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Im idyllischen Bergdorf St. Christoph im Zillertal scheint alles friedlich, doch Dr. Burger, der erfahrene Bergdoktor, hegt Zweifel an den vermeintlichen "Unfällen" seiner Patientin Rebekka Sarner. Ihre häufigen Verletzungen und die stets gleich klingenden Erklärungen lassen ihn beunruhigt zurück. Rebekka, eine bezaubernde junge Frau mit einer schmerzvollen Vergangenheit, strahlt nach außen hin Lebensfreude aus, doch hinter ihrer Anmut verbergen sich Geheimnisse, die dringend ans Licht müssen.
Als Dr. Burger beginnt, hinter die Fassade auf dem Lenthaler-Hof zu blicken, entfaltet sich ein Drama. Kann er Rebekka helfen, bevor es zu spät ist?
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Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Entlarvte Lügen
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Impressum
Entlarvte Lügen
Seltsame Vorfälle auf dem Lenthaler-Hof beunruhigen den Bergdoktor
Von Andreas Kufsteiner
Im idyllischen Bergdorf St. Christoph im Zillertal scheint alles friedlich, doch Dr. Burger, der erfahrene Bergdoktor, hegt Zweifel an den vermeintlichen »Unfällen« seiner Patientin Rebekka Sarner. Ihre häufigen Verletzungen und die stets gleich klingenden Erklärungen lassen ihn beunruhigt zurück. Rebekka, eine bezaubernde junge Frau mit einer schmerzvollen Vergangenheit, strahlt nach außen hin Lebensfreude aus, doch hinter ihrer Anmut verbergen sich Geheimnisse, die dringend ans Licht müssen.
Als Dr. Burger beginnt, hinter die Fassade auf dem Lenthaler-Hof zu blicken, entfaltet sich ein Drama. Kann er Rebekka helfen, bevor es zu spät ist?
»Wie ist es denn dazu gekommen?«, fragte Dr. Burger seine junge Patientin, als er behutsam die Brandwunde auf ihrem Fußrücken behandelte.
»Ach, ich hab halt net aufgepasst und den Topf mit dem kochenden Wasser auf dem Herd so schräg gehalten, dass er übergelaufen ist«, gab Rebekka Sarner zurück. »Ich bin halt ein bisserl ungeschickt.«
Der Bergdoktor fand diese Erklärung alles andere als glaubwürdig. Doch er zog es vor zu schweigen, denn er wusste, dass Rebekka dabei bleiben würden. So wie bei den anderen Verletzungen, von denen sie behauptete, dass sie selbstverschuldet gewesen waren. Und in der letzten Zeit war sie sogar noch häufiger in der Praxis erschienen.
Verstohlen musterte er die Patientin. Rebekka, die einst ein schmächtiges Kind gewesen war, das vernachlässigt wirkte, hatte sich in eine bezaubernd schöne, junge Frau verwandelt. Ihre Züge waren von klassischer Regelmäßigkeit, große dunkelbraune Augen beherrschten ihr Gesicht, ihr Mund lud zum Küssen ein. Das goldblonde Haar fiel ihr glänzend bis auf die Schultern. Ihre Gestalt war schlank und biegsam, das enge Mieder ihres Dirndls betonte ihre weiblichen Formen.
»So, Rebekka, ich verschreibe dir noch eine Salbe, die holst du dir gleich drüben in der Roswitha-Apotheke. Übermorgen schaust du noch einmal bei mir vorbei«, sagte Dr. Burger.
Rebekka nahm das Rezept entgegen und bedankte sich. Dann verließ die hinkend das Sprechzimmer.
Durch das Fenster beobachtete er, wie Rebekka sich mühsam auf den Wagen zubewegte, der auf der anderen Straßenseite geparkt war. Ein junger Mann sprang heraus, geleitete sie zu dem Beifahrersitz und nahm ihr das Rezept ab. Nach einem kurzen Wortwechsel eilte er zur Roswitha-Apotheke und kehrte kurz darauf mit dem Medikament zurück.
Ein Glück, dass sich wenigstens jemand um das arme Madel kümmert, dachte der Bergdoktor und seufzte.
Dann ließ er seinen nächsten Patienten eintreten, das heißt, Gottlieb Hähnel, genannt Streithähnel, stürzte geradezu in den Raum hinein.
»Ich hab net an meinem Platz sitzen dürfen«, brach es empört aus ihm heraus.
