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Es könnte alles so schön sein in diesem Frühherbst. Die Familie Burger freut sich über jeden Sonnenstrahl, der die letzten warmen Tage vergoldet. In St. Christoph geht es - wie immer - kurzweilig zu. Man feiert traditionelle Feste auf den Höfen, und auch die Kinder sollen noch einmal die Gelegenheit haben, bei einem fröhlichen Sportfest gemeinsam vom Spätsommer Abschied zu nehmen. Dabei kommt es nicht auf Höchstleistungen an, sondern nur auf einen heiteren, fröhlichen Tag.
Aber Mariechen Gasteiger, die mit Tessa Burger befreundet ist, kann nicht so unbeschwert sein wie die anderen Kinder. Im Mai vor einem Jahr ist sie mit ihren Eltern aus Graz nach St. Christoph umgezogen. Timo und Lena Gasteiger haben aus beruflichen Gründen leider wenig Zeit für ihre Tochter, die sich manchmal einsam und traurig fühlt. Die Eltern wissen nicht, dass ihr Kind ganz al-lein für das Fest trainiert, denn bisher hat sich Mariechen aus Unsicherheit im Sportunterricht sehr zurückgehalten. Sie will jetzt aber allen zeigen, dass sie im Sport keine Null ist und dass auch ihre Eltern stolz auf sie sein können.
Doch mitten in dem fröhlichen Fest geschieht etwas Furchtbares. Bei einem lustigen Bändertanz bricht Mariechen plötzlich zusammen und bleibt regungslos am Boden liegen. Blankes Entsetzen macht sich breit ...
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Seitenzahl: 103
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Danke für mein zweites Leben, Dr. Burger
Vorschau
Impressum
Danke für mein zweites Leben, Dr. Burger
Auf einmal schlug Mariechens Herz nicht mehr
Von Andreas Kufsteiner
Es könnte alles so schön sein in diesem Frühherbst. Die Familie Burger freut sich über jeden Sonnenstrahl, der die letzten warmen Tage vergoldet. In St. Christoph geht es – wie immer – kurzweilig zu. Man feiert traditionelle Feste auf den Höfen, und auch die Kinder sollen noch einmal die Gelegenheit haben, bei einem fröhlichen Sportfest gemeinsam vom Spätsommer Abschied zu nehmen. Dabei kommt es nicht auf Höchstleistungen an, sondern nur auf einen heiteren, fröhlichen Tag.
Aber Mariechen Gasteiger, die mit Tessa Burger befreundet ist, ist nicht so unbeschwert wie die anderen Kinder. Ihre Eltern haben aus beruflichen Gründen wenig Zeit für sie und wissen nicht, dass ihr Kind ganz allein und sehr ehrgeizig für das Fest trainiert. Denn Mariechen will unbedingt allen zeigen, dass sie im Sport keine Niete ist und ihre Eltern stolz auf sie sein können.
Doch mitten in dem fröhlichen Fest geschieht etwas Furchtbares. Bei einem lustigen Bändertanz bricht Mariechen plötzlich zusammen und bleibt regungslos am Boden liegen. Blankes Entsetzen macht sich breit ...
Die Septemberwochen boten sich für alle möglichen Unternehmungen an. Bis es wirklich herbstlich wurde, dauerte es noch eine ganze Weile. Für Bergtouren, Waldspaziergänge und Ausflüge war das Wetter ideal.
In der Hitze des Sommers war es angenehmer gewesen, in Bächen, Seen und Schwimmbädern Abkühlung zu suchen. Wer hatte schon bei fast dreißig Grad im Schatten die Wanderschuhe anziehen wollen?
Allenfalls ein Besuch auf einer der vielen Almen war im Hochsommer noch in die nähere Wahl gekommen, denn jede Sennerin wusste, dass sich im kühlen Keller der Almhütte alles frisch hielt.
Ruhepausen auf einer Alm im idyllischen Hochtal von St. Christoph – am besten am späten Nachmittag oder abends nach Sonnenuntergang – hatten sich im Juli und August schon wegen der herrlichen Aussicht gelohnt. Jetzt natürlich erst recht, denn wenn der Bergwind über die Wiesen strich und aus dem nahen Wald der Duft nach Tannen und Moos herüberwehte, schmeckte eine Brotzeit auf der Alm doppelt so gut.
