Der Bergdoktor 2208 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2208 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Unter dem ausladenden Kronendach der alten Eiche haben sich Philipp und Rosalie einst geschworen, dass ihre Liebe ewig halten soll. Um den Pakt zu besiegeln, hat Philipp dabei ihre Initialen in die Rinde des breiten Stammes geritzt.
Doch nun, fünf Jahre später, sitzt die inzwischen vierundzwanzigjährige Bauerstochter allein unter dem knorrigen Baum, denn das junge Glück fand damals ein abruptes Ende. Nachdem Philipp ein großes Unglück über seine Familie gebracht hatte, verschwand er von einem auf den anderen Tag. Seitdem hat niemand in St. Christoph je wieder etwas von ihm gehört.
Rosalie hat all die Jahre auf Philipps Rückkehr gehofft, doch sie weiß: Wenn sie ihrem sterbenskranken Vater seinen letzten Wunsch erfüllen will, dann darf sie nicht mehr länger warten. Der Bauer wünscht sich nichts sehnlicher, als seine Tochter zum Traualtar zu führen und in guten Verhältnissen zu wissen, bevor er die Augen für immer schließt. Einen Bräutigam hat er auch schon für sie ausgesucht: Es ist ausgerechnet Michael, der Bruder des verschollenen Philipp ...

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Im Schatten der alten Eiche

Vorschau

Impressum

Im Schatten der alten Eiche

... wartete sie auf die Rückkehr des Liebsten

Von Andreas Kufsteiner

Unter dem ausladenden Kronendach der alten Eiche haben sich Philipp und Rosalie einst geschworen, dass ihre Liebe ewig halten soll. Um den Pakt zu besiegeln, hat Philipp dabei ihre Initialen in die Rinde des breiten Stammes geritzt.

Doch nun, fünf Jahre später, sitzt die inzwischen vierundzwanzigjährige Bauerstochter allein unter dem knorrigen Baum, denn das junge Glück fand damals ein abruptes Ende. Nachdem Philipp ein großes Unglück über seine Familie gebracht hatte, verschwand er von einem auf den anderen Tag. Seitdem hat niemand in St. Christoph je wieder etwas von ihm gehört.

Rosalie hat all die Jahre auf Philipps Rückkehr gehofft, doch sie weiß: Wenn sie ihrem sterbenskranken Vater seinen letzten Wunsch erfüllen will, dann darf sie nicht mehr länger warten. Der Bauer wünscht sich nichts sehnlicher, als seine Tochter zum Traualtar zu führen und in guten Verhältnissen zu wissen, bevor er die Augen für immer schließt. Einen Bräutigam hat er auch schon für sie ausgesucht: Es ist ausgerechnet Michael, der Bruder des verschollenen Philipp ...

Auf den ersten Blick mochte man sie für eine gewöhnliche Eiche halten, doch es war ein ganz besonderer Baum, der hier stand. Im Zillertal. Im Weiler Hochbrunn, welcher zur Ortsgemeinde St. Christoph gehörte.

Bei der Eiche handelte es sich nämlich um ein altes Grenzzeichen zwischen zwei Feldern, beziehungsweise zwischen zwei Höfen: dem Sturmbauer-Hof und dem Scheinecker-Hof.

Generationen von Bauernkindern zu beiden Seiten der Grenzlinie hatten von ihren Eltern gelernt: »Siehst du die Eiche? Bis dorthin gehört alles uns.«

Ach, was hatte diese alte Eiche im Lauf ihrer mehr als hundert Jahre nicht schon alles erlebt! Wie viele Vögel hatten in ihr Nester gebaut und ihre Brut aufgezogen? Wie viele Kinder – Sturmbauern und Scheineckers gleichermaßen – waren in ihr herumgeklettert? Die Buben hatten an den Ästen Klimmzüge vollführt, um die Madeln mit ihrer Muskelkraft zu beeindrucken. Und so manches Madel war lachend, flink und geschickt wie ein Eichkatzerl bis hinauf in die Krone geklettert.

An diesem strahlend schönen Julitag saß ein solches Madel auf einem ausladenden Ast der alten Eiche. Es hatte es sich hier bequem eingerichtet. Sein Rücken lehnte, durch ein Polster gestützt, am Stamm. Der Rucksack hing von einer Astgabel daneben, und auf dem Schoß lag ein dünnes Heftchen. Ein Liebesroman. Cilli, die Hauserin der Familie, hatte ihn dem Madel zugesteckt. Es ging um die verbotene Liebe zwischen einem Wilderer und einer Försterstochter.