Hähnel, ein dürrer Mann fortgeschrittenen Alters, dessen Züge Unzufriedenheit und Streitsucht verrieten, zitterte vor Wut.
»Jetzt setz dich doch erst einmal hin, Gottlieb. Soll dir Schwester Sofie einen Kaffee bringen?«
Streithähnel ließ sich schwer auf den Stuhl gegenüber von Dr. Burger niederfallen.
»Einen heißen Kaffee? Ja, das wär' schön.«
»Und es ist auch noch das eine oder andere Hefeteilchen da«, gab der Bergdoktor zurück, und Gottlieb stieß einen sehnsüchtigen Laut aus.
Nachdem Dr. Burger Schwester Sofie Bescheid gesagt hatte, brachte sie schnell das Gewünschte und stellte es auf dem Schreibtisch vor Gottlieb ab.
»Sogar eine Serviette ist dabei, wie bei feinen Leuten«, bemerkte Gottlieb noch, dann biss er in das leckere Gebäck.
Der Bergdoktor blätterte angelegentlich in Gottliebs Krankenakte, während Gottlieb das Hefeteilchen verschlang und den Kaffee, der eigentlich noch viel zu heiß war, hinunterschüttete. Dann lehnte Streithähnel sich zurück und lächelte, wodurch er um Jahre jünger wirkte.
»So, du hast also nicht an deinem Lieblingsplatz am Fenster sitzen dürfen, von wo du alles beobachten kannst«, begann der Bergdoktor freundlich.
»Ja, die Altbäuerin vom Mühlenhof hat sich dort breitgemacht, die braucht ja bald zwei Stühle für sich, ausladend wie sie ist.«
»Aber ich kann dir sagen, dass es heute auf der Kirchstraße überhaupt nichts zu sehen gab ...«
»Woher wollen Sie denn das wissen, Herr Doktor?«
»Weil ich vom Fenster hinter mir alles im Blick habe. Du hast also nichts versäumt. Und zum Ausgleich hast du sogar noch einen Kaffee bekommen. Manchmal entschädigt einen das Schicksal eben auch.«
»Aber net immer«, fuhr Streithähnel auf.
»Ja«, gab der Bergdoktor zu und unterdrückte ein Seufzen.
Denn im Grunde war Gottlieb zu bedauern, denn er hatte seine Jugendliebe an einen anderen verloren, und darüber war er nie hinweggekommen. Und so hatte er sich in einen störrischen Greis verwandelt, der alle mit seiner Streitsucht plagte.
»Warum bist du überhaupt in die Praxis gekommen? Was fehlt dir?«, lenkte der Bergdoktor das Gespräch schnell in eine andere Richtung.
»Das Kreuz tut mir halt weh«, klagte Streithähnel.
»Ich verschreibe dir etwas.«
»Aber net irgendwelche Pillen, von denen man Magengrimmen bekommt. Oder so etwas für Arme wie mich, die sich keine Privatversicherung leisten können«, sagte Gottlieb Streithähnel giftig.
»Nein, ich hab etwas für dich, was aus heimischen Naturkräutern hergestellt ist. Die anderen Patienten sind damit sehr zufrieden«, versicherte der Bergdoktor.
»Heimisch ist immer gut«, meinte Gottlieb und nahm das Rezept in Empfang.
Schließlich erhob er sich und verließ nach einem knappen Dankeswort das Sprechzimmer. Draußen begegnete er Schwester Sofie.
»Den Kaffee hätt' ich net besser machen können«, sagte er und verließ die Praxis.
Bärbel Tannauer, die am Empfang stand, lachte.
»Ich will gar net wissen, wie der Kaffee, den sich der Gottlieb zusammenbraut, schmeckt. Aber eigentlich ist er ja zu bedauern. So, ich glaub', jetzt ist die Altbäuerin vom Mühlenhof dran, die ist sicher schon ungeduldig geworden.«
Und so nahm alles weiter seinen Lauf. Die Altbäuerin, die wie jedes Frühjahr wieder vom »Reißen« geplagt war, bekam Zuspruch und ein Rezept. Dann machte sie sich auf den Weg zum »Einkaufsparadies«, wie der Gemischtwarenladen der Jeggl-Alma genannt wurde. Das stattliche Eckhaus stand auch in der Kirchgasse, nicht weit vom Doktorhaus entfernt.
