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Nach einem schönen Sommerurlaub am Meer mit seiner Familie kehrt Dr. Burger nach St. Christoph zurück und wird bereits von seinen Patienten erwartet. Alle sind sich darüber einig, dass es ohne ihn gar nicht geht!
Die besondere Sorge des Bergdoktors gilt aber der Bäuerin Wally Ebner vom Goldbach-Hof. Nach einem Schlaganfall hat sie sich anscheinend völlig aufgegeben, sie verbringt die Tage in absoluter Teilnahmslosigkeit.
Die Verhältnisse auf dem Hof sind undurchsichtig, es herrscht Schweigen. Lukas Ebner, der den Hof anstelle seines älteren, verschwundenen Bruders übernommen hat, vermeidet nach Möglichkeit den Kontakt mit anderen Leuten. Und dann gibt es noch die Kammer, die niemand - außer Lukas selbst - betreten darf.
Die Einzige, von der Dr. Burger ein paar Informationen bekommt, ist die junge Pflegerin Paula Zeilhuber. Zwar lebt sie erst seit Kurzem auf dem Goldbach-Hof, aber sie ist eine gute Beobachterin. Außerdem hat sie sich trotz aller Schwierigkeiten in Lukas verliebt. Deshalb muss sie unbedingt wissen, welches Geheimnis er vor ihr verbirgt ...
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Seitenzahl: 103
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Die verschlossene Stube
Vorschau
Impressum
Die verschlossene Stube
Wie Dr. Burger den Menschenauf dem Goldbach-Hof neuen Mut gab
Von Andreas Kufsteiner
Nach einem schönen Sommerurlaub am Meer mit seiner Familie kehrt Dr. Burger nach St. Christoph zurück und wird bereits von seinen Patienten erwartet. Alle sind sich darüber einig, dass es ohne ihn gar nicht geht!
Die besondere Sorge des Bergdoktors gilt aber der Bäuerin Wally Ebner vom Goldbach-Hof. Nach einem Schlaganfall hat sie sich anscheinend völlig aufgegeben, sie verbringt die Tage in absoluter Teilnahmslosigkeit.
Die Verhältnisse auf dem Hof sind undurchsichtig, es herrscht Schweigen. Lukas Ebner, der den Hof anstelle seines älteren, verschwundenen Bruders übernommen hat, vermeidet nach Möglichkeit den Kontakt mit anderen Leuten. Und dann gibt es noch die Kammer, die niemand – außer Lukas selbst – betreten darf.
Die Einzige, von der Dr. Burger ein paar Informationen bekommt, ist die junge Pflegerin Paula Zeilhuber. Zwar lebt sie erst seit Kurzem auf dem Hof, aber sie ist eine gute Beobachterin. Außerdem hat sie sich trotz aller Schwierigkeiten in Lukas verliebt. Deshalb muss sie unbedingt wissen, welches Geheimnis er vor ihr verbirgt ...
Das Doktorhaus in der Kirchgasse lag an diesem Sonntagmorgen kurz vor sieben Uhr noch ganz still da, obwohl die Sonne hell durch die Vorhänge lugte.
Nichts rührte sich. Niemand wachte auf und warf wenigstens einen Blick auf die Uhr.
Nicht einmal die Kinder, die es im Sommer sonst schon frühzeitig ins Freie zog, gaben einen Mucks von sich. Ganz zu schweigen von Rauhaardackel Poldi, der unter der Woche wie auch am Sonntag meist gegen sechs Uhr in der Frühe sein Körbchen verließ, um nach dem Rechten zu sehen und draußen seinen ersten Tages-Rundgang zu starten.
Auf Poldi war Verlass. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, bei jedem Wetter festzustellen, was sich nachts ereignet hatte. Denn bei den Burgers führte der Garten des Nachts ein »Eigenleben«.
Neben Igeln, pelzigen braunen Feldmäusen, frechen Frettchen, Nachtfaltern jeder Art und den geschützten Zwergfledermäusen, die winters im Gartenhaus Schutz suchten, nahm auch Kater Tiger gern die Gastfreundschaft der Familie in Anspruch.
Tiger gehörte sozusagen allen Bewohnern der Kirchgasse gleichermaßen. Er hielt sich mal hier, mal da auf, ließ sich mit Leckerbissen verwöhnen und konnte sicher sein, dass man ihm in jedem Haus auch einen gemütlichen Schlafplatz anbot.
