1,99 €
Frühling im Zillertal! Der Mai mit seiner Blütenpracht ist nicht nur für die Familie Burger ein Monat, den man gern ein bisschen verlängern würde.
Auch auf dem Hochsteiner-Hof freuen sich Luis und Linda Peitner und ihr kleines Sannerl über die schönen, sonnigen Tage. Niemand hätte es für möglich halten, dass es in dieser wunderbaren Zeit zu einem tragischen, unfassbaren Unglück kommt, das St. Christoph erschüttert und eine junge Familie zerstört.
Das Schicksal scheint keine Gnade zu kennen. Aber darf es sein, dass dunkle Gefühle wie Angst und Verzweiflung die Oberhand gewinnen und alles, was den Sinn des Lebens ausmacht, für immer zerstören?
Nein, findet Dr. Burger. Und so setzt er sich dafür ein, dass aus den Trümmern eines vergangenen Glücks wieder das zarte Pflänzchen der Hoffnung emporwächst ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 115
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Noch im Trauerjahr ...
Vorschau
Impressum
Noch im Trauerjahr ...
Darf es schon ein neues Glück in ihrem Leben geben?
Von Andreas Kufsteiner
Frühling im Zillertal! Der Mai mit seiner Blütenpracht ist nicht nur für die Familie Burger ein Monat, den man gern ein bisschen verlängern würde.
Auch auf dem Hochsteiner-Hof freuen sich Luis und Linda Peitner und ihr kleines Sannerl über die schönen, sonnigen Tage. Niemand hätte es für möglich halten, dass es in dieser wunderbaren Zeit zu einem tragischen, unfassbaren Unglück kommt, das St. Christoph erschüttert und eine junge Familie zerstört.
Das Schicksal scheint keine Gnade zu kennen. Aber darf es sein, dass dunkle Gefühle wie Angst und Verzweiflung die Oberhand gewinnen und alles, was den Sinn des Lebens ausmacht, für immer zerstören?
Nein, findet Dr. Burger. Und so setzt er sich dafür ein, dass aus den Trümmern eines vergangenen Glücks wieder das zarte Pflänzchen der Hoffnung emporwächst ...
Es waren jene Tage zu Beginn des Frühlings, an denen man nicht so recht wusste, woher der Wind eigentlich wehte.
Manchmal war es in der Früh so frisch, dass es drinnen ohne gut geheizte Stuben und draußen ohne Jacken und Mützen sehr ungemütlich gewesen wäre.
Mittags erwärmte sich die Luft aber schon so angenehm, dass sich die bunten Frühlingsblumen in den Gärten der Sonne entgegenreckten. Die Schneeglöckchen waren eh schon ein paar Wochen vorher so mutig gewesen, trotz Kälte und Schnee zu verkünden, dass der Frühling nicht mehr aufzuhalten war.
Im Zillertal waren Wintertage ohne Schnee gar nicht denkbar. Auch dann, wenn der Tauwind bereits seinen Pflichten nachgekommen war und für grüne Talmulden gesorgt hatte, konnte es bald danach noch einmal »weiß« werden.
Das Hochtal rund um St. Christoph galt als »schneesicher«, wie die Skifahrer es nannten. Und droben am Feldkopf verschwand die weiße Pracht sogar dann noch nicht, wenn im Tal der Osterhase zur Freude aller Kinder (und der jung gebliebenen Erwachsenen!) von Haus zu Haus hoppelte. So weit war es jetzt noch nicht, aber dass der Frühling schon an die Türen klopfte und in den Gärten nach dem Rechten sah, ließ sich nicht leugnen.
Nach einem sehr frostigen Februar zeigte sich der März von seiner freundlichen Seite, hin und wieder gab es kleine »Schönheitsfehler« in Form von Regen. Kurz vor dem kalendarischen Frühlingsanfang – an einem ganz normalen Montag, der aber als angenehme Überraschung mildes und sonniges Wetter im Gepäck hatte – regten sich die Frühlingsgefühle sehr nachdrücklich, und die Sonnenstrahlen kitzelten auch die letzten müden »Winterschläfer« wach.
Herrlich! Auf dem Hochsteiner-Hof im Weiler Bergfelden waren Linda und Luis Peitner schon früh auf den Beinen. Arbeit gab es genug, aber das junge Ehepaar – er zweiunddreißig, sie vier Jahre jünger – freute sich auf den neuen Tag.
Das lag nicht nur daran, dass die beiden auf ihren schmucken Hof zu Recht stolz waren, sondern vor allen Dingen an ihrer kleinen Tochter, die jetzt ein Jahr und sechs Monate alt war.
