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Es wird Advent in St. Christoph - endlich! Vorbei sind die grauen Novembertage, die Kerzen verbreiten wieder ihr warmes Licht, und überall bereitet man sich auf das schönste Fest des Jahres vor: Weihnachten.
Eine Überraschung gibt es auch schon, denn die ersten Flocken fallen ins Tal, obwohl vorerst noch mildes Wetter angesagt war. Alles sieht nach einem Wintermärchen aus.
Doch wenige Tage nach dem ersten Advent bricht eine eisige Kälte herein, ein Temperatursturz, mit dem niemand gerechnet hat. Dennoch lässt sich Pfarrer Roseder nicht davon abhalten, des Nachts hinauszugehen und in der stillen Pfarrkirche ganz allein zu beten. Frieden zur Weihnachtszeit und Freude für alle, das ist sein Anliegen.
Doch wer ist dieser Mann, der ihm in der bitterkalten Nacht begegnet und der schließlich auf den Stufen vor der Kirche zusammenbricht? Auf Fragen kann er nicht antworten, denn er scheint am Ende seiner Kräfte zu sein und sich sogar in Lebensgefahr zu befinden.
Pfarrer Roseder kann nichts anderes tun, als so schnell wie möglich Dr. Burger um Hilfe zu bitten. Mitten in der Nacht, im Licht der Wintersterne, nimmt das Schicksal seinen Lauf ...
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Seitenzahl: 103
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Gefährlicher Temperatursturz!
Vorschau
Impressum
Gefährlicher Temperatursturz!
Warum treibt sich der Fremde bei diesen Minusgraden draußen herum?
Von Andreas Kufsteiner
Advent in St. Christoph – endlich! Vorbei sind die grauen Novembertage, die Kerzen verbreiten wieder ihr warmes Licht, und überall bereitet man sich auf das schönste Fest des Jahres vor: Weihnachten.
Eine Überraschung gibt es auch schon, denn die ersten Flocken fallen ins Tal, obwohl vorerst noch mildes Wetter angesagt war. Alles sieht nach einem Wintermärchen aus.
Doch wenige Tage nach dem ersten Advent bricht eine eisige Kälte herein, ein Temperatursturz, mit dem niemand gerechnet hat. Dennoch lässt sich Pfarrer Roseder nicht davon abhalten, des Nachts hinauszugehen und in der stillen Pfarrkirche ganz allein zu beten. Frieden zur Weihnachtszeit und Freude für alle, das ist sein Anliegen.
Doch wer ist dieser Mann, der ihm in der bitterkalten Nacht begegnet und der schließlich auf den Stufen vor der Kirche zusammenbricht? Auf Fragen kann der Fremde nicht antworten, denn er scheint am Ende seiner Kräfte zu sein und sich sogar in Lebensgefahr zu befinden.
Pfarrer Roseder kann nichts anderes tun, als so schnell wie möglich Dr. Burger um Hilfe zu bitten. Mitten in der Nacht, im Licht der Wintersterne, nimmt das Schicksal seinen Lauf ...
Wenn etwas die düsteren Novembertage erhellen konnte, dann war es die Vorfreude auf die Adventszeit.
Bald würde der Nebel über den Wiesen den Schneeflocken weichen, die Berge und Tal in ein weißes Paradies verwandelten.
Noch war es grau, feucht und windig, oft regnete es von früh bis spät und auch noch nachts, sodass morgens die Gummistiefel zum Einsatz kamen.
Aber es stand fest, dass der Winter demnächst Einzug halten würde – und damit auch Weihnachten, das schönste Fest im ganzen Jahr. Vielleicht dachten nicht alle so, ganz bestimmt aber die Doktorskinder aus der Kirchgasse.
Über dem Klingelschild »Familie Dr. Burger« prangte bereits ein verfrühtes Sternchen, das die Kinder dort befestigt hatten. Ein weiteres Sternchen mit Pfotenabdruck zierte ein kleines, von Tessa und Filli gebasteltes Extra-Schild: »Poldi Burger«
Tessa, acht Jahre alt, ihr drei Jahre jünger Bruder Filli und Klein-Laura, zweieinhalb, wünschten sich die Zeit leuchtender Kerzen, goldener Glöckchen und köstlicher Düfte aus der Küche sehnlichst herbei. Ungefähr Mitte November wurden ganz bestimmte Lebkuchen gebacken, die ein Weilchen »durchziehen« mussten und erst einmal in Dosen aufbewahrt wurden, genauso wie das Kletzenbrot.