Dort fand sie nicht nur die Leitnerin, sondern auch die drei Witwen Walburga, Serafina und Hildegund vor. Wenig später betrat auch Zenzi Bachhuber, der gute Geist des Doktorhauses, den Verkaufsraum.
»Ich war grad beim Bergdoktor. Der Streithähnel hat wieder alles aufgehalten mit einem seiner eingebildeten Leiden. Aber das kennen wir ja. Die Waise vom Lenthaler-Hof war auch da, der Beat hat sie hergefahren«, berichtete die Altbäuerin.
»Für ein junges Madel ist sie aber oft krank. Als ich neulich mit meinem Mandl im Wartezimmer gesessen hab, war sie auch dort. Ganz elend hat sie ausgeschaut«, sagte die Leitnerin und zog ein Paar grellbunte Socken aus dem Korb für Sonderangebote, die ihre Augen freudig aufleuchten ließen.
Alle wussten, dass die für ihren Mann bestimmt waren, der offensichtlich auffallende Farben und Muster bevorzugte. Die Leitnerin, sonst eher schroffer Natur, hing mit abgöttischer Liebe an ihrem Mandl, obwohl dieser ein unleidlicher, arbeitsscheuer Mensch war. Zudem bildete er sich fortwährend ein neues Leiden ein, welches, seiner Meinung nach, unweigerlich zum Tod führen würde.
»Irgendwie hab ich die Familienverhältnisse auf dem Lenthaler-Hof gar net so richtig durchschaut«, meinte Hildegund. »Ist der Beat eigentlich der leibliche Sohn vom Lenthaler-Franz oder net?«
Die Leitnerin, die auf Begräbnissen sowie Hochzeiten gleichermaßen zugange war, wusste über jede Familie genau Bescheid.
»Na, die Priska hat ihn mit in die Ehe gebracht. Der Franz konnt' von Glück sagen, dass er sie zur Frau bekommen hat, denn um seinen Obsthof stand es zu der Zeit gar net gut. Doch die Priska hat viel geerbt, erst von ihren Eltern und danach noch von ihrem verstorbenen Mann. Der Lenthaler hat den Sohn dann adoptiert, deswegen kennt man ihn nur noch als den Lenthaler-Beat. Die Priska hat bald nach der Hochzeit Zwillinge bekommen, einen Jungen, den Jakob, und ein Madel, die Franziska. Aber das wisst ihr ja«, schloss die Leitnerin und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den Sonderangeboten zu.
»Ist die Waise eigentlich verwandt mit den Lenthalers?«, wollte Walburga wissen.
Die Leitnerin zuckte mit den Schultern.
»Woher das Madel kommt, weiß niemand. Doch die Priska hat von Anfang an etwas dagegen gehabt, bis heut' kann sie die Waise net ausstehen. Aber dann hat Hochwürden ihr klargemacht, dass es ein gutes Werk wäre und dass alle sie hoch achten würden, wenn sie so ein bedauernswertes Wesen aufnehmen tät. Das hat sie schließlich umgestimmt, und seitdem lebt die Waise auf dem Lenthaler-Hof.«
»Ich find' es net schön, dass man das Madel immer nur ›die Waise‹ nennt. Schließlich heißt sie Rebekka«, warf Serafina ein.
»Da hast du recht. Rebekka ist ein schöner Name«, sagte Walburga.
»Rebekka ist sogar ein biblischer Name«, fügte die fromme Hildegund hinzu und bekreuzigte sich.
»Es ist nur traurig, dass auf dem Hof so ein Unfrieden herrscht, das weiß ja ein jeder hier«, sagte die Leitnerin, die sich inzwischen in die Tiefen des Korbes mir Sonderangeboten vorgewühlt hatte. »Der Lenthaler und seine Frau passen halt net zusammen und streiten deswegen dauernd miteinander. Die Priska ist ein rechter Besen und lässt ihre Wut immer an der Rebekka aus.«
Die Leitnerin unterbrach ihren Bericht kurz, um ein Leibchen in Augenschein zu nehmen, das lila-gelb gemustert war, ehe sie wieder fortfuhr.
