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Ach, was waren das früher für glückliche Zeiten. Nachdenklich blickt der Bergdoktor auf einem abendlichen Spaziergang mit Poldi zu den dunklen Fenstern des Prantl-Hofs. Noch vor wenigen Monaten hat man das fröhliche Schnattern der Gänse und das unbeschwerte Lachen des Jungbauern und seiner Frau schon von Weitem gehört. Jetzt sind die Gänse woanders untergebracht, und der Bauer verlässt seine Kammer kaum noch. Ein Jagdunfall, bei dem sein Freund und Begleiter starb, hat ihm jeden Lebensmut geraubt.
Dr. Burger versucht alles, um Jannes zu helfen, aber nichts dringt zu ihm durch. Der verzweifelte Bauer verweigert jede Therapie und richtet sich selbst zugrunde ...
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Seitenzahl: 124
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Die Hoffnung eines neuen Morgens
Vorschau
Impressum
Die Hoffnung eines neuen Morgens
Sie war glücklich in ihrer Ehe – bis zu jenem Schicksalstag
Von Andreas Kufsteiner
Ach, was waren das früher für glückliche Zeiten! Nachdenklich blickt der Bergdoktor auf einem abendlichen Spaziergang mit Poldi zu den dunklen Fenstern des Prantl-Hofs. Noch vor wenigen Monaten hat man das fröhliche Schnattern der Gänse und das unbeschwerte Lachen des Jungbauern und seiner Frau schon von Weitem gehört. Jetzt sind die Gänse woanders untergebracht, und der Bauer verlässt seine Kammer kaum noch. Ein Jagdunfall, bei dem er versehentlich seinen besten Freund erschossen hat, hat ihm jeden Lebensmut geraubt.
Dr. Burger versucht alles, um Johannes zu helfen, aber nichts dringt zu ihm durch. Der verzweifelte Bauer verweigert jede Therapie und richtet sich selbst zugrunde ...
»So eine grüne Kiste.« Sabine Burger stemmte die Daumen unter die Riemen ihres Rucksacks und schritt kräftig neben ihrem Mann aus. Ihr hübsches Gesicht verdunkelte sich unter ihrem Hut, und sie presste die Lippen zusammen.
»Grüne Kiste?«, hakte Martin Burger verdutzt nach.
»Freilich. Der Nebel ist so dicht, dass man kaum bis runter zu seinen Schuhen schauen kann. Geschweige denn etwas vom Weg sieht.«
»In der Tat. Aber was hat das mit einer Kiste zu tun?«
»Das ist mein Ersatzwort. Ich will net, dass mir ein Fluch vor den Kindern herausrutscht. Filli plappert einem alles nach und trägt es womöglich in die Kita. Wie neulich, als er seine Erzieherin strahlend als Zuwiderwurzn bezeichnet hat.«
»Das hat er vom Brandner-Alois aufgeschnappt.« Martin Burger grinste. Sein Nachbar kannte Schimpfworte, die einem Matrosen rote Ohren bescheren konnten. Vor allem, wenn ihn wieder einmal sein Rheuma plagte. »Dann bleiben wir also bei ›grüne Kiste‹, wenn uns etwas gegen den Strich geht?«
»Besser das, als Fillis Repertoire an Schimpfworten noch zu erweitern.« Sabine umrundete eine Pfütze und stockte kurz, als sie ein Weidegitter überwinden mussten. Es war in den Weg eingelassen und sollte verhindern, dass die Kühe von der Weide entkamen. Sie schritten vorsichtig über das Gitter und folgten weiter dem Weg, der sich zum Hexenstein hinaufwand – dem Hausberg ihres Heimatdorfes.
Es war ihr freier Tag, und sie hatten eine Wandertour geplant gehabt. Doch dieses Vorhaben hatte nicht nur der Nebel durchkreuzt, sondern auch ein Notruf aus den Bergen. Ein Urlauber aus den Niederlanden hatte den Hilferuf abgesetzt.
