Der Bergdoktor 2169 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2169 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Weil er sich den Fuß verstaucht hat, ist Niklas Eschauer in die Praxis von Dr. Burger gekommen. Dem Bergdoktor macht allerdings nicht die schmerzhafte Zerrung seines Patienten Sorgen, sondern dessen massives Übergewicht. Wenn Niklas nicht endlich weniger isst und mehr Sport treibt, wird er nicht alt. Schon jetzt sind seine Blutwerte dramatisch.
Natürlich weiß Dr. Burger, dass Niklas krankhaftes Essverhalten eine Ursache hat. Doch die ist noch schwerer zu behandeln als die überflüssigen Kilos ...


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Seitenzahl: 136

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Wer kann von Luft und Liebe leben?

Vorschau

Impressum

Wer kann von Luft und Liebe leben?

Über den Mut, seinen Träumen zu folgen und Gefühle zu zeigen

Von Andreas Kufsteiner

Weil er sich den Fuß verstaucht hat, ist Niklas Eschauer in die Praxis von Dr. Burger gekommen. Dem Bergdoktor macht allerdings nicht die schmerzhafte Zerrung seines Patienten Sorgen, sondern dessen massives Übergewicht. Wenn Niklas nicht endlich weniger isst und mehr Sport treibt, wird er nicht alt. Schon jetzt sind seine Blutwerte dramatisch.

Natürlich weiß Dr. Burger, dass Niklas' krankhaftes Essverhalten eine Ursache hat. Doch die ist noch schwerer zu behandeln als die überflüssigen Kilos ...

Dr. Burger stand auf und trat aus dem Behandlungsraum, denn aus dem Wartezimmer erklang lauter Lärm. Auch Sprechstundenhilfe Bärbel Tannauer kam hinter dem Empfangstresen hervor und schüttelte den Kopf.

»Gottlieb Hähnel?«, fragte der Bergdoktor.

»Ja, unser Streithähnel. Und heute scheint es ihm besonders schlecht zu gehen. Er randaliert ja geradezu«, erwiderte Bärbel.

Sie wollte schon nach dem Rechten sehen, doch Dr. Burger hielt sie zurück. Sehr zu ihrer Erleichterung, denn wenn Gottlieb in dieser Verfassung war, legte man sich ungern mit ihm an. Hähnel, nicht ohne Grund allgemein »Streithähnel« genannt, kannte dann keine Grenzen und beschimpfte jeden ohne Ansehen der Person.

Selbst Hochwürden Roseder, der einmal herbeigeeilt war und ihn um Mäßigung gebeten hatte, war schon Opfer seiner haltlosen Schmähungen geworden, die darin gegipfelt hatten, dass der Priester wohl zu tief ins Glas als auch in die Augen seiner Köchin geschaut hätte.

»Wilde Tänze in der Sakristei«, hatte Gottlieb Hähnel noch hervorgestoßen, ehe er weggeführt und ruhiggestellt worden war.

Nun öffnete der Bergdoktor entschlossen die Tür zum Wartezimmer und verschaffte sich zunächst einmal einen Überblick. Gottlieb, von manchen als »wilder Greis« bezeichnet, stand mit gesträubtem Haar vor seinem Kontrahenten, die magere Gestalt angriffslustig vorgereckt. Das wirkte umso seltsamer, weil es sich bei seinem Gegenüber um einen kräftigen jungen Mann mit ausladender Gestalt handelte, der es jedoch nicht wagte, sich zur Wehr zu setzen.

Die Leitner-Bäuerin, schon lange die erklärte Feindin Gottliebs, kreischte derart schrill dazwischen, dass nicht zu verstehen war, was Gottlieb dem Eschauer-Niklas eigentlich vorzuwerfen hatte.

»Gottlieb, was gibt es? Kann ich dir helfen?«

Als Gottlieb Hähnel die sonore Stimme des Bergdoktors vernahm, glätteten sich seine verzerrten Züge und er wandte sich Dr. Burger zu.

»Der sitzt auf meinem Platz, der Bazi. Nur von dort aus kann man sehen, was auf der Straße vor sich geht. Eigentlich braucht er gleich zwei Plätze für sich, der Fettkloß. Wie kann man nur so fett und hässlich sein ...«

»Und du bist wohl ein Adonis, Gottlieb«, rief die Leitnerin aus und geckerte boshaft.

»Halt die Goschen, bleede Bixen!«, fuhr Gottlieb sie grob an.