»Sehr tragisch!«, hatte Cilli dem Madel im Flüsterton versprochen und ihm zugezwinkert, ehe es das vom Vater verbotene Hefterl rasch zwischen die Seiten eines dickeren Romans geschoben hatte.

Gestern Abend im Bett hatte das Madel die Hälfte der Geschichte verschlungen. Jetzt aber blätterte es müßig in dem Heft und las dieselbe Seite ein Dutzend Mal. Seine Gedanken schweiften von den Abenteuern des glücklosen Wilderers ab zu einem anderen Burschen. Philipp war sein Name.

Er war der jüngste von drei Brüdern, den Söhnen des Scheinecker-Bauern dort jenseits der Eiche. Das Madel war Rosalie, die Tochter des Sturmbauern.

Da kam Philipp! Über das Heft hinweg erspähten Rosalies scharfe Augen ihn, wie er über den Feldweg rannte. Sie richtete sich auf. Im Nu war das Polster in den Rucksack gestopft. Das geliehene Hefterl kam zusammengerollt in die äußere Seitentasche. Leichtfüßig sprang Rosalie von ihrem Ast zu Boden. Sie strich sich noch rasch ein paar lockige Strähnen hinter die Ohren. Schon joggte Philipp herbei.

»Grüß dich.« Außer Atem hielt er an. Er war ein schlaksiger Bursche von knapp zwanzig Jahren. Rosalie war ein Jahr jünger. Sie hatten beide im Juni die Matura geschafft.

Sein Blick fiel auf den Rucksack mit dem Hefterl in der Außentasche.

»Was liest du denn da?«

»Gar nix«, wehrte Rosalie schnell, zu schnell, ab. Eine verräterische Röte stieg ihr in die Wangen.

Philipp bückte sich. Rosalie versuchte den Rucksack aus seiner Reichweite zu schwingen, doch er zog das Hefterl schon heraus.

»Pass auf! Das gehört der Cilli!«

Ohne auf ihre Warnung zu achten, entrollte Philipp das Hefterl und betrachtete dessen Titelbild. Es zeigte einen feschen Wildererburschen in einer kurzen Lederhose, der seine Flinte schulterte.

Grinsend wies Philipp darauf.

»Bin das ich?«

»Nein!«

»Ich wär' ein guter Wilderer«, beharrte er.

Rosalie schnaubte. Und kaum galt Philipps Aufmerksamkeit ihrem Gesicht, nutzte sie den Moment seiner Ablenkung und entzog ihm das Hefterl.

»Als ob du dich je im Wald verstecken tätest. Was sollt' dann aus deinem Computer werden?«

»Den tät' ich mitnehmen«, erwiderte Philipp mit der größten Selbstverständlichkeit. »Solange mein Wildererversteck bloß guten Internet-Empfang hat, bin ich zufrieden.«

Er lachte sie an. Der Blick seiner blauen Augen bohrte sich in den ihrer rehbraunen. Die Stimmung zwischen ihnen war aufgeladen wie vor einem Sommergewitter.

Er ist schon wieder gewachsen, schoss es Rosalie durch den Sinn. Alleweil, wenn ich ihn seh', hat er ein paar Zentimeter zugelegt. Ich schwör', er wächst über Nacht!

Zu ihrer Überraschung war Philipp derjenige, der als Erster wegsah.

»Das Blond steht dir gut.«

»Findest du?« Verlegen griff Rosalie nach der langen Lockensträhne und wand sie um ihren Zeigefinger.

Ihre Mitschülerinnen hatten sie zu dem Friseurbesuch überredet. Weil eine platinblonde Strähne in Rosalies pechschwarzer Pracht so schön zur Geltung käme. Noch beim Verlassen des Salons hatte sie sich todschick gefunden. Aber dann beim Nachhausekommen ...

»Die Cilli war entsetzt«, gestand sie Philipp kleinlaut. »Kaum hat sie mich gesehen, hat sie gerufen: Madel!« Sie ahmte die bange Stimme der ältlichen Hauserin nach. »Ich hätt' dich ja fast nimmer erkannt! Du schaust ganz anders aus.«

»Anders zu sein ist doch net schlecht«, warf Philipp ein.

Rosalie schenkte ihm ein dankbares Lächeln. Das mochte sie an ihm so gern: Er stand alleweil zu ihr. Ohne Wenn und Aber. Wer Rosalie beleidigte oder sie sonst irgendwie unglücklich machte, bekam es mit ihm zu tun. Und er fand stets die richtigen Worte, damit sie sich besser fühlte.

