Der Bergdoktor 2105 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2105 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Sind es nur kalte Füße oder berechtigte Zweifel? Keine sechs Wochen sind es noch bis zu ihrer Hochzeit. Doch je näher der große Tag rückt, umso nervöser wird Josie. Ihre Vorfreude? Wie weggeblasen! Nachts findet sie keine Ruhe, wälzt sich grübelnd umher und gesteht sich endlich ein: Etwas stimmt nicht.
Anfangs waren sie so verliebt, aber nun sehen sie sich kaum noch. Hannes arbeitet sechzig Stunden die Woche. Mit seiner Karriere geht es steil nach oben. Und mit dem Erfolg steigen seine Ansprüche. Spontane Picknicks im Park? Vorbei! Romantische Spaziergänge? Bloß nicht! Wenn sie ihn darauf anspricht, winkt er ab.
Josie strengt sich an, um die Frau zu sein, die er will und braucht, aber sie hat immer öfter das Gefühl zu scheitern. Er bringt das Geld nach Hause, und er bestimmt.
Da ruft ein Notfall sie nach St. Christoph. Ihre Tante, die dort eine kleine Töpferei betreibt, hat einen Schwächeanfall erlitten und braucht für eine Weile Unterstützung. Josie lässt alles stehen und liegen und macht sich ohne Hannes‘ Einverständnis auf den Weg ins Zillertal ...


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Seitenzahl: 127

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Das Geschenk der Töpferin

Vorschau

Impressum

Das Geschenk der Töpferin

Warum sie das einfache Leben in St. Christoph so glücklich machte

Von Andreas Kufsteiner

Sind es nur kalte Füße oder berechtigte Zweifel? Keine sechs Wochen sind es noch bis zu ihrer Hochzeit. Doch je näher der große Tag rückt, umso nervöser wird Josie. Ihre Vorfreude? Wie weggeblasen! Nachts findet sie keine Ruhe, wälzt sich grübelnd umher und gesteht sich endlich ein: Etwas stimmt nicht.

Anfangs waren sie so verliebt, aber nun sehen sie sich kaum noch. Hannes arbeitet sechzig Stunden die Woche. Mit seiner Karriere geht es steil nach oben. Und mit dem Erfolg steigen seine Ansprüche. Spontane Picknicks im Park? Vorbei! Romantische Spaziergänge? Bloß nicht! Wenn sie ihn darauf anspricht, winkt er ab.

Josie strengt sich an, um die Frau zu sein, die er will und braucht, aber sie hat immer öfter das Gefühl zu scheitern. Er bringt das Geld nach Hause, und er bestimmt.

Da ruft ein Notfall sie nach St. Christoph. Ihre Tante, die dort eine kleine Töpferei betreibt, hat einen Schwächeanfall erlitten und braucht für eine Weile Unterstützung. Josie lässt alles stehen und liegen und macht sich ohne Hannes' Einverständnis auf den Weg ins Zillertal ...

Der Duft von Zimt und Kardamom zog durch das Doktorhaus. Warm und heimelig wie eine Umarmung. In der Küche war der Ofen angeheizt, und mehrere Backbleche bogen sich bereits unter liebevoll aufgereihten Keksen.

Vor den Fenstern wirbelten die Schneeflocken wie im Inneren einer Schneekugel, die jemand tüchtig geschüttet hatte. Das Weiß türmte sich auf den Fensterbrettern und im Garten. Die Sitzbank war längst darunter verschwunden. Lediglich das Futterhäuschen für die Vögel ragte noch aus dem Schnee auf. Hinter dem Gartenzaun grüßte ein Schneemann die Passanten. Um den Hals trug er einen bunt geringelten Schal, dessen Enden im Wind flatterten.

»Mei, es hört einfach net auf zu schneien.« Zenzi Bachhuber rollte das Nudelholz über den Teig und seufzte leise dabei. »Hoffentlich kommt der Martin wohlbehalten heim. Bei diesem Wetter werden die Straßen bald wieder zugeweht sein.«

»Der Räumdienst ist bestimmt unterwegs und tut, was er kann, um die Straßen frei zu halten.« Irmi Prankl angelte die Tüte mit den Kokosraspeln.