»Noch net mal mit ihrem eigenen Sohn, dem Beat, kommt sie zurecht, denn der hält zu der Rebekka. Er und sein Stiefvater vertragen sich auch gut, man könnt' meinen, der Lenthaler wär' sein leiblicher Vater. Aber richtig schlimm sind die Zwillinge, besonders der Jakob ist von seiner Mutter haltlos verwöhnt worden. Er ist dauernd in Wirtshausschlägereien verwickelt, von seinen Gspusis ganz zu schweigen. Die Franziska denkt auch nur ans Feiern, sonst liegt sie faul herum. Die Schule haben beide abgebrochen, während die Rebekka die Matura mit Leichtigkeit bestanden hat. Sie hat sogar eine Auszeichnung bekommen.«
»Und warum ist die Rebekka jetzt zu Hause, anstatt eine Ausbildung zu machen?«, wollte Walburga wissen.
»Weil es die Priska angeblich mit dem Rücken hat, deswegen muss die Rebekka die ganze Hauswirtschaft allein machen. Und auf den Obstwiesen darf sie auch noch helfen, vor allem bei der Erntezeit. Eine Schand' ist das«, ereiferte sich die Leitnerin.
»Das sind fei Zuständ«, sagte die Altbäuerin kopfschüttelnd.
Alle schwiegen, bis Walburga vorschlug: »Wir sollten zu unserem Platzerl gehen, damit wir uns wieder beruhigen.«
»Da hast recht«, stimmte Serafina zu, und die drei Freundinnen verließen den Laden.
Auch die Altbäuerin und die Leiterin, die sichtlich zufrieden mit ihrer heutigen Ausbeute war, schlossen sich an. Die drei Witwen strebten dem Friedhof zu, denn mit dem »Platzerl« war eine Bank gemeint, von der aus sie beobachten konnten, was auf dem kleinen Dorffriedhof so vor sich ging. Und das war manchmal schon haarsträubend, was sich dort im Schutz von hohen Grabsteinen und Eibischbüschen alles tat ...
Nur Zenzi Bachhuber befand sich noch im Laden und verabredete sich mit Alma, die ihre Busenfreundin war, zu Kaffee und Kuchen an ihrem nächsten freien Mittag. Dass Rebekka schon wieder verletzt die Praxis aufgesucht hatte, setzte ihr sehr zu. Auch sie glaubte längst nicht mehr, dass es sich dabei um unglückliche Zufälle handelte.
***
»Ein grüner Veltliner, wunderbar!«, sagte Dr. Ole Hinrichs genießerisch, als Sabine Burger ihm den Wein eingoss. »Das rundet das wunderbare Essen ab.«
Dr. Ole Hinrichs hatte es von Norddeutschland ins schöne Zillertal verschlagen, wo er als Unfallchirurg im Klinikum in Mayrhofen tätig war. Der Umgang mit ihm war für den Bergdoktor anfangs sehr schwierig gewesen, denn während Dr. Burger zugewandt und freundlich war, zeigte sich Dr. Hinrichs seinen Mitmenschen gegenüber schroff und unzugänglich. Doch allmählich begannen sie sich gegenseitig zu schätzen, und schließlich entwickelte sich daraus eine enge Freundschaft.
Dr. Hinrichs, dessen Arbeitsleben sehr hart war, empfand es immer als Höhepunkt, wenn er bei den Burgers zum Essen eingeladen wurde. Vor allem die Gespräche waren eine Bereicherung. Außerdem verehrte er Sabine Burger, aber das durfte niemand wissen.
Martins Vater Dr. Pankraz Burger, ein stattlicher Mann von siebenundsiebzig, genoss den Austausch nicht minder, denn sein berufliches Interesse war ungebrochen. Genau wie bei Sabine, die vor ihrer Heirat als Anästhesistin in einem Großklinikum in Wien tätig gewesen war.
Zenzi war nur kurz geblieben, denn sie ertrug die Gespräche der Ärzte nicht, wie sie behauptete. Sie war hoch in ihre gemütliche Kammer unter dem Dach gestiegen, wo sie ein Kapitel in einem religiösen Erbauungsbuch las.
»Kannst du dich noch an die Rebekka vom Lenthaler-Hof erinnern?«, fragte der Bergdoktor seinen Freund nach einer Gesprächspause.
»Ja, ein wunderschönes Mädchen! Diese Augen ...«
Dr. Hinrichs, der unverheiratet war, entwickelte immer wieder eine schwärmerische Zuneigung zu seinen jugendlichen Patientinnen, die jedoch unerfüllt blieb.
Pankraz räusperte sich, und Dr. Hinrichs kam wieder zu sich.
