Der Bergdoktor 2164 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2164 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Hannah ist als Ballerina beim Salzburger Tanztheater engagiert. Das Ballett ist ihr Leben, täglich trainiert sie mehr als zehn Stunden. Doch plötzlich spielt ihr Körper nicht mehr mit. Hannah fühlt sich vollkommen kraftlos. Sie kann das Gleichgewicht nicht halten, knickt ein und hält das harte Training kaum noch durch. Doch das Allerschlimmste ist: Sie nimmt zu. Vierzehn Kilo innerhalb von sechs Wochen!
Die Ärzte in ihrer Heimatstadt sind ratlos, raten zu Diät und Stressabbau. Eine Ärztin unterstellt ihr gar, sich die Beschwerden nur einzubilden. Eine Ursache für die Veränderungen in ihrem Körper findet keiner der Mediziner - und keiner scheint ihr helfen zu können.
Hannah entschließt sich schließlich zu einer Auszeit und reist mit ihrer Verzweiflung im Gepäck in das idyllische Bergdorf St. Christoph. Hoffnung, dass ihr jemand helfen kann, hat sie nicht - zu Unrecht, denn in St. Christoph praktiziert der beste Arzt des Zillertals!


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Seitenzahl: 126

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Wenn Träume unmöglich werden ...

Vorschau

Impressum

Wenn Träume unmöglich werden ...

Ihre Krankheit zwingt sie in die Knie, seine Liebe hilft ihr, wieder aufzustehen

Von Andreas Kufsteiner

Hannah ist als Ballerina beim Salzburger Tanztheater engagiert. Das Ballett ist ihr Leben, täglich trainiert sie mehr als zehn Stunden. Doch plötzlich spielt ihr Körper nicht mehr mit. Hannah fühlt sich vollkommen kraftlos. Sie kann das Gleichgewicht nicht halten, knickt ein und hält das harte Training kaum noch durch. Doch das Allerschlimmste ist: Sie nimmt zu. Vierzehn Kilo innerhalb von sechs Wochen!

Die Ärzte in ihrer Heimatstadt sind ratlos, raten zu Diät und Stressabbau. Eine Ärztin unterstellt ihr gar, sich die Beschwerden nur einzubilden. Eine Ursache für die Veränderungen in ihrem Körper findet keiner der Mediziner – und keiner scheint ihr helfen zu können.

Hannah entschließt sich schließlich zu einer Auszeit und reist mit ihrer Verzweiflung im Gepäck in das idyllische Bergdorf St. Christoph. Hoffnung, dass ihr jemand helfen kann, hat sie nicht – zu Unrecht, denn in St. Christoph praktiziert der beste Arzt des Zillertals!

Wo blieb denn nur die Bahn? Hannah trat einen Schritt vor und spähte zu der Anzeigentafel hinauf. Auf dem Bahnsteig drängten sich die Menschen. Die S-Bahn hätte schon vor einer Viertelstunde fahren sollen, war jedoch nicht gekommen. Auch die nächste schien auszufallen. Was war da nur los?

Ein Satz lief in gelben Buchstaben auf schwarzem Grund auf der Tafel durch.

Die Abfahrt der Linie S3 verzögert sich.

»Aber um wie lange?«, murmelte Hannah vor sich hin. »Das verraten sie net.«

Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen und rechnete in Gedanken nach, ob die Zeit noch reichte, um es halbwegs pünktlich zu ihrem Training zu schaffen.

Wenn die Bahn innerhalb der nächsten fünf Minuten kam, könnte es gelingen. Bis zum Probenzentrum waren es nur vier Stationen zu fahren, und wenn sie sich sputete, würde sie vor Juri eintreffen. Allerdings sah es nicht danach aus. Der Bahnsteig füllte sich zusehends. Nur ihr Zug kam und kam nicht. Ausgerechnet heute, wo sie ohnehin schon spät dran war.

Sie war kaum aus dem Bett gekommen und hatte sich so matt und elend gefühlt, als würden Bleigewichte an ihrem Körper hängen. Am liebsten wäre sie gar nicht aufgestanden, aber sie hatte sich dann doch nicht getraut, Juris dermaßen zu verärgern. Wenn jemand seine sorgfältig erarbeiteten Trainingspläne so kurzfristig torpedierte, konnte er auch schon mal laut werden.

