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Theresa Gassner arbeitet als Forsteinrichterin in den Zillertaler Bergen. Ihre präzisen Dokumentationen über den Zustand der Wälder sollen dabei helfen, für einen gesunden Baumbestand zu sorgen. Die hübsche junge Frau liebt ihren Beruf inmitten der herrlichen Natur über alles und geht ganz darin auf. Der Liebe allerdings hat sie abgeschworen, denn der Mann, dem sie ihr Herz geschenkt hat, betrachtet sie nur als Jugendfreundin. Und vermutlich nicht einmal das, denn sonst hätte Patrick St. Christoph wohl kaum vor vier Jahren ohne ein Wort des Abschieds verlassen.
Bei diesem Gedanken zieht Theresa bitter die Mundwinkel nach unten, als sie an diesem nebeligen Tag durch den Wald stapft - nichts ahnend, welch eine Überraschung ihr heute noch bevorsteht ...
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Seitenzahl: 120
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Treu wie Gold
Vorschau
Impressum
Treu wie Gold
Dr. Burger und eine unbeirrbare Liebe
Von Andreas Kufsteiner
Theresa Gassner arbeitet als Forsteinrichterin in den Zillertaler Bergen. Ihre präzisen Dokumentationen über den Zustand der Wälder sollen dabei helfen, für einen gesunden Baumbestand zu sorgen. Die hübsche junge Frau liebt ihren Beruf inmitten der herrlichen Natur über alles und geht ganz darin auf. Der Liebe allerdings hat sie abgeschworen, denn der Mann, dem sie ihr Herz geschenkt hat, betrachtet sie nur als Jugendfreundin. Und vermutlich nicht einmal das, denn sonst hätte Patrick St. Christoph wohl kaum vor vier Jahren ohne ein Wort des Abschieds verlassen.
Bei diesem Gedanken zieht Theresa bitter die Mundwinkel nach unten, als sie an diesem nebeligen Tag durch den Wald stapft – nichts ahnend, welch eine Überraschung ihr heute noch bevorsteht ...
»Da hab ich dich!« Mit spitzen Fingern klaubte Zenzi Bachhuber die Weinbergschnecke von dem Salatblatt und beäugte sie von allen Seiten. Das Gehäuse war geformt wie eine Schraube, maß gut fünf Zentimeter im Durchmesser und war von strohgelber Farbe. Braune Riefen zeichneten die Spur der Rillen nach. Langsam schoben sich vier Fühler aus dem Gehäuse, als würde ihr Findling die Lage sondieren.
Zenzi blies die Wangen auf und ließ die Luft entweichen. Seit über vierzig Jahren arbeitete sie als Wirtschafterin im Doktorhaus von St. Christoph, und noch nie hatte so viele Schnecken im Garten gegeben. Die Tiere schienen über Nacht aufgetaucht zu sein, und nun drohten sie, den Salat von der Wurzel wegzufressen. Doch da hatte Zenzi noch ein Wörtchen mitzureden.
Sie setzte die Schnecke in ihren Eimer.
»Was hast du denn mit der armen Schnecke vor?« Pankraz Burger kam mit einer Zeitschrift und einem dampfenden Kaffeebecher aus dem Doktorhaus. »Willst du sie etwa ertränken?«
»Gewiss net. Sie soll nur net länger unsere Salatbeete plündern.«
»Gönn ihr ruhig die paar Blätter. So eine Schnecke verzehrt doch net viel.«
»Eine net. Mehrere Dutzend aber schon.«
»Mehrere Dutzend?« Der Großvater blickte sie verblüfft über den Rand seiner schmalen Brille hinweg an. »Schnecken?«
Anstelle einer Erwiderung bückte sich Zenzi, wobei sie sogleich ihren Rücken spürte, und deutete wahllos auf einige Salatköpfe. Auf jedem saßen mehrere Schnecken und taten sich an dem Grün gütlich.
»Mei, das ist ja eine richtige Schwemme!«
»Eben. Wenigstens können sie net weglaufen. Sonst müsste ich ihnen am Ende noch hinterherrennen.«
»So langsam sind sie gar net. Ich hab vor Kurzem einen Artikel über Schnecken gelesen. Wenn ich mich recht entsinne, schaffen sie bei guten Bedingungen fast drei Meter in einer Stunde.«
»Dann sind sie schneller als Sie«, neckte Zenzi den Senior.
»Scherz du nur. Ich war heute schon dreimal mit dem Poldi draußen. Ich hab mein Soll für diesen Tag erfüllt.« Mit diesen Worten ließ sich der Großvater am Gartentisch nieder, stellte seinen Kaffeebecher ab und breitete die Zeitschrift vor sich aus. Mit einem zufriedenen Schnaufen beugte er sich vor und begann mit der Lektüre. Aus Erfahrung wusste Zenzi, dass er für die nächste Stunde für die Welt verloren war.