Bei der Jeggl-Alma nebenan, die seit vielen Jahren einen gut sortierten Gemischtwarenladen führte – inzwischen das »Einkaufsparadies von St. Christoph« – fand Tiger im Herbst und Winter sogar eine eigene Katzen-Kuschelhöhle am warmen Ofen vor. In der kalten Jahreszeit genoss er also Luxus pur. Streicheleinheiten gab es gratis obendrauf.
Der stattliche Kater liebte es, Poldi zu ärgern – und umgekehrt. Poldi war außer sich, wenn er in aller Frühe merkte, dass Tiger nachts ums Haus geschlichen war. Er schnupperte umeinander und raste dann quer durch den Garten, um den »Eindringling« in die Mangel zu nehmen.
Doch meistens war Tiger dann bereits verschwunden oder hockte an einer Stelle, an die Poldi nicht herankam.
Merkwürdig: Wenn die beiden sich aus irgendeinem Grunde einige Tage lang nicht begegnet waren, schien die Welt nicht mehr in Ordnung zu sein.
Was, wenn Tiger irgendwann einmal etwas zustoßen würde? Alles würde sich ändern. Nein, das wollte Poldi nicht. Über wen hätte er sich dann ärgern sollen? Vielleicht über die Bergdohlen, die manchmal unversehens von den Gipfeln ins Tal einfielen und sich über alles hermachten, was ihnen vor den Schnabel kam?
Sogar vor Poldis Knabberstangen machten sie nicht halt. Aber Tiger auch nicht. Da nützte es auch nicht viel, die Stangen als eiserne Reserve für schlechte Zeiten unter Sträuchern zu vergraben.
Auch Katzen haben ein feines Näschen und riechen alles. Schon einige Male hatte Poldi einen dreisten Diebstahl seiner Kostbarkeiten hinnehmen müssen. Andererseits konnte er dann bei passender Gelegenheit den miauenden Dieb zur Strafe durch den Garten jagen und den Triumph auskosten, dass man als Dackel einer Katze eben doch überlegen war.
Oder etwa doch nicht?
Jedenfalls war am heutigen Morgen auch von Poldi nichts zu spüren, und durch den Garten summten nur Imker Prechtls Bienen, die sich nicht darum scherten, wem der duftende Lavendel und die bunten Immortellen gehörten. Hauptsache, es gab genug Nektar. Im Garten des Doktorhauses war eh viel für die fleißigen kleinen Honigproduzenten zu holen, es blühte überall, und auch die Rosen standen noch in voller Blüte.
Im Kabinettl des Seniors, dem »besten Opa der Welt«, herrschte ebenfalls Ruhe, und auch in Zenzis gemütlichem »Jungmädchenzimmer« (das Wort stammte mal wieder aus Großvater Burgers »Scherzkiste«) wurde heute Morgen nicht wie üblich das Fenster geöffnet, obwohl die Zenzi seit vierzig Jahren immer »frische Morgenluft« hereinließ. Tatsächlich war sie nun schon so lange im Doktorhaus, dass sie – ehemals als Wirtschafterin eingestellt – längst zur Familie gehörte.
Und das Ehepaar Burger, Martin und Sabine, beide Dr. med., sie schliefen anscheinend immer noch. Und zwar so eng beisammen, dass man sich fast wundern musste. Seit acht Jahren verheiratet und dann noch – mit Verlaub gesagt – aneinander geschmiegt wie ein Liebespaar, das einfach nicht voneinander lassen konnte ...
Man sah Sabines blonden Schopf und Martins braunes Haar, die Sonnenstrahlen strichen über die Köpfe der beiden hinweg und tanzten dann kurz auf einer großen Reisetasche, die im Zimmer stand und noch nicht ausgepackt war.
Auf dem Fußboden lagen ein paar Muscheln, feiner weißer Sand quoll aus einer Tüte, die aus der Tasche gefallen war.
Wenn man – wie die Sonnenstrahlen – durch den Türspalt schaute, erkannte man im Flur zwei prall gefüllte Koffer und einige Beutel und weitere Taschen. Es war der Flur im ersten Stock, hier lagen die Zimmer der Kinder, das Schlafzimmer, zwei »Kammerln« und ein wenig abseits das geräumige Gästezimmer.
