Der Bergdoktor 2202 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2202 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Die Menschen in St. Christoph fiebern auf das Erntedankfest am nächsten Sonntag hin. Ebenso die Familie von Dr. Martin Burger. Bis es so weit ist, hat der Bergdoktor einiges zu tun. Im Dorf grassiert eine Erkältungswelle. Ein Hausbesuch führt den Arzt auch zum Steinwendner-Hof.
Dort ist das Leben alles andere als rosig. Seitdem Sohn Matthias bei einer Bergtour spurlos verschwunden ist, machen seine Eltern es der Schwiegertochter Elisa schwer. Dr. Burger erkennt, dass die gepeinigte junge Frau dringend seine Hilfe benötigt. Er redet ihr gut zu, sich nicht länger schikanieren zu lassen, sondern woanders neu anzufangen und glücklich zu werden. Doch gerade als Astrid diesen Rat beherzigen will, taucht plötzlich Matthias wieder auf ...


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Seitenzahl: 122

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Nur Pflicht und Arbeit

Vorschau

Impressum

Nur Pflicht und Arbeit

Dr. Burger macht sich große Sorgen um Elisa

Von Andreas Kufsteiner

Die Menschen in St. Christoph fiebern dem Erntedankfest am nächsten Sonntag entgegegen. Dazu gehört auch die Familie von Dr. Martin Burger. Bis es so weit ist, hat der Bergdoktor einiges zu tun. Im Dorf grassiert eine Erkältungswelle. Ein Hausbesuch führt den Arzt an diesem Tag zum Steinwendner-Hof.

Dort ist das Leben alles andere als rosig. Seitdem Sohn Matthias bei einer Bergtour spurlos verschwunden ist, machen seine Eltern es der Schwiegertochter Elisa schwer. Dr. Burger erkennt, dass die gepeinigte junge Frau dringend seine Hilfe benötigt. Er redet ihr gut zu, sich nicht länger schikanieren zu lassen, sondern woanders neu anzufangen. Doch gerade als Elisa diesen Rat beherzigen will, taucht plötzlich der tot geglaubte Matthias wieder auf ...

Jeden Tag, pünktlich um zwölf Uhr mittags, läuten in ganz Tirol die Kirchturmglocken. Das Gebimmel lässt Gespräche verstummen und übertönt mancherorts auch die Worte, mit denen die Lehrer die Schulkinder verabschieden.

Das war auch an jenem sonnigen Oktobertag in St. Christoph nicht anders. Die Kinder stürmten lachend aus der Schule und rannten nach Hause, so schnell sie konnten, denn ihre knurrenden Mägen schienen an Lautstärke dem Kirchturm Konkurrenz zu machen.

Lehrer Andreas Obermayer schaute seiner Rasselbande mit amüsiertem Kopfschütteln hinterher.

»Nicht vergessen! Ihr müsst auf der Straße gut aufpassen!«, rief er wie jeden Tag.

Zum Glück war auf den Straßen in diesem kleinen beschaulichen Ort des Zillertals nie viel Verkehr, und die wenigen Traktor- oder Autofahrer gaben gut auf die kleinsten Bewohner von St. Christoph acht.

Unter den Kindern, die aus dem Schulhaus stürmten, war auch ein kleines Dirndl mit dunkelbraunen Locken, welche am Morgen wohl noch zu braven Zöpfchen gebunden gewesen waren, nun aber wirr in alle Richtungen flogen. Es handelte sich um die achtjährige Tessa Burger, das Adoptivtöchterchen vom allseits geschätzten Landarzt Martin Burger, den man in St. Christoph und Umgebung nur den »Bergdoktor« nannte.

Nun stürmte Tessa inmitten ihrer Freundinnen und Freunde durch das Tor und flog ihrem Großvater geradewegs entgegen.

Dr. Pankraz Burger, der vor seinem Sohn Martin die Landarztpraxis geführt hatte, nun aber rechtschaffen seine Pension genoss, hatte schon mit so einer Begrüßung gerechnet und deshalb seine Arme weit geöffnet, um das Dirndl aufzufangen.