»Und der Papa hat gelacht«, vertraute sie ihm an. »Bei jeder Mahlzeit hat er mich gefragt, ob ich mir etwa einen Dachs anlachen und mit dem in seiner Höhle hausen will.«

Ein Schatten fiel über Philipps Miene. Er wusste, wie es sich anfühlte, wenn die Familie über einen lachte. Seit frühester Jugend interessierte er sich für Computer. Seine beiden älteren Brüder zogen ihn deswegen auf. Auch der Scheinecker-Vater hielt rein gar nichts von dieser Begeisterung. Ein paar E-Mails schreiben, ein bisserl Buchhaltung machen – zu mehr war das neumodische Technikzeug seiner Meinung nach nicht zu gebrauchen.

Nur dank der Unterstützung seiner Mutter hatte Philipp mit fünfzehn eine höhere technische Lehranstalt für Computertechnik besuchen dürfen. Die befand sich in Schwaz – zu weit entfernt, um jeden Tag zu pendeln.

Philipp hatte einen Platz im Schülerheim ergattert und sich pudelwohl gefühlt. So sehr, dass er wegen unzähliger unentschuldigter Fehlstunden um ein Haar von der Schule geflogen wäre, gemeinsam mit einer Gruppe von Mitbewohnern, die allesamt lieber in ihren Zimmern hockten und im Internet surften, statt dem Unterricht beizuwohnen.

Als das aufgekommen war, hatte man das Geschrei des alten Scheineckers in ganz Hochbrunn gehört. Wahrscheinlich sogar bis nach Altenacker. Mit einem Jahr Verspätung hatte Philipp die Schule dann doch abgeschlossen. Aber die Sache mit den Fehlstunden ließ ihn am heimatlichen Hof keiner je vergessen.

Nun wechselte er das Thema.

»Erzähl mir was.« Er wies auf das Hefterl in ihrer Hand. »Was tut dein Wilderer denn so den ganzen Tag?«

Während er sprach, trat er näher und beugte sich zu ihr herab. Und so sehr die Geschichte Rosalie gestern Abend gefesselt hatte – Philipps Nähe vertrieb jede Erinnerung daran aus ihrem Kopf.

»Er steigt auf die höchsten Berge und schießt kapitale Böcke«, fiel ihr bloß ein.

»Und auf so was steht ihr Madeln?« Philipps Lächeln und das Funkeln in seinen Augen ließen ihr Herz hüpfen. Rosalie lächelte zurück.

»Ich wär' ein besserer Wilderer«, fuhr er entschieden fort.

»Du meinst, du würdest die kapitalen Böcke im Internet kaufen?«, zog sie ihn auf.

Er schüttelte den Kopf. »Krypto«, nannte er bloß ein Wort, als müsste ihr dieses etwas sagen.

»Krypto – was?«

Seine Augen wurden groß.

»Ist das dein Ernst? Du hast noch nie von Krypto-Währungen gehört?«

Beschämt verneinte Rosalie. Sie mochte zwar von ihnen beiden die weitaus besseren Noten haben, doch nicht zum ersten Mal kam sie sich in Philipps Gegenwart wie ein dummes Landei vor.

Kaum dachte sie das, ergriff er ihre Schultern und blickte ihr eindringlich in die Augen. Bis sie das Gefühl hatte, in all dem Blau zu versinken.

»Krypto-Währungen sind wie Geld«, erklärte er ihr. »Bloß net wie ... wie Münzen und Scheine von der Bank. Sondern Geld, das man mit dem Computer erschafft. Verstehst du?«

Nein, das verstand sie nicht. Sie nickte dennoch.

»Die Leute handeln damit«, fuhr Philipp fort. »Und wer sich auskennt, wer die richtigen Tipps kriegt und den richtigen Einstiegszeitpunkt erwischt, der kann sehr schnell unglaublich reich werden.« Erwartungsvoll grinste er sie an.

»Und du kennst dich aus?«, hakte sie nach.

Sein Grinsen wurde breiter. Das war Antwort genug.

»Ist das net riskant?«, flüsterte sie.