Sie lehnte sich vor und schnappte sich die nächste Schnecke. Der Kopfsalat gedieh in diesem Sommer besonders gut. Das wussten offenbar auch die Schnecken. Es waren viele, und je genauer man hinschaute, desto mehr sah man.
Zenzis Eimer füllte sich rasch. Sie hatte jedoch nicht vor, die Tiere zu ertränken. Das brachte sie nicht übers Herz. Nein, am Waldrand aussetzen würde sie sie, unter den wilden Himbeeren. Deren Blätter waren gewiss auch ein Leckerbissen für sie, und dort war der Gartensalat vor ihnen sicher.
Aus dem Haus drang fröhliches Kinderlachen, das Zenzis Herz erwärmte. Sie war zwar nur die Hauserin der Burgers, aber sie liebte die Familie wie ihre eigene. Schon mehr als einmal hatten dunkle Schatten über dem Doktorhaus gelegen, und sie hatte mitgeholfen, die schlimmen Zeiten durchzustehen. Jetzt herrschte hier eitel Sonnenschein, und Zenzi hoffte, dass es lange so bleiben möge. Im Leben wandelte sich alles ständig, und so gab es nicht nur gute und nicht nur schlechte Zeiten.
Für die Kleinen war es bald an der Zeit, zu Bett zu gehen. Die Sonne stand bereits tief über den Bergen im Westen und tauchte den Himmel in ein warmes goldenes Licht. Keine Wolke war zu sehen, und der Dunst, der die Gipfel einhüllte, versprach auch weiterhin schönes Sommerwetter. War es den Tag über noch drückend heiß gewesen, wehte nun ein angenehmes Lüftchen.
Zenzi spürte die leichte Brise auf ihrem Gesicht und beschloss, sich nach getaner Arbeit noch ein Stündchen in den Garten zu setzen, ein Glas Limonade zu trinken und weiter an dem Schal zu stricken, an dem sie arbeitete.
Der Schal war aus wunderbar leichter Alpakawolle und für ihre Freundin Alma gedacht, die den Laden an der Ecke betrieb und an ihrer Kasse oft der Zugluft ausgesetzt war. Sobald es Herbst wurde, konnte sie den Schal gewiss gut gebrauchen.
Zenzi richtete sich auf und streckte sich. Jessas, ihr Kreuz nahm das Bücken übel. Während sie wartete, dass der Schmerz verging, wurde die Tür des Doktorhauses geöffnet. Martin Burger lief mit seinem Einsatzrucksack durch den Garten und winkte Zenzi kurz zu, bevor er in seinen Geländewagen stieg und davonbrauste. Offenbar war er noch zu einem abendlichen Notfall gerufen worden.
Sorgenvoll blickte Zenzi seinem Auto nach, als es die Kirchgasse hinauffuhr und hinter der Dorfkirche verschwand. Es war kein leichtes Leben für den Landarzt von St. Christoph. Neben der Arbeit in der Praxis standen oftmals Hausbesuche an, und dann wurde er auch noch regelmäßig zu Notfällen gerufen und aus dem wohlverdienten Feierabend gerissen. Zenzi hoffte, dass Martin hernach noch ein bisserl Zeit blieb, um sich zu erholen.
Eine orange-weiß gestromte Katze huschte den Gehweg entlang, über die Straße und verschwand in einer grünen Hecke. Hinter Zenzi raschelte es, als der Großvater seine Zeitschrift umblätterte. Sie widmete sich wieder ihren Schnecken und ... Nanu? Gedämpftes Murmeln drang vom Fußweg herüber.
Zenzi drehte sich um und sah einen grauhaarigen Mann auf sich zukommen. Es war Quirin Stadler, ein Schäfer, der seine Herde heuer auf dem Rautenstein weiden ließ. Er trug graue Hosen und ein weißes Hemd, das an den Ärmeln aufgekrempelt war. Ein breitkrempiger Hut beschattete sein bärtiges Gesicht. Er schien Zenzi noch nicht bemerkt zu haben, denn er starrte im Gehen auf den Boden. Seine Lippen bewegten sich, aber was er sagte, war nicht zu verstehen.
Alarmiert trat Zenzi an den niedrigen Gartenzaun.