»Du wirst es net glauben, Opa!«, rief Tessa atemlos. »Wir feiern nächsten Sonntag ein Erntedankfest!«

»Soso, Schneckerl«, schmunzelte der alte Mann und wischte Tessa einen Tintenfleck vom Kinn. »Nun, im Herbst ist die Zeit der Ernte, und das wird überall auf dem Land gebührend gefeiert. Unsere Bauern haben schließlich das ganze Jahr über ihre Felder bestellt und hart für den Getreideanbau gearbeitet. Dasselbe gilt für die Gemüse- und die Obstbauern. Auch in unserem Garten haben Zenzi und deine Mama die Johannisbeeren gepflückt, Saft gepresst und Marmelade gemacht. Wir sind alle stolz auf die Früchte unserer Erde, und deshalb feiern wir miteinander die gute Ernte. Ihr Schulkinder seid nicht die Einzigen – am Sonntag nach dem Gottesdienst wird auch ein Chorkonzert stattfinden, das wir uns anhören werden.«

»Jö! Singt die Zenzi wieder ein Solo?«, fragte das kleine Mädchen, während es an der Seite ihres Großvaters die Straße entlanghüpfte.

»Natürlich. Das lässt sie sich doch net nehmen!«

Zenzi Bachhuber war seit über vierzig Jahren die Haushälterin und gute Seele im Doktorhaus. Neben ihrem Talent als Köchin war die Dreiundsechzigjährige auch eine hervorragende Sängerin und eine der tragenden Stimmen des Kirchenchors von St. Christoph. Und wenn dann ein Konzert stattfand, verstand es sich von selbst, dass die ganze Familie Burger stolz in der ersten Reihe saß und Zenzi einen extra Applaus gab.

»Komm, Mauserl, wir holen noch den Filli ab«, sagte Pankraz Burger und zog seine Enkeltochter über den Hauptplatz zum Kindergarten. »Dein Papa sperrt in einer halben Stunde seine Praxis für die Mittagspause zu, dann sind wir alle pünktlich beim Essen.« Er beugte sich vor und flüsterte der Kleinen ins Ohr, als wäre es ein besonderes Geheimnis: »Zenzi hat Speckknödelsuppe gekocht!«

Tessa vollführte einen Luftsprung und drängte nun ebenfalls vorwärts. Philipp, der fünfjährige Sohn der Burgers, reagierte wenig später genauso euphorisch, als er die gute Nachricht erfuhr.

»Speckknödelsuppe ist mein Leibgericht!«, rief er ein ums andere Mal. Und als waschechter Tiroler ließ der junge Blondschopf dabei die Ks recht laut knacken.

Mit je einem Enkelkind an der Hand betrat Pankraz Burger schließlich das schöne Haus in der Kirchgasse, das er vor vielen Jahren selbst gebaut hatte. Damals hatte die Familie nur aus drei Personen bestanden – aus Pankraz, seiner geliebten Frau, die leider viel zu früh gestorben war, und dem Sohn Martin, dem jetzigen Dr. Burger. Zenzi war kurz danach dazugekommen, sie hatte sich nach dem Tod der Hausfrau um den Arzt und dem damals elfjährigen Buben gekümmert. Still war es damals in dem Haus gewesen.

Heute war das ganz anders. Klein-Laura, der jüngste Spross der Burgers, die zweijährige »Prinzessin«, lief ihren Geschwistern laut krähend entgegen. Dackel Poldi vollführte zur Begrüßung ein wildes Freudentänzchen. Und Hausfrau Sabine sang beim Tischdecken ein fröhliches Lied.

Aus der ans Haus grenzenden Arztpraxis waren ebenfalls Stimmen zu hören. Martin Burger verabschiedete nicht nur den letzten Vormittagspatienten, sondern auch seine Sprechstundenhilfe Bärbel Tannauer.

Die sportliche Blondine sprang gleich darauf auf ihr Rad und strampelte nach Hause, für sie war der heutige Arbeitstag beendet. Am heutigen Nachmittag würde der Bergdoktor noch verschiedene Hausbesuche machen.