»Wir klären das im Sprechzimmer, Gottlieb«, sagte Dr. Burger ruhig, und Streithähnel ließ sofort von seinem Opfer ab.

»Hoffentlich bekommst du gleich drei Spritzen«, zischte die Leitnerin, die genau wusste, dass Streithähnel große Angst vor Injektionen hatte.

Das brachte ihr einen strafenden Blick des Bergdoktors ein, was sie aber nicht beeindruckte. Beim Hinausgehen sah Dr. Burger noch, dass flammende Röte das Gesicht Niklas Eschauers bedeckte, und er empfand großes Mitleid mit dem jungen Mann.

Kein Zweifel, Niklas litt sehr unter seiner äußeren Erscheinung.

»Was fehlt dir heute, Gottlieb?«

Gottlieb Hähnel schien sich zu besinnen, doch von seinen eingebildeten Leiden fiel ihm ausnahmsweise kein einziges ein. Wahrscheinlich hatte er die Praxis nur aufgesucht, um der Einsamkeit seiner Behausung zu entrinnen, was er mit diesem Auftritt überspielen wollte. Lieber wollte er von allen gehasst als bemitleidet werden ...

»Willst du nicht das Obergeschoss von deinem Haus vermieten? Es ist ja nicht gut, dass du so allein haust«, schlug der Bergdoktor vor.

»Damit ich keine Ruh mehr hab? Oder es ziehen Mietnomaden ein, die alles verwüsten, nichts bezahlen und dann bei Nacht und Nebel verschwinden. Aber net mit mir«, keifte Gottlieb aufgebracht.

»Nicht alle sind so«, wandte der Bergdoktor ein.

»Ich bin dran gewöhnt, allein zu sein. Die täten mich bloß stören.«

»Und wie wär's, wenn du dir ein Hunderl anschaffen würdest? Dann könntest du mit ihm Spaziergänge unternehmen, was gut für deine Gesundheit wäre.«

»Na, bloß das net. Die kläffen bei Tag und Nacht, sodass man keinen Schlaf mehr hat. Und dann kommt es zu Streitigkeiten mit den Nachbarn.«

Gottlieb zog überlegend die Brauen zusammen und grinste plötzlich. Die Aussicht auf Nachbarschaftsstreitigkeiten schien ihm offenbar zu gefallen, was dem Bergdoktor allerdings nicht entging.

»Eigentlich doch kein guter Gedanke. Du müsstest in aller Herrgottsfrühe mit dem Hund Gassi gehen, und das Futter und die Tierarztbesuche kosten auch so einiges«, sagte Dr. Burger schnell.

Gottfried gab einen knurrenden Laut von sich.

»Aber ich mache dir einen ganz anderen Vorschlag. Das alles hier hat dich doch sehr belastet, dass der Niklas dir nicht deinen Platz überlassen hat und dann auch noch die Kränkungen durch die Leitner-Bäuerin, nicht wahr?«

»Niemand versteht mich ...«

»Ja, das ist bedauerlich. Aber es gibt neuerdings ein wahres Wundermittel ...«

»Aber nur keine Spritze, alles, nur das nicht«, unterbrach Gottlieb den Bergdoktor erneut mit zittriger Stimme.

»Das weiß ich doch. Nein, ich werde dir etwas verschreiben, ein Naturmittel, das Wunder wirkt. Du nimmst morgens und abends zwei Pillen und wirst dich bald besser fühlen«, versprach der Bergdoktor.

»Etwa Bilsenkraut oder etwas mit Hanf?«, fragte Gottlieb misstrauisch.

Der Bergdoktor musste lachen.

»Nein, natürlich nicht. Es gibt Heilkräuter, die in Vergessenheit geraten sind, inzwischen aber wiederentdeckt wurden. Vor allem haben sie keine Nebenwirkungen und sind so gut verträglich, dass man sie über einen längeren Zeitraum einnehmen kann. Das ist dir sicher lieber als eine Aufbauspritze«, erklärte Dr. Burger.

»Dann will ich es damit versuchen«, meinte Gottlieb in einem Ton, als ob er ein großes Opfer bringen würde.

»Das ist die richtige Einstellung«, lobte ihn der Bergdoktor.

Er stellte das Rezept aus und reichte es Gottlieb Hähnel, der es wie ein kostbares Geschenk entgegennahm.

»Und dann machst du noch lange Spaziergänge, das geht auch ohne Hunderl«, fügte Dr. Burger lächelnd hinzu.

»Das bring' ich gleich in die Roswitha-Apotheke, damit ich das Wundermittel heut' schon ausprobieren kann«, sagte Gottlieb eifrig.

