Der Bergdoktor 2138 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2138 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Die Skiwanderung sollte ein letztes gemeinsames Abenteuer für die beiden Brüder vom Waldegger-Hof werden - und sie wurde zur Tragödie. All ihre Erfahrung nützte ihnen nichts, als sich die Lawine plötzlich löste, zu Tal donnerte und sie unter sich begrub.
Obwohl die Rettungsmannschaft und auch Dr. Burger schnell am Unglücksort waren, konnten sie erst am nächsten Morgen das erste Opfer bergen. Markus Waldegger war schwer verletzt und stark unterkühlt, doch er lebte!
Dann ging die verzweifelte Suche nach Lorenz weiter. Sowohl modernstes Gerät als auch die altbewährten Lawinensuchhunde kamen zum Einsatz. Vergebens. Lorenz blieb unauffindbar. Vermutlich hatte die Wucht der Lawine ihn in eine unzugängliche Schlucht geschleudert.
Schließlich blieb Dr. Burger nur der schwere Gang zum Waldegger-Hof, um der Familie und Lorenz‘ Verlobten die Hiobsbotschaft zu überbringen ...

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Seitenzahl: 135

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Trauer darf nicht ewig währen

Vorschau

Impressum

Trauer darf nicht ewig währen

Wie Dr. Burger den Menschen auf dem Waldegger-Hof neuen Mut gab

Von Andreas Kufsteiner

Die Skiwanderung sollte ein letztes gemeinsames Abenteuer für die beiden Brüder vom Waldegger-Hof werden – und sie wurde zur Tragödie. All ihre Erfahrung nützte ihnen nichts, als sich die Lawine plötzlich löste, zu Tal donnerte und sie unter sich begrub.

Obwohl die Rettungsmannschaft und auch Dr. Burger schnell am Unglücksort waren, konnten sie erst am nächsten Morgen das erste Opfer bergen. Markus Waldegger war schwer verletzt und stark unterkühlt, doch er lebte!

Dann ging die verzweifelte Suche nach Lorenz weiter. Sowohl modernstes Gerät als auch die altbewährten Lawinensuchhunde kamen zum Einsatz. Vergebens. Lorenz blieb unauffindbar. Vermutlich hatte die Wucht der Lawine ihn in eine unzugängliche Schlucht geschleudert.

Schließlich blieb Dr. Burger nur der schwere Gang zum Waldegger-Hof, um der Familie und Lorenz' Verlobten die Hiobsbotschaft zu überbringen ...

»Was wühlst du denn wie besessen herum? Du wirst doch noch ein Paar passende Socken für dein Mandl finden«, sagte die Altbäuerin vom Mühlenhof kopfschüttelnd zur Leitnerin, die vor einem umfangreichen Korb mit Sonderangeboten – diese Woche waren es Herrensocken –stand.

An diesem Mittag hatten sich wieder etliche Frauen in dem Gemischtwarenladen der Jeggl-Alma eingefunden, wo es immer wieder verlockende Sonderangebote gab. Aber die Bäuerinnen und die Dorffrauen trafen sich nicht nur wegen der günstigen Einkäufe, sondern weil dort alles besprochen wurde, was sich in St. Christoph und Umgebung Neues ereignet hatte. Dr. Martin Burger, genannt der Bergdoktor, bezeichnete den Laden deshalb gelegentlich als »Dorfbrunnen«, wo Klatsch und Tratsch sprudelten, und ein wenig hatte er wohl auch recht damit.

Auch Zenzi Bachhuber, der gute Geist des Doktorhauses, hatte gerade ihre Einkäufe erledigt und beäugte nun die großen runden Gläser, die auf der Theke aufgereiht standen und köstliche Bonbons und Karamellen enthielten. Vielleicht sollte sie den Doktorkindern wieder mal ein Tüterl mit Schokoladenkaramellen mitbringen, auch wenn ihr Vater das überhaupt nicht gerne sah.

Dann aber wurde sie von der Leitnerin abgelenkt, die ein Paar dunkelgraue Socken hochhielt und anklagend ausrief: »Hast du denn nix anderes als diese langweiligen Strümpferln, Alma? Mein Mandl mag lieber etwas Farbenfrohes, weil das die Stimmung aufhellt. Die Socken vom letzten Mal, in leuchtendem Orange, haben ihm wirklich gut gefallen. Schad' nur, dass einer davon in der Waschmaschine verschwunden ist.«

Der Leitnerbauer, um einiges älter als seine Frau, war als ein wortkarger, verdrießlicher Mann bekannt. Seine Angetraute jedoch schienen diese Wesenszüge nicht zu stören, sondern sie hing mit großer Zuneigung an ihm und bedachte ihn mit immer neuen Überraschungen.