Aber gehörte es sich, morgens neugierig in das schöne Alpenhaus der Burgers zu schauen und sich zu fragen, was hier vor sich ging? Oder vielmehr, was nicht geschah – gar nichts nämlich!
Die Zeit blieb auch an diesem Tag nicht stehen, wie sie es nun mal an sich hat. Man kann sie auch nicht zurückdrehen, obwohl Martin und Sabine, die ganz langsam zu sich kamen und sich die Augen rieben, gern an den Zeigern der Uhr geschraubt hätten. Vielleicht hätte man auch gleich die Kalenderblätter wieder einsammeln können, frei nach dem Motto: »Wir gehen drei Wochen in der Zeit zurück.«
Draußen im Apfelbaum zwitscherten die Finken.
»Martin, sind wir wirklich zu Hause?«, flüsterte Sabine. »Finken und keine Möwen? Ich muss mich erst zurechtfinden!«
»Immer langsam, Schatz«, erwiderte er. »Gestern Abend, nachdem wir angekommen sind, waren wir einfach nur müde. Ich wollte eigentlich noch nach der Post sehen, aber dazu war ich gar net mehr in der Lage. Und die Kinder haben wir fast die Treppe hinauftragen müssen, weil ihnen ja schon im Auto die Augen zugefallen sind.«
»Wie spät war es denn eigentlich?«
»Kurz vor Mitternacht. Und jetzt sind alle noch im Tiefschlaf, denke ich. Ich höre jedenfalls keinen Mucks.« Martin Burger unterdrückte ein Gähnen. »Eine kalte Dusche wäre jetzt wohl das Beste, um richtig wach zu werden.«
»Vielleicht. Ein Bad im Meer können wir ja nicht mehr nehmen«, ergänzte Sabine. »Ach, es war herrlich, Liebling – ich hätte nicht gedacht, dass mir die Nordsee so gut gefallen würde! Früher wollte ich immer nur an ein warmes Meer, das hab ich schon als Kind gesagt. Natürlich gehörten auch Palmen dazu. Aber das hatten wir nicht in St. Peter-Ording. Die Nordsee ist nicht warm, sie ist auch nicht sanft, sondern sie fordert einen heraus. Sobald man sich an die Temperatur gewöhnt hat, will man gar nichts anderes mehr. Der Wind, diese klare Luft, der lange weiße Strand, Ebbe und Flut ... und ich wollte zuerst doch gar nicht dorthin!«
Martin nahm seine Frau in die Arme.
»Ich weiß. Es war ja auch anfangs anders geplant. Unseren Urlaub, auf den wir wegen der Praxis manchmal schon verzichten mussten, wollten wir ursprünglich im Süden verbringen, Palmen inklusive. Aber für unsere Kinder war die Nordsee wie ein Heilmittel, das beste überhaupt nach der zähen Bronchitis im Frühling, mit der Tessa und Filli sich herumgeschlagen mussten. Zum Glück ist es bei unserer kleinen Laura-Maus nur halb so schlimm gewesen.«
Sabine nickte. »Nachdem wir die akute Phase in den Griff bekommen hatten, ging es mit dem Reizhusten los. Du hattest außerdem ständig hustende und fiebernde Kinder in der Praxis, es war eine ziemlich schwere Zeit für uns alle.«
»Wir haben es überstanden«, warf Dr. Burger ein. »Und jetzt sind unsere Kinder wieder kerngesund. Man sagt nicht umsonst, dass ein Klimawechsel Wunder wirkt. Jemand, der am Meer wohnt und einen Infekt auskurieren muss, sollte hierher ins Hochgebirge kommen. Umgekehrt tut einem kranken Hochgebirgler das Seeklima gut. Wobei man natürlich die Krankheit an sich erst einmal genau untersuchen sollte. Durch ein Reizklima lässt sich nicht alles kurieren. Manche Menschen brauchen ein Schonklima, zum Beispiel bei Herzleiden.«
»Ich weiß, Martin.« Sabine kuschelte sich wieder in die Kissen. »Was du sagst, ist mir nicht neu. Vergisst du manchmal, dass ich auch Medizinerin bin? Sicher nicht. Aber ich höre dir so gerne zu. Und ich wundere mich, woher du nach unserer langen Fahrt und zu dieser frühen Stunde die Energie nimmst, um mir einen Vortrag zu halten!«
»Ganz einfach. Ich schau dich an und schon hab ich genug Energie für alles Mögliche, nicht nur für Vorträge!« Martin schob Sabines Kissen zur Seite. »Liebes, wozu dieser Kissenaufbau, wenn du mich hast?«
»Aber du bist nicht so kuschelig!«
»Was? Na, hör mal! Wenn ich net kuschelig bin, wer dann?«
Sie lachten beide, aber nur ganz leise, um die Kinder nicht zu wecken. Tessa, Filli und auch Klein-Laura hatten nämlich Ohren wie ein Luchs, wenn es sich um Mama und Papa drehte oder auch um Dinge, die sie eigentlich gar nichts angingen.
