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Franziska freut sich auf einen gemütlichen Fernsehabend mit ihrer Großmutter. Beide lieben romantische Filme, und heute Abend läuft Herzglühen im Herbst.
Noch eine kurze Werbung, dann geht es los. Besonders die Großmutter verfolgt das Geschehen um Liebe und Eifersucht so andächtig, als wäre es eine von Hochwürdens Sonntagspredigten in der Kirche. Franziskas hingegen spürt die Erschöpfung nach einem langen Arbeitstag auf dem Hof. Kaum kann sie die Augen noch aufhalten - als ihr Blick auf den Hauptdarsteller fällt.
Er könnte ein Zwillingsbruder des geheimnisvollen jungen Mannes sein, den Dr. Burger vor ein paar Wochen auf ihren Hof gebracht hat. Oder ist jener Max, der sich als Knecht verdingt, in Wahrheit ein berühmter Schauspieler?
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Herzglühen im Herbst
Vorschau
Impressum
Herzglühen im Herbst
Dr. Burger stellt für ein Madel die Weichen des Schicksals
Von Andreas Kufsteiner
Franziska freut sich auf einen gemütlichen Fernsehabend mit ihrer Großmutter. Beide lieben romantische Filme, und heute Abend läuft Herzglühen im Herbst.
Noch eine kurze Werbung, dann geht es los. Besonders die Großmutter verfolgt das Geschehen um Liebe und Eifersucht so andächtig, als wäre es eine von Hochwürdens Sonntagspredigten in der Kirche. Franziska hingegen spürt die Erschöpfung nach einem langen Arbeitstag auf dem Hof. Kaum kann sie die Augen noch aufhalten – als ihr Blick auf den Hauptdarsteller fällt.
Er könnte ein Zwillingsbruder des geheimnisvollen Mannes sein, den Dr. Burger vor ein paar Wochen auf ihren Hof gebracht hat. Oder ist jener Max, der sich als Knecht verdingt, in Wahrheit ein berühmter Schauspieler?
Ach, wie schön war so ein Junitag in den Bergen Tirols! Sonnig und warm, aber nicht zu heiß. Und es handelte sich noch dazu um einen Mittwoch. An diesem Tag der Woche hatte, wie jeder Bewohner von St. Christoph wusste, die Praxis des Bergdoktors nachmittags geschlossen. Denn auch der von allen hochgeschätzte Dr. Martin Burger brauchte hin und wieder Zeit für sich und seine Familie.
So luden er und seine Frau kurzerhand die Kinder und den Rest der Familie in zwei Autos und fuhren auf einen gut versteckten Waldparkplatz in der Nähe von Altenacker. Dieser war nur den Einheimischen bekannt. Urlauber tummelten sich dort keine.
Eine leichte Wanderung brachte die Burgers zum Kuckuckssee. Dessen Wasser leuchtete ebenso blau wie der strahlende Frühsommerhimmel. In ihm spiegelten sich die schroffen Felswände und der schneeweiße Gletscher des Feldkopfes.
Der Anblick entlockte Sabine Burger ein glückliches Seufzen.
»Wunderschön ist es hier, Liebling«, raunte sie ihrem Mann zu.
Das Ehepaar saß auf einem Felsen auf Martins Jacke, die er galant für seine Herzensdame ausgebreitet hatte. Sabine schmiegte sich verträumt an seine breite Brust. Liebevoll sah er auf sie herab.
Die Junisonne machte aus Sabines blondem Haar einen goldenen Heiligenschein. Und als sie den Kopf hob, ließen die himmlischen Strahlen auch die Tüpfelchen in ihren braunen Augen schimmern.
»Wunderschön, Schatzerl«, bestätigte der Bergdoktor mit einem Lächeln, das verriet: Er meinte nicht nur das Wetter oder die Aussicht über den See.
Ein Platschen lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Dr. Pankraz Burger stand mit dem Laura-Mauserl nahe dem Ufer und warf Steine ins Wasser. Martins Vater wählte für sich stets flache Steine und ließ sie gekonnt über den See »blatteln«. Sie sprangen drei, vier oder sogar fünf Mal von der Wasseroberfläche ab, ehe sie versanken.
Klein-Laura hatte andere Pläne. Soeben bückte sich Martin Burgers Jüngste nach einem weiteren großen Stein und ließ ihn direkt vor Pankraz' Nase ins Wasser fallen. Der Großvater machte einen Schritt rückwärts, doch er war zu langsam.
»Opa nass!«, freute sich das Mauserl.