Jedes Jahr vor dem Almabtrieb fand auf der Achenwaldhütte das sogenannte »Almdank-Fest« statt, das die Wirtsleute für alle tüchtigen »Almer« ausrichteten, die den Sommer über ihr Bestes gegeben hatten und nun dafür sorgen mussten, dass die Tiere wohlbehalten wieder in den heimischen Stall zurückkehrten. Nicht nur die geschmückten Kühe machten sich hernach auf den Weg ins Tal, es waren auch hier und da Ziegen dabei, wollige Schafe und sogar Maultiere, die das eine oder andere Packerl heimwärts trugen.
Ihnen eilte der Ruf voraus, dass sie recht störrisch waren und nicht immer das taten, was man von ihnen erwartete. Kein Wunder! Wenn man halb Pferd, halb Esel ist und in punkto Abstammung aus der Reihe tanzt, dann darf man sich ein paar Extratouren auch erlauben – vor allem, wenn man eh weiß, dass man unentbehrlich ist!
Zur Ehrenrettung der (wenigen) Maultiere, die es in St. Christoph gab, musste aber gesagt werden, dass sie sich sehr gesittet benahmen. Das zeigte sich auch auf dem Glockenhof, der traditionell mit grünen Girlanden und Blumen geschmückt wurde, wenn die Tiere von der Alm zurückkehrten.
So war es auch heuer. Der Glockenhof-Bauer Franz Hallhuber und seine Leut' ließen es sich nicht nehmen, Tische und Bänke aufzustellen und eine stattliche Anzahl von Gästen zu einer Kostprobe einzuladen. Käse, Topfen, hausgebackenes Brot und die besonders gute Bergbutter waren der Stolz von Sennerin Burgi.
Dr. Burger und seine Familie waren natürlich auch gekommen, genauso wie Bürgermeister Angerer, Pfarrer Roseder, Förster Reckwitz, Bergwachtleiter Dominikus Salt und noch einige andere, die aus dem Dorf nicht wegzudenken waren. Aber auch alle, die nur mal kurz vorbeischauen wollten, waren willkommen.
Es war nicht etwa so, dass der Hallhuber-Franz die geladenen Gäste mit Pauken und Trompeten empfing und ihnen einen roten Teppich ausrollte, während die anderen daneben standen. Das Dorf bildete eine Gemeinschaft, in der jeder seinen Platz einnahm. Freilich ließ es sich der Franz nicht nehmen, bei einer kleinen Ansprache scherzhaft zu erwähnen, dass die »Prominenz« vollzählig erschienen war.
Es war also auch in diesem Jahr – es war genau der 23. September, also der offizielle Herbstanfang – genauso wie immer. Man saß zusammen, freute sich über die gute Almsaison und redete über Gott und die Welt.
Die Kinder hatten ihren Spaß, denn auf dem Glockenhof gab es den reinsten »Streichelzoo«: Zutrauliche Viecherl über Hund und Katze bis hin zu den vergnügt herumpickenden, garantiert glücklichen Hühnern, den Enten, Kaninchen und dem zahmen Hausfasan »Hansl«, den die Hallhubers am Feldrand verletzt gefunden und dann bei sich aufgepäppelt hatten. Tierarzt Dr. Steiger hatte ihnen dabei mit Rat und Tat zur Seite gestanden.
Die Glockenhof-Alm hatte übrigens einen sehr guten Ruf, weil sie für Wanderer und Ausflügler den Sommer über geöffnet war. Hin und wieder fanden auch kleine Feste dort oben statt. Natürlich alles in Maßen – es musste gemütlich zugehen, Lärm war verpönt.
Auf dem Hof wurde es heute nun doch ein bisschen lauter, als der Bauer seine »Ziach«, ein Trumm von einem Akkordeon, hervorholte und zusammen mit seiner Frau (die sich aufs Hackbrett spielen verstand) für musikalische Unterhaltung sorgte. Dazu gab sein Sohn Niklas, knapp achtzehn Jahre alt, Gstanzln zum Besten. Unterstützt wurde er dabei von seiner drei Jahre älteren Schwester Veronika, deren helle Stimme auch im Kirchenchor von St. Christoph ertönte.