Die Vorsicht war jedoch eh überflüssig, denn inzwischen waren die drei aufgewacht und tapsten über den Flur zu ihren Eltern. Nach den wunderschönen Ferien am Meer standen sie noch ganz unter dem Einfluss der Erlebnisse, die sie nachher ganz dringend und in allen Einzelheiten ihrem Opa und der Zenzi erzählen mussten!
Poldi schlich mit eingekniffenem Schwänzchen ebenfalls herbei. Unterwegs hatte er während Teil zwei der Heimfahrt – die Familie hatte natürlich Pausen eingelegt – fast nur geschlafen. Wie kam es nur, dass er auf einmal wieder zu Hause war?
***
Klar, dass man ihn in den Urlaub mitgenommen hatte! Er hatte viel Spaß gehabt und sogar einen Hundefreund namens Balu gefunden, der zwar sehr groß, aber unglaublich gutmütig und freundlich gewesen war.
Balu hatte seine Leckerbissen und auch sein Spielzeug – einen Ball, aus dem schon teilweise die Luft entwichen war, und mehrere Latex-Kauknochen – mit Poldi geteilt.
Im Gegenzug war Poldi mit seinem besten Quietschtier, einem Gummi-Wildschwein namens Grunz, und einigen Salami-Stangen der Marke »Hundeglück« am Strand erschienen. Zugegeben, das mit den Salami-Stangen war ihm nicht leichtgefallen. Aber Balu hatte sich wirklich darüber gefreut.
Das Wildschwein war jedoch nicht wieder mit der Familie heimgekehrt. Es war, wie man im Norden sagte, »auf See« geblieben, vielleicht sogar auf dem Meeresgrund. Bis heute stand allerdings nicht fest, was zum tragischen Verschwinden von Grunz geführt hatte.
Die Kinder rätselten, ob vielleicht ein großer Fisch das arme Ding in die Tiefe gezogen hatte.
Am Ende ein Hai? Aber da es in der Nordsee keine Haie gab, schied diese Möglichkeit aus. Filli meinte bis heute, dass Grunz eventuell sogar weggeschwommen sei, irgendwohin auf eine der Inseln, zum Beispiel Norderney, Langeoog oder Amrum. Namen, die man sich nur teilweise merken konnte, wie Filli festgestellt hatte. Aber es gab diese Inseln wirklich, und man konnte sie per Schiff erreichen oder schwimmend. Aber nur dann, wenn man ein Meisterschwimmer war! Man hatte aber noch nie von Gummi-Wildschweinen gehört, die schwimmen konnten.
So würde man wahrscheinlich nie erfahren, was mit Poldis Quietschtier tatsächlich geschehen war.
Jedenfalls vermisste er es sehr. Daher sollte so bald wie möglich bei Zoo-Stöger in Schwaz ein neues Schwein gekauft werden – aber zuerst mussten die Koffer und Taschen ausgepackt werden.
Das ging nicht an einem Tag, denn es war kaum zu glauben, was man alles mitgebracht hatte.
Hier eine Auswahl: Außer Sand und Muscheln einige Geschenke für liebe Daheimgebliebene, ein Buddel-Schiff, mehrere echt aussehende, geschnitzte Möwen aus Treibholz, die man an Bindfäden aufhängen konnte, Foto-Bücher, zwei Keramikteller mit der Aufschrift »Grüße von der Nordsee«, eine Puppe »Meerjungfrau Arabella« und eine Puppe »Klabautermann«, ein kleines Schiffsmodell einer Segelyacht, T-Shirts, Kosmetikcreme mit Meerwasser, Friesentee und Kandiszucker ... und noch so einiges, das an diese unvergesslichen Ferien erinnerte.