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Ist eine Ehe noch zu retten, in der sich zwei Menschen anfeinden und vergessen, dass sie sich einmal geliebt haben? Und was ist zu tun, wenn die Probleme vor allem ein kleines Madel betreffen, das vor lauter Kummer nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll?
Julius und Sanna Kerner aus dem Sonnleiten-Haus und Töchterchen Mira, sechs Jahre alt - das ist die Familie, um die Dr. Burger sich in diesem Bilderbuch-Sommer zu Recht Sorgen macht, und zwar nicht nur in medizinischer Hinsicht.
Dunkle Wolken ziehen am Horizont auf, und tatsächlich geschieht an einem wunderschönen, idyllischen Sommertag etwas Schreckliches, das im ganzen Dorf Entsetzen und Unruhe auslöst ...
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Seitenzahl: 106
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Falsche Idylle
Vorschau
Impressum
Falsche Idylle
Ein wundervoller Sommertag endet als Tragödie
Von Andreas Kufsteiner
Ist eine Ehe noch zu retten, in der sich zwei Menschen anfeinden und vergessen, dass sie sich einmal geliebt haben? Und was ist zu tun, wenn die Probleme vor allem ein kleines Madel betreffen, das vor lauter Kummer nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll?
Julius und Sanna Kerner aus dem Sonnleiten-Haus und Töchterchen Mira, sechs Jahre alt – das ist die Familie, um die Dr. Burger sich in diesem Bilderbuch-Sommer zu Recht Sorgen macht, und zwar nicht nur in medizinischer Hinsicht.
Dunkle Wolken ziehen am Horizont auf, und tatsächlich geschieht an einem wunderschönen, idyllischen Sommertag etwas Schreckliches, das im ganzen Dorf Entsetzen und Unruhe auslöst ...
Für viele Leute – nicht nur für die Einwohner von St. Christoph – war es ein schöner Traum, dass die herrlichen Sommertage nie enden würden.
Aber Träume sind Bilder aus dem Reich der Fantasie. Auch der diesjährige Sommer würde enden, auch wenn jetzt, im Juni, niemand daran denken wollte.
Es war die Zeit der blühenden Wiesen, der köstlichen Beeren in den Gärten und im Wald, der langen, romantischen Abende und der verzauberten Sternennächte. Selbst die Gipfel mit ihren schroffen Felsen schienen im Licht zu leuchten, vor allem, wenn morgens die Sonne aufging. Aber auch die goldenen Sonnenuntergänge waren immer wieder ein malerisches Schauspiel.
Für die Kinder war der Sommer ein Märchen. Es kam keine Minute Langeweile auf, denn draußen gab es ständig etwas zu entdecken.
Die Eltern wurden mit den Wünschen ihrer Sprösslinge förmlich überschüttet. Und weil Widerstand eh zwecklos war, nahmen sie sich gern Zeit für ein Picknick im Grünen, für einen herrlichen Tag auf einer idyllischen Alm und für Ausflüge in die Umgebung.
Im Sommer sah alles viel heller und schöner aus als sonst, egal, ob es eine alte Burg oder ein tolles, neues Einkaufszentrum in Innsbruck war.
Aber am allerschönsten war es für die Kinder, durch die wunderbare Sommerlandschaft zu laufen, kleine Hütten und geheimnisvolle Waldlichtungen zu entdecken oder auf einem Hof dabei zu helfen, das duftende Bergwiesen-Heu in der Scheune einzulagern und dabei ein bisschen herumzualbern.
Mittags gab es dann zur Belohnung Kaiserschmarrn oder Germknödel mit Zwetschgenmus-Füllung. Und in der Nähe lockte dann noch ein klarer Bach, in dem man sich abkühlen konnte. Es musste gar nicht immer das Abenteuer-Schwimmbad mit Wasserrutsche und allen möglichen Extras sein, obwohl das große Wasser-Vergnügen natürlich auch auf dem Wunschprogramm stand!
Die Vögel zwitscherten, die Schmetterlinge schwebten durch die Luft – und alles duftete nach Sommer. Wie lange hatte man darauf gewartet! Eine halbe Ewigkeit ...
Wenn es Sommer wurde, vergaß man ganz und gar, wie herrlich man den Winter mit Schnee, Schlitten und Ski gefunden hatte.