Jeder Tag und jede Stunde mit ihrem Wunschkind war für Linda und Luis ein Geschenk, denn ihr zuckersüßes »Sannerl« hatte eine Weile auf sich warten lassen. Nach drei Jahren Ehe war dann die schöne Tiroler Wiege mit der kunstvollen Malerei – Herzvogerln und Bauernrosen – in Aktion getreten.
Die kleine Sanna Marisa, so lautete der Taufname des »Putzerls«, war ein glückliches Kind. Umgeben von der Liebe ihrer Eltern, wuchs die Kleine behütet auf, machte ein munteres Schrittchen nach dem anderen und stand schon recht fest auf den Beinchen, obwohl kleine »Missgeschicke« vorprogrammiert waren. Wenn man noch so klein war, konnte man schnell mal auf der Nase liegen!
Aber Sannerl war tapfer und ließ sich nicht entmutigen. Außerdem gab es Mama und Papa, die beide wunderbar trösten konnten, noch dazu den Egid, der seit vielen Jahren auf dem Hof unentbehrlich war, und die zuverlässige Margit, die seit fünfzehn Jahren überall dort anpackte, wo sie gebraucht wurde, sei es im Haus, in den Vorratscheunen, bei den Tieren oder wo auch immer.
Tragisch war es allerdings, dass Sannas Großeltern allzu früh diese Welt verlassen hatten. Kurz, nachdem sie ihrem Sohn Luis den Hof übergeben hatten, waren sie die Peitners von einem lang geplanten Urlaub – der erste nach vielen arbeitsreichen Jahren – nicht mehr zurückgekommen.
Im Dorf war man zutiefst erschüttert darüber gewesen, dass zwei hinterhältige und gewissenlose Burschen das stets freundliche Ehepaar Peitner überfallen und ausgeraubt hatten. Leopold Peitner, der sich den Angreifern entgegengestellt hatte, war trotz seiner mutigen Aktion nicht imstande gewesen, sein eigenes Leben und das seiner Frau zu retten. Sie waren über eine Klippe gestürzt und an den Folgen des Sturzes verstorben. Es war gerecht, aber kein Trost, dass man die Täter gefasst und zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt hatte.
Zu Lindas Eltern bestand nur ein sehr eingeschränkter Kontakt, sie lebten von jeher in Wien und konnten sich auch nichts anderes vorstellen, weil sie die Annehmlichkeiten der schönen und weltoffenen Metropole sehr schätzten.
Neben dem Fortschritt und den Errungenschaften des modernen Lebens würdigte man in Wien die Traditionen ganz besonders und mit Stolz auf die »ruhmreiche« Vergangenheit. Immer noch wehte ein Hauch aus der Kaiserzeit durch die Straßen der Stadt. Wien war nun mal das A und O und hatte einen festen Platz im Herzen aller, die dort daheim waren.
Dass ihre Tochter einen Tiroler Bergbauern geheiratet hatte, fand das Ehepaar Simbach entsetzlich.
Sie konnten es nicht hinnehmen, dass ihre einzige Tochter so »tief« gesunken war. Früher war Linda geradezu verliebt in die Donaustadt Wien gewesen. Wozu hatte sie dort eine hervorragende Ausbildung im Hotelfach gemacht, anschließend beste Aussichten im Residenz-Hotel gehabt und überall große Anerkennung geerntet? Alles für die Katz! Wenn das nicht ärgerlich war ...
Linda hätte es weit bringen können, auch privat. Davon waren ihre Eltern, Elise und Franz Simbach, fest überzeugt. Ein vermögender Wiener Hotelbesitzer hatte ihr regelrecht zu Füßen gelegen.
Aber nein, es hatte ja dieser Mann aus den Zillertaler Alpen sein müssen, um jeden Preis!
Wieso war sie ihm in München beim Oktoberfest regelrecht in die Arme gelaufen? Wäre sie doch in diesem Jahr bloß nicht nach München gefahren, um sich mal so richtig auf dem größten Volksfest der Welt zu amüsieren!
Aber hätte man denn ahnen können, was passieren würde? Dieser Bergbauer aus St. Christoph im Zillertal und Linda ... angeblich Liebe auf den ersten Blick! Konnte man das glauben? Sicher nicht. Die beiden waren sich im Paulaner-Zelt begegnet. Ein unguter Zufall, leider mit weitreichenden Folgen.