Für diese speziellen Gebäcke war die Zenzi zuständig, die nun schon vierzig Jahre im Doktorhaus für »ihre« Familie alles tat, was in ihren Kräften stand. Das Rezept für ihr Kletzenbrot war absolut geheim. Es stand in einem uralten Zillertaler Backbuch, das sie niemandem zeigte und das sie wie ihren Augapfel hütete.
»Es ist anscheinend älter als die Erschaffung der Welt«, scherzte der Senior gern und erntete dann einen missbilligenden Blick.
»Das Buch stammt von meiner Urahnl, Herr Doktor, mehr verrate ich Ihnen eh net.«
Besonders beliebt waren allerdings jene Plätzchen, die man ohne lange Wartezeit genießen konnte.
Davon gab es zum Glück eine ganze Menge! Sabine Burger hatte den Kindern versprochen, heuer »Wiener Herzen« zu backen, die man schon nach dem Erkalten wenigstens probieren konnte.
»Wir helfen der Mama beim Herzerln backen, Papa«, verkündete Tessa beim Abendessen, das ausnahmsweise einmal pünktlich stattfand. Meistens musste man nämlich auf Papa warten, weil er immer noch etwas Dringendes in der Praxis erledigen musste.
»Du darfst zwischendurch mal den Teig kosten«, setzte Tessa hinzu. »Aber nur ganz wenig.«
»Da freu ich mich aber«, bedankte sich Dr. Burger, »großartig. Ich werd mich bemühen, mit einer Messerspitze als Kostprobe vorlieb zu nehmen. Herzen mag ich übrigens immer. Eine Spezialität aus Wien gehört unbedingt in den Advent. Schön süß und mit Vanillezucker. Ich weiß net, warum – aber in diesem Jahr hab ich eine Schwäche für alles, was nach Vanille schmeckt.«
Sabine, Dr. med. wie ihr Mann, musste lachen.
»Du wirst doch net zum Süßschnabel werden? Lass dich von den Wiener Herzen überraschen, Martin. Ich hoffe, dass sie süß genug sind. Aber du weißt ja, dass die waschechten Wiener und Wienerinnen, zu denen ich ja auch gehöre, net am Zucker sparen. Denk mal an die vielen Mehlspeisen, an die gefüllten Germknödel mit Mohn und Streuzucker, an den echten Wiener Kaiserschmarrn mit Weinbeeren, der mit Puderzucker bestäubt wird – und das nicht zu knapp! Cremeschnitten, Baisertörtchen, Nougatwaffeln, Eclairs mit Schokosahne gefüllt, ganz zu schweigen von der Königin unserer Wiener Torten, der Sachertorte.«
»Hör auf, Liebes, mir wird ja ganz schwach zumute«, scherzte der Doktor. »Eigentlich müsste ich mahnend darauf hinweisen, dass all diese Köstlichkeiten ganz und gar nicht so gesund sind wie Salat, Spinat und geraspelte Möhrchen. Eigentlich sind sie ja eine sündhafte, süße Verlockung, der man nicht widerstehen kann. Ist es da ein Wunder, dass ich eine Wienerin geheiratet hab? So eine charmante, unwiderstehliche, hübsche und ...«
»Genug, Martin, werd net albern«, unterbrach ihn Sabine vergnügt. »Was sollen die Kinder denken? Aber zurück zum Thema. Wer will schon immer geraspelte Möhren essen? Oder diese harten Endiviensalat-Blätter? Und das in der Weihnachtszeit? Nein, das muss nicht sein.«
»Redet ihr wirklich von Salat und gelben Rüben?« Die tiefe, aber warme Stimme gehörte dem Senior Dr. Pankraz Burger, für den ein Leben ohne Gaumenfreuden zwar möglich, aber sinnlos war, wie er gern scherzhaft behauptete.
