1,99 €
"Ein schöner Wachhund bist du." Die Bachhuber-Zenzi lässt sich von dem treuen Dackelblick nicht erweichen. Hat der Poldi doch keinen Mucks von sich gegeben, als jemand nachts in die Praxis des Bergdoktors eingebrochen ist und sich am Medikamentenschrank zu schaffen gemacht hat. Da kann er jetzt noch so herzig schauen und um ein Würstel betteln.
Zenzi ist fassungslos. Was, wenn der Eindringling einem der Kinder begegnet wäre? Bei diesem Gedanken flattert ihr Herz vor lauter Sorge. Erst recht, als sich herausstellt, dass das nicht der erste Einbruch dieser Art ist. In St. Christoph gab es in den letzten Wochen immer wieder seltsame Vorkommnisse.
Zenzis Neugier ist geweckt. Sie beginnt sich umzuhören und findet bald einen Hinweis, der sie zu einem Bauernhof am Rande des Dorfes führt. Doch welches Geheimnis hüten die beiden Schwestern vom Riederhof so ängstlich?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Unter dem Dach der Ahnen
Vorschau
Impressum
Unter dem Dach der Ahnen
Dr. Burger und die verstörende Beichte der Rieder-Schwestern
Von Andreas Kufsteiner
»Ein schöner Wachhund bist du.« Die Bachhuber-Zenzi lässt sich von Poldis treuem Dackelblick nicht erweichen. Hat das Zamperl doch keinen Mucks von sich gegeben, als jemand nachts in die Praxis des Bergdoktors eingebrochen ist und sich am Medikamentenschrank zu schaffen gemacht hat. Da kann er sie jetzt noch so herzig anschauen und um ein Scheibchen Wurst betteln.
Zenzi ist fassungslos. Was, wenn der Eindringling einem der Kinder begegnet wäre? Bei diesem Gedanken flattert ihr Herz vor lauter Sorge. Erst recht, als sich herausstellt, dass das nicht der erste Einbruch dieser Art ist. In St. Christoph gab es in den letzten Wochen immer wieder seltsame Vorkommnisse.
Zenzis Neugier ist geweckt. Sie beginnt sich umzuhören und findet bald einen Hinweis, der sie zu einem Bauernhof am Rande des Dorfes führt. Doch welches Geheimnis hüten die beiden Schwestern vom Riederhof so ängstlich?
Aus Lucys Tagebuch:
»Morgen ist mein zehnter Geburtstag. Ich habe mir so gewünscht, eine Party zu geben und meine Freunde zu uns nach Hause einzuladen, aber der Vater hat es mir verboten. Ich weiß ja, dass es unmöglich ist. Wir dürfen kein Risiko eingehen. Aber dieses eine Mal hätte ich wirklich gern eine Ausnahme gemacht. Ich meine: zehn! Das ist doch ein Meilenstein im Leben, oder etwa net? Außerdem hätten meine Freunde bestimmt net herumgeschnüffelt. So sind sie einfach net. Na ja, der Noah vielleicht schon, der hat bei dem neuen Freund seiner Mutter schon mal die Brieftasche durchstöbert, weil er wissen wollte, ob der Fotos von anderen Frauen hat. Und die Hannah ist auch ziemlich neugierig. Vor ihr ist kein Geheimnis sicher. Aber ich hätte sie bei der Party schon im Auge behalten. Ganz bestimmt.
Doch der Vater war unnachgiebig. Keine Party. Keine Einladungen. Rein gar nix. Da war er knallhart. Ich darf niemanden auf den Hof holen. Das ist so unfair! Die anderen Eltern laden dauernd zu irgendwelchen coolen Sachen ein. Zum Grillen, zum Übernachten im Garten oder was weiß ich. Bloß wir machen das net. Meine Freunde fragen mich schon, ob wir daheim vielleicht heimlich Drogen zusammenbrauen, weil wir nie jemanden zu uns einladen.
Wenn sie wüssten!«
***
14 Jahre später
»Wir müssen umkehren, Martin.« Die Warnung des Piloten klang dumpf über die Kopfhörer. Mit ruhiger Hand steuerte er den Hubschrauber Heli 2 durch den immer dichter werdenden Nebel. Dabei vertieften sich die sorgenvollen Furchen auf seiner Stirn. »Es wird langsam zu gefährlich hier heroben.«
Martin Burger klammerte sich an den Haltegriff über seinem Sitz.
