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Carola und Jochen hängen ihre guten Jobs in Innsbruck an den Nagel und kaufen sich in St. Christoph einen eigenen Berghof mit Milchviehhaltung. Carolas anfängliche Bedenken, diesen doch recht gewagten Schritt mit Mitte dreißig zu gehen, weiß ihr Verlobter alle auszuräumen, sodass sie schließlich einwilligt. Und als sie zum ersten Mal auf dem reizenden Hof in den Bergen steht, kennt ihre Begeisterung keine Grenzen.
"Willkommen im Paradies, mein Herzerl", flüstert Jochen ihr ins Ohr und umarmt sie zärtlich. Und genauso kommt Carola dieses abgeschiedene idyllische Fleckchen Erde tatsächlich vor. Sie atmet die klare Bergluft ein, und auch der letzte Zweifel, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, verflüchtigt sich. Hier ist das Glück daheim, glaubt sie und ahnt nicht, dass das Paradies sich bald in einen Albtraum verwandelt ...
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Seitenzahl: 116
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Einladung ins Paradies
Vorschau
Impressum
Einladung ins Paradies
Dr. Burger hilft einem hoffnungslosen Paar
Von Andreas Kufsteiner
Carola und Jochen hängen ihre guten Jobs in Innsbruck an den Nagel und kaufen sich in St. Christoph einen eigenen Berghof mit Milchviehhaltung. Carolas anfängliche Bedenken, diesen doch recht gewagten Schritt mit Mitte dreißig zu gehen, weiß ihr Verlobter alle auszuräumen, sodass sie schließlich einwilligt. Und als sie zum ersten Mal auf dem reizenden Hof in den Bergen steht, kennt ihre Begeisterung keine Grenzen.
»Willkommen im Paradies, mein Herzerl«, flüstert Jochen ihr ins Ohr und umarmt sie zärtlich. Und genauso kommt Carola dieses abgeschiedene idyllische Fleckchen Erde tatsächlich vor. Sie atmet die klare Bergluft ein, und auch der letzte Zweifel, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, verflüchtigt sich. Hier ist das Glück daheim, glaubt sie und ahnt nicht, dass das Paradies sich schon bald in einen Albtraum verwandelt ...
Ein klarer Septembermorgen dämmerte in den Bergen über von St. Christoph. Der Bauer, den die meisten bloß den »Reini« nannten, stand an diesem Tag noch früher auf, als es seiner sonstigen Gewohnheit entsprach. Nur eine Nachtigall sang draußen ihr einsames Lied, während er zum letzten Mal seinen Stall betrat.
Trotz der frühen Stunde waren die meisten seiner zwei Dutzend Kühe bereits wach. Sie kauten duftendes Heu, fuhren mit der Zunge über den Salzleckstein oder vertrieben mit energischem Schwanzwedeln die eine oder andere Fliege.
Der Bauer erledigte zunächst die anfallenden Arbeiten. Anschließend trat er zu seiner Liesl, der Leitkuh der Fleckvieh-Herde, und kraulte sie liebevoll hinter den Ohren, worauf sie laut muhte.
»Du brauchst gar net so vorwurfsvoll zu schauen«, wies er sie zurecht. »Ich fahre net gern. Aber es muss halt sein. Hier kann ich die Ausbildung net machen, net einmal online. Der Opa hätt' mir auch zugeredet.«
Liesl schlug empört mit dem Schwanz, als wollte sie zeigen, was sie von den Worten des Reini-Opas hielt.
Der Bauer trat einen Schritt zurück.
»Der Jüngste vom Moser kommt fürs Erste jeden Tag herauf und schaut nach euch«, versprach er Liesl und den anderen Kühen. »Viel länger als eine Woche sollt's net dauern, bis der Jochen und sein Madel in der Stadt alles geregelt haben. Also tu net so, als würd' ich dich und deine Schwestern als arme Waisen zurücklassen. Euch wird schon net die Milch in den Eutern sauer.«
Ein vorwurfsvolles »Muh« war die Antwort. Diesmal stimmte Liesls Stallnachbarin, die dicke Branka, in die Anklage der Leitkuh mit ein.
»Es ist ein Kreuz mit euch Weiberleuten«, äußerte sich der Bauer belustigt. »Jetzt wisst ihr, warum ich mir auch mit achtunddreißig noch kein zweibeiniges Madel ins Haus geholt hab, gell? Das fehlte gerade noch, dass mich meine Bäuerin dann so anschauen würd' wie ihr jetzt, wenn ich einmal fortfahr.« Nach diesen Abschiedsworten wandte er sich zum Gehen.
Auf halbem Weg zum Stalltor hielt er inne. In einer scherzhaften Ermahnung hob er den Zeigefinger und wackelte damit vor den Kühen.
