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Es ist Sommer, Musik liegt in der Luft, und die Familie Burger freut sich auf die schönsten Wochen des Jahres. Dann taucht ein kleines Mädchen mit seiner Mutter in St. Christoph auf, und plötzlich scheint die Welt für einen Moment stillzustehen. Jedenfalls kommt es Dr. Burger und seiner Frau so vor.
Denn das kleine Mädchen namens Mia sieht Dr. Burgers Adoptivtochter Tessa so ähnlich, dass man die beiden leicht verwechseln kann. Wer ist die Doppelgängerin, und warum ist ihre Mutter mit dem Kind ins Zillertal gekommen?
Fragen über Fragen. Eine schicksalhafte Geschichte nimmt Schritt für Schritt ihren Lauf ...
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Seitenzahl: 104
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Tessas Doppelgängerin
Vorschau
Impressum
Tessas Doppelgängerin
Die unglaubliche Ähnlichkeit sorgt für Aufregung bei den Burgers
Von Andreas Kufsteiner
Es ist Sommer, Musik liegt in der Luft, und die Familie Burger freut sich auf die schönsten Wochen des Jahres. Dann taucht ein kleines Mädchen mit seiner Mutter in St. Christoph auf, und plötzlich scheint die Welt für einen Moment stillzustehen. Jedenfalls kommt es Dr. Burger und seiner Frau so vor.
Denn das kleine Mädchen namens Mia sieht Dr. Burgers Adoptivtochter Tessa so ähnlich, dass man die beiden leicht verwechseln kann. Wer ist die Doppelgängerin, und warum ist ihre Mutter mit dem Kind ins Zillertal gekommen?
Fragen über Fragen. Im Doktorhaus wird es von Tag zu Tag unruhiger ...
St. Christoph ruhte in der Stille einer warmen Nacht, die erfüllt war von süßem Blumenduft und dem würzigen Geruch der Wiesen, auf denen das Heu in großen Garben trocknete. Ein samtweicher Sternenhimmel, wie es ihn nur im Sommer gab, wölbte sich über dem Tal und den Bergen wie die unendlich weite Kuppel eines Märchenschlosses.
Aber man brauchte kein Schloss, um in dieser Nacht in wunderbare Träume einzutauchen. Auch das Doktorhaus der Familie Burger sah im Mondlicht fast so aus, als habe eine Fee ihren Zauberstab geschwungen.
Leise raschelten die Blätter am ehrwürdigen, alten Apfelbaum, am Zaun öffneten die Mondwinden ihre Blüten – nur für eine Nacht. Am Morgen würden sie vergehen, um Platz für ihre Nachfolgerinnen zu machen. So ging es nach Sonnenuntergang den ganzen Sommer über. Eine Blüte nach der anderen öffnete sich und schloss sich wieder, wenn die Nacht vorbei war.
Sabine Burger war mit einem Lied im Ohr eingeschlafen, dessen Melodie und Text sie am Abend sehr berührt hatte: »Mitten in der Nacht wünsche ich mir, dass ich fliegen könnte, über die Häuser, die Berge, über alle Städte, damit ich dir folgen und herausfinden kann, wer du wirklich bist ...«
Ich kenne meinen Mann so gut, dass er mir immer nahe ist, hatte Sabine vor dem Einschlafen noch gedacht. Und trotzdem – wusste man jemals alles von dem über alles geliebten Menschen, den man nie mehr hergeben wollte?
Etwas blieb immer verborgen. Was tief in der Seele schlummerte, gehörte nur einem selbst. Die Seele war wie eine geheimnisvolle Perle auf dem Meeresgrund, auf die niemand ein Anrecht hatte – nur der Eigentümer selbst.
Wunderbare Gedanken und daher eigentlich die Garantie für schöne Träume – davon wäre man sicherlich ausgegangen.
Doch mitten in der Nacht wachte Martin Burger auf und musste sich erst einmal darüber klar werden, dass seine Frau ihn zitternd umklammerte. Sie stieß entsetzte, ängstliche Laute aus und stammelte schließlich: »Martin, bleib bei mir! Geh nicht weg!«
Er nahm sie in die Arme. »Schatz, was ist denn? Ich bin da, und ich werde immer da sein. Du hast irgendetwas Ungutes geträumt. Das ist nun schon das dritte Mal. Alles ist in Ordnung, wirklich alles.«
»Und unsere Kinder?« Sabine wirkte benommen und verwirrt. Sie war noch immer nicht ganz wach, sondern befand sich in einem Zustand zwischen Traum und Wirklichkeit.