Martin Burger war ein gut aussehender Mann Anfang fünfzig. Er war sehr groß und hatte eine sportliche Figur. Immerhin war er ein geübter Bergsteiger, auch wenn er mit der Familie zusammen das entspanntere Wandern bevorzugte.

Abends sah man ihn manchmal gemeinsam mit seiner Frau Sabine durch den Krähenwald joggen, frühmorgens fuhr das Ehepaar gelegentlich mit den Mountainbikes zu einer höher gelegenen Alm, um dort oben das Wunder des Sonnenaufgangs zu erleben. Die stete Bewegung an der frischen Luft hatte das Gesicht des Arztes würdevoll gegerbt und verlieh dem Mann nun eine besondere – naturbelassene – Attraktivität.

Martin Burgers dunkles Haar war an den Schläfen silbern durchzogen, und seine ebenfalls dunklen Augen blickten stets wachsam und voller Mitgefühl in die Welt. Sabine und die Kinder waren sein Ein und Alles. Nachdem der Bergdoktor in jungen Jahren seine erste Frau gemeinsam mit dem Neugeborenen zu Grabe hatte tragen müssen, war ihm das Familienglück heute nicht selbstverständlich, sondern er dankte dem lieben Gott jeden Tag für diesen Schatz.

Martins ganze Leidenschaft galt dem Beruf. »Arzt ist man nicht nur in der Arbeitszeit, sondern in jeder Sekunde!«, sagte er immer wieder.

Dr. Burger war ein begnadeter Chirurg, der seinerzeit in München das Handwerk gelernt hatte. Nach seiner Ausbildung hatten einige renommierte Kliniken im In- und Ausland um ihn geworben, aber er hatte sich lieber dafür entschieden, die Landarztpraxis seines Vaters fortzuführen. Er war nach St. Christoph zurückgekehrt, hatte die Praxis modernisiert und ausgebaut und kümmerte sich nun um die Menschen in seinem Heimatdorf. Und dann war er Sabine begegnet ...

»Heute hattest du aber viel zu tun«, sagte sie und schenkte die Suppe aus.

Die Frau des Bergdoktors war ebenfalls Medizinerin – eine Narkoseärztin – und stand ihrem Mann gern als Ansprechpartnerin zur Seite, wenn er über komplizierte Diagnosen nachgrübelte. Wenn die Bewohner von St. Christoph bei ihren Abendspaziergängen am Doktorhaus vorübergingen, sahen sie manchmal durch das Fenster der Wohnstube das Ehepaar mit dem Altdoktor Pankraz beim Kamin beisammensitzen und fachliche Probleme wälzen. Dieses Wissen, dass immer jemand da war, der auf sie schaute, verlieh den Bürgern und Bürgerinnen von St. Christoph ein Gefühl der Sicherheit.

»Ja, die Erkältungswelle hat uns wieder einmal erwischt«, antwortete Martin nun lächelnd auf die Frage seiner Frau. »Man könnte meinen, hier auf dem Berg bleiben wir von solchen Heimsuchungen verschont, aber die Infektionskrankheiten und grippalen Infekte finden letztendlich auch immer ihren Weg in unsere Idylle.«

»Das war früher auch net anders«, meldete sich Pankraz Burger zu Wort. Der Siebenundsiebzigjährige mit dem weißen, aber immer noch vollen Haar zuckte mit den Schultern. »Hier oben sind wir zwar immer verspätet dran, aber die Viren lassen sich nun einmal nicht durch Wald und Wiesen abhalten.« Dann wandte er sich an Zenzi: »Hast du deine Grippeimpfung auffrischen lassen?«

»Freilich. Der Martin hat das schon im Frühjahr erledigt. Ich war wieder einmal die Erste!«, verkündete Zenzi Bachhuber stolz.

Martin und Sabine tauschten einen belustigten Blick. Es war für die brave Hauserin Ehrensache, bei den anstehenden Impfaktionen den Reigen der Patienten zu eröffnen.