»Seid brav, hört ihr? Der Moser-Bub kennt euch und eure Macken eh schon. Aber net, dass ihr mir die beiden Städter gleich wieder vertreibt. Ich will keine Klagen übers Treten oder über umgestoßene Melkschemel hören.«
Die letztere Zurechtweisung galt vor allem Branka. Diese nutzte ihre Leibesfülle gern dazu, den Milcheimer oder den Melkschemel umzustoßen, sobald der Bauer einen Moment lang nicht hinsah.
Bernhard verließ den Stall. Ein letztes Mal schweifte sein Blick über die umliegenden Felswände und Gipfel. Der Hof lag in den Bergen über einem Seitental des Zillertals – ein gutes Stück oberhalb des kleinen Ortes St. Christoph. Und ein schöneres Fleckerl auf Erden hätte sich sein Großvater wahrlich nicht dafür aussuchen können!
Gerade stieg hinter einer schroffen Wand die Morgensonne hoch. Ihr goldenes Licht ließ den Wetterhahn auf dem Zwiebelturm der weißen Kirche unten im Ort erstrahlen. Von hier aus betrachtet wirkte das Gotteshaus wie ein Gebäude in einem Spielzeugdörfchen.
Ein Seufzer entrang sich der Kehle des Bauern. Schweren Herzens kehrte er dem Naturschauspiel den Rücken zu und stapfte zu seinem Geländewagen, der bereits mit vollgepacktem Kofferraum auf dem Vorplatz stand.
»Tu net so, als hätt' dich einer in die Verbannung geschickt«, ermahnte er sich streng. »Dass du weg musst, hast du dir selbst eingebrockt. Wie viele Jahre hast du davon geträumt, diese Ausbildung zu machen? Und jetzt, wo alles bezahlt und das Quartier gebucht ist, kriegst du kalte Füße!«
Er öffnete die Fahrertür und beruhigte sich insgeheim. Schließlich war er nicht aus der Welt. Von Salzburg bis nach St. Christoph brauchte man mit dem Auto zwei bis zweieinhalb Stunden, je nach Verkehrsaufkommen. Er würde einfach zwischendurch mal herkommen und sich auf den Hochsitz vom Opa hocken, wenn ihm das Heimweh zu viel wurde.
Auch wenn in Salzburg ausgefüllte Tage, Wochen und Monate auf ihn warteten, würde er sich die Zeit dazu nehmen.
Doch nun musste er sich sputen. Während Bernhard auf den Sitz niedersank und sich anschnallte, warf er noch einen Blick zum Feldkopf, dem höchsten der sechs Gipfel von St. Christoph. Dabei sandte er ein stummes Stoßgebet zum Herrn: Mach, dass ich mit meinem Weggang die richtige Entscheidung getroffen hab.
***
Carola stieß ein entzücktes »Mei!« aus, als die Bergstraße unvermutet eine Kurve machte. Die letzten Kilometer war es stetig und immer steiler aufwärtsgegangen: von Mayrhofen nach St. Christoph und dann weiter in die Berge.
Nun aber erstreckte sich vor ihnen ein kleines Plateau. Darauf stand ein wunderhübscher kleiner Berghof wie aus dem Bilderbuch mit einem unten steinernen und oben hölzernen Wohnhaus. Es hatte ein dunkles Schindeldach und einem umlaufenden Balkon mit Blumenkästen, in denen bunte Blumen leuchteten. Der große Stall ragte hinter dem Haus hervor.
Jochen, der auf dem Fahrersitz saß, warf Cornelia einen Seitenblick zu. Im nächsten Moment fuhr er unvermutet rechts ran. Zwar war Parken auf der schmalen Bergstraße gewiss nicht vorgesehen, doch seit St. Christoph hatte sie kein einziges Auto überholt. Auch jetzt sah Carola keine Menschenseele.
Ehe sie sich's versah, hatte Jochen sie in die Arme geschlossen und ihr ein Busserl gegeben.
»Willkommen im Paradies, mein Herzerl«, raunte er ihr zärtlich ins Ohr.
Carola kam dieses abgeschiedene Fleckchen Erde tatsächlich wie das Paradies vor. Sie fuhren weiter, und nach circa hundert Metern hielt Jochen auf dem Hof. Sie stiegen aus. Ein paar Herzschläge lang stand Carola einfach nur da und atmete tief die frische, klare Bergluft ein. Und mit dem Ausatmen wichen auch die letzten Zweifel.
Wie viel Mühe hatte es Jochen gekostet, sie zu dem Wagnis »Aussteigen« zu überreden! Nun aber waren sie hier, und es fühlte sich richtig an, dass dieser Berghof ihr neues Zuhause sein sollte.