»Freilich«, bestätigte er unbekümmert. »Frag jeden Spieler im Casino: Nur wer hoch setzt, gewinnt viel.«

»Der Papa sagt, im Casino gewinnt alleweil die Bank«, entschlüpfte es ihr. »Deswegen spielt er nix anderes als Lotto, Toto oder Tarock. Und er sagt, dass es so was wie das schnelle Geld net gibt. Nur was man sich hart erarbeitet, hat Bestand.«

Philipp lachte. »Aber er sagt auch, dass Rauchen gesünder wär' als Marathon laufen. Oder net?«

Rosalie lachte mit ihm. Sie wussten beide: Die Pfeife war das liebste Laster des Sturmbauern. Und er fand stets eine Ausrede, damit er nicht auf sie verzichten musste.

Rosalies Lachen erstarb jedoch, als Philipp mit seiner Rede fortfuhr.

»Ich mein's ernst, Roserl.« Nur von ihm ließ sie sich diesen Spitznamen gefallen. »Man kann mit Krypto-Währungen wahnsinnig viel Geld verdienen. Und es braucht dafür net mehr als ein paar Klicks. Wenn ich, sagen wir mal, hunderttausend einsetzen tät' ...«

»Hunderttausend Euro!«, warf sie erschrocken ein. »Woher hast du, bitte schön, hunderttausend Euro?«

»Ich hab sie ja net«, beschwichtigte er sie und klang zugleich ein wenig verärgert. »Aber wenn ich sie hätt', dann tät' ich sie einsetzen. Und im Handumdrehen wär' ich Millionär.«

Rosalie wusste darauf nichts zu entgegnen. Zum einen, weil sie Philipps Sturkopf kannte. Und zum anderen, weil sie nichts von diesen Dingen verstand. Ganz sicher nicht genug, um ihm einen bereits gefassten Entschluss auszureden.

Wenigstens ist es nur ein Tagtraum, tröstete sie sich. Denn woher sollt' ein Bursche, der gerade erst die Schule fertig hat und am elterlichen Hof mithilft, hunderttausend Euro nehmen?

Unvermittelt ließ Philipp ihre Schultern los.

»Ich hab meinen Taschenfeitel eingesteckt«, sagte er.

Der plötzliche Themenwechsel verwirrte Rosalie. Was konnte er mit dem Messer vorhaben? Erst nach ein paar Augenblicken fiel es ihr ein.

»Im Sommer nach der Matura tun wir's, hast du gesagt«, erinnerte er sie. »Oder hast du es dir anders überlegt?« Er klang herausfordernd.

Rosalie fand ihre Stimme wieder.

»Nein«, brachte sie hervor. »Nein, ich – ich will's mit dir tun.«

Er schenkte ihr ein rasches Lächeln und wandte sich danach von ihr ab. Sie sah, wie er zum Stamm der Eiche trat und seine rechte Hand über die raue Rinde gleiten ließ. Als suchte er nach der perfekten Stelle.

Rosalie verspürte ein merkwürdiges Kribbeln im Bauch. Sie wusste nicht, warum. Es war doch nicht viel dabei, oder? Sie und Philipp gingen seit Jahren miteinander. Seit ihrem ersten Kuss damals beim Feuerwehrfest. Und trotzdem fühlte es sich unglaublich bedeutsam an, dass sie heute ihre beiden Anfangsbuchstaben in den Stamm der Eiche ritzen würden. Fast wie ... fast wie ein Eheversprechen.

»Hier wär's gut, glaub' ich«, entschied Philipp. Er sah zu ihr her. »Was meinst du?«

Rosalie trat näher. Er zeigte ihr die Stelle, die er ausgewählt hatte.

»Genau hier«, flüsterte er ihr zu. Dabei umfasste er ihre zarte Hand mit seiner größeren, kräftigeren und legte sie auf die Rinde. Er stand halb hinter ihr, und er war ihr so nahe, dass seine blonden Bartstoppeln ihr Ohr kitzelten. Ein wohliger kleiner Schauder durchfuhr sie.

Rosalie nickte, und Philipp schob sich an ihr vorbei. Er zog das kleine Messer aus der Hosentasche, klappte es auf und machte sich an die Schnitzarbeit. Das R für »Rosalie« kam zuerst, danach ein Pluszeichen, dann das P für »Philipp«. Und zu guter Letzt ein Herz um alles herum.

Rosalie konnte den Blick nicht von seiner geschickten Hand wenden. Als er fertig war, den Taschenfeitel wieder zuklappte und ihn einsteckte, fühlte sie sich, als würde sie aus einem Traum erwachen.