Dr. Burger hatte seine liebe Not gehabt, die Worte des Verunglückten zu verstehen, aber nach allem, was er sich zusammengereimt hatte, hatte es auf dem Berg ein Unglück gegeben. Eines, bei dem Blut geflossen war und das höchste Eile gebot.
Der Bergdoktor hatte sich lediglich die Zeit genommen, seinen Einsatzrucksack aus der Praxis zu holen. Dann hatte er sich auf den Weg gemacht, und Sabine hatte kurzerhand entschieden, ihn zu begleiten.
Nun waren sie unterwegs zu ihrem Einsatzort. Zwei Ärzte, die lange genug in ihrem Beruf arbeiteten, um zu wissen, wie viele Gefahren die Berge bargen. Und die alles in ihrer Macht Stehende tun würden, um ein Unglück abzuwenden.
Martin Burger wechselte einen Blick mit ihr und las in ihren Augen dieselbe Sorge, die auch ihn umtrieb: Würden sie rechtzeitig ankommen, um helfen zu können?
Sie waren so weit wie möglich mit dem Wagen gefahren. Als der Waldweg zu schmal zum Fahren wurde, mussten sie das Auto stehen lassen und zu Fuß weitergehen. Das Unglück hatte sich oberhalb der Waldgrenze ereignet, wo sich die Kiefern lichteten und steile Wiesen, Almrosen und Felsen die Hänge überzogen.
Die Luft war kühl und feucht und schlug ihnen entgegen wie ein feuchtes Handtuch. Gedämpft drang das Läuten von Kuhglocken heran, aber im dichten Nebelgrau waren die Tiere nicht auszumachen.
Noch vor einer Stunde war der Himmel klar und wolkenlos gewesen – und jetzt? Jetzt sah man hier draußen die Hand vor Augen kaum noch!
Schweigend eilten sie weiter bergan.
Das Rauschen verriet, das ganz in der Nähe ein Bach talwärts schoss. Tagelange Regenfälle hatten den Boden aufgeweicht, die Flüsse und Bäche gefüllt – und die Gefahr von Steinschlägen in den höheren Regionen deutlich erhöht. Dr. Burger lauschte auf die Geräusche, die sie umgaben, in der Hoffnung, das anschwellende Rumpeln rechtzeitig zu hören, um noch Schutz für seine Frau und sich selbst zu suchen.
Der Weg wurde immer schmaler und steiler, schlängelte sich zwischen üppigen Almrosen bergan. Eine Straße gab es in der Nähe des Unglücksortes nicht. Und ein Helikopter konnte bei diesem Nebel nicht landen. Nein, der einzige Weg führte über diesen Pfad.
Bald kam ihr Atem kurz und stoßweise, aber sie wussten, dass ihnen die Zeit im Nacken saß, und so behielten sie ihr Tempo bei.
Bei schönem Wetter hätten sie von hier oben aus einen wunderbaren Blick auf die Zillertaler Bergwelt gehabt, ja, sogar bis nach Italien konnte man von hier aus schauen. Auf Gipfel, die selbst jetzt, im Sommer, weiß von Schnee und Eis waren.
Doch an diesem Tag gab es nichts als Wolken und Nebel – und den feuchten Film, der sich auf ihre Gesichter legte und unter ihre Wetterjacken kroch.
Martin Burger leitete die Landarztpraxis in St. Christoph, einem Dorf im Herzen des Zillertals. Außerdem arbeitete er seit vielen Jahren bei der Bergwacht mit, half, wenn sich jemand verirrt hatte oder im Unwetter am Berg festsaß.
»Ein Jagdunfall«, murmelte Sabine, während sie den Weg erklomm.
»Das hat der Anrufer jedenfalls gesagt.«
»Was wird uns da erwarten?«
»Nix Gutes, fürchte ich.« Der Anrufer war in Panik gewesen, kurz davor, zu hyperventilieren. Was auch immer er gesehen hatte, hatte ihn hörbar aufgeregt.
Nein, das hatte gewiss nichts Gutes zu bedeuten.