»Schluss damit!«, setzte er hinzu. »Wir haben im Frühling, im Sommer und auch noch im Frühherbst mehr Grünzeug und Gemüse vertilgt als sämtliche Hasen im ganzen Land. Manchmal hab ich mir vorsichtshalber an die Ohren gefasst, um zu prüfen, ob sie vielleicht schon so lang gewachsen waren wie bei den Mümmelmännern. Löffel, so nennt man die Hasenohren. Eine Zierde ist das net! Ganz zu schweigen von den Hasenzähnen, die ja auch net gerade putzig ausschauen. Na ja, vielleicht bei einem niedlichen, kleinen Haserl. Aber bei mir? Ein siebenundsiebzigjähriger Arzt im Ruhestand mit putzigen Hasenzähnchen, will man so was sehen? Bestimmt net – da lachen ja die Hühner!«
Die Kinder kicherten.
Opa war immer lustig, sogar bei diesem grauen Regenwetter (draußen plätscherte es wie ein Regenfass, das ständig überlief) verließ ihn sein Humor nicht. Auch nicht, obwohl er an den trüben Novembertagen oft allein in seinem Kabinettl gesessen und an diejenigen gedacht hatte, deren Gräber er zu Allerheiligen mit frischem Tannengrün, Heidekraut und Silberpflanzen geschmückt hatte.
»Alles winterhart. Aber zum Advent gibt es noch ein hübsches Kranzerl wie jedes Jahr«, hatte er gesagt. Und es war den Kindern so gewesen, als seien seine Augen bei jedem Besuch auf dem Gottesacker feucht geworden.
Manchmal sogar sehr feucht. Dann war die Erinnerung an seine Frau, Papas Mutter, wieder besonders deutlich in ihm aufgestiegen. Bestimmt dachte Opa oft an die Worte, die sie zuletzt gesagt hatte: »Ich will net, dass ihr traurig seid, lebt euer Leben zuversichtlich und froh weiter und denkt daran, dass ich immer bei euch sein werde.«
Die Großmama hatten die Kinder nie kennengelernt, denn sie war gestorben, als der Papa ein Bub von elf Jahren gewesen war. Aber es gab viele Fotos, auf denen sie zu sehen war.
Sehr lieb hatte sie ausgeschaut, hübsch und noch richtig jung, aber sie war ja auch noch gar nicht alt gewesen, als sie für immer gegangen war. Ihr gewinnendes Lächeln hatte sie an Papa vererbt. Daran gab es keinen Zweifel.
Wenn Papa lächelte oder lachte, dann bekam man sehr schnell gute Laune, auch wenn man vorher nörgelig gewesen war. Und Mama schaute ihn dann so an, als sei sie immer noch mächtig verliebt in ihn!
Für Tessa und Filli waren Friedhofsbesuche nicht gar nicht langweilig, obwohl sie still sein mussten und nicht herumhüpfen durften. Und zwar deshalb nicht, weil man den Verstorbenen »Ehre und Achtung« entgegenbringen sollte (das hatte Pfarrer Roseder im Kindergottesdienst gesagt).
Klein-Laura durfte auch mitkommen und sogar dauernd Fragen stellen, zum Beispiel: »Da sind so zöne Engerln, sind sie lebig? Könnse fliegen wie Vogerln?«
Es handelte sich natürlich um Engelfiguren auf den Gräbern, einige waren ziemlich groß und wirkten sehr beeindruckend, weil sie ihre steinernen Flügel schweigend und majestätisch ausbreiteten.
Wenn man Klein-Laura erklärte, dass die Engel natürlich nicht lebendig waren, sondern aus Stein gemeißelt, konnte sie es gar nicht glauben: »Oh, zade! Wo se doch so zön sind!«
Die Tage der November-Besinnung und der melancholischen Stimmung gingen aber ihrem Ende entgegen. Man konnte nun die »Ehre und Achtung« mit gutem Gewissen auf ein normales Maß herunterfahren, was den lieben Verstorbenen ja bestimmt auch recht war.
Jedenfalls waren die Kinder davon überzeugt, dass im Himmel nicht ständig fromme Lieder gesungen wurden und dass sich die Engel nicht immer nur mit den Worten »Habe die Ehre« begrüßten, sondern dass es auch mal locker zuging. Vor allem, wenn die Weihnachtszeit anbrach.
Ein bisschen Glitzern und Leuchten gehörten doch dazu – ganz besonders in den himmlischen Gefilden!
***
Natürlich musste man in punkto Gemütlichkeit nicht auf den Advent warten.
Man konnte es sich auch jetzt schon heimelig machen, abends die Holzscheite und selbst gesammelten Zweige im Kamin anzünden und bei Kerzenlicht ein bisschen träumen.