»Freilich, aber sie können net überall gleichzeitig sein. Und der Martin musste zum Hausbesuch auf den Spindler-Hof.«

»Ausgerechnet dort hinauf? Mei, der Hof liegt wirklich weit ab von jeder gut befahrbaren Straße. Dorthin ist es schon im Sommer eine abenteuerliche Fahrt.«

»Eben.« Zenzi richtete sich auf. Seit über vierzig Jahren war sie bereits die Wirtschafterin im Doktorhaus, zuerst unter dem alten Doktor und nun unter dem jungen. Sie kümmerte sich darum, dass es allen gut ging, und sie liebte die Familie wie ihre eigene.

»So oft, wie unser Doktor zu Notfalleinsätzen ausrücken muss, kennt er sich bestens aus«, tröstete Irmi sie. »Ich bin mir sicher, er weiß sich vorzusehen.«

Dankbar für diese Worte warf Zenzi ihrer Besucherin ein Lächeln zu. Sie teilten ihre Freude am Backen und waren seit vielen Jahren befreundet.

Irmi hatte sich eine kleine Töpferei am Waldrand aufgebaut. Verheiratet war sie nie gewesen.

»Es hat sich net ergeben«, sagte sie, wenn man sie danach fragte.

Zenzi jedoch wusste, dass sich hinter den schlichten Worten eine traurige Geschichte verbarg. Als junge Frau war Irmi einmal verlobt gewesen. Wenige Tage vor der Hochzeit hatte ihr Verlobter mit seinem Rückepferd bei Holzarbeiten im Wald gearbeitet. Ein umstürzender Baum hatte ihn getroffen und so schwer verletzt, dass er wenige Nächte später gestorben war. Irmi war bis zuletzt bei ihm geblieben. Nach seinem Tod hatte sie viele Verehrer gehabt, aber keinen anderen Mann mehr angeschaut.

Wieder schweifte Zenzis Blick aus dem Fenster. Die Wolkentürme verhießen anhaltende Schneefälle.

Eine leise Unruhe schlich sich in ihr Herz. Der viele Schnee machte die Straßen tückisch, und die Verwehungen hatten schon so manchen Autofahrer stundenlang in der eisigen Kälte festgehalten. Hoffentlich kam der Doktor bald heim!

Im Haus war es still. Die Kinder schliefen bereits, ebenso wie ihre Mutter. Sabine setzte eine fiebrige Erkältung zu, deshalb war sie früh zu Bett gegangen.

Zenzi hatte ihr vor einer halben Stunde einen Becher mit Tee gebracht. In das Getränk hatte sie einen Löffel voll Hustensirup gegeben – hergestellt nach einem Rezept ihrer Großmutter. Dafür höhlte sie einen Winterrettich aus, stellte ihn in ein Glas und stach ein Loch hinein. Dann füllte sie ihn mit Kandiszucker. Über Nacht verflüssigte sich der Zucker und löste die heilenden Stoffe aus dem Rettich.

Der Küchenwecker klingelte und verriet, dass der erste Schwung Kekse fertig war.

Zenzi schlüpfte in ein Paar Ofenhandschuhe, holte die beiden Backbleche aus dem Ofen und stellte sie zum Abkühlen auf den grob gezimmerten Küchentisch. Draußen rüttelte der Sturm an den Fensterläden wie ein ungebetener Gast, der hereingelassen werden wollte. Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf.

Das Doktorhaus stand im Schutz uralter Kiefern. Nur einen Steinwurf entfernt begann der dichte Wald, der sich um den Fuß des Hexensteins schmiegte. Folgte man der Gasse in die andere Richtung, stieß man nach wenigen Minuten auf die weiße Dorfkirche mit dem Zwiebelturm.

St. Christoph war ein kleines Dorf in einem hoch gelegenen Seitenarm des Zillertals, umgeben von tief verschneiten Bergen und nur über eine einzige Serpentinenstraße mit dem Tal verbunden. Dreimal am Tag fuhr ein Bus hinunter nach Mayrhofen. Heroben achtete man aufeinander. Regelmäßig wurde ein Kirchenbasar veranstaltet.

