Der Bergdoktor 2225 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2225 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Gerade einmal fünfzehn ist Amrei gewesen, als sie ihre Mutter bei der Geburt der jüngeren Schwester verloren hat. Sieben Jahre sind seit jenem Tag vergangen, und seitdem ist auf dem Hof der Familie nichts mehr so, wie es einmal war. Der Vater ist schweigsam und in sich gekehrt, und von seiner Jüngsten will er nichts wissen. Also kümmert Amrei sich allein um die kleine Schwester, obwohl sie selbst große Sorgen hat.
Seit Monaten schon wird sie von furchtbaren Schmerzen gequält, die nach und nach auf ihren ganzen Körper übergreifen. Der Arzt in Mayrhofen findet keine Ursache, und einen Besuch beim Bergdoktor verbietet ihr der Vater, weil er Dr. Burger im Stillen die Schuld am Tod der geliebten Frau gibt.
Amreis Verzweiflung wird immer größer, bis sie einen fatalen Entschluss fasst ...


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Seitenzahl: 128

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Die Lücke, die du hinterlässt

Vorschau

Impressum

Die Lücke, die du hinterlässt

Dr. Burger schenkt der verzweifelten Amrei neue Hoffnung

Von Andreas Kufsteiner

Gerade einmal fünfzehn ist Amrei gewesen, als sie ihre Mutter bei der Geburt der jüngeren Schwester verloren hat. Sieben Jahre sind seit jenem Tag vergangen, und seitdem ist auf dem Hof der Familie nichts mehr so, wie es einmal war. Der Vater ist schweigsam und in sich gekehrt, und von seiner Jüngsten will er nichts wissen. Also kümmert Amrei sich allein um die kleine Schwester, obwohl sie selbst große Sorgen hat.

Seit Monaten schon wird sie von furchtbaren Schmerzen gequält, die nach und nach auf ihren ganzen Körper übergreifen. Der Arzt in Mayrhofen findet keine Ursache, und einen Besuch beim Bergdoktor verbietet ihr der Vater, weil er Dr. Burger im Stillen die Schuld am Tod der geliebten Frau gibt.

Amreis Verzweiflung wird immer größer, bis sie einen fatalen Entschluss fasst ...

»Müsste ich net längst da sein?« Dr. Martin Burger kniff die Augen zusammen und spähte durch die Windschutzscheibe nach vorn, aber der strömende Regen verschluckte das Licht der Scheinwerfer, und die Grenzen zwischen der Straße, den Wiesen und Hängen schienen zu verschwimmen.

Er hatte keine Ahnung, wo er sich genau befand!

Die Scheibenwischer schafften es kaum, die Wassermassen zur Seite zu schaufeln, die in dieser Nacht vom Himmel stürzten. Das Prasseln der dicken Tropfen auf das Autodach klang wie Schüsse aus dem Hinterhalt.

Martin Burger umklammerte sein Lenkrad so fest, dass ihm die Hände schmerzten. Sturmböen trieben ihm Regenschwaden in den Weg, rüttelten an seinem Wagen und drohten ihn von der Spur abzubringen. Nein, das war wirklich kein Wetter für eine Autofahrt, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen.

Er musste zum Hof von Josef Hofer und dessen Frau. Und das so schnell wie möglich.

Der Anruf des Landwirts war kurz nach Mitternacht gekommen und hatte ihn aus dem Bett geholt. Bei der Bäuerin hatten die Wehen eingesetzt, und irgendetwas stimmte nicht. Viel mehr hatte Martin Burger dem Landwirt nicht entlocken können. Er hatte versprochen, sich sogleich auf den Weg zu machen. Dann hatte er sich das Nötigste angezogen und war in seinen Wagen gesprungen.

Von unterwegs hatte er den Rettungsdienst informiert und um einen Krankentransport gebeten, aber es war ungewiss, wann der eintreffen würde. Die meisten Straßen in der näheren Umgebung waren von umgestürzten Bäumen versperrt, und ein Hubschrauber konnte bei diesem Sturm nicht starten.

Vorerst war er auf sich allein gestellt.