»Na warte!«, drohte ihr Pankraz gutmütig. Und flugs hatte er sie hochgehoben. »Wer spritzt hier seinen armen, alten Opa nass? Bist du etwa gar kein Mauserl, sondern ein kleines Froscherl? Oder ein Fischerl, das zurück in den See mag?«
Pankraz beugte sich zu ihr hinunter. Das Mauserl strampelte und quietschte vor Vergnügen. Sobald sich ihr Opa tief genug bückte, hieb sie mit ihren Patschhändchen auf die Wasseroberfläche. Und schon wurde der »arme, alte Opa« wieder nass!
Martin Burger hörte Sabine glucksen. Er wandte den Kopf nach links. Dort spielten die beiden Großen, Tessa und Filli, unter Zenzis Aufsicht im seichten Wasser.
Tessa stieß einen spitzen Schrei aus: »Kaulquappen!«
Sogleich schaute Filli neugierig auf die Stelle, auf die Tessa hindeutete. Der Schirm seiner Kappe streifte beinahe das Wasser. Zwei Paar Kindersandalen sowie Zenzis flache Halbschuhe standen fein säuberlich aufgereiht nebeneinander am Ufer. Auch die alte Haushälterin hatte den Rock ihres Dirndls gerafft und genoss die erfrischende Kälte des Sees.
Während Dr. Burger ihnen zuschaute, klingelte sein Handy. Es war nicht etwa jenes für Notfälle, das er außerhalb seiner Behandlungszeiten bei sich trug, sondern das private. Verwundert zog er es aus der Hosentasche und hob ab.
»Hier Burger«, meldete er sich.
Eine Frauenstimme gackerte. »Hab ich mir doch gedacht, dass du noch immer die gleiche Nummer hast! Ja, ja, der Martin ist eben ein Gewohnheitstier.«
Dr. Burger krauste die von der Sonne gebräunte Stirn. Kein Zweifel: Er kannte diese Stimme. Bloß woher? Sie kam aus seiner Vergangenheit. Wo aber hatte er sie einst gehört? War das in München gewesen, während er an der Uniklinik seinen Facharzt für Chirurgie gemacht hatte? Oder doch später – nach seiner Rückkehr nach Tirol und bevor er Sabine kennengelernt hatte?
Schlagartig wusste er es wieder.
»Alexandra!«, entfuhr ihm der Name der Anruferin. »Mei! Ewig lang ist's her.«
Sabine hatte sich aufgerichtet und warf ihm einen neugierigen Blick zu. Mit einer Miene, die um Verzeihung bat, erhob sich Dr. Burger von dem Felsen und entfernte sich ein paar Schritte, um zu telefonieren.
Eine Frage beschäftigte ihn: Was konnte Alexandra Mayrling nach all den Jahren von ihm wollen?
***
Sabine Burger hörte ihren Mann leise lachen, bevor er zurückkam. Mit einem belustigten Kopfschütteln steckte er das Handy ein. Sabine stand auf und trat auf ihn zu.
»Wer war das denn?«, erkundigte sie sich und fügte halb scherzhaft und halb neugierig hinzu: »Eine alte Flamme von dir?«
Sabine wusste natürlich, dass nur zwei Frauen Martin Burgers Herz erobert hatten: seine erste Liebe Christl, die das Schicksal allzu früh und tragisch aus dem Leben gerissen hatte. Und sie selbst.
Der Bergdoktor verneinte ihre Frage daher auch sogleich.
»Eine alte Patientin aus meiner Münchner Zeit«, erklärte er, während er seine Frau in die Arme schloss und schmunzelte. »Obwohl sie mir das ›alt‹ übel nehmen würd', so wie ich sie kenne. Alexandra Mayrling heißt sie. Sie muss jetzt«, er rechnete kurz nach, »Mitte vierzig sein.«
»Und diese Münchner Patientin aus grauer Vorzeit hat deine Tiroler Telefonnummer, weil ...?«, half ihm Sabine auf die Sprünge.
Erstaunt erwiderte Martin ihren Blick, als wäre ihm diese Überlegung bisher gar nicht in den Sinn gekommen.
Rasch aber fiel ihm ein: »Wir haben uns ein oder zwei Mal in Tirol getroffen, nachdem ich die Praxis meines Vaters übernommen habe. Alexandra war geschäftlich in der Gegend.« Dr. Burger zog Sabine eng an sich. »Du fragst doch net etwa aus Eifersucht, Binchen?«, neckte er sie. »Denn dafür gibt's gewiss keinen Grund! Du bist jünger, fescher sowieso, und zwischen mir und Alexandra war nie etwas. Nix als Freundschaft und Geschäftliches. – Der Anruf gerade hat auch mit ihrem Geschäft zu tun«, lenkte er das Gespräch zurück auf das eigentliche Thema. »Es geht um einen ihrer Klienten.«
»Was für einen Klienten denn? Was arbeitet diese Alexandra?«
»Sie führt eine Talentagentur für Schauspieler.«
Einen Moment lang war Sabine sprachlos. Doch sie fing sich rasch.