Sommer war das Paradies!
Wer konnte da noch in der Stube bleiben und müde zum Fenster hinausschauen? Niemand, hätte man sofort geantwortet.
Und doch gab es ein kleines Madel namens Mira Kerner, gerade mal sechs Jahre alt, das an einem dieser sonnigen Tage still im Zimmer hockte und malte.
Es war ein buntes Bild, auf dem eine grüne Wiese mit roten und gelben Blumen zu sehen war. Außerdem saßen zwei Erwachsene und ein Kind an einem kleinen Tisch, auf dem Gläser, eine Flasche mit Saft, allerlei Obst und ein runder Kuchen – wahrscheinlich ein Gugelhupf – zu sehen waren.
Im Hintergrund graste eine Kuh zusammen mit zwei Ponys. Auch zwei Häschen hüpften durchs Bild und natürlich Schnurri, Miras weiß-graues Kätzchen mit dem samtweichen Fell.
Droben am glänzend blauen Himmel schwebte eine Wolke, auf der ein kleiner, hellbrauner Hund mit einem roten Halsband saß.
Diesen Hund gab es nicht wirklich, deshalb wohnte er wohl auch im Wolkenkuckucksheim. Aber Mira wünschte sich sehnlichst so einen kleinen Wuschel. Sie wusste, dass er sich mit Schnurri vertragen würde, denn sie war eine sehr liebe und sanfte Katze. Sie würde niemals fauchen oder kratzen, das stand fest.
Im Hintergrund entstanden mit den passenden Farbstiften soeben die Berge, die natürlich zu St. Christoph und zum Zillertal gehörten. Ohne diese Berge, vor allem ohne den mächtigen Feldkopf mit seinem Gletscher, wäre das Dorf nur irgendein Ort wie tausend andere gewesen. Mira gab sich große Mühe, das Gebirge auf ihrem Bild richtig groß und eindrucksvoll ausschauen zu lassen.
Sie malte nun schon eine ganze Weile an diesem »Meisterwerk«, auf dem es viel zu sehen gab. Irgendwo hinter einer Tanne hatte sich, zum Beispiel, ein Reh versteckt. In einem Baum saß eine Eule, die aber tief und fest schlief. Denn Eulen wurden ja bekanntlich erst abends oder nachts wach, wenn es dunkel war. Aber auf Miras Bild herrschte heller Tag. Über allem strahlte die Sonne mit einem lachenden Gesicht.
Dass die kleine Künstlerin sehr begabt war und sich für ihre Bilder immer etwas Besonderes einfallen ließ, war schon im Kindergarten und vor allem in der Vorschule aufgefallen.
Nach den diesjährigen Sommerferien sollte Mira eingeschult werden. Sie fand das ganz in Ordnung. Manche Kinder, die schon zur Schule gingen, nörgelten immer herum und meinten, spielen sei besser.
Aber wenn man so gar nichts lernte und nur Unsinn im Kopf hatte, dann konnte man später keinen Beruf ergreifen und musste vielleicht immer Hilfsarbeiten verrichten, zum Beispiel Unkraut jäten oder Schuhe putzen.
»Das sagt Papa immer«, wandte sich Mira an Schnurri, die auch im Zimmer war und in ihrem Katzenkörbchen Mittagsruhe hielt. »Man soll etwas lernen und immer alles ordentlich aufschreiben und zusammenräumen. Ich kann schon ein bisserl schreiben. Und ganz wenig rechnen. Wir haben es in der Vorschule gelernt, nur so zur Probe. Pass auf, Schnurri. Zwei Katzen und zwei Mäuse, wie viele Tiere sind das?«
»Miau«, erwiderte Schnurri und beließ es dabei.
»Falsch!«, rief Mira. »Es sind vier! Und wie viele Pfötchen hast du? Weißt du das etwa nicht? Nein? Ich sag's dir. Es sind auch vier! Das musst du dir gut merken. Ist das klar?«
Hätte Schnurri sprechen können, wäre ihre Antwort wahrscheinlich »Ist mir schnurzegal!« gewesen, und weiter: »Hauptsache, wir beide sind zusammen.« Und das stimmte auf den Punkt genau.