Übermütig ergriff Carola wie ein aufgeregtes Kind Jochens Hand, lief los und zog ihn hinter sich auf das Wohnhaus zu.
»Warte!«, rief er und ließ ihre Hand los. »Ich muss den Wagen abschließen.«
»Hier doch net!« Sie drehte sich um die eigene Achse und wies mit großer Geste auf die Berghänge ringsum. »Hast du Angst, dass ihn eine Gämse stiehlt? Oder die Dohlen?«
Einen Moment lang verfinsterte sich seine Miene. Wahrscheinlich dachte er daran, dass auch in Innsbruck kaum ein Autodieb diesem altersschwachen Kombi einen zweiten Blick gegönnt hätte. Er verfügte ja nicht einmal über eine Zentralverriegelung. Ganz im Gegensatz zu Jochens vorigem Auto, einem schnittigen Sportcoupé mit allen technischen Finessen.
Umso höher hatte Carola es ihm angerechnet, dass er eines Abends ohne das Coupé und stattdessen mit dem Kombi nach Hause gekommen war.
Er habe den Wagen eingetauscht und die Differenz für den Kauf des Berghofs auf sein Bankkonto überweisen lassen, hatte seine Erklärung gelautet.
»Wer braucht in den Bergen ein Coupé?«, hatte er gesagt. »Dort oben stürmt's und hagelt's doch alleweil. Und wenn erst einmal ein paar Kiefernzapfen darauffallen und den Lack beschädigen, sinkt der Wert gleich um die Hälfte. In den Kombi passt außerdem auch mehr rein.«
Für diese Umsichtigkeit hatte Jochen von ihr ein herzhaftes Busserl bekommen. Ja, er hatte alles getan, um den Aussteiger-Traum für sie beide zu verwirklichen.
Freilich hatte auch Carola ihren Teil beigetragen. Sie hatte ihren Job in der Marketingabteilung einer großen Molkerei gekündigt. Und ohne zu zögern, hatte sie ihre Ersparnisse von der Bank geholt und sie Jochen in bar ausgehändigt, als er sie für die Anzahlung des Berghofes benötigt hatte. Der Großteil der finanziellen Mittel war dennoch von ihm gekommen, und zwar aus dem Fahrzeugtausch und aus dem Verkauf des schmucken Reihenhauses am Stadtrand von Innsbruck, in dem sie beide gemeinsam gelebt hatten.
Seit fünfzehn Jahren, seit ihrem Studium an der Universität Innsbruck, waren sie ein Paar. In dieser Zeit hatten sie sich einiges erarbeitet! Jochen war zuerst zum Teamleiter und dann zum Vertriebsdirektor seiner Konzern-Niederlassung befördert worden. Carola war bei der letzten Weihnachtsfeier der Molkerei als Mitarbeiterin des Jahres ausgezeichnet worden. Und schon vor Jahren waren sie aus ihrer kleinen Zweizimmerwohnung in das von Jochen gekaufte Reihenhaus umgezogen. Und trotz alldem fühlte sich ihre Ankunft in ihrem neuen Daheim so an, als seien sie jetzt dort angekommen, wohin sie gehörten.
Auf halbem Weg zum Haus bemerkte Carola das auf dem Hof geparkte Moped. Im nächsten Augenblick tönte aus dem Stall ein mehrstimmiges »Muh«. Ein Bursche, der noch keine achtzehn sein konnte, tauchte hinter dem Eck des Wohnhauses auf und joggte auf sie beide zu.
»Da seid ihr ja!«, keuchte er. »Ich hab mir schon gedacht, ihr kommt gar nimmer.« Außer Atem blieb er vor ihnen stehen. Sein Blick huschte von Carola zu Jochen. »Ich hoff doch, ihr seid der Jochen und sein Madel und net bloß irgendwelche Urlauber, die sich verfahren haben.«
Seine Unbefangenheit entlockte Carola ein Lächeln.
Jochen dagegen kräuselte die Stirn. Er mochte es gar nicht, wenn ihn Fremde so vertraulich duzten, schon gar nicht ein Bürschchen wie dieses!
Aber daran würde sich der hoch geschätzte Herr Vertriebsdirektor Hohensinn gewöhnen müssen, dachte Carola belustigt. In den Bergen herrschten schließlich ganz andere Umgangsformen als in dem internationalen Konzern, für dessen Tiroler Niederlassung er bis vor Kurzem gearbeitet hatte.
Rasch trat sie vor und reichte dem Burschen die Hand.