»Und da möchte sie dich vertreten, stimmt's?«, zog nun sie ihren Mann auf.
Sie umfasste mit beiden Händen seine Schultern und betrachtete ihn prüfend. Mochte Dr. Burger auch sein fünfzigstes Jahr hinter sich haben: Mit seinem gebräunten Gesicht, seinen schmalen Hüften und breiten Schultern und seinem fülligen Haar, in dem an den Schläfen nur hin und wieder eine graue Strähne sichtbar war – mit all dem konnte es, ihrer Meinung nach, keinen Mann geben, der besser aussah. Ihr Martin würde sich ausgezeichnet auf Fernsehbildschirmen oder Kinoleinwänden machen!
Freilich war dies nichts als Träumerei. Denn sollte es Martin Burger plötzlich einfallen, eine Schauspielkarriere anzustreben: Wer würde sich dann um das Wohl seiner Patienten kümmern?
Scherzhaft fuhr Sabine fort: »Oder plant ihr Klient einen Film über dich zu drehen?« Und sie wies mit großer Geste auf den idyllischen Bergsee und den blauen Himmel vor ihnen, als sähe sie das Kinoplakat schon vor sich: »Dr. Burger – Schicksale zwischen Tal und Gipfel«, fabulierte sie und lächelte ihren Mann an. »Wär' das net ein guter Titel für deine Lebensgeschichte?«
Martin Burger lachte mit ihr. »Leider wollt' die Alexandra net die Filmrechte an meinem Leben erwerben«, antwortete er mit gespieltem Bedauern. »Ihr Klient, um den es geht, heißt Maximilian Kroiß. Ein bayerischer Fernsehschauspieler. Hast du schon von ihm gehört?«
Sabine schüttelte den Kopf.
»Ich auch net«, gab Martin Burger zu. »Nach dem, was sie gesagt hat, dürfte es sich um einen recht jungen Burschen handeln. Mitte zwanzig oder so. Sie hat ihm bereits ein paar Werbespots und kleinere Nebenrollen in Filmen vermittelt. Und jetzt hat sie für ihn eine Hauptrolle an Land gezogen. Hias von der Alm lautet wohl der Titel der Serie. Es geht um eine Bergbauernfamilie in den Tiroler Alpen.« Belustigt fügte Martin hinzu: »Gedreht wird aber in Tschechien und in Bayern.«
»Dort kann's doch nie und nimmer schöner sein als bei uns!« Sabine spähte hoch zum Feldkopf, der über dem See thronte. Sein weißer Gletscher verlieh dem mächtigsten der St. Christopher Berge das Aussehen eines weisen Fürsten unter den Gipfeln der Alpen.
»Gewiss net«, stimmte ihr Mann zu. »Ich glaub', das hat eher damit zu tun, wo so eine Fernsehproduktion die meisten öffentlichen Fördergelder erhält. Jedenfalls: Dieser Maximilian, den die Alexandra vertritt, spielt in der Serie den Sohn eines Bergbauern. Und auf die Rolle möchte er sich sehr gut vorbereiten. Deswegen hat Alexandra an mich gedacht.«
»An dich?«
»Net direkt an mich«, gab Dr. Burger zu. »Ich könnt' dem Burschen zwar Tirolerisch beibringen, aber das Dreschen, Mähen und Kühe melken lernt er besser woanders.« Er blickte Sabine in die Augen. »Alexandra stellt sich vor, dass der Maximilian irgendwo in der Gegend für sieben oder acht Wochen als Knecht mithilft. So eine Art unbezahltes Praktikum. Genauer gesagt: Er würde den Bauern für diese Erfahrung sogar bezahlen. Das Geld scheint in diesem Geschäft generell recht locker zu sitzen«, ergänzte er mit einem Schmunzeln.
Rasch wurde er wieder ernst. »Alexandra hat mich gefragt, ob ich ihr net einen Vorschlag machen könnt'. Ob ich jemanden weiß, der das Geld braucht. Und der bereit wär', den Burschen auf einem Tiroler Bergbauernhof in den Alltag einzuführen.«
»Also suchst du ...« Sabine überlegte kurz und fasste dann zusammen: »Eine echte Tiroler Bergbauernfamilie, die einen Knecht einstellen würd'. Der aber net wirklich ein Knecht ist, sondern nur so tut.« Ihre Augen funkelten.
»So ungefähr.« Martins Lächeln wärmte ihr das Herz. »Und ich hab dazu auch schon eine Idee.«
***
Es war Freitag, zwei Tage später, als Dr. Martin Burger mit seinem Geländewagen St. Christoph verließ und einer einsamen Straße folgte, die in die Berge führte.