Verstärkung war unterwegs. Ein Rettungswagen war aus Mayrhofen heraufgeschickt worden, aber auch die Sanitäter würden den Rest des Weges zu Fuß gehen müssen und vermutlich nach ihnen ankommen.
Wir sind im Moment die beste Chance auf Hilfe, ging es ihm durch den Kopf, und unwillkürlich beschleunigte Martin Burger seine Schritte.
»Da!«, rief seine Frau plötzlich aus und deutete auf die Umrisse einer Gestalt, die sich vor ihnen im Nebel abzeichnete. Kaum mehr als ein graues Schemen, doch es genügte, um ihnen die Unglücksstelle zu zeigen.
Sie eilten auf den Mann zu, der vornübergebeugt auf einem Felsen saß, die Hände auf die Knie stützte und keuchte.
»Hallo?« Martin Burger stellte seine Frau und sich vor.
»Godzijdank«, entfuhr es dem anderen Mann. Er mochte um die vierzig sein, trug Wanderkleidung und hatte ein Paar Wanderstöcke neben sich abgelegt. »D-da drüben ...«, raunte er und deutete mit einem Finger zu einer Reihe von Felsbrocken, die sich im Nebel abzeichneten. »Ik deed wat ik kon doen.«
Ich habe getan, was ich konnte, reimte sich Martin Burger zusammen.
»Sind Sie verletzt?«, fragte er und erntete ein Kopfschütteln.
»Ik ben oke, hij niet ...«
Ich bin okay, er nicht ... Der Bergdoktor wandte sich zu der Stelle, die ihm der Urlauber bezeichnete, und sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Felstrümmer lagen hier verstreut – manche so groß wie ein Medizinball, andere hatten die Größe eines Kleinwagens. Die meisten Brocken, die hier herumlagen, waren mit Moos und Flechten bewachsen. Einige jedoch wirkten so frisch, als wären sie gerade erst abgestürzt ...
»Martin«, wisperte seine Frau.
»Ja«, erwiderte er rau.
Hier war ein Steinschlag niedergegangen. Einer der Felsbrocken hatte einen Hochstand unter sich begraben. Trümmer ragten darunter hervor ... und unweit davon lag ein Mensch!
Ein junger Mann war es, mit dunkelblonden Haaren, die ihm wirr in die Stirn fielen und rot von Blut waren. Er lag verkrümmt auf der Seite. Seine linke Schulter stand in einem seltsamen Winkel ab. Sein Hemd und die Hose waren blutgetränkt. Jemand – der Urlauber vermutlich – hatte ihm einen Verband um die Stirn gebunden, wohl, um eine Blutung zu stillen, doch der Mull troff bereits vor Blut.
Steinschlag, ging es Dr. Burger durch den Kopf. Einer der Steinbrocken muss ihn getroffen haben. Jessas, das ist der Prantl-Johannes. Der hat doch erst vor zwei Monaten geheiratet! Alarmiert kniete er sich neben den jungen Landwirt.
Johannes bewirtschaftete den Zirbenhof am Rand von St. Christoph und hielt nicht nur Milchkühe, sondern auch eine muntere Schar von Gänsen. Seine junge Frau arbeitete im kürzlich eröffneten Frisiersalon neben dem Gemischtwarenladen der Jeggl-Alma.
»Johannes, hörst du mich?«
Der junge Bauer reagierte weder auf Ansprache noch auf das sanfte Rütteln an seiner Schulter. Seine Augen waren geschlossen, und er war nicht bei Bewusstsein. Sein Herz schlug schwach und viel zu schnell. Und seine Haut war feucht und kühl. Kein gutes Zeichen!
Nur einen Meter entfernt lag ein Jagdgewehr. Und seine grüne Kleidung deutete darauf hin, dass er auf dem Ansitz gewesen war, als der Steinschlag niedergegangen war.
Dr. Burger war klar: Er musste den Schwerverletzten so schnell wie möglich von diesem Berg schaffen und gründlicher untersuchen, als es hier möglich ist.