Der Erlös floss dorthin, wo er gerade am nötigsten gebraucht wurde. Diesmal war er für den Thanner-Bauern gedacht. Der Landwirt hatte sich das Bein gebrochen und musste einen Knecht einstellen, der ihn für eine Weile vertrat. Mit seinen drei kleinen Kindern reichten seine Mittel dafür kaum aus, deshalb wollte die Gemeinde die Familie unterstützen.

»Herrje, ist das eine Kälte da draußen!« Schnaufend und prustend stapfte Pankraz Burger herein. Der Siebenundsiebzigjährige war von der Wollmütze bis zu den Stiefeln mit Schnee bedeckt. Als junger Mann hatte er die Landarztpraxis gegründet, sich jedoch vor einigen Jahren zur Ruhe gesetzt. Er schrieb an einer Chronik des Zillertals und sprang in der Praxis ein, wenn mehr Hände gebraucht wurden. Nun klopfte er sich den Schnee vom Parka, was ihm einen strafenden Blick von Zenzi einbrachte.

»Doch net hier in der Küche!«, mahnte sie.

»Bin gleich wieder weg.« Pankraz verzog zerknirscht das Gesicht. »Ich hab einmal rings um das Haus den Schnee weggeschaufelt, und so, wie es weiterschneit, könnte ich schon wieder von vorn anfangen. Die Auffahrt kann ich nimmer lange frei halten. Wenn Martin net bald heimkommt, sehe ich schwarz.« Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Sagt mal, was riecht denn hier so gut?«

»Wir haben Plätzchen für den Basar gebacken.«

»Ah, ich sehe schon. Mei, die sehen großartig aus. Ich sollte sie einmal kosten.«

»Haben Sie net nach dem Abendessen behauptet, Sie wären satt?«

»Ach, das ist schon über eine Stunde her. Außerdem hat man für ein Plätzchen immer noch ein Plätzchen im Magen frei.« Ein Lächeln huschte über das faltige Gesicht des Großvaters.

Zenzi warf einen bezeichnenden Blick auf sein Bäuchlein, das sich unter dem Parka abzeichnete, ließ sich jedoch erweichen und häufte ihm einen Stapel Kekse auf einen Teller, der mit einem hübschen Blumenmuster verziert war.

»Danke dir, Zenzi.« Der alte Landarzt zwinkerte ihr zu. »Ich werde mich in mein Kabinettl zurückziehen. Mit etwas Glück habe ich den Anfang meiner Lieblingsserie noch net verpasst. Später drehe ich noch eine Runde mit der Schneeschaufel, sonst kommen wir morgen früh net einmal mehr vor die Tür.« Seinen Teller an sich gedrückt, verließ er die Küche. Zurück blieb nur eine kleine Pfütze Schmelzwasser.

Zenzi putzte sie flink weg.

Als sie wieder hochschaute, klammerte sich ihre Besucherin gerade mit kalkweißem Gesicht an den Küchentisch. Dabei schwankte sie wie ein Blatt im Wind.

»Irmi?« Alarmiert machte Zenzi einen Schritt vor. »Ist alles in Ordnung?«

»Aber ja.« Irmi lächelte matt.

»Bist du sicher? Du bist so blass wie der frisch gefallene Schnee da draußen.«

»Nur eine kurze Schwindelattacke. Halb so schlimm. Hab ich öfter mal.«

»Das wusste ich net. Warst du damit schon bei unserem Doktor?«

»Nein, damit muss ich ihn net behelligen. Das ist das Alter, dagegen hat net mal unser Bergdoktor ein Rezept.«

»Da bin ich mir net so sicher. Schwindel kann alle möglichen Ursachen haben. Du solltest das wirklich abklären lassen.«

»Mir fehlt nix. Ehrlich.« Irmis Blick flackerte kurz, als würde ihr noch etwas auf der Zunge liegen, das sie nicht aussprechen mochte. Dann beugte sie sich wieder über ihr Backblech und verzierte die Kekse mit Kokosraspeln.

»Du kannst unserem Doktor vertrauen«, machte Zenzi noch einen Versuch.