»Ich habe sie damals zu dir geschickt, weil der Knochenbruch zu kompliziert war. Was hast du denn für einen Eindruck gewonnen von der Verletzung? Hat sie sich den Finger wirklich durch einen Sturz verletzt?«, wollte Martin wissen.
Ole Hinrichs richtete sich auf und erklärte mit großer Bestimmtheit: »Wenn du mich fragst, dann hat ihr jemand den Finger absichtlich gebrochen. Bei einem Sturz hätte das ganz anders ausgesehen.«
»Der Meinung bin ich auch. Und kürzlich war Rebekka mit einer üblen Brandverletzung bei mir und hat behauptet, sie hätte sich das kochende Wasser selbst über den Fuß geschüttet.«
»Jessas«, gab Pankraz von sich.
»Und einmal ist mir aufgefallen, dass sie ein Hämatom am Arm gehabt hat. Es sah aber nicht wie ein blauer Fleck aus, wenn man sich gestoßen hat, sondern eher so, als ob jemand sie heftig gekniffen hätte«, erinnerte sich Martin Burger.
»Das alles schaut mir sehr nach Kindesmisshandlung aus«, ereiferte sich Dr. Hinrichs, »wir müssen die Behörden benachrichtigen.«
»Die Rebekka ist längst volljährig. Außerdem weigert sie sich, zuzugeben, dass ihr jemand aus ihrer Familie die Verletzungen zugefügt hat«, erwiderte der Bergdoktor.
»Kann es nicht auch jemand außerhalb ihrer Familie sein?«, fragte Sabine nach.
Martin wiegte zweifelnd den Kopf.
»Kaum anzunehmen. Rebekka verlässt den Hof ja kaum, und sie hat auch keine Freunde. Und die meisten, die von einem Familienmitglied misshandelt werden, verheimlichen es aus den verschiedensten Gründen. Wenigstens der Beat, der Adoptivsohn von Franz Lenthaler, steht ihr bei«, schloss der Bergdoktor.
»Am besten wäre, die Rebekka würde den Hof verlassen und in Wien studieren. Sie hat doch die Matura, oder?«, warf Sabine ein.
»Sogar mit Bestnoten«, wusste der Bergdoktor. »Aber die Rebekka fühlt sich halt den Lenthalers verspflichtet, weil die sie aufgenommen haben. Außerdem ist sie sehr bodenständig und will im Zillertal bleiben.«
»Vielleicht solltest du ihr einmal gut zureden«, schlug Sabine vor.
Das erstaunte ihren Mann, denn sie warf ihm sonst immer vor, »Schicksal gespielt zu haben«, wenn er versuchte, das Leben eines Menschen aufs rechte Gleis zu bringen.
»Das ist nicht so leicht bei ihr.«
Das Gespräch wandte sich nun wieder anderen Themen zu. So ereiferte sich Ole Hinrichs darüber, dass zwei Abteilungen in dem Klinikum zusammengelegt werden sollten.
»Da weiß die Rechte dann nicht, was die Linke tut. Hier soll bloß wieder auf Kosten der Patienten gespart werden.«
»Noch ist das nicht spruchreif, soviel ich weiß. Wie wäre es denn mit einer Demonstration? Weißkittel vereinigt euch ...«
»Ich hab gar nicht gewusst, dass du so aufrührerisch bist, Martin«, unterbrach ihn Dr. Hinrichs erstaunt.
»Oh, Martin hat viele verborgene Talente«, kicherte Sabine, die schon leicht angeheitert war, und gab ihrem Mann ein Küsschen auf die Wange.
Ole Hinrichs sah schnell weg.
Pankraz räusperte sich und begann dann von seiner Zillertaler Chronik zu sprechen, an der er schon seit Jahren arbeitete.
»Ich habe eine Geschichte gefunden, die zeigt, dass im Mittelalter Frauen durchaus Rechte hatten und auch bestimmte Berufe ausüben durften. Wenn der Familienvater krank oder gestorben war und Frau und Kinder vor dem Nichts standen, dann konnten die Frauen sein Handwerk weiterführen, sodass es beispielsweise etliche Gerberinnen gab. Häufig zogen sie auch von Hof zu Hof und boten ihre Dienste als Näherinnen an.«
»Aber sonst hatten sie es sehr schwer, sie durften weder Künstlerinnen werden noch den Arztberuf ausüben. Die berühmte Malerin Artemisia musste sogar nach England auswandern, damit sie ihre Kunst ohne Einschränkungen ausüben konnte«, wandte Sabine ein.