Linda hatte nur noch ihn im Sinn gehabt und war schließlich zu ihm nach St. Christoph gezogen. Und dann die Hochzeit! Typisch tirolerisch, Musik und Tanz, wie es in den Bergen eben so üblich ist. Kutschen, Pferde, ein fröhliches Fest auf den Wiesen hinter dem Hochsteiner-Hof, viele Gäste aus dem Dorf.
Die Eltern Simbach hätten sich mehr Eleganz gewünscht und nur Gäste aus vornehmen Kreisen. Champagner, wunderbare Kleider und große Hüte bei den Damen, Smoking bei den Herren und natürlich klassische Musik. Die Hochzeit hätte nicht im Zillertal, sondern in Wien stattfinden sollen. Aber das junge Paar hatte andere Pläne gehabt.
Lindas Eltern waren, gelinde gesagt, alles andere als begeistert gewesen. Bis heute versuchten sie, das alles zu vergessen. Der Kontakt zwischen ihnen und ihrer Tochter war bis auf wenige Telefonate eingeschlafen und versandete immer mehr.
Linda und Luis taten alles, um ihren Hof und das Leben rund um ihre kleine Familie zu einem privaten Paradies zu machen. Das lag ihnen auch deshalb am Herzen, weil es nur wenige Verwandte gab, die oft zu Besuch kamen. Man sah sich hin und wieder. Luis machte sich nichts daraus, man traf sich bei Festen und an Geburtstagen, das reichte. Linda sprach nie darüber, dass ihre Eltern sich ganz zurückgezogen hatten und sich nicht einmal für ihr Enkelkind interessierten.
Das junge Paar wollte nach vorn schauen und den Weg in die Zukunft weiterhin gemeinsam gehen.
Doch wie man weiß, gibt es auch in einer glücklichen Ehe den einen oder anderen Wermutstropfen oder »Störfaktor.«
So bemängelte Luis hin und wieder, dass seine Linda zu viel grübelte und zu vorsichtig war – immer nach dem Motto: »Es kann ja auch mal etwas schiefgehen.«
Natürlich, wo lief schon immer alles glatt? Aber es lohnte sich wirklich nicht, den Teufel an die Wand zu malen und im Voraus einen Schirm aufzuspannen, wenn weit und breit kein Regen in Sicht war.
Linda hingegen fand, dass Luis sich ein Scheibchen von ihrem eigenen Verhalten abschneiden konnte. Sie ging immer ziemlich vorsichtig an alles heran, vor allem an neue Herausforderungen.
Luis schüttelte den Kopf darüber und nannte sie »Angsthaserl«, obwohl Vorsicht doch gar nichts mit Angst zu tun hatte – das war ihre Meinung.
Ihr unerschrockener Mann dachte anders darüber. Es wäre auch gar nicht möglich gewesen, ihn zu ändern.
»Ich bin, wie ich bin, und so bleib' ich auch, Linda«, beharrte Luis stets, wenn sie mal wieder irgendwelche Einwände hatte. Und um ehrlich zu sein: Sein Mut und seine Unerschrockenheit gefielen ihr andererseits sehr gut, auch wenn sie sich manchmal mehr Zuwendung und Zärtlichkeit gewünscht hätte.
Einen Drückeberger hatte sie jedenfalls nicht daheim haben wollen. Männer wie ihn nannte man in Tirol einen »schneidigen Burschen«.
Luis Peitner war groß, sportlich und kerngesund, bis auf die eine oder andere Erkältung oder irgendeine Bagatelle hatte er, wie er selbst sagte, noch »keine Bekanntschaft« mit hinterhältigen Viren oder Bakterien gemacht. Ärzte gehörten nicht zu den Menschen, mit denen er sich bisher näher befasst hatte.
Bis auf eine Ausnahme.
Dr. Martin Burger, der Bergdoktor von St. Christoph, und Luis waren gut miteinander bekannt und schätzten sich gegenseitig, denn bei Einsätzen in der Bergwacht und bei Übungen und Erste-Hilfe-Kursen war der Doktor regelmäßig dabei.
Dass der junge Peitner schon mit achtzehn Jahren in die Bergewacht eingetreten war, wunderte niemanden. Für ihn war es Ehrensache, anderen zu helfen, die sich in Not befanden oder in eine Gefahrenlage geraten waren. Dann war er als Erster zur Stelle.
Manchmal ging Luis vielleicht sogar ein bisschen zu waghalsig und zu spontan vor. Dennoch sollte man ihm nicht dreinreden, denn in schwierigen Situationen war er es, der »das Eisen aus dem Feuer« holte. Und letztlich stellte sich dann heraus, dass er immer die richtigen Entscheidungen getroffen hatte. Das fand sogar Dominikus Salt, der erfahrene Bergwachtleiter und Dr. Burgers bester Freund.