Ein Blitz zerriss den Himmel über den Bergen wie eine silbrige Klinge. Wenig später rollte das Grollen kräftigen Donners heran. Ein Ruck lief durch seinen Wagen, im selben Moment, wie etwas unter den Reifen knirschte. Ein Ast, den der Sturm auf die Straße geweht hatte.

Unwillkürlich drosselte Martin Burger sein Tempo und behielt die Fahrbahn fest im Blick. St. Christoph lag seit einer gefühlten Ewigkeit hinter ihm. Bei schönem Wetter hätte er sein Ziel längst erreicht, aber in diesem Unwetter kam er langsamer voran und war nicht sicher, wie weit es noch war. Ringsum war nichts als Dunkelheit.

Plötzlich zeichneten sich vor ihm die wuchtigen Umrisse eines umgestürzten Baums ab. Der Sturm hatte eine Kiefer gefällt, die geradewegs auf die Fahrbahn gestürzt war.

Endstation. Hier ging es nicht mehr weiter. Der Graben links und rechts machte ein Ausweichen unmöglich. Also musste er zu Fuß weiter.

Er nahm seinen Notfallkoffer vom Beifahrersitz, zog die Kapuze über seinen Kopf und öffnete die Fahrertür. Kaum hatte er seinen Wagen verlassen, zerrte der Sturm an ihm und machte ihm das Atmen schwer. Er lehnte sich noch einmal in sein Fahrzeug und stellte die Warnleuchte an, damit ihm im Dunkeln niemand in den Wagen fuhr. Dann nahm er seine Taschenlampe, die er für Notfälle immer dabeihatte, stemmte sich gegen die Böen und setzte seinen Weg zu Fuß fort.

Der Regen prasselte unbarmherzig auf ihn herein und rann ihm von der Kapuze ins Gesicht. Im Handumdrehen war er bis auf die Haut durchnässt.

Rechts von ihm knirschte etwas. Der Sturm riss einen Ast ab, der krachend niederstürzte. Keinen Steinwurf von ihm entfernt. Ein Treffer mit einer solchen Wucht konnte einem Menschen den Schädel brechen ... Nein, das wollte er sich lieber nicht vorstellen. Entschlossen eilte er weiter.

Die Straße wand sich vor ihm in Serpentinen bergan. Martin Burger stapfte durch die Dunkelheit, während der Lichtstrahl seiner Taschenlampe vor ihm auf und ab tanzte. Nach einer Weile sah er vor sich einen weiteren Lichtschein, dessen Quelle sich im Näherkommen als Bauernhaus erwies.

Wie eine Insel aus Licht zeichnete sich das Bauernhaus in der Dunkelheit ab. Ein Stall und eine Scheune schlossen sich daran an.

Auf dem Hof wurde er bereits erwartet. Die Haustür stand offen – ungeachtet des Regens, der in die Diele fiel und den Boden nass und rutschig machte.

»Hallo? Josef?« Martin Burger stieß die Haustür ein wenig weiter auf. »Hier ist Dr. Burger.«

»Wir sind hier oben, Herr Doktor«, kam es undeutlich zurück.

Er trat ein, schloss die Tür hinter sich und streifte seine nassen Schuhe ab, bevor er auf Strümpfen die Treppe in die erste Etage hinaufstieg.

Die Tür auf der linken Seite stand offen. Auf dem Bett saß eine Frau, von mehreren Kissen gestützt, die Hände auf den hoch gewölbten Leib gepresst. Sie war hochrot, und die Adern an ihren Schläfen zeichneten sich deutlich ab. Schweiß stand ihr auf der Stirn. Sie keuchte, als würde der Sauerstoff in der Kammer nicht ausreichen.

Ihre blonden Haare waren zu einem Zopf geflochten, der ihr weit über den Rücken fiel. Sie trug ein Nachthemd und warme Socken und blickte hilfesuchend auf. Ihr Mann saß bei ihr und hielt ihre Hand.

»Servus, Franziska. Josef.« Martin Burger nickte zuerst der Bäuerin und dann ihrem Mann zu.

»Herr Doktor, die Fanny sieht alles verschwommen«, stieß der Bauer hervor. »Das war damals beim ersten Mal net so. Und Kopfweh hat sie auch.«

Seine Frau stöhnte leise.