»Das sollt' ewig halten«, verkündete Philipp zufrieden. Er zog mit dem Zeigefinger die Buchstaben und das Herz nach. »Was meinst du?«

Wieder spürte Rosalie die Bedeutung des Moments. Ihr Mund fühlte sich trocken an.

»Ja«, gelang ihr zu flüstern. »Es hält ewig.«

Philipp musterte sie eindringlich. Und dann, ganz unerwartet, fasste er sie um die Hüften und hob sie hoch. Sie stieß einen überraschten Laut aus, als er sie auf den niedrigsten waagerechten Ast der Eiche setzte, in genau der richtigen Höhe, damit ihr Kopf auf der gleichen Höhe war wie seiner.

Er beugte sich vor und drückte ihr ein Busserl auf den Mund. Geistesgegenwärtig schlang Rosalie die Arme um seinen Hals, um nicht nach hinten und von ihrem wackeligen Sitz zu kippen.

Danach wurde eine Zeit lang nicht viel geredet. Die Eiche blickte mit Wohlwollen herab auf diese beiden, die einander so hingebungsvoll abbusselten. Doch sie war ein alter Baum, knorrig und erfahren. Und sie mochte bereits ahnen, dass auf diese unbeschwerten Sommertage Jahre voller Kummer und Leid folgen würden.

***

5 Jahre später ...

»Ich dank' dir schön«, sagte Dr. med. Martin Burger zu seiner Mitarbeiterin Schwester Sofie, die ihm den Zettel mit den Laborwerten seines Patienten reichte. Freundlich nickte er ihr zu und überflog dann die Ziffern, Buchstaben und Symbole, während sie das Sprechzimmer verließ.

»Wie schaut's aus?«, bedrängte ihn der Sturmbauer Siggi aus Hochbrunn. Ehe der Bergdoktor eine Antwort formulieren konnte, setzte er bereits nach. »Sagen Sie schon, Herr Doktor! Besser oder schlechter als im Krankenhaus in Schwaz?«

»Besser, Siggi«, versicherte Dr. Burger dem Patienten. Dieser stieß erleichtert den Atem aus, auch wenn sowohl er als auch sein Hausarzt wussten: »Besser« hieß in diesem Fall nicht »gut«.

Die Untersuchung war beendet. Doch der Sturmbauer blieb auf der Patientenliege sitzen und musterte den Bergdoktor abwägend, als dächte er darüber nach, ihm etwas anzuvertrauen. Martin Burger ließ sich daher Zeit damit, sein Stethoskop und die anderen Instrumente wegzuräumen.

Lautes Röcheln sorgte dafür, dass er den Kopf herumriss. Der Sturmbauer aber hatte sich bereits gefasst und machte eine abwehrende Geste. Er zog ein gebügeltes, kariertes Schnäuztuch aus der Tasche seines Jankers, entfaltete es und hustete ein paar Mal hinein. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er den blutigen Auswurf in dem Tuch, bevor er es wieder faltete und einsteckte.

»Herr Doktor«, begann er. Der Blick seiner hellblauen Augen bohrte sich in jenen des Bergdoktors. Der Sturmbauer war von gedrungenem Wuchs, stämmig und blond. Seine einzige Tochter kam mit ihrer schlanken, feingliedrigen Gestalt und ihrer pechschwarzen Lockenpracht ganz nach der Mutter. »Besser schwarz wie die Nacht als hässlich wie die Nacht, gell?«, pflegte der Bauer zu scherzen. Und dabei an seine Nase zu tippen, die zugegebenermaßen einer Erdäpfelknolle ähnelte.

Nun rang er kurz nach Atem und begann von Neuem.

»Wissen Sie, Herr Doktor: Der Herrgott und ich, wir haben einen Handel abgeschlossen.«

»Einen Handel, Siggi?« Der Bergdoktor hörte auf, am Schreibtisch ein paar Kleinigkeiten zurechtzurücken. Er wandte seine ganze Aufmerksamkeit dem Patienten zu.

»Ja. Grad gestern. Im Beichtstuhl in der Kirche. Hochwürden war unser Zeuge.«

Der Bauer schenkte ihm ein selbstzufriedenes Lächeln. Er war etwa zwei Jahre älter als Martin Burger und zumeist ein umgänglicher Kerl. Ein Wirtshaushocker. Ein begeisterter Erzähler von lustigen Geschichten und Anekdoten. Nur wenn ihm etwas gegen den Strich ging, konnte er ungemütlich werden, so aufbrausend und streitbar wie sein Name.

Aber nun zeigte er sich von seiner sanftmütigen Seite.