Der Patient verließ das Sprechzimmer, rief Bärbel Tannauer sogar einen Gruß zu und wedelte fast übermütig mit dem Rezept herum, was diese sehr verwunderte. Es war eben doch erstaunlich, wie es dem Bergdoktor immer wieder gelang, auch die schwierigsten Patienten zur Vernunft zu bringen, dachte sie.

Als Nächstes war die Leitnerin an der Reihe, die sich ihren Blutdruck überprüfen lassen musste. Die Bäuerin war eine sehr umtriebige, neugierige Frau, die alles genau wissen wollte und zur Klatschsucht neigte. So traf man sie auf allen Vereinsfesten, in Kirmeszelten und auf fast jeder Beerdigung an. Angeblich schlich sie sich sogar auf Familienfeiern und anderen geschlossenen Gesellschaften ein. Nichts und niemand konnte sie daran hindern, anschließend ihre Beobachtungen im »Einkaufsparadies«, wie der Gemischtwarenladen der Jeggl-Alma hieß, eingehend auszubreiten.

»Dein Blutdruck ist ziemlich erhöht, das gefällt mir überhaupt nicht«, ließ sich der Bergdoktor mit gerunzelter Stirn vernehmen.

»Aber ich hab die Medizin regelmäßig genommen«, erwiderte die Bäuerin.

»Das glaube ich dir. Aber ich finde, du solltest dir etwas mehr Ruhe gönnen und nicht auf jeder Hochzeit tanzen«, meinte Dr. Burger.

»Ich tanz' net auf jeder Hochzeit«, gab die Leitnerin gekränkt zurück.

»Jedenfalls musst du es ruhiger angehen lassen. Ich verschreibe dir ein stärkeres Medikament, und in einer Woche kommst du wieder. Vielleicht ist das auch nur eine vorübergehende Schwankung«, fügte er hinzu.

»Ja, weil ich mich wieder über den Streithähnel so aufgeregt hab, das wird der Grund sein«, sagte sie in giftigem Ton.

Darauf erwiderte der Bergdoktor nichts, sondern unterdrückte lediglich einen Seufzer.

Schließlich wurde Niklas Eschauer aufgerufen, der sich zögernd auf dem Besucherstuhl niederließ.

»Ich hab mir anscheinend den Fuß verstaucht«, sagte er.

Der Bergdoktor tastete die schmerzende Stelle behutsam ab und kam bald zu einem eindeutigen Ergebnis.

»Es handelt sich um eine Zerrung. Die ist zwar schmerzhaft und kann auch langwierig sein, heilt aber komplett aus. Etwas anderes macht mir viel mehr Sorgen ...«

»Ich weiß, mein Übergewicht«, fiel ihm Niklas ins Wort.

»Ja. Wie ich sehe, hat es sich seit deinem letzten Besuch sogar noch verschlimmert. Das ist ein erhebliches Gesundheitsrisiko, das weißt du selbst. Im Anschluss werde ich dir noch Blut abnehmen.«

Niklas nickte ergeben.

Als die ganze Prozedur schließlich beendet war, sah der Bergdoktor seinen jungen Patienten prüfend an.

»Was ist denn, deiner Meinung nach, der Grund für dein Essverhalten?«, fragte er Niklas dann eindringlich.

»Ich war ja als Kind schon net grad mager. ›Moppel‹ hat man mich in der Grundschule genannt. Bei meiner Geburt hab ich wenig gewogen und wollt' auch net zunehmen, sodass meine Mutter mich dauernd gefüttert hat. Und das blieb halt so, auch als ich schon längst das Normalgewicht erreicht hatte. Immer hat sie Angst gehabt, ich tät vom Fleisch fallen, selbst als ich schon erwachsen war. Und ihr Tod vor ein paar Monaten ...«

Niklas senkte den Kopf, damit der Bergdoktor nicht sehen konnte, dass ihm die Tränen in die Augen gestiegen waren.

»Das war schwer für dich.«

Niklas hatte unter dem frühen Tod seiner Mutter sehr gelitten, was wohl dazu geführt haben mochte, dass er noch mehr Essen in sich hineingestopft hatte, um Trost zu finden. Wenigstens trank er keinen Alkohol, als warnendes Beispiel dafür diente ihm sein Vater, der sich betrunken ans Steuer gesetzt hatte und tödlich verunglückt war.

»Ist die Regula eigentlich wieder zu Hause?«, wollte Dr. Burger wissen.