»Du weißt doch, dass sie gesund und munter sind«, beruhigte Dr. Burger seine Frau. »Die Ferien stehen ins Haus. Sechs Wochen herrlicher Sommer ohne Schule und Kindergarten ...«
»Ich will euch nicht verlieren, Martin«, stammelte Sabine. »Auch nicht Vater und die Zenzi und unseren kleinen Poldi. Niemanden. Es soll so bleiben, wie es ist.«
»Liebes, du verlierst niemanden. Und ich bin da. Das merkst du doch.« Dr. Burger hielt seine Frau so fest, dass sie seine Nähe mit jeder Faser spürte. »Atme tief durch«, bat er leise. »Du bist ja immer noch ganz benommen. Ich knipse das kleine Lämpchen an. Es wird jetzt heller. Nicht erschrecken. Sieh dich um, du bist daheim.«
Sabine nickte, aber ihr Blick ging weit in die Ferne.
Ein wenig dauerte es noch, bis sie wieder ganz bei sich war. Alles war unverändert, das Schlafzimmer, die Vorhänge, die Bettdecke, die Schale mit den getrockneten Rosenblättern aus dem Garten, auf die sie gern ein paar Tropfen Rosenöl träufelte.
Das gerahmte Foto ihrer Kinder Tessa, Filli und Klein-Laura lächelte freundlich von der Wand. Dackel Poldi, der kleine Schlingel, hatte sich ganz keck zwischen die drei gedrängt. Fotogen war er allemal, das musste man ihm lassen.
Martin war bei ihr, vertraut und zärtlich. Der Mann ihres Lebens, ihre große Liebe. Alles wurde wieder gut, wenn er ruhig mit ihr sprach und immer einen Hauch Humor durchblitzen ließ. Mit ihm konnte sie über alles reden, manchmal hakten sie sich an medizinischen Themen regelrecht fest.
Kein Wunder, denn wenn zwei Ärzte – Sabine war Fachärztin für Anästhesie – ins Fachsimpeln gerieten, konnte es manchmal spät werden.
Gelegentlich hatte dann auch Martins Vater Dr. Pankraz Burger einen Beitrag in petto, den er – trotz Ruhestand – sehr entschieden vertrat. Denn der Senior legte Wert darauf, seine »grauen Zellen« noch lange nicht aufs Altenteil zu schicken, was ihm auch hervorragend glückte.
Sabine, Ärztin und dreifache Mutter, eine hübsche, dem Leben zugeneigte junge Frau, Martins »Sonnenblume«, aber auch sehr selbstständig und praktisch veranlagt, stets verständnisvoll und mit vielen Talenten gesegnet – und dann so ein empfindsamer Engel, der nachts plötzlich von Albträumen aufgeschreckt wurde, wie konnte das möglich sein?
Sabine quälten Träume, die überhaupt nicht zu dem wunderschönen Sommer passten, den Petrus in diesem Jahr den Menschen im Zillertal zum Geschenk machte. So ein Sommer glich einer Hängematte, in der man selig schaukeln konnte und obendrein Eis, kühle Getränke, Sahnebaiser und Beeren jeder Art gratis dazu bekam.