Er tastete nach seinem Handy, um mit der Notfallzentrale zu sprechen. Sie brauchten die Sanitäter, um Johannes ins Tal zu bringen.
Und es pressierte!
»Martin!« Plötzlich zog seine Frau scharf den Atem ein. Sabine stand ein Stück abseits und beugte sich hinter einen Felsen. Als sie sich wieder aufrichtete, war ihr Gesicht aschfahl. »Hier liegt noch jemand!«
Er richtete sich auf und eilte zu ihr hinüber.
»Um Himmels willen ...« Hinter den Felsen lag Andreas Grünberg. Johannes und er waren zusammen aufgewachsen und die besten Freunde. Vor einiger Zeit hatte es ein Zerwürfnis zwischen ihnen gegeben, weil sie sich beide in die Leonie aus dem Frisiersalon verliebt hatten, aber ihre Freundschaft hatte auch das überstanden.
Und nun lag Andreas hier auf den kalten Felsen. Auf den ersten Blick unverletzt ... der zweite Blick offenbarte ein kreisrundes Loch in seiner dunkelgrünen Weste. Der Stoff war hier geschwärzt ...
Sabine tastete nach seinen Lebenszeichen. Als sie ihre Hand sinken ließ, grub sich Trauer in ihr Gesicht ein. Bedächtig schüttelte sie den Kopf.
»Hier können wir nix mehr tun, Martin«, flüsterte sie.
Erschüttert schaute er auf den Landwirt nieder.
Das Loch in seiner Garderobe verriet, dass Andreas nicht dem Steinschlag zum Opfer gefallen war.
Er war erschossen worden!
»Martin!« Sabine hob ihr blasses Gesicht zu ihm empor. »Was, um Himmels willen, ist hier nur vorgefallen?«
***
10 Monate später
»Oh ... oh!« Lucas befühlte ihr Haar und wiederholte: »Oh ... oh!«
Leonie Prantl zuckte auf dem Frisierstuhl zusammen – und warf ihrem Kollegen einen Blick über den Spiegel zu.
»Ich mag es gar net, wenn Friseure oder Handwerker diesen Ton anschlagen«, murmelte sie.
Daraufhin grinste Lucas, der hinter ihr stand, sie ebenfalls über den Spiegel an.
»Keine Bange, das ist nichts, was sich net beheben ließe.« Er hob die Hände und wackelte mit allen zehn Fingern. »Diese Hände können Wunder bewirken – und bei deinen vernachlässigten Locken müssen sie das leider auch.« Er zog die Brauen fast bis zum Ansatz seiner dunklen Haare hoch. »Was hast du nur damit angestellt?«
»Gar nix«, brummelte sie.
»Ganz genau. Keine Kur, keine Pflege. Deine armen Locken sind so vernachlässigt wie der Heustadel drüben am Mühlbach.«
»Ist der net eingestürzt?« Leonie krauste die Nase. »Der Huber will ihn abreißen, glaub' ich. So arg sind meine Haare nun wirklich net.«
»Deine Haare, Liebes, sind eine Katastrophe. Es ist ein Wunder, dass sich noch kein Vogerl darin niedergelassen hat, um zu nisten. Vermutlich sind sie ihnen zu stachelig.«
Leonie verzog das Gesicht. »Willst du mich frisieren oder zusammenstauchen?«
»Ich werde dich für euren großen Abend hübsch machen. Auch wenn Johannes es net wirklich ... nun ...« Er stockte und suchte offenbar nach den richtigen Worten.
In Leonie krampfte sich etwas schmerzhaft zusammen.
»Auch wenn Johannes es net sehen kann«, erwiderte sie leise.
Ein leises Ausatmen war zu hören. Dann sagte Lucas ermutigend: »Aber er wird es fühlen. Weiche, prächtige und füllige Locken, von denen er net die Finger lassen kann. Warte es nur ab.« Er zwinkerte ihr über den Spiegel zu, und ein Lächeln dämpfte den sorgenvollen Ausdruck in seinen Augen.