Ein Lächeln glitt über Niklas Eschauers Gesicht. Er und seine Schwester Regula hatten sich immer nahe gestanden.

»Ja, schon seit letzter Woche. Gott sei Dank. Jetzt bin ich wenigstens nimmer allein in dem großen Haus.«

»Lass dich bald wieder blicken, Niklas. Und merk dir – weniger essen und mehr bewegen«, riet der Bergdoktor streng.

Schon die Art, wie Niklas sich erhob, verriet, dass er keinen Sport trieb und sich überhaupt ungern bewegte. Und der Bergdoktor ahnte, dass es nicht leicht sein würde, Niklas dazu zu bringen, seinen gesundheitsschädlichen Lebensstil zu ändern. Aber zunächst einmal hieß es abwarten, wie es um seine Blutwerte stand.

***

Ein arbeitsreicher Tag war zu Ende, und wenn es nicht noch einen Notfall gab, konnte Martin den Abend mit seiner Familie verbringen. Häufig genug wurde er auch noch zu später Stunde zu einem Kranken gerufen oder eine Jungbäuerin lag in den Wehen. Im Doktorhaus wurde er von der fast neunjährigen Tessa empfangen, die sich ihm in die Arme warf. Ihre Brombeeraugen leuchteten, und ihre dunklen Locken, denen sie den Kosenamen »Schneckerl« verdankte, tanzten um ihr reizendes Gesicht.

»Heute ist Spieleabend, hoffentlich hast du das nicht vergessen«, sagte sie und legte den Kopf schief.

»Wie könnte ich das vergessen! Schließlich verliere ich immer haushoch gegen die Zenzi und muss mich von euch verspotten lassen«, gab Martin zurück und lachte.

»Aber wenigstens ist euer Vater ein guter Verlierer«, meinte seine Frau Sabine, die dazugekommen war und Martin zärtlich auf die Wange küsste.

Auch Philipp, der Filli genannt werden wollte, gesellte sich zu ihnen und ließ sich von seinem Vater liebevoll die blonden Haare verwuscheln, die er von seiner Mutter geerbt hatte. Er war ein sehr wissbegieriger Junge, der sich darauf freute, bald in die Schule zu kommen.

»Schläft die Laura schon?«

»Ja, tief und fest. Ich habe ihr ein Märchen aus meiner Zillertaler Chronik vorgelesen«, gab Dr. Pankraz Burger zur Antwort, der gerade die Treppe vom Obergeschoss heruntergekommen war.

»Hauptsache, du singst ihr nichts vor«, meinte Martin ein wenig boshaft, was sein Vater aber nicht übel nahm.

»Ich weiß schon, dass ich das Kindl dann so verschrecken würde, dass es die ganze Nacht kein Auge mehr zumacht.«

Alle lachten, dann ging man ins Esszimmer, wo der Tisch schon gedeckt war und angenehme Düfte aus der Küche drangen. Zenzi Bachhuber kam mit einer großen Terrine heraus, die sie vorsichtig absetzte.

»Ein Gemüseeintopf mit Nudeln, einfach köstlich«, gab Pankraz genießerisch von sich und nahm Platz.

»Davon darfst du sogar zwei Teller voll essen«, bemerkte seine Schwiegertochter etwas spöttisch, »wenn du nicht gleichzeitig den halben Brotkorb leerst.«

»Dass du immer so streng zu mir bist«, erwiderte Pankraz theatralisch, was Sabine ein Lächeln entlockte.

Denn Pankraz liebte gutes Essen über alles und neigte daher zur Fülle. Das wiederum bereitete Sabine Sorgen, sodass sie ihm häufig riet, sich zu mäßigen.

Zenzi nahm nun auch Platz, stand aber gleich wieder auf, als Poldi, der Rauhaardackel, sich unter dem Tisch verkroch, wo er sicher sein konnte, dass sein Herrchen ihm ein Leckerchen hinunterreichte.

»Für Poldi hab ich ein Würstl, das hätt' ich fast vergessen«, sagte Zenzi und verschwand in der Küche.

»Für mich auch?«, fragte Pankraz hoffnungsfroh.

»Und gibt es danach noch einen Nachtisch?«, wollte Tessa wissen.

»Nur der Poldi bekommt ein Würstl, und ob es eine Süßspeise gibt, das verrate ich net«, erwiderte Zenzi ungerührt.

Tessa stieß einen tiefen Seufzer aus, dann aber bemerkte sie, dass um Zenzis Lippen ein Lächeln zuckte. Zenzi mochte noch so streng sein, aber ihrem Naschkatzerl, wie sie Tessa nannte, konnte sie einfach nichts abschlagen.