»Und?«, fragte Martin. »Geht's wieder, Schatz?«
»Ja.« Sie kuschelte sich dicht an ihn. »Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Es tut mir so leid, dass ich dich geweckt habe. Du brauchst deinen Schlaf so dringend.«
»Wir können ja in der Früh ausschlafen, es ist Sonnabend. Das ist kein Problem. Aber ich mache mir langsam Sorgen, weil du nun schon mehrmals Albträume hattest.«
»Ich weiß ja auch nicht, woran es liegt«, seufzte Sabine. »Vor allen Dingen stecke ich im Schlaf so tief in diesen Träumen fest, dass ich sehr schwer in die Realität zurückfinde. So etwas kenne ich gar eigentlich gar nicht, früher hab ich allenfalls mal geträumt, dass ich irgendeine Klassenarbeit versemmelt hatte.«
»Und jetzt? Heute Nacht?«
»Ich hatte Angst«, gestand Sabine leise. »Panik. Im Traum ging ich die Kirchgasse entlang, und als ich zu unserem Haus kam, standen nur noch die Grundmauern da. Überall hab ich nach dir und nach den Kindern gesucht, es war niemand mehr da, von unserer Familie war nur noch ich übrig. Alles, wofür ich gelebt hatte, schien sich in Nichts aufgelöst zu haben. Ich war allein, unendlich einsam und hatte alles verloren ...«
»Und so etwas Albtraumhaftes hast du vorher auch schon geträumt?«
»Nicht ganz so schlimm«, murmelte Sabine. »Aber es war ähnlich. Es ging immer darum, dass unsere Familie auseinanderbrach und dass ich hilflos herumirrte. Das Haus stürzte ein, und unsere Kinder standen weit weg an einer Stelle, an der ich sie nicht erreichen konnte. Es war ein Gefühl der Trostlosigkeit und der Auflösung.«
»Ich sehe das ziemlich sachlich«, meinte Martin. »Träume tragen immer dick auf. Du weißt das ja genauso gut wie ich. Man wälzt irgendwelche Gedanken im Kopf. Im Schlaf bastelt das Gehirn ein Filmchen daraus. Manchmal ist es einfach nur wirr, hin und wieder will uns dieses Filmchen aber auch etwas sagen. Zum Beispiel in deinem Fall, dass dir unsere gemeinsame Zukunft wichtiger ist als alles andere. Sicherheit geht dir über alles, und es soll so bleiben, wie es ist.«
»Du hast es mal wieder auf den Punkt gebracht, Martin.« Jetzt konnte Sabine schon wieder lächeln. »Ich möchte auf keinen Fall etwas ändern. Alles ist derzeit so schön, und ich wünsche mir, dass niemals der Blitz bei uns einschlägt, um es mal so zu sagen.«
»Genau, Schatz. Im Traum siehst du dann das Gegenteil, nämlich den Untergang unserer Familie. Du siehst etwas Erschreckendes und fühlst dich verloren und völlig allein. Vielleicht denkst du zu viel darüber nach, dass bei uns irgendetwas aus dem Ruder laufen könnte.«
»Nicht wirklich, Martin. Es ist ja normal, dass nicht immer alles klappt oder dass hier und da Probleme auftauchen. Das weiß ich doch. Na ja, in letzter Zeit bin ich manchmal ins Grübeln geraten. Einfach so, ohne mir große Sorgen zu machen.« Sabine seufzte. »Ich dachte oft daran, wie wichtig mir die Familie ist und dass ich alles tun würde, um unsere Harmonie zu erhalten.«
Dr. Burger lachte. »Auch, wenn es manchmal ein bisserl im Kamin raucht?«
»Klar. Das bisschen Rauch verzieht sich bei uns immer sehr schnell wieder«, stellte Sabine fest. »Wenn jeder seine Meinung gesagt hat, herrscht Klarheit.«
»Das stimmt. Ich denke, Liebes, du solltest diesen finsteren Träumen keine große Bedeutung beimessen«, warf Dr. Burger ein. »Sie werden verschwinden. Natürlich ist es erschreckend, wenn man mit Angst und Panik aufwacht. Aber du kannst mich immer, zu jeder Zeit, wecken und dann jagen wir zusammen den sogenannten Nachtmahr davon.«
»Nachtmahr«, murmelte Sabine, »das ist ein Spuk im Traum. Eigentlich nichts, was mich früher geängstigt hätte. So was passt nicht zu mir. Ich halte nichts von Spukgestalten oder irgendwelchen Ahnungen. Du hast recht, Martin, es wird aufhören, und dann träume ich nur noch von Blumenwiesen und von einem Prinzen, der mir goldene Rosen zu Füßen legt.«
»Ein Prinz? Und wo bleibe ich?«, scherzte Dr. Burger.
»Vielleicht bist du ja der Prinz, Martin. Aber denk dran – goldene Rosen!«
Der Mond schaute hinter einer kleinen Nachtwolke hervor und tauchte das schlafende Dorf in ein mildes Licht.