Die Glockenhof-Familie war nicht nur musikalisch, sondern immer guter Dinge. Vielleicht fühlte sich auch deshalb jeder wohl auf dem großen Hof, von dem aus man hinüber zur Pfarrkirche und zur anderen Seite hin auf die Berge blickte.
»Und wieder ist ein Jahr vorbei, und wir treffen uns hier in alter Frische«, ließ sich der Bürgermeister vernehmen.
Pfarrer Roseder ergänzte: »Dafür sollten wir dankbar sein. Möge es noch lange so bleiben. Es ist ja keine Selbstverständlichkeit, dass wir gesund und munter unter dem blauen Himmel den Sommer beschließen und den Herbst begrüßen. Wobei ich noch anfügen will, dass der Herbst uns allen noch viele schöne Tage und Stunden bescheren wird. Wir ernten, was wir gesät haben. Das heißt, manches muss man nicht erst säen, einiges wächst jedes Jahr von ganz allein und braucht nur ein bisschen Pflege. Ich denke da an die Weinstöcke und an die Reben, die so oft in der Bibel erwähnt werden. In einem guten Glas Wein steckt mehr, als man denkt. Es liegt ein Leuchten darin, als ob ein wenig Himmelsgold hineingefallen sei. Man sagt ja immer, dass die Reben den Sonnenschein in sich tragen.«
»Auf Ihr Wohl, Herr Pfarrer«, warf Dr. Burger ein. »Eigentlich hätte heute ein zünftiges Bier besser gepasst. Aber als uns der Franz vorhin den Südtiroler Lagreiner angeboten hat, konnte ich genauso wenig Nein sagen wie Sie.«
»Ein guter Wein ist immer das Getränk der Wahl«, scherzte der Seelsorger. »Egal, ob Almabtrieb oder Herbstanfang, man macht nichts falsch, wenn man diesem edlen Getränk den Vorzug gibt. Ihr Vater scheint auch dieser Meinung zu sein. Und Ihre Frau hat sich für Weinschorle entschieden. Nun, wer's mag – ich halte nichts davon, Wein und Wasser zu mischen. Was hat denn die Zenzi da im Glas?«
»Apfelmost«, erwiderte Dr. Burger lachend. »Nichts für Sie, Herr Pfarrer, denke ich.«
»Gelegentlich schon«, schmunzelte der Geistliche. »Auch Äpfel werden in der Bibel erwähnt, vor allen Dingen ein ganz bestimmter Apfel, der angeblich etwas sehr Verlockendes an sich hatte – jedenfalls konnte Adam dieser süßen Frucht nicht widerstehen.«
»Und der liebenswerten Eva erst recht nicht.«
»Sie sagen es, Doktor. Wer hört diese Geschichte nicht immer wieder gern?«, erwiderte Pfarrer Roseder. »Seien wir doch mal ehrlich. Was wäre das Paradies ohne Adam, Eva und den Apfel? Die Schlange spielt doch eigentlich nur eine untergeordnete Rolle. Ich wette, Eva hätte Adam den Apfel so oder so schmackhaft gemacht, ob mit oder ohne Schlange.«
»Richtig«, bestätigte Dr. Burger. »Aber vergessen Sie nicht, dass die beiden unbekleidet waren und es sonderbarerweise erst dann erkannten, nachdem sie in den Apfel gebissen hatten. So ganz leuchtet es mir nicht ein, warum das Pärchen wegen dieser Erkenntnis das Paradies verlassen mussten. Sie hätten zweifellos noch ein paar schöne Stunden im Garten Eden miteinander verbringen können.«
»Ich verstehe, was Sie sagen wollen«, scherzte der Geistliche. »Und – sagen Sie es nicht weiter – ich pflichte Ihnen bei. Aber es ist nur eine Geschichte, über die der Herrgott wahrscheinlich genauso schmunzelt wie wir. Ich maße mir an, ihn so weit zu kennen, dass ich an seinem Humor keinen Zweifel habe. Wie könnte er uns auch sonst ertragen? Uns Menschen, die manchmal von einer Dummheit in die nächste stolpern. Und die trotzdem glauben, dass sie alles wissen und den Herrgott gar nicht mehr brauchen.«
»Sie finden immer die richtigen Worte«, stellte Dr. Burger fest. »Die Leut' im Dorf hören Ihnen so gern zu, weil Sie den Allmächtigen nicht als fern und unnahbar darstellen, sondern als Tröster und Zuhörer, an den sich jeder wenden kann.«