Ein leises Seufzen entfuhr Hannah just in dem Augenblick, als jemand von hinten gegen sie stieß – so schwungvoll, dass sie einen Schritt nach vorn taumelte und unwillkürlich die Arme ausbreitete, um nicht zu fallen.

»Sakra, das wollte ich net«, sagte eine dunkle Stimme, die warm und ein wenig rau war und Hannah an ein knisterndes Torffeuer erinnerte. »Entschuldigen Sie vielmals. Hab ich Ihnen wehgetan?«

Sie wandte sich um. Dabei fiel ihr Blick zuallererst auf ein Ungetüm von einer Grünpflanze, halb so hoch wie der Mann, der sie trug, und gut doppelt so breit, mit langen, herabhängenden und dicht belaubten Zweigen.

Über dem Blattwerk blickten die intensivsten grünen Augen Hannah an, die sie jemals gesehen hatte. Dunkel und mit goldenen Reflexionen, wie ein geheimnisvoller Wald an einem sonnigen Tag. Unwillkürlich klopfte ihr Herz schneller, und sie vergaß, wie ungeduldig sie eben noch gewesen war.

Der Fremde war einen Kopf größer als sie. Breite Schultern spannten sich unter seinem blauen Hemd. Seine dunklen Haare waren kurz geschnitten und ließen ein sonnengebräuntes Gesicht frei, das zu kantig war, um schön genannt zu werden, Hannas Blick jedoch fesselte.

»Es tut mir wirklich leid«, fügte er hinzu, als sie schwieg. »Sind Sie in Ordnung?«

»Ja, mir ist nichts passiert. Hat Ihre Pflanze den Zusammenstoß heil überstanden?«

»Noch geht's ihr gut, ja, allerdings hat das arme Ding keine Chance.« Zu Hannahs Überraschung setzte der junge Mann die Pflanze ab und streckte die Daumen vor. »Sehen Sie das? Kein bisschen grün. Bei mir gehen sogar Papierblumen ein.« Sein selbstkritischer Blick brachte Hannah zum Schmunzeln.

»Warum haben Sie sich dann eine Pflanze gekauft?«

»Ich bin hier in der Stadt, um Freunde zu besuchen. Sie haben eine Gärtnerei eröffnet und hielten es für eine gute Idee, mir einen ihrer Zöglinge zu schenken. Angeblich ist diese Sorte net totzukriegen.«

»Und Sie zweifeln daran?«

»Absolut.«

»Ist das net ziemlich pessimistisch gedacht?«

»Reine Erfahrungssache. Je mehr ich mich bemühe, Pflanzen am Leben zu halten, umso schneller gehen sie ein. Als meine Eltern verreist waren und ich mich um ihre Blumen kümmern sollte, kränkelten ihre Orchideen plötzlich. Freunde rieten mir, ihnen Musik vorzuspielen, also legte ich Mozart auf.«

»Und? Hat es funktioniert?«

»Drei Tage später waren sie voller Wollläuse.«

»Oh.« Hannah versuchte ihr Lachen zu verbergen, aber als er sie schief anlächelte, platzte es doch aus ihr heraus. »Vielleicht mögen Orchideen keine Klassik. Sie könnten es mit Schlagern probieren.«

»Danke für den Tipp.« Ein Lächeln blinkte in seinen Augenwinkeln.

Hannah betrachtete das grüne Ungetüm.

»Was ist das eigentlich?«

»Ich habe net den Hauch einer Ahnung«, bekannte er. Seine offene Art gefiel ihr, aber bevor sie sich noch länger unterhalten konnten, rollte die S-Bahn ein, und die Türen öffneten sich zischend.

»Ich muss los«, sagte sie leise.

»Hat mich gefreut«, erwiderte der junge Mann und blickte ihr noch sekundenlang in die Augen. Dann bückte er sich, um seine Pflanze aufzunehmen. Im Gedränge verlor Hannah ihn aus den Augen. Die Menschen am Gleis drängten sich näher an den Zug heran und schoben Hannah mit sich, sodass sie den Unbekannten nicht mehr sah. Schade, dachte sie.