Alma, eine herzliche Frau um die sechzig mit rosigen Bäckchen, sah die Leitnerin nachdenklich an, dann zog sie überlegend die Brauen zusammen.

»Warte, ich hab da noch ein Paar. Die sind etwas ganz Besonderes, aber ich muss erst nach hinten gehen«, sagte sie und verschwand in den Untiefen ihres Ladens, dessen Wände mit Regalen bedeckt waren.

Denn bei der Jeggl-Alma gab es einfach alles, von der Küchenbürste bis zu teurem Champagner.

»Ich glaube, ich hab das Richtige für dich und dein Mandl«, verkündete Alma und trat wieder in Erscheinung.

Sie hob ein Paar Socken in grellem Rosa empor, die am Rand mit kleinen Herzchen verziert waren.

Die blassblauen Augen der Leitnerin leuchteten auf.

»Ja, das tät ihm sicher gefallen. Hast du davon noch mehr?«

Alma schüttelte bedauernd den Kopf.

»Das ist ein Einzelpaar. Ich glaub sogar, dass ich es für dich aufgehoben hab.«

Die Leitnerin bezahlte einen erstaunlich geringen Preis für die Socken und verließ mit verklärtem Lächeln den Laden. Und kaum hatten die Frauen begonnen, sich darüber auszulassen, wer seltsamer sei, die Leitnerin oder ihr Mandl, als die Ladenglocke aufschrillte und die Waldegger-Priska eintrat.

Sie war eine jener Frauen, der die reiferen Jahre besonders gut standen. Priska trug gerne frische Farben, in ihr dunkles Haar mischten sich noch keine grauen Strähnen, und ihre Gestalt war schlank und biegsam.

»Ich hab's eilig, Alma, denn wir haben heut noch was zu feiern. Unser Jüngster hat nun auch das Examen bestanden und ist auf dem Weg hierher. Ein Flascherl von deinem Champagner wär' da gerade recht...«

Man gratulierte der glücklichen Mutter, die gleich darauf mit der Flasche in der Hand quer über den Dorfplatz eilte.

»Schön, dass sich nun endlich alles zum Guten gewendet hat. Die Priska hat es wahrhaftig net leicht gehabt mit den beiden«, meinte die Altbäuerin.

Die anderen nickten, nur eine der jüngeren Frauen, die erst kürzlich auf einem Hof eingeheiratet hatte und sich mit den Dorfgeschichten nicht auskannte, fragte neugierig:

»Waren ihre Söhne denn krank?«

»Ein bisserl schon. Ich will damit sagen, dass Markus, der jüngere Sohn, dem Älteren alles geneidet hat. Sie waren ja kaum ein Jahr auseinander, und bald war der Markus viel größer und kräftiger als sein älterer Bruder. Das hat er weidlich ausgenützt und seinen Bruder mehr als einmal verprügelt. Der Gipfel aber war, als er versucht hat, den Lorenz in dem kleinen See in der Nähe des Hofs zu ertränken.«

»Jessas«, rief die junge Frau aus, »da überkommt einen ja das kalte Grausen.«

»Das kannst du laut sagen. In letzter Minute konnte man den Lorenz noch reanimieren, und glücklicherweise hat er auch keinen bleibenden Schaden zurückbehalten. Das war ein Aufruhr damals«, berichtete die Altbäuerin, und die anderen nickten bestätigend.

»Aber später hat sich das Verhältnis doch hoffentlich gebessert?«, wollte die junge Frau wissen.

»Zuerst net. Als Halbwüchsiger hat der Markus damit gehadert, dass sein Bruder den Hof erben sollt' und net er, obwohl er viel besser zum Hofbauer geeignet wäre als der Lorenz, dieser Hänfling, wie er ihn immer genannt hat. Aber inzwischen sind sie ja erwachsen, und wie durch ein Wunder scheinen sie sich nun endlich zu verstehen. Sie unternehmen lange Bergtouren miteinander, beide klettern gern und sind gute Skiläufer. Das scheint sie zu verbinden«, fügte die Altbäuerin noch hinzu.

»Da kann man nur hoffen, dass es auch so bleibt«, meinte die junge Frau trocken und nahm ihren Einkaufskorb auf.