»Das weiß ich doch, aber es gibt nix, das er für mich tun könnte. Ich schlafe in letzter Zeit einfach net gut, weißt du? Mir geht so viel im Kopf herum. Meine Nichte wird bald heiraten.«

»Den Hannes, nicht wahr? Den Millionär?«

»Ob er Millionär ist, weiß ich net, aber er hat ein Vermögen mit seiner Internetapotheke gemacht, soviel steht fest.«

»Dann ist er also eine gute Partie.«

»So scheint es wenigstens.«

»Du klingst net überzeugt.« Zenzi horchte auf. »Stimmt etwas mit ihm net?«

»Wenn ich das wüsste. Kurz, nachdem sie sich kennengelernt hatten, war Josie am Telefon immer so überschwänglich. Sie hat mir erzählt, was sie alles zusammen unternommen haben, und sie wirkte rundum glücklich. So ist es schon lange nimmer. Im Gegenteil. Wenn ich sie nach der Hochzeit frage, wird sie ganz still. Sie scheint sich gar net auf den großen Tag zu freuen.«

»Eine Heirat ist ein Riesenschritt. Der kann einen schon einschüchtern.«

»Und wenn mehr dahintersteckt? Ich habe Angst, dass er sie net glücklich macht. Was, wenn diese Hochzeit ein Riesenfehler ist? Wenn sie ihn gar net heiraten will und nur net weiß, wie sie es beenden soll?«

»Hast du sie danach gefragt?«

»Das habe ich versucht, aber sie ist mir ausgewichen. Sie kommt auch nimmer so oft her wie früher. Ihr letzter Besuch ist Monate her.« Irmi zog die Schultern hoch. »Ich weiß vieles nimmer aus ihrem Leben. Dabei wünsche mir so sehr, dass es ihr gut geht.«

»Wenn sie net mit dir darüber sprechen will, kannst du nichts tun, Irmi. Wir können unsere Lieben net immer beschützen. Manchmal müssen wir sie ihre eigenen Erfahrungen sammeln lassen.«

»Und wenn es schiefgeht?«

»Dann können wir da sein und sie auffangen. Ich bin sicher, deine Nichte weiß, dass sie jederzeit zu dir kommen kann.« Zenzi strich ihrer Freundin tröstend über den Arm. »Josie ist eine junge Braut. Womöglich ist sie einfach nur aufgeregt.«

»Hoffentlich liegt es nur daran«, murmelte Irmi sorgenvoll. »Eines weiß ich jedenfalls: Wenn Hannes sie enttäuscht, dann bekommt er es mit mir zu tun!«

»Net nur mit dir«, versicherte Zenzi sanft. »Alle hier im Dorf haben Josie gern. Er tut gut daran, sie net zu verletzen, sonst macht er sich hier keine Freunde ...«

***

Auch über München fegte in dieser Nacht ein Sturmtief hinweg. Es brachte bitterkalte Temperaturen und reichlich Neuschnee mit.

Josie saß daheim in ihrer Schreibecke. Wann immer sie hochblickte, schweifte ihr Blick aus dem Fenster in das wirbelnde Schneetreiben. Hinter dem Flockenwirbel verschwamm alles, selbst die Lichter der Straßenlaternen waren kaum zu erkennen.

Auf dem Fensterbrett häufte sich der Schnee, und die kleine Seitenstraße, in der sie lebte, schien vom Winterdienst aufgegeben worden zu sein. Der Asphalt war längst unter einer dicken weißen Schicht verschwunden. Die Autos am Fahrbahnrand trugen weiße Hauben und waren nicht mehr voneinander zu unterscheiden.

Josie bewohnte mit ihrem Verlobten ein geräumiges Loft am Rande von München. Das Gebäude war früher einmal eine Schokoladenfabrik gewesen und hatte jahrelang leer gestanden, ehe eine Gruppe von Investoren es gekauft und von Grund auf saniert hatte. Vor einem Jahr waren die ebenso exklusiven wie teuren Wohnungen verkauft worden. Ihr Verlobter war einer der Glücklichen gewesen, der eine der begehrten Immobilien erwerben konnte.