»Und weil mit den schwankenden Temperaturen auch die Erkältungen daherkommen, werde ich gleich nach dem Mittagessen aufbrechen müssen«, erklärte Martin Burger nun.

Er hatte es sich nicht nehmen lassen, die Speckknödel auf die Teller zu verteilen und zuerst Zenzi und seiner Frau, dann seinem Vater, den Kindern und schließlich sich selbst aufgetan.

Filli maulte, weil er fürs Erste nur einen Knödel bekommen hatte, aber ein strenger Blick seines Vaters ließ den Buben verstummen. Die Kinder wussten, dass immer genug zu essen im Haus war, aber gieriges Verhalten wurde nicht toleriert.

Als Martin seinen Knödel in zwei Hälften teilte, strömte sofort ein herrlicher Duft durch die Stube.

»Den Kaffee werde ich nachher unterwegs trinken«, fügte der Arzt hinzu.

»Haben wir auch richtige Grippefälle?«, fragte Sabine voller Anteilnahme. Besorgt glitten ihre braunen, goldgesprenkelten Augen zu ihrer Jüngsten. Nach einer schweren Erkrankung als Baby war Laura immer noch ein Sorgenkind, wenn es um die Gesundheit ging. Die anderen beiden, Tessa und Filli, waren robuste »Rossnaturen«, wie Opa zu sagen pflegte. Aber Klein-Laura war nun einmal ein Pflanzerl.

»Bisher hat es nur ein paar Leute in Mautz mit grippalen Infekten erwischt«, sagte Martin. »Wenn wir Glück haben, bleibt es dabei. Immerhin ist dieser Weiler etwas abgelegen, da liegt der ganze Hörnlewald dazwischen!«

»Oje, doch nicht wieder die Steinwendnerin?«, fragte Pankraz.

Hilda Steinwendner hatte vor einigen Jahren mit einer schweren Lungenentzündung gekämpft und dabei fast ihr Leben verloren. Seitdem laborierte die ältere Bäuerin immer wieder an Infekten.

»Leider«, sagte Martin. »Die Erkältung scheint bei Hilda zwar diesmal nicht bedrohlich zu sein, es ist wahrscheinlich nur ein leichter grippaler Infekt. Aber bei dieser Patientin kommt ja auch noch ihre chronische Herzinsuffizienz dazu. Da schaue ich lieber gleich vorbei!«

»Recht hast du, Martin!«, bekräftigte Pankraz.

»Vielleicht wirfst du bei der Gelegenheit auch noch einen Blick auf die Schwiegertochter«, erinnerte ihn Sabine. »Als ich die Elisa gestern beim Einkaufen im Gemischtwarenladen gesehen habe, ist sie mir gar blass vorgekommen. Es ist gut möglich, dass sie sich auch schon angesteckt hat.«

Zenzi schnaubte. »Die Elisa ist immer blass. So, wie sich die arme Frau am Hof der Schwiegereltern abrackert, ist das auch kein Wunder. Und nebenbei arbeitet sie auch noch als Erntehelferin beim Gustlbauern in Altenacker. Als hätten die Steinwendners nicht genug Geld!«

Pankraz nickte. »Ja, die Alten halten die junge Frau kurz.«

»Was heißt ›jung‹?«, empörte sich die Zenzi. »Die Elisa ist doch auch schon in den späten Vierzigern. Die hat in ihrem Leben schon wahrlich genug geleistet und hätte sich ein bisschen Frieden verdient. Aber die beiden Alten treiben sie tagaus, tagein herum. Vom Feld in den Stall und von dort in die Küche. Und dann muss sie auch noch bei Fremden weiterarbeiten! – Ich frag' mich, warum die Frau nicht längst einfach fortgeht. Sie kommt ja aus dem Pitztal, da würde sie wohl bei irgendeinem Verwandten als Magd unterkommen. Schlimmer als jetzt könnte sie es net treffen!«