Auch die anderen Frauen verließen den Laden, zuletzt blieb nur noch die Bachhuber-Zenzi übrig, die Busenfreundin Almas.

»Hast du am Abend noch ein bisserl Zeit? Ich hab da neuerdings ein ganz besonderes Likörchen «, lud Alma sie ein.

»Ich tät nur zu gern kommen, aber ich will noch einen Hefeteig ansetzen. In der Schule wird nämlich ein Fest gefeiert, und Tessa hat versprochen, einen Kuchen mitzubringen. Das konnt' ich ihr net abschlagen, denn ihre Mutter, die Frau Doktor, hat viele Talente, aber wenn sie den Backofen aufmacht, dann kommt immer etwas anderes heraus, als sie es sich vorgestellt hat«, berichtete Zenzi.

Die beiden Frauen mussten unwillkürlich lachen.

»Aber so ergänzt ihr euch eben«, meinte Alma.

»Ein wahres Glück, dass der Martin noch einmal geheiratet hat. Wie umgewandelt ist er seitdem, und im Doktorhaus herrscht wieder Leben.«

»Da hast du recht.«

»Am Sonntag hätt' ich mittags Zeit, da könnten wir den Likör verkosten. Aber nur ein oder zwei Stamperln, du weißt ja, dass das sonst net gut ausgeht«, fügte Zenzi vielsagend hinzu.

Zenzi spielte damit auf zwei peinliche Ereignisse nach einer Likörverkostung an. Sie konnte sich bis heute nicht mehr an die Einzelheiten erinnern, jedenfalls war sie zweimal »im Zustand der Volltrunkenheit«, wie der Herr Doktor sich ausgedrückt hatte, durch die Kirchgasse getorkelt und im Doktorhaus auf das Sofa gefallen, wo sie laut schnarchend in einen tiefen Schlaf gesunken war.

Wie enttäuscht er von ihr gewesen war! Und Sorgen hatte er sich auch um sie gemacht, denn dass die Trunksucht unter Frauen immer mehr um sich griff, war längst kein Geheimnis mehr. Danach hatte sie sich geschworen maßzuhalten, um den Verlockungen des Alkohols nicht wieder zu verfallen.

Die Freundinnen verabschiedeten sich herzlich voneinander, und Zenzi eilte durch die Kirchgasse. Die rote Rita, Tessas Freundin, fuhr auf einem Roller haarscharf an ihr vorbei, dass Zenzi zusammenschrak.

»Jessas, Rita, pass doch auf!«

Doch Rita grinste nur frech, und ihre langen roten Locken flatterten um ihr sommersprossiges Gesicht.

»Was sich die Madeln heutzutage alles so herausnehmen«, rief der Besitzer der Roswitha-Apotheke ihr zu und schüttelte den Kopf.

»Ach, sie ist halt nur übermütig«, verteidigte Zenzi das achtjährige Mädchen, obwohl sie sonst immer fand, dass Rita nicht der richtige Umgang für Tessa war.

Schon als sie die Tür des Doktorhauses öffnete, schallte ihr Lärm entgegen, und sie musste unwillkürlich lächeln. Es ging wieder mal hoch her bei den Burgers, gut, dass sie sich nicht länger bei der Alma aufgehalten hatte.

Denn Zenzi vertrat strenge Prinzipien, besonders was die Kindererziehung betraf. Und so rief sie mit lauter Stimme: »Ruhe, sofort!«

Tessa kam ihr in der Diele entgegengerannt, ihre schwarzbraunen Locken, denen sie den Kosenamen »Schneckerl« verdankte, tanzten um ihr reizendes Gesicht mit den großen Brombeeraugen.

Das Mädchen umarmte sie, und Zenzis Herz schmolz sofort dahin.

»Warum macht ihr denn einen solchen Lärm?«

»Bei unserem Schulfest wird ein Märchen aufgeführt, und ich soll die Prinzessin spielen. Aber Filli hat meine Krone versteckt«, stammelte Tessa außer Atem.

Aus dem zweiten Stockwerk erklang ein Kichern, dann kam der fünfjährige Philipp, der aber Filli genannt werden wollte, die Stufen herabgelaufen. Er hatte die blonden Haare und die braunen Augen seiner Mutter geerbt, ein wissbegieriger Junge, aber auch zu Streichen aufgelegt. Er schwenkte ein zierliches silberfarbenes Krönchen in seiner rechten Hand und lachte seine um drei Jahre ältere Schwester an.

»Gib her, sonst bin ich keine Prinzessin!«, rief Tessa aus.