Kopfweh? Sehstörungen? Die Alarmglocken im Kopf des Bergdoktors schlugen.

»Wie lange hast du schon Schmerzen, Fanny?«

»Die Wehen ... kommen seit Stunden«, keuchte die Bäuerin. »Aber das Kopfweh ... noch net so lange.«

»Auf einer Skala von eins bis zehn ...«

»Elf«, flüsterte Fanny. »Elf.«

Das war nicht gut. Ganz und gar nicht gut.

Martin Burger verbarg seine Besorgnis, um sie nicht noch mehr zu beunruhigen, und holte Stethoskop und Blutdruckmesser aus seinem Koffer.

»Ich werde dich jetzt erst einmal untersuchen und dabei schauen, wie es eurem Baby geht, in Ordnung?«

»D-danke, dass Sie da sind, Herr Doktor.« Fanny versuchte ein Lächeln, aber es verrutschte und verstärkte seine Besorgnis noch. Mit ihren zweiundvierzig Jahren hatte sie die Familienplanung eigentlich abgeschlossen gehabt, als sich unerwartet ihr zweites Baby angemeldet hatte. »Ich wollt' das Kleine eigentlich in der Klinik bekommen, aber der Josef meinte, daheim wär's besser.«

»Freilich«, bekräftigte der Bauer. »Ich trau' den Kliniken net über den Weg. Alles nur Fließband dort. Man liest immer wieder von Babys, die nach der Geburt vertauscht wurden. Nein, das riskieren wir net.«

Seine Frau seufzte leise, aber das Seufzen ging sogleich in ein Stöhnen über.

Rasch streifte sich Martin Burger ein Paar Handschuhe über und machte sich an die Arbeit. Er maß die Vitalwerte seiner Patientin, tastete behutsam ihren Leib ab und untersuchte ihren Muttermund.

Seine Untersuchung ergab nichts Gutes. Fannys Blutdruck war schwindelerregend hoch. Ihre Hände und Füße waren deutlich angeschwollen. Und die Vitalzeichen des Ungeborenen waren geschwächt. Ihr drohte eine Eklampsie!

Sie hätte auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus gehört, aber dazu fehlte nicht nur der Rettungswagen, nein, die Geburt war auch zu weit fortgeschritten. Die Entbindung ließ sich nicht mehr aufhalten.

Je früher, umso besser, ging es Martin Burger durch den Kopf. Er legte seiner Patientin einen venösen Zugang und überschlug die Menge an Blutdrucksenkern, die er ihr geben durfte, ohne das Baby zu gefährden. Auch Magnesiumsulfat verabreichte er ihr, um den gefürchteten Krampfanfällen vorzubeugen.

Hoffentlich war es dafür nicht bereits zu spät!

»Wie sieht es aus, Herr Doktor?«, flüsterte die Bäuerin.

»Du hast bereits Presswehen, Fanny«, sagte er. »Es wird nimmer lange dauern.«

»Gut«, erwiderte sie kaum hörbar.

In diesem Augenblick betrat ein Madel den Raum. Sie balancierte eine Schüssel mit dampfend heißem Wasser in der Hand. Über dem Arm trug sie einen Stapel sauberer Tücher. Sie stellte die Schüssel auf einen Hocker und blickte sich um.

»Grüß dich, Amrei«, sagte Martin Burger freundlich.

Amrei nickte scheu. Sie war fünfzehn Jahre alt und ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie trug ihre blonden Haare ebenfalls zu einem Zopf geflochten und hatte dieselben blauen Augen, die nun groß und voller Sorgen waren. Sie strich unsicher an ihrem Nachthemd entlang. Offenbar hatte sie schon geschlafen, als die Wehen bei ihrer Mutter eingesetzt hatten.

»Das mit dem Wasser und den Tüchern hast du gut gemacht«, lobte Martin Burger sie, um ihr ein wenig die Angst zu nehmen. »Warte draußen, ja?«

»Aber ...«

»Sie darf bleiben«, flüsterte Fanny. »Sie ist alt genug.«

Das sah Martin Burger anders, aber die Ereignisse galoppierten ihnen davon und machten jeden Einwand zunichte. Mit einem Mal bäumte sich die Bäuerin auf und wurde noch dunkler im Gesicht. Fanny umklammerte die Hand ihres Mannes so fest, dass diesem ein Ächzen entfuhr.