Wenig später betrat sie das Abteil und wurde mehr geschoben, als dass sie ging. Eine Haltestange zum Festhalten hatte sie nicht in greifbarer Nähe, aber das machte nichts. Es war ohnehin kein Platz, um hinzustürzen.

Vor ihr stand ein junger Mann mit Ohrhörern, aus denen dumpfe Bässe wummerten. Sein Blick verlor sich auf seinem Handy. Irgendwo kaute jemand auf einer belegten Semmel herum. Der Geruch von Zwiebeln wehte herüber.

Die Türen schlossen sich. Ein Ruck ging durch die Bahn, als sie wieder anfuhr. Hannah stellte die Füße ein wenig auseinander, um besseren Stand zu haben. Die Begegnung mit dem fremden jungen Mann hatte sie für kurze Zeit abgelenkt und sie vergessen lassen, wie elend sie sich fühlte.

Als Ballerina war sie Schmerzen gewohnt. Die gehörten zum Training dazu. Tänzern tat immerzu etwas weh, ob Muskeln, Knochen oder Sehnen. Nach drei Stunden in Ballettschuhen und auf der Spitze tanzend, waren die Zehen gequetscht und wund gerieben. Muskelzerrungen und Sehnenentzündungen, kaputte Knie – all das gehörte zu ihrem Alltag dazu. Normalerweise halfen ihr regelmäßige Massagen und Ultraschallbehandlungen, die Beschwerden im Griff zu behalten.

Seit Kurzem jedoch war irgendetwas anders als früher. Ihr Körper spielte nicht mehr mit.

Er schmerzte mehr als sonst, fühlte sich schwer und träge an. Hannah konnte das Gleichgewicht nicht mehr so gut halten und war oft so matt, dass sie morgens kaum die Kraft fand, um aufzustehen. Eine Katastrophe für sie.

Seit sie denken konnte, hatte sie immer nur eines gewollt, nämlich zu tanzen. Während andere Kinder nach der Schule gespielt, sich im Freibad oder auf ein Eis in der Stadt getroffen hatten, hatte sie trainiert. Immer nur trainiert. Mit eiserner Disziplin und Talent war sie Ballerina geworden und stolz darauf, dem Salzburger Ballettensemble anzugehören. Einen Urlaub hatte sie sich schon lange nicht mehr gegönnt.

Vielleicht war es das. Vielleicht sollte sie sich eine kleine Auszeit nehmen und sich erholen.

Doch das war unmöglich. Sie steckten mitten in den Proben zu einem neuen Ballett. Hannah konnte jetzt unmöglich ausfallen.

Also biss sie die Zähne zusammen, als die S-Bahn ihre Station erreichte, drängte sich aus dem Zug und eilte mit langen Schritten zu dem Probenzentrum, das sich Schauspiel, Oper, Ballett und Junges Land teilten.

***

Hannah trat durch die rote Eingangstür, nahm die Treppe zum Probenraum und atmete auf, als sie ihren Ballettmeister neben dem Klavier stehen und mit dem Musiker sprechen sah. Das Training hatte noch nicht begonnen.

Sie stellte ihren Rucksack an einem freien Platz an einer der hüfthohen Stangen ab, mit denen die Wände versehen waren. Deckenhohe Wandspiegel fingen jede Bewegung ein. Von der Decke strahlten die Deckenleuchten und tauchten die bereits anwesenden Tänzerinnen und Tänzer in kühles weißes Licht. Hier und da flog ein Gruß zu Hannah heran, den sie erwiderte. Sie vertauschte ihre Straßenschuhe mit Schläppchen und trat an die Stange, um mit dem Dehnen zu beginnen.

Leggins, Stulpen und ein eng sitzendes weißes T-Shirt trug sie bereits – ihr übliches Outfit, wenn sie zum Training ging.

An diesem Tag brachte es ihr einen prüfenden Blick von Juri ein, der seine Unterhaltung mit dem Klavierspieler beendet hatte und in dem gleitenden Gang, der Tänzern eigen war, zu ihr herüberkam. Er stammte aus Tschechien, lebte jedoch seit über zwanzig Jahren in Salzburg und konnte auf eine überaus erfolgreiche Karriere als Solotänzer zurückblicken. Seit fünf Jahren arbeitete er als Ballettmeister und Trainer.