»Grüß dich«, erwiderte sie freundlich. »Ich bin die Carola Eglseer, und das ist der Jochen«, fügte sie hinzu und wies mit dem Kopf auf ihren Begleiter. »Hast du gerade die Stallarbeit gemacht? Gibt's denn da noch was zu tun?«
»Nein, bis zum Abend nimmer. Der Wagen von der Molkerei war auch schon da und hat die Kannen geholt.«
Er zögerte und gab sich dann einen Ruck.
»Ihr wisst schon, wie man Rinder füttert, oder?«, vergewisserte er sich. »Und einen Stall ausmistet? Und Kühe melkt?«
»Das kriegen wir alles hin«, beruhigte ihn Carola. »Ich bin auf einem Hof aufgewachsen. Auch wenn's eine Weile her ist.« Sie schenkte ihm ein reumütiges Lächeln. »Kannst du uns denn noch ein bisserl was über die Kühe erzählen?«
Der Bursche warf einen raschen Blick auf Jochens düstere Miene.
»Die Pepi versucht oft, Fremde zu treten«, berichtete er. »Und die Branka schmeißt jeden Milcheimer um, aber das werdet ihr eh selbst merken. Ich muss jetzt los. Der Vater braucht mich auf dem Feld.« Mit diesen Worten kehrte er ihnen den Rücken zu und rannte zu seinem Moped.
Als er schon den Helm aufgesetzt hatte, fiel Carola etwas ein.
»Warte!«, rief sie ihm hinterher. »Wie kommen wir ins Haus?«
Verblüfft drehte sich der Bursche um.
»Na, durch die Tür!«, schrie er gellend zurück.
»Ich meine, wo der Schlüssel ist.«
»Der liegt auf dem Schreibtisch im Kabinettl! Der Reini hat nie abgesperrt!« Der Bursche winkte zum Abschied, schwang sich aufs Moped und brauste davon.
Carola lehnte sich an Jochens breite Brust und sah dem jungen Burschen nach, bis er um die Kurve der Bergstraße verschwand.
»Schade, dass er so schnell wegmusste«, sagte sie bedauernd. »Ich hätt' ihm gern ein paar Euro zugesteckt.«
Ungläubig schob Jochen sie von sich weg.
»Wofür denn das, bitte schön? Doch gewiss net für seine guten Manieren!«
»Er hat auf uns gewartet«, verteidigte sie ihren jungen Helfer. »Obwohl er es eilig hatte.« Die Staus bei der Anreise auf der Autobahn waren zwar nicht ihre oder Jochens Schuld gewesen, die des Burschen aber auch nicht.
Belustigt schüttelte Jochen den Kopf.
»Gewöhn dir das mit dem Trinkgeld am besten gleich ab«, bat er sie. »Wir sind nimmer in Innsbruck. Wenn so ein Bauernsohn erst herumerzählt, dass wir die Spendierhosen anhaben, nehmen sie uns hier aus wie die Weihnachtsgänse. Ich will net jedes Mal, wenn ich ins Wirtshaus geh, dem ganzen Ort eine Runde zahlen müssen.«
Er hatte gewiss recht. Carola musste an das steirische Dorf ihrer Kindheit denken. Wie viel hatte man dort über die finanziellen Verhältnisse jedes Einzelnen getratscht!
Zugleich aber erinnerte sie sich bis heute an den Stolz und das Glücksgefühl, mit dem jedes selbst verdiente Geld sie erfüllt hatte, ob nun fürs Hühnerfüttern oder fürs Ausmisten des benachbarten Ponystalls.
Sie schluckte ihre Enttäuschung hinunter und nickte.
Jochen seufzte und zog Carola wieder an sich.
»Gut, dass der Bursche weg ist«, meinte er. »Wir wollen doch unseren ersten Tag allein und ohne Zuschauer genießen, oder net? Ich schlag vor, wir schauen uns gleich einmal im Keller um. Und wenn dort noch ein Flascherl Rotwein ist, hocken wir uns damit in die Stube und stoßen an. Auf unser neues Zuhause.«
Carola schlang die Arme um Jochens Hals. Und während sie sich in Zärtlichkeiten mit ihm verlor, wuchs ihre Zuversicht. Dieser Hof, das spürte sie, hatte nur auf sie gewartet. Nichts würde sie je wieder von hier wegbringen.
***
Drei Wochen später stand Carola morgens allein im Stall. Sie trug ihre ältesten Jeans, dazu ein ausgeleiertes T-Shirt, und sie hatte sich ein Bäuerinnen-Kopftuch übers Haar gebunden. Den Schlabberpulli, in den sie angesichts der morgendlichen Kühle geschlüpft war, hatte sie bei der schweißtreibenden Arbeit bald wieder ausgezogen. Er hing nun über der Schubkarre neben der Tür.