Der Kopf des Babys wurde sichtbar.

»Pressen, Fanny, pressen!«

»Aaaaah!« Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung stemmte Fanny das Kinn auf die Brust und brachte ihr Baby zur Welt.

Dann sackte sie keuchend zurück in die Kissen.

Ihr Baby schrie und schrie. Und mit jedem Schrei wurde es rosiger. Behutsam hüllte Martin Burger es in ein Tuch und vergewisserte sich, dass das Baby wohlauf war.

»Es ist ein kleines Madel.« Er hielt das Neugeborene. »Josef, willst du die Nabelschnur durchtrennen?«

Zittrig griff Josef zu der Schere und schnitt die Nabelschnur durch.

»Hier ist euer kleiner Engel.« Martin Burger wollte das Baby auf die Brust seiner Mutter legen, aber Fanny gab plötzlich einen kehligen Laut von sich, bäumte sich auf, verdrehte die Augen und zitterte unkontrolliert.

Sie krampfte!

»Amrei, nimm deine kleine Schwester.« Er legte dem Madel das Baby in die Arme. »Geh nach nebenan und warte dort auf mich.«

»Aber die Mutter ...«

»Geh, Amrei.« Er wartete nicht, dass sie die Kammer verließ, sondern beugte sich über ihre Mutter und gab ihr eine weitere Dosis Magnesiumsulfat. Es war das Mittel der Wahl, um Krämpfe zu beenden.

Plötzlich erschlaffte Fanny – und wurde seltsam still.

O nein. Nein. Nein. Nein ...

»Was ist mit ihr?«, fuhr Josef auf. »Was ist mit meiner Frau?«

Fanny hatte keinen Puls mehr.

Atemstillstand.

Martin Burger injiziere ihr Adrenalin, stemmte die Hände auf die Brust seiner Patientin und begann mit einer Herzdruckmassage. Das Stöhnen des Bauern, die Schreie des Babys nebenan ... all das trat in den Hintergrund. Er konzentrierte sich einzig und allein auf die Frau, um deren Leben er kämpfte. Er spendete ihr seinen Atem und fuhr mit der Druckmassage fort.

Drei Minuten.

Fünf.

Der Schweiß rann ihm in Strömen über den Rücken.

Doch Fanny kehrte nicht ins Leben zurück.

Schließlich ließ er von seinen Bemühungen ab und blickte auf seine Patientin hinunter. Sie lag so still, als würde sie nur schlafen.

Vor den Fenstern flackerten die orangefarbenen Drehlichter des Rettungswagens.

Zu spät, zu spät, hämmerte es hinter seiner Stirn.

»Was ist denn?« Die Stimme des Bauern dröhnte wie der Donner draußen. »Warum machen Sie net weiter?«

»Es tut mir leid, Josef«, erwiderte Martin Burger rau.

»Nein.« Josef blickte erst ihn, dann seine Frau an. »Nein, das kann net sein. Ich brauche sie doch. Fanny ... Komm schon, Fanny, wach auf!« Er rüttelte sie erst sacht, dann verzweifelter am Arm. »Fanny? Fanny!« Ein Schrei entfuhr ihm.

»Vater?« Amrei erschien mit ihrer kleinen Schwester auf dem Arm. Ihre Augen waren riesig in ihrem blassen Gesicht, und ihre Unterlippe zitterte.

Ihr Vater starrte auf das Kind in ihrem Arm.

»Bring das weg«, stieß er heiser hervor. »Ich will das net. Bring es weg.«

Amrei sah ihn entsetzt an.

»Hast du mich net gehört?«, fuhr ihr Vater sie an. »Schaff es mir auf der Stelle aus den Augen!«

***

Sieben Jahre später

»Mei, verflixt!« Amrei holte noch einmal tief Luft und versuchte es erneut, aber der Schraubverschluss des Einweckglases rührte sich keinen Millimeter. Dafür schmerzten ihre Finger, als wäre ihr im Stall das Veigl kräftig darauf getreten.