»Quirin? Ist alles in Ordnung?«
»Was?« Sein Kopf ruckte hoch, und sein Blick streifte suchend umher, bis er an Zenzi hängen blieb. Seine Lippen verzogen sich zu einem matten Lächeln. »Ah, du bist es. Einen schönen Guten Abend wünsche ich dir, Zenzi.«
»Den wünsche ich dir auch.«
»Danke, aber daraus wird heute wohl nix mehr. Ich hab mich eben fürchterlich aufgeregt. An Schlaf ist jetzt net zu denken.«
»Was ist denn passiert?«
»Ein Sturschädel ist er, unser Förster. Was ihm net in den Kram passt, ist auch net wahr. Als hätte es jemals geholfen, die Augen vor unliebsamen Tatsachen zu verschließen.«
»Ich kann dir leider net folgen«, gestand Zenzi.
Der Schäfer stieß prustend den Atem aus.
»Droben im Zirbengrund stimmt etwas net. Keinen Vogel hört man dort mehr. Dabei haben sie früher gesungen, dass es eine Freude war. Vor ein paar Wochen war ich dort und habe sie noch gehört. Und heute? Totenstille!«
»Im Zirbengrund?«
Quirin nickte bekräftigend.
»Ja. Ich hab es dem Förster gemeldet, aber der meinte, wenn ich sonst keine Sorgen hätte, könnte ich froh sein. Als wäre das eine Lappalie. Aber das ist es net. Die Vögel zeigen an, wenn etwas net in Ordnung ist. Jemand sollte der Sache nachgehen, und das wäre die Aufgabe des Försters.«
»Was glaubst du denn, was da oben vor sich geht?«
»Das weiß ich eben net. Ich bin eine Weile herumgelaufen, aber ich konnte nix finden. Jedenfalls ist ein Wald, in dem kein Vogel singt, net normal.«
»Vielleicht war es ihnen heute einfach nur zu heiß?«
»Daran lag's bestimmt net. Ich war frühmorgens dort, weil mir eins meiner Lämmer ausgerissen war, da war es noch kühl. Und weiter südlich, wo der Mühlbach fließt, da singen sie wieder. Nur unter den Zirben hörst du keinen einzigen Vogel.«
»Das ist wirklich seltsam.« Zenzi verfiel ins Grübeln. Früher war sie gern im Schatten der Zirben gewandert, und sie entsann sich gut an das muntere Lärmen der Vögel dort oben: Schwarzspechte, Girlitze, Grünfinken und wie sie alle hießen. »Und wenn du noch einmal in Ruhe mit dem Förster redest? Vielleicht geht er der Sache dann doch mal nach.«
»Hat keinen Zweck. Er glaubt, ich bilde mir das nur ein, aber ich spinne net. Da oben im Wald ist es net geheuer.«
»Magst du reinkommen und ein Glas Eistee mit mir trinken? Dann können wir in Ruhe darüber sprechen.«
»Ein anderes Mal gern. Ich muss zurück zu meinen Schafen. Ich bin nur zum Dorf abgestiegen, um mit dem Förster zu reden, aber das war für die Katz.«
Zenzi spürte ein flaues Gefühl in ihrem Magen.
Der Schäfer verbrachte einen großen Teil des Jahres mit seinen Tieren im Freien. Er kannte die Natur, und wenn er behauptete, etwas wäre nicht geheuer, dann glaubte sie ihm. Der Förster anscheinend nicht. Was ließ sich da nur tun?
Während sie überlegte, trottete Filli aus dem Haus in den Garten. Der Fünfjährige hatte schon seinen blauen, mit Flugzeugen bedruckten Schlafanzug an. Er balancierte eine Schüssel voller Körner in seinen Händen. An jedem Abend füllte er das Futterhäuschen für die Vögel – im Sommer wie im Winter.
Sorgsam schüttete er den Inhalt der Schüssel in das Häuschen.
Der Schäfer sah ihm zu, und die Anspannung wich aus seinem bärtigen Gesicht.
»Du bist ein lieber Bub«, sagte er. »Was willst du denn später mal werden?«
»Tierdoktor«, erklärte Filli und drückte die Brust vor, um zu demonstrieren, dass es gar nicht mehr lange dauern würde bis dahin.
»Du hast einen Plan. Das ist gut. Man braucht ein Ziel im Leben.« Ein Ruck ging durch den Schäfer. »Ich muss zurück zu meinen Schafen. Danke fürs Zuhören, Zenzi, und denk an meine Worte. Haltet euch vom Zirbengrund fern. Dort oben geht irgendetwas vor sich. Und ich fürchte, es ist nix Gutes!«
***
Im Krähenwald war ein Bauer beim Holzrücken verletzt worden. Genaueres wusste Dr. Burger noch nicht, aber nach den wenigen Informationen war er auf das Schlimmste gefasst.
