salzfass getan, worauf sie ...«
»Wir waren doch alle mal Kinder und haben Streiche ausgeheckt«, unterbrach Klaus seine Frau unwirsch. Er hob den Kopf und blitzte sie vorwurfsvoll an. »Würdest du Felix nur einen kleinen Teil der Zuneigung entgegenbringen, wie du sie deinen verhätschelten Hunden angedeihen lässt, würdest du sicher besser mit ihm auskommen. Er ist ein lieber Bub und nur durch den Tod seiner Mutter aus der Bahn geworfen.«
Er lehnte sich zurück und schlug nun einen versöhnlicheren Ton an.
»Gib ihm Zeit, den Schicksalsschlag zu verkraften, und maßregele ihn nicht immerzu. Dann wird er bestimmt zugänglicher. Es schadet auch nichts, wenn du ihn mal in die Arme nimmst und seine Tränen trocknest.«
»Er weint nicht«, gab Lieselotte mürrisch zurück. Sie warf die Hände in die Luft. »Gott, ich habe nie Kinder gewollt, warum wird mir jetzt der Bub aufgedrängt!« Sie beruhigte sich wieder und atmete tief durch, ehe sie fortfuhr. »Ich glaube, es ist das Beste, wenn der Kleine zu Pflegeeltern oder vielleicht in ein Kinderheim kommt. Dort hat er Spielkameraden. Hier bei uns ist es doch viel zu öde und einsam für ihn.«
Klaus zögerte. Er hatte selbst schon darüber nachgedacht, ob Felix bei liebevollen Pflegeeltern nicht besser aufgehoben wäre als in ihrem sterilen Haushalt mit der unfähigen Tante als Bezugsperson.
»Ich setze mich mit dem Jugendamt in Verbindung und bitte darum, den Buben woanders unterzubringen«, willigte Klaus widerstrebend ein. »Es ist ohnehin eine Probezeit vereinbart, um zu prüfen, ob wir und Felix miteinander harmonieren. Man wird verstehen, dass wir aufgrund unserer mangelnden Erfahrung mit Kindern mit dem traumatisierten Buben überfordert sind.«
***
Skeptisch beäugte Felix den tristen Bau, der ein Kinderheim sein sollte. Das Haus war alles andere als vertrauenerweckend.
»Das Heim hat einen guten Ruf, du wirst dich hier wohlfühlen«, flötete Tante Lotti, die ihm seine Zweifel ansah. »Außerdem ...«
»Selbstverständlich verbringst du alle Ferien und so manches Wochenende bei uns«, fiel Klaus seiner Frau barsch ins Wort.
Es gefiel ihm nicht, Felix in diesem unpersönlichen, alten Kasten unterbringen zu müssen mit einer noch unpersönlicheren, strengen Heimleiterin. Doch im Moment gab es keine Pflegefamilie, die ihn aufnehmen könnte, und Heimplätze waren ebenfalls rar.
Die Sozialarbeiterin vom Jugendamt hatte ihnen versichert, dass der äußere Eindruck des Waisenhauses täuschte. Es sei sehr heimelig und Frau Magdalena Fischer eine erfahrene Erzieherin, die nur das Wohl ihrer Schützlinge im Auge hatte.
Das bezweifelte Klaus, da ihm die Frau absolut unsympathisch war. Aber er hatte keine Wahl. Schon morgen musste er geschäftlich verreisen, und Lieselotte weigerte sich strikt, das ungezogene Kind noch länger unter ihrem Dach zu dulden.
Felix hatte ihr erneut einen Streich gespielt, den sie ihm diesmal nicht verzieh. Er hatte ihre heißgeliebte Angora-Jacke in einen Sack für die Kleidersammlung gesteckt, der noch am selben Tag abgeholt worden war.
Magdalena Fischer erwartete sie schon in ihrem Büro. Sie begrüßte das Ehepaar, dann lächelte sie Felix zu.
»Du kannst mich Frau Lena nennen, das tun alle«, sagte sie freundlich.
Felix schluckte nervös. Das Lächeln der Frau war so falsch, dass es ihm kalt über den Rücken lief. Er seufzte leise. Eigentlich ging jetzt sein Wunsch in Erfüllung. Er musste nicht länger in der kalten Villa leben und würde endlich Spielkameraden haben. Doch angesichts dieses tristen Gemäuers und der verkniffenen Heimleiterin zweifelte er, ob er sich hier wohlfühlen würde. Hoffentlich waren wenigstens die Kinder nett.
»Ich versichere Ihnen, dass Ihr Ziehsohn bei uns gut aufgehoben ist«, beendete Frau Lena das Gespräch mit dem Ehepaar Kramer und erhob sich. »Natürlich können Sie ihn jederzeit besuchen.«
Lieselotte schlug das Gewissen. Sie ging zu Felix und strich ihm liebevoll übers Haar, was sie bisher nie getan hatte. Entsprechend verdutzt blickte er zu ihr auf, was ihr Schuldgefühl noch steigerte.
»Du verstehst doch sicher, dass es mit uns beiden keinen Sinn mehr hat«, sagte sie heiser. »Wir kommen einfach nicht miteinander klar. Außerdem ist es nicht gut, wenn ein Kind allein aufwächst. Hier hast du Gesellschaft und kannst Freundschaften schließen.« Sie lächelte tröstend. »Wahrscheinlich gefällt es dir hier sogar besser als bei uns zu Hause.«
»Ich komme schon zurecht«, murmelte Felix und vergoss dann doch eine Träne, als ihn Onkel Klaus in die Arme nahm.
»Wir besuchen dich, wann immer es möglich ist«, versprach der große Mann. »Wie gesagt, wenn ich zu Hause bin, kannst du auch mal ein Wochenende bei uns verbringen.«