Linda war stolz auf Luis. Es war nicht immer leicht, mit einem Mann verheiratet zu sein, dem die Berge über alles gingen und der so frei sein wollte wie ein Adler im Wind.
Aber er wusste, dass er Verantwortung für seine kleine Familie trug, für Linda und das kleine Töchterchen, und natürlich auch für den Hochsteiner-Hof. Während er früher keine Bergtour ausgelassen hatte, die ihm verlockend erschienen war, hielt er sich jetzt sehr zurück.
Wie schwer ihm das fiel, wusste eigentlich nur Dr. Burger, dem er sich eines Tages anvertraut hatte:
»Die Berge und ich, wir sind eins, Herr Doktor. Wegen Linda und der Kleinen muss ich umdenken. Ich kann in meiner Freizeit net immer verschwinden und auf eine Tour gehen. Zu Recht möchte meine Frau, dass ich bei ihr und unserem Sannerl daheim bleib' oder dass wir zusammen etwas unternehmen.«
Aber ab und zu musste es sein. Dann schnürte Luis seine Bergschuhe und griff nach seinem Spezialrucksack, in dem alles steckte, was man »am Berg« brauchte.
***
Heute kam er schon beim Frühstück darauf zu sprechen, dass ihn der Berg mal wieder »rief«.
»Linda-Schatz«, begann er, »am Wochenende wirst du mal auf mich verzichten müssen ... und Sannerl natürlich auch. Ich werd' mit dem Kiermeyer-Lenz über den Kreuzjoch-Sattel bis zum Karjoch wandern. Für mich ist das nix anderes als ein längerer Spaziergang. Und für den Lenz auch.«
»Aber da liegt doch noch Schnee, Luis!«
Er seufzte. »Klar, aber net überall und net so viel wie sonst um diese Jahreszeit. Und ich kenne da droben jedes Eckerl. Um diese Jahreszeit ist es herrlich, eine tolle Aussicht, eine wunderbare Stille. Ich muss mal wieder raus aus dem Tal, hinauf in die Berge, verstehst du? Ich schau in den Himmel und sag mir, dass ich die Wolken greifen kann, wenn ich will!«
»Na ja, dazu brauchst du aber eine ganze Menge Fantasie, Luis.«
Linda rang sich ein Lächeln ab. Sie war in der Stadt aufgewachsen und wegen Luis ins Zillertal gekommen. Mit der hochalpinen Landschaft, den Bräuchen und dem anderen Tagesrhythmus hatte sie sich anfangs nicht so recht anfreunden können, obwohl sie früher immer nur vom Gebirge geschwärmt hatte. In den Bergen wohnen – traumhaft!
Doch dieser Traum musste erst einmal Realität werden, kleine Tücken im Alltag gab es auch im idyllischen St. Christoph. Rasch hatte Linda sich dann eingewöhnt und wäre auf keinen Fall mehr fortgegangen.
In dieser Hinsicht ging es ihr übrigens so wie Dr. Sabine Burger, die ebenfalls aus Wien stammte und ihre große Liebe Martin nie mehr aufgegeben hätte. Das hatte auch für sie den Umzug nach St. Christoph und den Abschied von ihren bisherigen Gewohnheiten in der Stadt bedeutet.
Und wie fühlte sich Dr. Burgers geliebte »Frau Doktor«, inzwischen Mutter von drei Kindern, heute im Zillertal? Sie war glücklicher als je zuvor, und sie stand in St. Christoph mitten im Leben, auch wenn sie manchmal nachts vom Prater in Wien träumte, von Schönbrunn und den urgemütlichen Abenden beim »Heurigen« in Grinzing ...
Aber Wien war nicht aus der Welt, und wenn Martin merkte, dass seine Sabine ein bisserl Heimweh bekam, kümmerte er sich sofort um ein »Trostpflaster«. Auf ihrem Kopfkissen fand Sabine dann abends einen Gutschein für ein verlängertes Wochenende in Wien, sobald es zeitlich möglich war. Denn Dr. Burger musste sich selbstverständlich (wie alle Ärzte in der Region) an die Notfall- und Bereitschaftseinsätze an Wochenenden und Feiertagen halten.
Doch jetzt, an diesem hellen Morgen auf dem Hochsteiner-Hof, ging es wirklich nur um Linda und Luis – und natürlich um das muntere Sannerl mit den blonden Löckchen.
»Mama, Papa, Wauwau«, waren die Worte, die das Mini-Spatzerl bei jeder Gelegenheit zum Besten gab.