Nach dem Essen – es hatte noch eine wunderbare Süßspeise im Anschluss an den Eintopf gegeben – begann der Spieleabend. Und wie vorauszusehen war, verlor Martin wieder gegen Zenzi und einmal sogar gegen Tessa.

Nachdem die Kinder zu Bett gebracht worden waren, saß man noch eine Weile bei einem Glaserl Wein zusammen, was für alle, auch für Zenzi, eine liebgewonnene Gewohnheit war. Martin schilderte anschaulich, wie der Streithähnel sich wieder einmal aufgeführt hatte, was alle zum Lachen brachte.

»Aber eigentlich ist er ja zu bedauern. Er hat es nie verwunden, dass seine Jugendliebe ihn net geheiratet hat«, meinte Zenzi nachdenklich.

»Der Streithähnel war mal verliebt? Das kann man sich aber kaum verstellen«, sagte Martin zweifelnd.

»Der Gottlieb war früher ein schmucker, lustiger Bursch. Aber dann hat er sich so verändert, dass man ihn net wiedererkannt hat. Das war richtig traurig, denn nichts und niemand hat ihn trösten können«, erinnerte sie sich.

»So betrachtet, kann er einem wirklich leidtun. Wenn er sich nur nicht so gegen alles sperren würde«, meinte Martin. »Und dass er sich immer so fürchterlich bei jeder Gelegenheit mit der Leitnerin streiten muss.«

»Ich glaub', das ganze Gezänk mit ihr tät ihm sehr fehlen. Das ist wohl eine Art Hassliebe«, fand Zenzi.

»Wenn man daran denkt, wie manche Eheleute sich im Alter ankeifen! Und doch können sie nicht ohneeinander sein«, bemerkte Pankraz.

Nachdenkliches Schweigen senkte sich über den Raum, und zuletzt entschloss man sich, zu Bett zu gehen. Zenzi wollte vorher noch etwas in der Küche vorbereiten, und Pankraz zog sich in das angrenzende Kabinettl zurück, weil er noch an seiner Zillertaler Chronik schreiben wollte.

Seit Längerem schon sammelte er aus alten Archiven und Kirchenbüchern Geschichten und Legenden aus der Gegend, und in abgelegenen Bergdörfern erzählten ihm die alten Frauen oft Sagen und Märchen, die seit Jahrhunderten nur mündlich weitergegeben worden waren. Immer noch tat sich Neues vor ihm auf, und es stand zu befürchten, dass er mit seiner Chronik niemals fertig werden würde.

Poldi hatte sich in sein Körbchen unter dem Treppenaufgang zurückgezogen und träumte von einer unendlichen Kette von Würsteln, die ihm sein Herrchen unter den Tisch reichen würde. Und danach von einer wilden Verfolgungsjagd, damit er endlich den Nachbarskater, ein fauchendes Untier, einmal ordentlich durchschütteln konnte.

Martin und Sabine stiegen hoch ins Obergeschoss, um nach den Kindern zu sehen. Die kleine Laura schlief mit roten Bäckchen, das erfüllte die Burgers mit großer Dankbarkeit, denn sie war lange ein Sorgenkind gewesen. Bettdecken wurden behutsam glatt gestrichen und Spielzeug beiseite gelegt, dann betraten die Burgers das blaue Schlafzimmer.

Wie der Name schon besagt, fand sich in der Einrichtung diese Farbe in allen Schattierungen wieder. Selbst der Hintergrund des Tiroler Bauernschranks mit seinen weißen Rosen und roten Herzen erstrahlte in tiefem Blau. Der Mittelpunkt des Raums war jedoch ein Himmelbett, das die romantische Atmosphäre noch steigerte.

Das blaue Schlafzimmer war das Refugium des Paares, wo sie sich alles anvertrauten, was ihnen am Herzen lag. Und so berichtete Martin auch von Niklas Eschauer, der so sehr unter seinem Aussehen litt, aber nicht die Kraft fand, etwas daran zu ändern.

Da Sabine auch Ärztin war, war sie es gewohnt, die Schweigepflicht zu wahren, sodass der Bergdoktor sich mit ihr über seine Patienten unterhalten konnte. Auch sie war davon überzeugt, dass Niklas unter einer ernsthaften Essstörung litt, die sich im Lauf der Zeit immer mehr zu verfestigen schien.

»Hat er eigentlich schon mal eine Freundin gehabt?«, wollte Sabine wissen.