»Du spielst doch auch ohne eine Krone immer die Prinzessin«, gab Filli zurück.

»Ihr zwei gebt jetzt Ruhe, sonst streich' ich den Nachtisch«, sagte Zenzi mit bemühter Strenge.

Das verfehlte seine Wirkung nicht. Filli überreichte seiner Schwester mit einem Knicks die Krone, und die Aufmerksamkeit der beiden Kinder richtete sich nun auf den Inhalt von Zenzis Einkaufskorb.

»Kann es sein, dass du Schokoladenkaramellen für uns gekauft hast?«, fragte Tessa und zog das Tüterl mit spitzen Fingern aus dem Korb.

»Gib her, sofort! Du weißt, dass euer Vater es net erlaubt, dass ihr Süßigkeiten esst, und das mit gutem Grund.«

»Heißt das, du willst das alles für dich allein?« Tessas dunkle Augen waren vorwurfsvoll auf sie gerichtet.

»Nein. Die sind für euch, aber ihr sollt sie nicht alle auf einmal essen, deswegen verstecke ich sie ja auch immer.«

Das Mädchen gab ihr das Tüterl zurück, meinte aber: »Bis jetzt haben wir immer herausgefunden, wo du die Süßigkeiten versteckt hast.«

»Helft der Zenzi jetzt, den Abendbrottisch zu decken. Ich füttere derweilen das Laura-Mauserl, sie ist schon ganz quengelig.«

Sabine Burger war von der Terrasse aus mit der zweijährigen Laura auf dem Arm ins Wohnzimmer getreten. Nesthäkchen Laura war lange Zeit das Sorgenkind der Familie gewesen, doch inzwischen hatte sie sich erholt und war ein gesundes, lebhaftes Mädelchen geworden. Sie hatte auch einen gesunden Appetit entwickelt, und Zenzi beeilte sich, Lauras Brei anzuwärmen.

Und während Sabine wenig später die Kleine fütterte, wurden die Vorbereitungen für das gemeinsame Abendessen getroffen. Im Doktorhaus arbeiteten alle Hand in Hand. So ließen sich der Familien-‍, aber auch der Praxisalltag gut bewältigen.

Für Martin Burger hatte Sabine alles aufgegeben, was vorher ihr Leben ausgemacht hatte. Ihre Karriere als Anästhesistin in einem großen Wiener Krankenhaus, ihre Freunde und Kollegen und nicht zuletzt die kulturellen Angebote und Zerstreuungen der pulsierenden Metropole. Sie war in das abgelegene Bergdorf St. Christoph gezogen, doch wie sie immer wieder beteuerte, hatte sie es keinen Augenblick bereut. Denn ihre Ehe war sehr glücklich geworden, und wenn es notwendig war, brachte sie ihre medizinischem Kenntnisse in der »Mini-Klinik« ein.

»Kommt der Papa pünktlich zum Abendessen?«, wollte Tessa wissen und sah ihre Mutter fragend an.

»Es schaut nicht danach aus. Vorhin hat er angerufen und gesagt, dass es einen Notfall gegeben hätte und wir mit dem Essen nicht auf ihn warten sollen.«

Tessas Augen verdunkelten sich.

»Dabei wär' er heute mit der Gutenachtgeschichte dran gewesen.«

»Der Opa liest euch bestimmt etwas vor.«

Dr. Pankraz Burger, der Vater des Bergdoktors, trat aus seinem Kabinettl, das an den Wohnbereich angrenzte, und fiel seiner Schwiegertochter ins Wort: »Natürlich lese ich euch was vor, wenn euer Vater erst spät nach Hause kommt.«

»Aber es muss etwas richtig Grausliges sein«, verlangte Filli, und in seinen braunen Augen funkelte es.

»Wir werden sehen«, gab Pankraz ausweichend zur Antwort.

Pankraz, ein stattlicher Mann von siebenundsiebzig, dessen gewölbte Körpermitte seine Vorliebe für leibliche Genüsse verriet, schrieb schon seit Jahren an einer Zillertaler Chronik. Er sammelte aus Kirchenbüchern und Archiven Sagen, Märchen und Legenden, manchmal erzählten ihm auch alte Bäuerinnen längst vergessene Geschichten, die immer nur mündlich weitergegeben worden waren. Oft waren diese Schilderungen von großer Grausamkeit und kündeten von einer Zeit, in der die Rechte der Menschen sehr gering geschätzt wurden und sie jede Art von Willkür erleiden mussten.