Ihre Arbeitsecke war mit einem Paravent vom Rest des Lofts abgetrennt, sodass sie auch frühmorgens arbeiten konnte, ohne den Schlaf ihres Verlobten zu stören.

An diesem Abend war Hannes noch nicht daheim, und Josie war auch nicht mehr mit einem Auftrag beschäftigt, sondern mit der Sitzordnung für ihre Hochzeitsfeier.

Es mussten einhundertvierzig Gäste so platziert werden, dass sich alle wohlfühlten und niemand das Fest neben jemandem verbringen musste, den er nicht mochte.

Josie hatte an ihrem Computer Listen mit Tischen und Plätzen erstellt, schnitt Namen über das Programm aus und fügte sie neu ein und stellte plötzlich erschrocken fest, dass sie drei Stühle zu wenig hatte.

Das konnte doch nicht sein! Vorhin hatte die Anzahl noch gestimmt!

Sie rief eine frühere Version der Tischordnung auf und vertiefte sich darin.

Richtig, der Cousin ihres Mannes und seine Frau lebten gerade getrennt und wussten nicht, ob sie sich wieder versöhnen würden. Vermutlich nicht, wenn man bedachte, dass er sich mit seiner neuen Flamme angekündigt hatte. Es war ausgeschlossen, das Ehepaar an einem Tisch zu platzieren, deshalb hatte sie die drei noch einmal rausgenommen.

Wohin nun mit ihnen?

Josie starrte grübelnd auf den Monitor, bis die Namen vor ihren Augen verschwammen. Nicht zum ersten Mal änderte sie die Sitzordnung. Auch nicht zum zweiten Mal. Nein. Zum elften Mal arbeitete sie daran.

Das kam ihr selber plötzlich seltsam vor.

Als würde sie sich daran festhalten, um nicht über etwas anderes nachdenken zu müssen. Über ihren Verlobten zum Beispiel. Oder über die Frage, wann sie das letzte Mal miteinander geredet hatten. Nicht nur über Zettel auf dem Küchentisch oder flüchtige Nachrichten auf dem Handy. Nein. Wirklich geredet. Wie früher. Über alles.

Sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern ...

Hannes hatte eine Internetapotheke aus dem Boden gestampft und zum Erfolg geführt. Sie hatten sich kennengelernt, als das kaum mehr als sein Traum gewesen war. Josie hatte ihn unterstützt und ermutigt, und manchmal fragte sie sich nun, ob sie das auch getan hätte, wenn sie damals schon gewusst hätte, dass er eines Tages fünfzig, sechzig Stunden die Woche arbeiten würde und dass sie mehr mit seiner persönlichen Assistentin sprechen würde als mit ihm.

Ich bin undankbar, schalt sie sich selbst. Wir lieben uns, und wir müssen uns keine Sorgen um das Finanzielle machen. Net jeder hat es so gut wie wir. Wir können in die feinsten Restaurants zum Essen gehen und übers Wochenende nach Venedig oder Berlin reisen, wenn uns danach ist. Mit Chauffeur und jeglichem Luxus. Das ist doch großartig, oder etwa net?

Bei diesem Gedanken schien sich ein bleiernes Gewicht auf sie zu legen.

Nach außen hin führten sie ein wunderbares Leben, aber im Herzen empfand Josie es nicht mehr so. Nicht nur, dass Hannes kaum noch Zeit für ein gemeinsames Essen mit ihr fand, nein, die Spontaneität, die sie früher so geliebt hatte, war verloren. Nun musste alles sorgfältig durchgeplant sein, und das am besten schon Wochen im Voraus.

Mit der Karriere ihres Verlobten war es steil nach oben gegangen. Und damit waren seine Ansprüche gestiegen. Josie vermisste die spontanen Picknicks im Englischen Garten – auf einer Decke, mit schnell gezauberten Salaten und Wein. Wie nah waren sie sich damals gewesen! Ebenso wie bei den romantischen Spaziergängen am Ufer der Isar. Dazu waren sie lange nicht mehr gekommen.

Ein leises Seufzen entfuhr ihr. Kam es ihr nur so vor, oder entfernten sie sich immer weiter voneinander?