»Das ist meine Überzeugung«, nickte Pfarrer Roseder. »Als junger Mann verbrachte ich zu Studienzwecken drei Monate in einem Benediktinerkloster. Ich wollte das Klosterleben kennenlernen. Mit war damals noch nicht klar, ob ich mein Theologiestudium wirklich zu Ende führen wollte oder nicht. Wer oder was ist Gott eigentlich, fragte ich mich oft. Ich führte viele Gespräche mit dem Abt des Klosters, der ein außergewöhnlich kluger Mensch war. Er zeigte mir Wahrheiten auf, an die ich vorher nie gedacht hatte. Mit der Zeit wurde mir einiges klar. Ich erkannte, dass Gott anders ist, als wir denken. Mir begegnen auch heute noch Menschen, die daran glauben, dass Gott als mächtige Lichtgestalt zwischen Engeln mit Flammenschwertern auf einem goldenen Thron sitzt. Das sind fantastische Bilder, die wir gern vor Augen haben. Aber klingt das nicht sehr märchenhaft? Vielleicht ist Gott mitten unter uns, ohne dass wir es merken. Wir erkennen ihn nicht, aber er ist immer da. Dort, wo es wunderschön ist, aber genauso an jedem Ort, an dem tiefstes Leid, Krankheit und Schmerz herrschen.«
»Das denke ich auch«, bestätigte Dr. Burger. »Was die Menschen brauchen, sind Zuwendung und Verständnis. Und vor allem Liebe.«
»Unser Alltag ist meistens von morgens bis abends durchgeplant«, fuhr Pfarrer Roseder fort. »Oft können wir uns kaum eine Pause gönnen. Wir schauen nicht nach rechts und links, weil wir sehr beschäftigt sind. Und doch kann es sein, dass jemand an uns vorbeigeht, der uns ein Lächeln schenkt, das wir nie wieder vergessen. Immer, wenn wir später an dieses Lächeln denken, wird auch ein dunkler Tag heller und wir sehen die Sonne hinter den Wolken. Oder wir haben eine Operation hinter uns, wachen aus der Narkose auf und es sitzt jemand am Bett, dessen Hand wir für immer festhalten möchten. Wir umklammern diese Hand und spüren, dass in diesem Moment jemand bei uns ist, für den wir viel mehr sind als nur ein Patient. Wer ist dieser Jemand? Schwer zu sagen. Es kann der behandelnde Arzt sein, ein Verwandter oder ein Freund, der in Gedanken immer bei uns war – obwohl wir ihn vielleicht zwischenzeitlich vergessen haben. Manchmal gibt es Menschen, die im richtigen Moment da sind. Nicht zufällig, sondern weil es so sein soll.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dr. Burger war beeindruckt.
Nach einer Weile sagte er: »Also, wir beide sitzen hier auf dem Glockenhof bei einem fröhlichen Fest und feiern das Ende des Almsommers. Und dann sprechen wir ein Thema an, das unerschöpflich ist. Es gibt einige Dinge, die man mit dem Verstand nicht erklären kann. Das sagt auch mein Vater immer wieder, obwohl er ja ansonsten ein sehr bodenständiger Mensch ist. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Wir müssen für alles offen sein.«
»Vor allem auch für die Kinder«, warf Pfarrer Roseder ein. »Ihre drei warten auf Sie, lieber Doktor, und Ihre Frau natürlich auch. Und wie ich sehe, auch Ihr Vater, die unentbehrliche Zenzi und Poldi, der als Mittelpunkt der Familie heute mal wieder die Nummer eins ist! Lassen Sie sich durch mich nicht länger aufhalten. Soeben steuert unser verehrter Herr Staudacher auf mich zu – wahrscheinlich geht es wieder mal um ein Chorkonzert der Extraklasse in unserer Kirche!«
***
»Was hattest du denn mit Pfarrer Roseder so Dringendes zu besprechen?«, erkundigte sich Sabine Burger, Dr. med. wie ihr Mann. »Steht wieder eine Hochzeit an? Oder was ist es dieses Mal?«