Eine dieser Sagen hatte Tessa und Filli so in Angst versetzt, dass sie Zuflucht im Bett ihrer Eltern gesucht hatten. Daraufhin durfte Pankraz nur noch harmlose Märchen von geretteten Prinzessinnen und guten Feen vorlesen.

Laura war inzwischen satt und schläfrig, sodass sie zu Bett gebracht wurde. Sabine sang ihr noch ein Gute-Nacht-Lied vor, dann fielen der Kleinen die Augen zu. Auch Tessa und Filli waren bald bereit, sich schlafen zu legen, denn sie hatte lange genug herumgetollt, um müde zu werden. Pankraz las ihnen noch die Geschichte vom heimatlosen Wandersmann vor, der über endlose Landstraßen schritt, allein die Vorstellung versetzte die beiden Kinder schon in einen leichten Dämmerschlaf.

Wie an den meisten Abenden setzte man sich noch im Wohnzimmer gemütlich zusammen, trank ein Glaserl Veltliner und unterhielt sich. Auch Poldi, der treue Rauhaardackel, gesellte sich dazu und ließ sich zu Pankraz' Füßen nieder. Sein Herrchen hatte auch heute nicht vergessen, ihm beim Abendbrot ein Leckerchen unter den Tisch zu reichen.

Früher als erwartet kehrte Martin Burger zurück. Er wirkte erschöpft und abgekämpft, die Haare hingen ihm wirr in die Stirn. Zenzi erhob sich sofort.

»Ich hab eine kleine Brotzeit für dich gerichtet, Martin«, sagte sie und verschwand in der Küche.

Nachdem sich Martin gestärkt und ein Glas Wein entgegengenommen hatte, sank er mit einem Seufzer auf dem Sofa zurück.

»Das war ein schwerer Tag heute«, sagte er. »Die junge Bäuerin vom Mönchshof ist zum ersten Mal niedergekommen. Ich hab ja ausdrücklich gesagt, sie soll im Krankenhaus entbinden, aber man weiß ja, wie die Gebirgler sind. Es ist halt Tradition, dass man auf dem Hof zur Welt kommt und dort auch den letzten Atemzug tut. Die Geburt war so schwierig, dass ich schon befürchtet hab, dass wir die junge Frau verlieren ...«

Die Stimme versagte ihm. Denn das beschwor wieder die schmerzliche Erinnerung an den frühen Tod seiner ersten Frau Christl herauf, die bei der Geburt ihres ersehnten Kindes gestorben war und das Kleine mit in den Tod genommen hatte.

Sabine streichelte liebevoll seine Hand.

»Sei froh, dass alles noch einmal gut gegangen ist, daran musst du jetzt denken«, sagte sie mitfühlend.

Zenzi, die sich ihnen gegenüber in einem ausladenden Sessel niedergelassen hatte, fand nun, dass es an ihr war, Martin abzulenken,

»Heute war ich bei der Jeggl-Alma«, begann sie.

»So, da gab's wohl wieder Klatsch und Tratsch«, unterbrach Martin sie und runzelte die Stirn.

»Ich für meinen Teil tät ganz gern ein bisserl Tratsch hören«, warf Sabine ein und erntete einen vorwurfsvollen Blick ihres Mannes, was sie aber nicht beeindruckte.

»Eigentlich gab's gar nichts Neues, über das man hätte ratschen können. Die Waldeggerbäuerin hat ein Flascherl Champagner erstanden, denn ihr Jüngster, der Markus, hat nun ebenfalls das Examen bestanden, und das muss gefeiert werden«, berichtete sie.

»Nun, wenigstens einmal etwas Erfreuliches«, bemerkte Sabine und goss sich noch etwas von dem Weißwein ein.

»Ja, die beiden Buben von der Priska sind ja nun ein Herz und eine Seele. Wenn ich dran denke, wie der Markus immer über seinen armen Bruder hergefallen ist. Seltsam, dass sich das plötzlich so verändert hat.«

»Sie sind halt erwachsen geworden«, meinte Pankraz, wusste aber selbst, dass dies ein reichlich schwaches Argument war.

Sabine warf einen schnellen Blick zu ihrem Mann hinüber, und ihr kam es vor, als ob ein Lächeln, das aber schnell wieder verschwunden war, Martins Mund umspielt hätte. Das löste sofort einen Verdacht in ihr aus, der aber erst später, wenn sie mit ihrem Mann allein war, zur Sprache kommen würde.