»Ich erkläre dir jetzt das Bild«, fuhr Mira fort. »Es ist ein Sommerbild. Du bist auch drauf. Auf der Wiese sitzen Mama, Papa und ich. Wir machen ein Picknick. Es ist alles richtig schön. Die Sonne scheint. Mama und Papa lachen, sie sind auf dem Bild wie die anderen Eltern. Also, sie sind fröhlich und reden miteinander. Sie haben sich lieb und freuen sich, dass wir alle beisammen sind.«
Schnurri putzte sich ihr rosa Näschen mit der rechten Vorderpfote, was so viel wie »Ich verstehe, was du meinst« bedeutete.
Mira nickte. »Ja, du hörst mir zu, das ist richtig, Schnurri. Ich verrate dir jetzt noch, dass es ein Wunschbild ist. Auch das Hunderl auf der Wolke wünsche ich mir. Und dass Mama und Papa mit mir zusammen wandern, ein Picknick oder einen Ausflug machen und einfach Zeit für mich haben. Und dass sie net immer nur ärgerlich sind, wenn sie miteinander reden. Sie streiten sich ja dauernd. Was soll ich bloß tun, wenn sie gar net mehr zusammensein wollen? Weil sie sich net mehr vertragen oder so? Und wenn sie mich irgendwann gar nicht mehr lieb haben? Haben sie mich jetzt noch lieb? Oder bin ich gar nicht wichtig für sie?«
Fragen über Fragen, die Schnurri leider nicht beantworten konnte. Sie krabbelte gähnend aus ihrem Körbchen und strich ihrer kleinen Freundin tröstend um die Beine.
Wozu sollte man sich das Katzenköpfchen schwer machen, wenn das Leben doch so schön sein konnte?
Aber dass Mira traurig war, wollte Schnurri auf gar keinen Fall. Deshalb waren ein paar Streicheleinheiten jetzt genau das Richtige. Und anschließend wäre ein gemeinsamer Spaziergang durch den Garten hinter dem Sonnleiten-Haus ganz nach Schnurris Geschmack gewesen.
Es machte Spaß, Schmetterlinge, Vögel und vielleicht auch die eine oder andere Gartenmaus zu beobachten.
Nicht, dass Schnurri auch nur im Entferntesten daran dachte, diesen Geschöpfen in irgendeiner Weise ein Härchen oder Federchen oder was auch immer zu krümmen – nein, wer hätte denn so etwas jemals denken können!
Aber schauen durfte man doch, das war schließlich nicht verboten! All diese netten kleinen Dinger, die so geschwind davonfliegen konnten, krabbelten oder um die Ecke flitzten, waren lauter Wunderwerke der Natur. Ein bisschen schade war es schon, dass man als sehr gutmütiges, liebenswertes Kätzchen die Pfoten bei sich behalten musste...
Sei's drum! Es machte ja auch Spaß, mit einer Stoffmaus zu spielen!
***
Es war ein Sonnabend, an dem man alles, was nicht unbedingt getan werden musste, auf später (oder sogar auf unbestimmte Zeit) verschob.
Im Doktorhaus an der Kirchgasse lautete das heutige Motto »Entspannen und Genießen in der Zillertaler Sonne«.
»Wenn wir schon nicht in den Süden fahren«, meinte Sabine Burger, »dann holen wir uns den Süden hierher. Bei diesem Traumwetter ist das gar kein Problem. Ich fühle mich wie auf Wolke sieben. Danke, Martin, dass du alles so wunderbar hergerichtet hast. Und jetzt spielst du auch noch den Barmixer. Du hast Talent, alle Achtung!«
»Es ist mir ein Vergnügen«, erwiderte Dr. Burger schmunzelnd. »Dolce vita in unserem Garten, warum nicht? Wir müssen uns nicht ins Auto setzen und hernach irgendwo im Stau stehen, weil alle gleichzeitig wegfahren wollen. Was möchtest du trinken, Liebes?«
»Ich warte auf Vorschläge«, lächelte Sabine.
»Gut. Wie wäre es mit einem Beach Cocktail? Wellenrauschen kann ich leider nicht dazu liefern«, scherzte Martin Burger. »Pfirsichsaft, dazu spritziger Sekt und ein Scheibchen Limette. Der ideale Drink für eine schöne Frau am Nachmittag! Und ich werde mir auch so einen Muntermacher gönnen.«
Sie lachten beide. Es kam selten vor, dass sie allein und ungestört die Zweisamkeit im Garten genießen konnten.