Pankraz schüttelte den Kopf. »Elisa mag wohl den Hof für die Kinder halten, obwohl die schon mehr als deutlich gemacht haben, dass sie nicht mehr nach St. Christoph zurück wollen. Soviel ich weiß, arbeitet der Sohn als Ingenieur in Deutschland, die Tochter hat in die Schweiz geheiratet, die sind beide gut versorgt. Ich denke, es hat mit dem Matthias zu tun. Dass er die Familie damals so plötzlich verlassen hat, damit ist Elisa bis heute nicht fertiggeworden. Dabei ist das schon fast zwanzig Jahre her.«

Zenzi wiegte den Kopf. »Da ist was dran. Als ich die Elisa letztens auf dem Hauptplatz getroffen hab, hat sie auch schon wieder davon angefangen, wie sehr sie ihn vermisst und wie hart das Leben für eine Witwe ist.«

»Witwe – dass ich nicht lache!«, brummte Pankraz. »Wo doch jeder weiß, dass der Matthias davongegangen ist. Er war immer ein charmanter Blender, der es verstanden hat, alle Welt um den Finger zu wickeln und alles in seinen Vorteil zu verwandeln. Und als es ihm auf dem Hof zu eng wurde, ist er eben fortgegangen und hat die Frau mit den beiden Kindern bei seinen Eltern sitzenlassen.«

»Wahrscheinlich kann die arme Frau den Gedanken nicht ertragen, dass sie verlassen wurde und klammert sich deshalb an die Vorstellung, dass er gestorben ist«, warf Sabine ein. Sie übersah dabei, dass ihr Ehemann schon die ganze Zeit vorwurfsvoll herübersah.

Auch Zenzi ignorierte Martins mahnenden Blick.

»Es hat sich damals halt zu schön gefügt, dass der Matthias seine Flucht hat aussehen lassen wie eine Bergtour. Jetzt erzählt Elisa jedem, dass er am Feldkopf geblieben ist, und auch die beiden Alten schüren diese Geschichte, indem sie die trauernden Eltern spielen. Dabei wurde die Leiche nie gefunden, und die Bergwacht hat oben am Feldkopf wirklich jeden Stein umgedreht. Aber die Vorstellung eines Bergunfalls ist für diese Familie halt leichter zu ertragen als die Gewissheit, dass er gegangen ist.«

»So, es reicht!«, donnerte es da von der Kopfseite des Tisches. Martin Burger war vor Ärger hochrot im Gesicht. »Wir reden nicht über andere Leute!«, sagte er streng. Mit den Augen bedeutete er seiner Frau aber noch viel mehr: »Wir können gern nachher über die Steinwendners weiterreden, aber net vor den Kindern!«

Sabine verstand augenblicklich, was er ihr sagen wollte.

»Du hast recht, Martin. Wir wollen jeden Menschen so sein lassen, wie er ist, und wir urteilen nicht über andere Leute. Wir wissen schließlich nicht, welcher Kummer sie zu ihrem Handeln treibt.«

Zenzi und Pankraz tauschten ebenfalls Blicke. Nachher in der Küche reden wir weiter!, sollte das bedeuten. Und die beiden zwinkerten sich vergnügt zu.

***

Vor den Kindern wollte Martin nicht über andere Leute reden – aber als er den Steinwendner-Hof betrat, wusste er gleich, dass er hier für das abendliche Beisammensitzen mit Sabine und Pankraz eine Menge Gesprächsstoff sammeln würde.

Obwohl der Hof wirklich stattlich war und aus mehreren Ställen und Scheunen sowie einem großen Wohnhaus bestand, wirkte alles vernachlässigt. An der jungen Bäuerin konnte es nicht liegen, das wusste Martin, denn Elisa Steinwendner und ihr Schwiegervater arbeiteten von früh bis spät. Das Problem war bloß, dass die Arbeit für zwei Personen viel zu viel war. Alleine das Füttern der Tiere musste den ganzen Vormittag beanspruchen, dachte Martin. Dazu kam die Arbeit auf dem Feld und dann noch der Haushalt, in dem Fritz Steinwendner als Mann der alten Schule sicherlich keinen Finger krumm machte.