Leonie schluckte gegen den Kloß in ihrer Kehle an.
Seit jenem Unglückstag vor zehn Monaten war ihr Leben auf den Kopf gestellt. Nichts war so geworden, wie sie es sich bei ihrer Hochzeit erträumt hatten.
Gar nichts ...
Doch dieser Abend sollte etwas Besonderes werden. Ihr erster Hochzeitstag! Nicht, dass Johannes an diesem Morgen daran gedacht hätte. Mit keiner Silbe hatte er den Tag erwähnt. Und ihr Geschenk – nagelneue Lautsprecher, mit denen er seine Lieblingsmusik in der allerbesten Qualität hören konnte, hatte er noch nicht einmal ausgepackt.
Nun, heute würde sie ihnen etwas Gutes kochen und alles tun, damit es ein schöner Abend für sie beide wurde. Womöglich würde er endlich aus seiner selbst gewählten Isolation kommen und Zeit mit ihr verbringen.
»Die Hoffnung stirbt zuletzt, was?« Lucas machte sich daran, ihre Haare zu waschen. Seine Hände waren sanft und massierten ihre Kopfhaut, aber statt der erhofften Entspannung empfand sie nichts als einen Stich in ihrer Brust. Er schien es zu merken, denn er fügte hinzu: »Tut mir leid, aber deine Ehe ist in einem ähnlichen Zustand wie der Heustadel ...«
Sie hob den Kopf über dem Waschbecken und funkelte ihn über den Spiegel an.
»Es ist net einfach, aber wir sind net am Ende, Lucas.«
Ihr Kollege schwieg und fuhr fort, ihr Haar zu waschen und eine Kur hineinzugeben.
Während er sie einwirken ließ, versuchte Leonie, sich zu entspannen.
Gedämpftes Plaudern füllte den kleinen Frisiersalon. Die Sonne fiel schräg durch die Fenster herein, und von draußen drang der übliche Feierabendbetrieb des Dorfes zu ihnen. Ein Traktor tuckerte vorüber.
»Morgen ist Tanz in Mayrhofen. Stevie legt auf«, erzählte Lucas ihr. »Da bleibt kein Fuß lange still. Ich gehe mit ein paar Freunden hin. Magst du mitkommen?«
»Das klingt toll, aber das ist nix für mich.«
»Früher hast du keinen Tanzabend ausgelassen.«
»Da war ich auch noch net verheiratet.«
»Wann war Johannes das letzte Mal mit dir aus, hm?«
»Diese Frage ist net fair, Lucas, und das weißt du auch. In seiner Situation ...«
»Genau! Seine Situation. Net deine. Du bist net an ihn gekettet, Leonie. Ich kenne dich. Du bist gern unter Menschen und liebst es, tanzen zu gehen. Du musst mal raus. Etwas anderes sehen als die eigenen vier Wände.«
»Irgendwann werd' ich das auch wieder.«
»Irgendwann könnte es zu spät sein.« Ihr Kollege lehnte sich zu ihr. »Ich kann mich net erinnern, wann du zuletzt aus warst. Oder dich auf irgendetwas gefreut hast. Weißt du, meine Großtante Gertrude führt ein aufregenderes Leben als du – und die ist über neunzig und lebt in einem Seniorenheim.«
»Mein Mann ist net gesund, Lucas. Was erwartest du denn von mir?«
»Dein Mann macht gerade eine harte Zeit durch, das ist wahr. Und wenn du mich fragst, gehört er in ein Sanatorium, wo er lernen kann, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen.«
Leonie presste die Lippen so fest zusammen, dass es wehtat. Sie hatte ihrem Mann schon so oft vorgeschlagen, sich Hilfe zu suchen. Sie wollte ja alles für ihn tun, wenn er es nur zulassen würde.
Doch genau das tat er nicht.
»Dein Mann zieht dich mit runter«, gab Lucas zu bedenken, »und das ist net gut, Leonie. Das ist doch keine Ehe.«