Die Kinder hatten sich nach dem Mittagessen mit Opa und der Zenzi zum »Heu- und Stadelfest« auf den Weg gemacht, das heuer zum ersten Mal stattfand und künftig jedes Jahr im Juni über die Bühne gehen sollte.
Die meisten Bauernhöfe im Dorf öffneten ihre Tore. Man konnte einen Blick in die Scheunen werfen, frisch ausgebackene Apfelkrapfen oder auch Beerenküchlein probieren und vor allem kleine und große »Kunstwerke« aus Heu bewundern, zum Beispiel allerlei Tiere oder Zwerge und lustige Pärchen, zum Teil mit Hut oder Kopftuch.
Alle Teilnehmer am Wettbewerb »Heu kann alles« erhielten übrigens einen Preis, denn jedes Meisterwerk hatte echte Bewunderung verdient! Schon einige Tage vor dem heutigen Fest hatten die fleißigen Heu-Künstler ihre Schöpfungen fix und fertig in den Scheunen aufgestellt, allerdings geheimnisvoll unter Tüchern versteckt.
Auf dem Kirchplatz mitten im Dorf fand ein bunter Markt statt, auf dem alles verkauft wurde, was in irgendeiner Weise sommerlich war. Und weil man eigentlich alles sommerlich herrichten konnte, kam wirklich jeder auf seine Kosten!
Das Heufest bedeutete aber auch, dass Martin und Sabine Burgers »Gartenromantik« zeitlich begrenzt war. Sie wurden von Tessa, Filli und Klein-Laura spätestens um vier Uhr dringend erwartet, denn ohne Mama und Papa wäre der Nachmittag nur halb so schön gewesen.
Der Senior Dr. Pankraz Burger hatte außerdem darauf hingewiesen, dass es im Café des Berghotels einmalig und außerdem in leider sehr knapper Anzahl »Sonnenräder« gab, ein Hefegebäck mit Weinbeeren und einer köstlichen Puddingfüllung in der Mitte. Auf keinen Fall durfte man sich diese »sonnige« Leckerei entgehen lassen, denn es gab sie wirklich nur heute.
Obendrein hatte auch der Chor unter der Leitung von Kirchenmusiker Erik Staudacher einen Auftritt mit »Liedern zur Sommerzeit« vorbereitet. Die Zenzi, von der jeder wusste, dass sie seit vierzig Jahren im Doktorhaus unentbehrlich war, gehörte nun schon recht lange dem Chor an und war in der letzten Zeit noch häufiger als sonst zu den Proben geeilt.
Herr Staudacher hielt seine Chordamen mit Lob und Komplimenten bei Laune. Er verstand es auch auf lockere Weise, nach den Proben das eine oder andere gesellige Stündchen zu organisieren.
Es ließ sich also nicht vermeiden, dass Dr. Burger auch an diesem Sommer-Sonnabend, an dem er keine Notdienst hatte und seine Freizeit richtig auskosten konnte, ab und zu auf die Uhr schaute.
Sabine, ebenfalls Dr. med. wie ihr Mann, seufzte leise.
»Ich wünschte, wir müssten nicht zu diesem Fest gehen«, meinte sie. »Aber andererseits kann ich es nicht übers Herz bringen, hier im Liegestuhl die Seele baumeln zu lassen, während unsere drei Mäuse auf uns warten. Und nicht nur sie.«
»Stimmt genau«, bestätigte der Doktor. »Vater wartet auch. Und die Zenzi würde es uns übel nehmen, wenn wir ihr und dem gesamten Chor einen Korb geben und einfach nicht auftauchen. Das käme einer Katastrophe gleich. Außerdem denke ich auch an Poldi. Ohne Herrchen und Frauchen auf einem Fest zwischen all den vielen Leuten, das gefällt ihm nicht.«
»Ich weiß. Noch eine Stunde, Liebling, dann müssen wir in den sauren Apfel beißen ...«
»Vielleicht ist der Apfel gar nicht so sauer, Schatz«, warf Martin Burger ein. »Die Feste bei uns im Dorf sind eigentlich immer kurzweilig.«