Die braun-weiß-gefleckte Kuh traf indes keine Schuld daran, dass sie das Glas partout nicht aufbrachte. Es lag vielmehr an ... Tja, wenn sie das bloß gewusst hätte!

Früher hätte sie das Glas im Handumdrehen geöffnet. Jetzt machten ihre Hände einfach nicht mit. Und nicht nur die. Ihre Schmerzen schienen durch ihren ganzen Körper zu wandern. Das ging nun schon seit Monaten so.

Dabei hatte es ganz harmlos angefangen. Mit Schmerzen in ihren Beinen. Damals hatte sie geglaubt, es wäre nur ein Muskelkater vom Radeln, der rasch vergehen würde. Doch das Ziehen hatte sich hartnäckig gehalten und war in ihrem Körper höhergewandert. Ihr hatten die Arme wehgetan – die Schultern ... und die Finger. Himmel, ihre Finger ließen sich an manchen Tagen nicht einmal krümmen.

Nachts fand sie keine Ruhe. Morgens wachte sie oft steif wie ein Brett auf und brauchte über eine Stunde, bis sie sich wieder halbwegs bewegen konnte. Und jetzt brachte sie nicht einmal mehr ein Glas mit Marillenkompott auf.

»Ich kann nimmer!« Verzweifelt ließ Amrei das Glas sinken.

Anfangs hatte sie noch geglaubt, ihre Beschwerden würden sich bald bessern. Doch die ebenso schlichte wie entmutigende Wahrheit war, dass es immer schlimmer wurde. Mit ihren zweiundzwanzig Jahren fühlt sie sich oft wie hundert.

»Man muss sich eben zu helfen wissen.« Sie schnappte sich einen Löffel und schob ihn unter den Rand des Glases. Plopp! Das Geräusch begleitete das Eindringen von Sauerstoff. Nun sollte sie den Deckel abbekommen, nicht wahr? Schließlich war der Kaiserschmarrn für das Mittagessen ihrer Familie schon vorbereitet. Nur das Kompott fehlte noch.

Doch als sie sich wieder mit dem Deckel abmühte, schossen ihr vor Schmerz die Tränen in die Augen. Nein, allein würde sie das nicht schaffen.

Unwillkürlich schweifte ihr Blick aus dem Fenster. Im Garten werkelte ihre kleine Schwester. Johanna liebte es, zwischen den Beeten zu knien und Unkraut zu rupfen oder Salat zu pflanzen. Mit ihren sieben Jahren war sie eine richtige kleine Gärtnerin und ließ sich auch nicht schrecken, wenn ihr ein Wurm entgegenlugte oder ein dicker Käfer über die Hand krabbelte.

Sie war am glücklichsten, wenn sie an der frischen Luft war und Casimir, der flauschige orangefarbene Hofkater, um sie herumwuselte. Ihre hellblonden Haare waren zu zwei dicken Zöpfen geflochten, und an ihrem Kinn klebten ein paar Erdkrümel. Davon waren auch ihre Hosen und ihr blassrosa Shirt nicht verschont geblieben.

Amrei huschte ein Lächeln über das Gesicht. An diesem Abend würde sie wohl gut daran tun, das kleine Madel mitsamt seiner Garderobe in die Badewanne zu stecken.

Ihr Vater war nirgendwo zu sehen ... wohl aber zu hören! Aus dem Badezimmer drang plötzlich ein vernehmlicher Fluch.

»Vater?« Amrei eilte mit dem Glas in ihrer Hand nach nebenan.

Ihr Vater kniete auf den Badezimmerfliesen neben der Badewanne, hielt eine Rohrzange in der Hand und schraubte angestrengt an einer Dichtung herum.

»Der ganze Abfluss ist hinüber«, brummte er. »Undicht wie ein Teesieb. Wir werden alles neu verlegen müssen.«

»Neu verlegen?«

»Wenn ich's doch sag. Ich weiß net, ob ich das allein hinbekomme.« Josef stemmte sich hoch und blickte mit gerunzelter Stirn auf seine durchnässten Hosenbeine hinunter. Das Badezimmer war mit Wasser überschwemmt. »Ist halt ein altes Gemäuer. Da knirscht und knackt es überall im Gebälk. Letztes Jahr waren es die Heizungsrohre, diesmal ist es der Abfluss.«