Höher und höher ging es hinauf, bis man von einem Ausguck, einer Plattform gleich hinter einer gefährlichen Kurve, hinunter ins Tal sehen konnte. Wie reizend sich die Bauernhäuser von St. Christoph in der Nachmittagssonne ausnahmen – und in ihrer Mitte der Turm der Pfarrkirche mit dem vergoldeten Wetterhahn auf seinem Zwiebeldach!
Der Bergdoktor warf beim Fahren nur einen kurzen Blick hinunter. Einen längeren ließ die Gefährlichkeit der Straße nicht zu. Doch selbst er, der diese Strecke wie seine Westentasche kannte, war von der Aussicht jedes Mal aufs Neue verzaubert.
Wie mochte sie wohl erst auf einen Städter wirken? Einen jungen Burschen zum Beispiel. Aus einem der Münchner Vororte. Der die Berge nur von Weitem oder allerhöchstens von ein paar Drehtagen kannte. Der – das hatte ihm Alexandra verraten – noch nie in Tirol und schon gar nicht in St. Christoph gewesen war.
Der Fleck-Hof lag am Ende der einsamen Straße. Bis jene in die Hofeinfahrt mündete, konnte man sie kaum noch als »Straße« bezeichnen – es handelte sich bestenfalls um einen holprigen Fahrweg. Im Stillen dankte Dr. Burger dem Elmentaler-Jörg für die fachmännische Instandhaltung des Geländewagens, während er über die letzten Schlaglöcher rumpelte. Man brauchte für diese Fahrt eine gute Federung. Und gute Reifen.
Auf dem Vorplatz stellte Dr. Burger den Motor ab. Ein kleines Wohngebäude im alpenländischen Stil erhob sich vor ihm: das untere Geschoss geweißelt, das obere aus Holz mit einem umlaufenden Balkon und einem von Wind und Wetter gezeichneten Schindeldach. Der Stall mit dem Heuboden und einer angebauten Werkstatt sowie der Garage lag dahinter, das Hühnerhaus davor. Alles wirkte sauber und gepflegt.
Ein Meer aus leuchtend roten Geranien in den Blumenkästen am Balkon strahlte mit der Junisonne um die Wette. Trotzdem sah ein aufmerksamer Betrachter, dass der Zahn der Zeit an so manchem nagte. Hier und da hätten Ausbesserungen und größere Reparaturen das Gebäude ein Stückchen wohnlicher gemacht.
Kaum stieg Martin Burger aus dem Auto, wurde die Tür des Hauses auch schon geöffnet, und ein Mittvierziger eilte heraus.
»Grüß Sie, Herr Doktor!«, rief Thomas Fleck dem Besucher entgegen. Er wirkte gehetzt und außer Atem. Ehe er Martin Burger erreichte und dessen Hand schüttelte, zog er sich rasch noch die gestreifte Krawatte vom Hals. Zur dunklen Hose trug er ein weißes Hemd mit Schweißflecken unter den kurzen Ärmeln. Die Anzugjacke fehlte bereits.
»Ich bin gerade erst aus Wörgl gekommen«, erklärte der Bergbauer, sobald er die Musterung des Bergdoktors bemerkte. »Und hab mich ranhalten müssen, um vor Ihnen hier zu sein. Eine elende Hitze ist das heute wieder, gell?« Thomas Fleck wartete Martin Burgers Antwort nicht ab. »Da wünscht man sich schon eine Klimaanlage im Auto. Aber mei, besser zu heiß als zu kalt! Die Mama friert eh so leicht in ihrem Zustand.«
Die Miene des Bergbauern verdüsterte sich. Und der Bergdoktor musste an vergangene Hausbesuche auf dem Fleck-Hof denken. Das war im Januar und Februar, als die altersschwache Ölheizung ständig ausgefallen war.
Womöglich dachte auch Thomas daran zurück, denn sein Redeschwall versiegte. Mit nur wenigen Worten führte er Martin Burger in das Wohngebäude der Familie.
Es wäre nicht nötig gewesen. Der Bergdoktor kannte den Weg. Die Altbäuerin Meta Fleck litt seit Jahren an mehreren Krankheiten. Deren Zusammenspiel führte dazu, dass sich ihr Zustand unaufhaltsam verschlechterte. Trotz Dr. Burgers ärztlicher Kunst verbrachte sie inzwischen die meiste Zeit im Bett.
Thomas stieg vor ihm die Treppe ins Obergeschoss hinauf. Auf dem Weg bemerkte der Bergdoktor, dass das einst so füllige dunkelblonde Haar am Hinterkopf des Bauern schütter zu werden begann. Und dabei war der Bursche sechs Jahre jünger als er!