»Hast du zugelegt?«, fragte er geradeheraus.

Hannah blickte an sich hinunter. Sie hatte noch nie Probleme mit ihrem Gewicht gehabt. Mit einem regen Stoffwechsel gesegnet, konnte sie beinahe alles essen, ohne zuzunehmen. Vor allem, wenn sie täglich zehn bis zwölf Stunden trainierte. Häufig mit zusätzlichen Gewichten an ihren Beinen, um die Sprungkraft zu erhöhen.

»Ich glaube net.«

Juri ließ ein kurzes Schnauben hören, das sie nicht recht deuten konnte, dann bewegte er sich in die Mitte des Raumes und eröffnete das Training.

Hannah zwang sich, die Übungen zu absolvieren. An diesem Tag fiel es ihr schwerer als sonst. Ihr Körper schien ihrem Willen nur widerwillig zu gehorchen. Nach einer Stunde war sie schweißgebadet. Nach zwei Stunden zitterten ihre Glieder. Nach drei Stunden fand das Training ein jähes Ende.

Sie übte mit Leon, einem ihrer Kollegen und Tanzpartner, eine Hebefigur. Doch als er sie gerade über seinen Kopf hob, ließ er sie plötzlich los!

Hannah landete unsanft auf dem Boden. Die Luft wich zischend aus ihrer Lunge. Der schmerzhafte Aufprall trieb ihr die Tränen in die Augen. Verdammt! Der Fluch blieb ihr fast in der Kehle stecken, als sich ihr Tanzpartner vor ihr krümmte und ein vernehmliches Stöhnen von sich gab.

»Leon?« Erschrocken rappelte Hannah sich auf und beugte sich zu ihm. »Was ist denn? Hast du dich verletzt?«

»Eine Zerrung, wenn net Schlimmeres.« Mühsam richtete er sich auf und stemmte eine Hand in seinen Rücken. »Das ist deine Schuld. Du bist zu schwer!«

»Zu schwer?« Hannah schüttelte verwirrt den Kopf.

»Ich hab dich kaum hochstemmen können.«

»Leon, das ist unmöglich.«

»Vielleicht auch net.« Juri trat vor und fasste den jungen Tänzer fest in den Blick. »Kannst du weitertrainieren?«

»Heute? Ausgeschlossen.«

Der Trainer fluchte leise.

»Dann fahr heim und kuriere dich aus, Leon«, sagte er dann. »Ihr anderen macht weiter. Und du, Hannah, kommst mit mir.«

Hannah blinzelte verwirrt, folgte ihm dann aber in den Umkleideraum. Hier stand neben etlichen Spinden eine Waage. Auf die deutete ihr Trainer nun.

Sie zuckte die Achseln und stellte sich darauf.

Im nächsten Moment riss sie die Augen auf. Zweiundsechzig Kilogramm?

»Da muss ein Fehler vorliegen.« Sie trat von der Waage herunter und stellte sich erneut darauf. Dieselbe Anzeige wie schon zuvor. Ungläubig starrte sie auf die Zahl. »Aber das ... das kann net stimmen. Ich wiege seit Jahren achtundvierzig Kilo. Vor sechs Wochen beim Wiegen war das auch noch so.«

»Jetzt aber nimmer«, kommentierte Juri leise.

Hannah war wie vor den Kopf geschlagen. Sie hatte vierzehn Kilozugenommen? In nur sechs Wochen? Wie war das möglich? Sie hatte nicht anders gegessen als sonst – höchstens weniger, weil sie mitten im Studium einer neuen Rolle steckte und oftmals die Zeit fürs Essen fehlte. Der arme Leon. Für einen Tänzer machten zehn Kilo mehr einen Riesenunterschied bei den Hebefiguren ...

Ihr Trainer sah sie prüfend an.

»Was ist los mit dir?«

Ratlos zog Hannah die Schultern hoch und ließ sie wieder sinken.

Das hätte sie allerdings auch gern gewusst!