Dazu gehörte der beliebte Orangen-Holunderpunsch, den der Senior gern mit einem guten Glas Rotwein »veredelte« – für die Kinder natürlich mit dem wunderbaren Kirschsaft aus der Saftkellerei Gründl im Weiler Bergfelden, übrigens ein Traditions-Familienbetrieb in der dritten Generation, derzeit mit zwei Angestellten in der Obsternte-Zeit.
Die Gründls kamen arbeitsmäßig kaum nach. Es gab immer Obst zum Entsaften, vor allem Äpfel brachte man ihnen im Herbst tonnenweise auf den Hof. Wenn Apfelsaft, dann von Gründl!
Man hätte glauben können, dass die sechsköpfige Familie privat kein Glas Saft und kein einziges Obststückerl mehr anrührte.
Aber weit gefehlt! Die fleißigen Gründls waren selbst ihre besten Kunden und mit Vitaminen so gut versorgt, dass sie ein echtes Aushängeschild für ihren Betrieb darstellten.
Die Familie hatte keinerlei Probleme mit einem schwachen Immunsystem. Erkältungen? Schnupfen, Husten, Krächzen? Halsweh? Nicht bei den Gründls! Und ein sonniges Gemüt besaßen sie obendrein, kein Wunder bei all den köstlichen Natursäften.
Abends war jetzt also Entspannung angesagt. In St. Christoph herrschte Ruhe, jedenfalls vorerst.
Nach dem umtriebigen Sommer und den Freuden der goldenen Herbsttage – fantasievoll ausstaffierte Heißluftballons am klaren, blauen Himmel beim Ballonglühen, Bauernmärkte mit Äpfeln, Beeren, Birnen, Nüssen und mit herrlichen Wanderungen durch die bunten Wälder – tat es gut, die Seele baumeln zu lassen und sich nach allem, was das Jahr bisher gebracht hatte, ein wenig auf sich selbst zu besinnen.
Bevor die Weihnachtszeit kam und damit wieder allerlei Umtriebigkeit herrschte, gab es nichts Besseres, als sich – wenn es denn möglich war – zufrieden zurückzulehnen und dem Regen zu lauschen, von dem der November immer genug im Gepäck hatte.
Nicht umsonst wurde dieser Monat, den einige Leute viel zu öde fanden, »der stille Herr November« genannt, der grau gekleidet und schweigsam übers Land und durch die Straßen und Gassen schritt. Manche Leute wussten eben nicht, wie sie ihre Freizeit verbringen sollten, wenn es draußen neblig und nasskalt war – sie langweilten sich, weil sie keine Ideen hatten.
Langweilig war es bei den Burgers allerdings nie. Man hatte jetzt Zeit, in alten Büchern zu schmökern oder nachzuschauen, was sich ganz unten in manchen Schubladen, Schrankfächern und Winkeln angesammelt hatte, um die man sich ansonsten nicht kümmerte.
Es war sicher kein Schatz dabei, aber doch einiges, worüber man sich freute. Wenn es stürmte oder regnete, machte es richtig Spaß, im Haus auf Entdeckungstour zu gehen. Oft stieß man auf Dinge, die man eigentlich ganz und gar vergessen hatte.
Abends gab es im Doktorhaus jetzt immer für jeden eine kleine Portion Lieblingssuppe. Jeder durfte sich wünschen, was vor dem Nachtessen zusätzlich auf den Tisch kommen sollte.
Eine heiße Suppe tat an kalten, dunklen Tagen Körper und Seele gleichermaßen gut. Die Idee zur »Wunsch-Suppe« hatte Sabine Burger gehabt. Heute war eine Tomatensuppe mit gerösteten Brotwürfeln an der Reihe, danach gab es Käsesoufflé aus dem Ofen.
»Also, meine Lieben, uns geht es doch wirklich blendend«, fand Dr. Pankraz Burger. »Wir sitzen in der armen Stube, es ist richtig gemütlich, und außerdem sind unsere Teller immer gefüllt. Dafür sollten wir dankbar sein. Denn das ist alles keine Selbstverständlichkeit. Mir fällt bei dieser Gelegenheit nämlich die Geschichte vom Holzfäller Ambros ein, der mit seiner Familie in einer armseligen Hütte hausen musste. Besonders in der kalten Jahreszeit, wenn es im Wald keine Beeren und Schwammerln mehr gab, hatten diese armen Leut oft nur einen Kanten hartes Brot zu essen.«