Er fuhr bis zum Wanderparkplatz und stellte den Wagen dort ab. Von hier aus ging es zu Fuß weiter. Ein schmaler Weg führte höher hinauf in den Wald, der konnte nicht befahren werden. Aus diesem Grund buckelte er seinen Einsatzrucksack auf und marschierte los.
Angerufen hatte ihn die Gassner-Theresa, eine junge Frau, die beruflich in den Wäldern rings um St. Christoph zu tun hatte. Sie war es auch, die den Verletzten gefunden hatte. Dr. Burger folgte ihrer Beschreibung, wo sie zu finden waren, und sah zwanzig Minuten später ein Marterl vor sich.
Hier zweigte ein Pfad vom Wanderweg ab und führte höher hinauf. Theresa hatte ihm erklärt, dass er dorthinauf müsse. Der Pfad schien nicht oft begangen zu werden. Immer wieder zerrten tief hängende Zweige an seinem Hemd und schrammten ihm die Haut auf. Der Bergdoktor achtete nicht weiter darauf, sondern kämpfte sich durch dichtes Unterholz, bis sich vor ihm eine Lichtung auftat.
Er war am Ziel.
Neben einer gefällten und zur Hälfte entasteten Fichte stand ein brauner Kaltblüter und zupfte an einigen Brombeerblättern. Er war angeschirrt und sollte den Stamm offenbar aus dem Wald ziehen, aber daraus würde an diesem Abend nichts mehr werden.
Josef Kammerlander saß auf eben jenem Stamm und war ganz grau im Gesicht! Er stöhnte verhalten und ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass die Knöchel weiß hervorstachen. Wind und Wetter hatten Furchen in das Gesicht des Fünfundfünfzigjährigen gegraben. Grau melierte Haare ragten unter seinem Hut hervor.
Bei ihm stand eine schlanke junge Frau. Gerade beugte sie sich zu ihm vor und sprach beruhigend auf ihn ein. Offenbar wollte sie ihn von seinen Schmerzen ablenken. Das jedoch funktionierte nicht so, wie sie es sich erhoffte. Der Bauer stieß vielmehr einen lästerlichen Fluch aus.
»Na, na«, mahnte Dr. Burger, der nun auf Hörweite heran war. »Willst du, dass ein Blitz auf uns niederfährt?«
»Mei, Herr Doktor! Endlich!« Josef Kammerlander atmete auf. »Ich bin so froh, Sie zu sehen.«
»Was ist genau passiert?«
»Beim Holzrücken ist es mir ins Kreuz gefahren. Aber wie! Net einmal aufstehen kann ich. Wenn Sie mir net helfen, werde ich hier wohl überwintern müssen.«
»Dann will ich gleich mal schauen, was ich tun kann.« Er buckelte seinen Rucksack ab und ließ sich die Beschwerden seines Patienten genau beschreiben. Die saßen im unteren Rücken und waren urplötzlich über den Bauern hereingebrochen. Wenig später bestätigte die Untersuchung, was der Bergdoktor bereits vermutet hatte. »Ein Hexenschuss hat dich erwischt, Josef.«
»Davon werde ich eine Weile was haben, net wahr?«
»So sieht es wohl aus. Eine Weile wirst du das spüren. Ich kann dir eine Spritze geben, und die wird die ärgsten Schmerzen lindern. Damit solltest du es bis nach Hause schaffen. Dort dann am besten die Beine hochlegen und deinen Rücken warm halten. Bewegung in Maßen ist gut. Und ich werde dir eine Physiotherapie verschreiben.«
»Schreiben Sie mir auch ein bisserl Zeit auf? Ich weiß nämlich net, wo ich die hernehmen soll, um mich durchwalken zu lassen. Auf dem Hof gibt es alle Hände voll zu tun.«
»Ich kann dir helfen«, bot Theresa ihm sofort freundlich an. »Ein paar Stunden kann ich erübrigen und für dich einspringen.«
Die Miene des Bauern entspannte sich.
»Danke, Reserl. Du bist ein liebes Madel. Es schmerzt mich noch heute, dass mein Sohn damals so blind war und den Schatz net erkannt hat, den er die ganze Zeit vor der Nase hatte.«
Ihre Wangen röteten sich, und sie schien sekundenlang nicht zu wissen, wo sie hinschauen sollte.
»Wir sind nur Freunde«, murmelte sie dann.
»Ja freilich, und ich bin der Graf von Luxemburg«, bestätigte der Bauer trocken, und ein mattes Lächeln wärmte seine Züge. »Ewig schad ist es drum. Mein Sohn würde die Liebe net einmal dann erkennen, wenn sie ihn in den Hintern beißt.«
»So ist das net. Patrick und ich, wir kennen uns schon so lange. Wir sind wirklich nur Freunde.«