***

Hannah aß nur noch das Allernötigste und nahm trotzdem weiter zu. Eine Woche später war sie bei achtundsechzig Kilogramm. Dabei hatte sie kaum mehr als Wasser und Suppe zu sich genommen. Ein flaues Gefühl saß ihr im Nacken und begleitete jede Mahlzeit. Was stimmte nur nicht mit ihr?

Während des Trainings war sie sich der fragenden und mitfühlenden Blicke ihrer Kolleginnen und Kollegen bewusst, denen ihre wachsenden Rundungen nicht entgingen. Leon fiel verletzungsbedingt weiter aus. Er hatte sich eine Zerrung zugezogen und durfte noch nicht wieder trainieren.

Da Hannah wegen ihres Gewichts für die Hebefiguren vorerst nicht mehr infrage kam, blieb ihrem Ballettmeister nichts anderes übrig, als eine andere Tänzerin mit ihrer Rolle in dem neuen Stück zu betrauen.

Das war ein bitterer Brocken, den sie zu schlucken hatte.

Hannah war am Boden zerstört und ratlos. Sie musste unbedingt herausfinden, was mit ihrem Körper nicht in Ordnung war.

Allein würde ihr das nicht gelingen, das wusste sie, und so fuhr sie an diesem Tag vom Probenzentrum aus direkt zu ihrer Hausärztin.

Frau Dr. Langstädter hatte ihre Praxis im Westen von Salzburg. Es war ein gelbes Haus in einem Villenviertel, das von hohen Hecken umgeben war.

Hannah betrat die Praxis und war hin- und hergerissen zwischen ihrem Wunsch, endlich zu erfahren, warum sie sich so elend fühlte, und der Furcht, was ihre Ärztin wohl herausfinden würde.

Sie musste fast zwei Stunden im Wartezimmer ausharren, weil sie ohne einen Termin gekommen war. In dieser Zeit wurde sie immer nervöser. Unter ihrer Haut kribbelte es, und die Furcht klemmte wie ein kalter Klumpen in ihrer Kehle.

Um sich abzulenken, griff sie nach einer der Zeitschriften, die hier auslagen.

Es dauerte eine geschlagene Viertelstunde, bis ihr auffiel, dass sie die Zeitschrift falsch herum hielt.

Endlich wurde sie aufgerufen und betrat das Sprechzimmer ihrer Hausärztin. Irene Langstädter war eine hochgewachsene, schlanke Frau von fünfundvierzig Jahren, die sie mit einem freundlichen Lächeln bat, Platz zu nehmen.

»Was kann ich für Sie tun, Frau Lambertin?«

»Irgendetwas stimmt net mit mir«, begann Hannah, und dann schilderte sie ihrer Hausärztin, wie matt und antriebslos sie sich in letzter Zeit fühlte, wie weh ihr alles tat und dass sie innerhalb kurzer Zeit zwanzig Kilo zugenommen hatte.

Ihre Ärztin hörte ihr aufmerksam zu und machte sich einige Notizen.

»Sie scheinen mir ein ganz normales Gewicht für eine junge Frau Ihrer Größe zu haben. Achtundsechzig Kilogramm sind bei eins siebzig absolut im Rahmen.«

»Aber net für eine Ballerina!«

»Nun, nein, das wohl nicht. Auch die Zunahme in der kurzen Zeit ist ungewöhnlich.« Ihre Ärztin sah sie forschend an. »Das klingt für mich nach Frustessen. Das kennen wir doch alle, net wahr? Wenn einem das Leben Knüppel zwischen die Füße wirft, tröstet nichts so gut wie Eiscreme und Schokolade.«

»Ich esse nie Eis oder Schokolade. Niemals!«

»Dann vielleicht andere Sachen. Könnte es sein, dass Sie Probleme oder Stress bei der Arbeit haben? Oder Liebeskummer?«

»Nein. Ich habe viel zu tun, ja. Das Training ist anstrengend, aber net mehr als sonst auch.«

»Was ist mit einem Partner? Haben Sie sich kürzlich getrennt?«

»Ich bin allein. Mein Beruf lässt mir net viel Zeit für ein Privatleben. Ich esse auch bestimmt net aus Frust. Tatsächlich habe ich in den vergangenen Wochen sogar weniger gegessen als sonst.«

»Verstehe.«