Auch Sabine war wieder eingeschlummert, dieses Mal in Martins Armen.
Er betrachtete ihr Gesicht, das jetzt ganz entspannt wirkte. Wenn sie jetzt etwas träumte, dann war es garantiert etwas Schönes. Denn sie lächelte im Schlaf, und es sah ganz danach aus, als ob sie die goldenen Rosen ihres Märchenprinzen soeben gefunden hatte ...
***
Nicht nur im Sommer ging es in St. Christoph kurzweilig zu. Aber vor allem in diesen herrlichen Wochen gab es so viel zu erleben, anzuschauen und zu genießen, dass die Tage und Stunden nur so dahinflogen.
Eigentlich hätte der Sommer doppelt so lange dauern können. Von A bis Z, Almfest bis Zauberwald, bot sich eine bunte Freizeit-Palette an, auf der sich jeder ein passendes Angebot herauspicken konnte.
Neu waren die Ferien-Spiele und Abenteuer für Kinder im »Zauberwald«, eine Gemeinschafts-Idee des Kindergartens und der Grundschule, unterstützt von der Gemeinde und von Bürgermeister Angerer, der sich persönlich als Schirmherr angeboten hatte.
Der sogenannte »Zauberwald« lag in der Nähe des Forsthauses, Förster Reckwitz hatte also immer einen Blick auf das, was dort geschah.
Natürlich waren freiwillige Betreuer für die Kinder im Einsatz, damit alles reibungslos über die Bühne ging. Im »Zwergenwinkel«, einem Holzhäuschen zwischen den Tannen, gab es Kuchen, Semmeln und Getränke, alles gestiftet von den Eltern und den rührigen Wirtsleuten aus der nahen Achenwaldhütte.
Als Kontrast zu den Wald-Abenteuern stand das Musikfest an.
Wer sich schon seit einiger Zeit in St. Christoph umgeschaut hatte, der kannte natürlich den ideenreichen Erik Staudacher, den man als Musiker, Chorleiter, Naturfreund und verständnisvollen Menschenfreund sehr schätzte.
Auch heuer hatte sich Herr Staudacher, der auch für die musikalische Gestaltung sämtlicher kirchlicher Veranstaltungen zuständig war, wieder etwas einfallen lassen. Es ging ihm darum, ein sommerliches, harmonisches Musikfest mit dem Motto »Unsere Heimat, unsere Lieder« zu veranstalten. Alle, die Freude an Musik und Gesang hatten, waren dazu aufgerufen, sich zu beteiligen – vielleicht auch nur als begeisterter Zuhörer.
Es gab einige Punkte, die beachtet werden sollten und die schon seit einiger Zeit feststanden:
»Harmonisch« sollte das Fest sein, weil es auf St. Christoph beschränkt bleiben würde. Alle Dörfler und natürlich auch die Feriengäste waren herzlich eingeladen. Lautes Getöse und Rummel würde es nicht geben, wer auf den Tischen tanzen wollte, war fehl am Platze.
Im Berghotel sollten am betreffenden Tag im Park und auf den Terrassen unter weißen Sonnensegeln Köstlichkeiten jeder Art serviert werden, unter anderem die süßen, luftig-leichten Himbeertörtchen, von denen man einfach nicht genug bekam.
Die Törtchen galten als Spezialität des Hauses. Die lockere Himbeercreme war eine Sünde wert, ganz zu schweigen von den Baiser-Schwänen, die jedes Törtchen zierten.
Eigentlich waren die Zuckerschwäne nur als Dekoration gedacht, aber vor allen Dingen für die Kinder waren sie wichtiger als die kleinen Tortenstücke selbst. Himbeertörtchen aus der Konditorei des Berghotels gab es nur von Mitte Mai bis August, danach war unweigerlich Schluss bis zum nächsten Jahr.
Kleiner Trost: Hernach begann die Zeit verschiedener Nuss-Sahnetorten und Apfelstrudel mit Weinbeeren, Mandeln und dergleichen mehr. Wunderbar, wenn man beim Strudel-Essen von knusprigem Krokant, natürlich hausgemacht, überrascht wurde ...
Doch zurück zum Musikfest, das am zweiten Julisonntag um zehn Uhr beginnen sollte.