»Kannst du uns noch ein Stück weiterbringen? Wenn wir jetzt abdrehen, sitzt das arme Madel die ganze Nacht auf dem Berg fest.«
»Wir werden ihr keine Hilfe sein, wenn wir gegen eine Bergspitze prallen und abstürzen.«
»Das wird net passieren. Schließlich hab ich einen der besten Piloten von ganz Tirol neben mir. Du könntest diesen Vogel mit geschlossenen Augen fliegen.«
»Schön wär's, aber durch den Nebel schauen kann ich leider net.« Der Pilot schüttelte bedächtig den Kopf.
Roy Schindler flog seit elf Jahren für die Flugrettung und hatte schon hunderte Einsätze hinter sich. Er galt als ruhiger, besonnener Mann, der tat, was menschenmöglich war. Wenn er einen Einsatz ablehnte, dann hatte er gute Gründe dafür.
»Zehn Minuten. Mehr kann ich uns net verschaffen.«
»Dann müssen diese zehn Minuten genügen.« Martin Burger lehnte sich im Cockpit nach vorn und suchte die Gegend unter ihnen nach der jungen Frau ab. Lucy Rieder hatte vor einer Stunde einen Notruf abgesetzt. Sie war auf dem Hexenstein unterwegs und irgendwo unterhalb des Schwarzkogeljochs verunglückt. Ihren genauen Standort kannte sie nicht, weil der Nebel jede Orientierung unmöglich machte.
Das Gelände auf dem Berg war unwegsam und berüchtigt dafür, dass man sich leicht verirren konnte. Zu Fuß hätten Suchtrupps selbst bei bestem Wetter ihre Mühe gehabt, Lucy zu finden. Im Nebel war es ein schier aussichtsloses Unterfangen. Aus diesem Grund war der Heli 2 geschickt worden.
Bislang fehlte jedoch jede Spur von der Jungbäuerin.
»Oscar Echo Xray Lima Lima«, gab der Pilot seine Kennung an die Leitstelle durch, bevor er die genaue Flugrichtung und die aktuelle Wetterlage weiterleitete.
»Verstanden, Oscar Echo Xray Lima Lima«, kam es zurück. »Seien Sie vorsichtig.«
»Wir sind ... verdammt!«
Martin Burger hörte seinen Begleiter einen Fluch murmeln, als sich unmittelbar vor ihnen eine hoch aufragende Felszacke aus dem Nebel schälte. Sie flogen geradewegs darauf zu!
Unwillkürlich umklammerte er den Griff fester, als könnte der das drohende Verhängnis verhindern.
Im letzten Moment stieg der Hubschrauber. Sie wurden in die Sitze gepresst und ließen das Hindernis unter sich.
Das war knapp gewesen.
Lucy, wo bist du nur? Dr. Burger starrte in die Tiefe, bis seine Augen von der Anstrengung brannten. In das Grau zu blicken, fühlte sich an, als wäre er blind geworden.
Gab es überhaupt noch Hoffnung, die junge Frau an diesem Abend zu finden?
»So ein Leichtsinn, bei diesem Wetter auf dem Berg herumzukraxeln«, brummte der Pilot. »Das Madel sollte es wirklich besser wissen. Die Berge geben einem keine zweite Chance. Hier oben kann jeder Fehler der letzte sein.«
»Wir sind hier, damit das net passiert.«
»Ich bin net sicher, ob wir etwas ausrichten können. Noch fünf Minuten, Martin, dann fliegen wir zurück. Mehr kann ich net verantworten.«
»Verstanden.« Martin Burger sah weiterhin aus dem Fenster, aber alles, was er erkennen konnte, war Nebel.
Die vermisste junge Bäuerin gehörte seit vielen Jahren zu seinen Patientinnen. Er hatte Lucy aufwachsen sehen und wusste, wie tapfer sie gegen die Schläge des Schicksals gekämpft hatte. Sie hatte mehr Leid erfahren, als ein Mensch ertragen sollte. Sie nun im Stich zu lassen, kam für ihn nicht infrage.
Der Nebel hüllte die Almen und schroffen Felsen ein, die seine Heimat ausmachten. Er war Landarzt in St. Christoph, einem idyllischen Dorf im Zillertal, und er konnte sich keinen schöneren Ort zum Leben denken. Auch wenn man der Natur hier heroben näher war als irgendwo anders – und auch den damit verbundenen Gefahren. Die sah er oft, wenn er bei Notfällen mit der Bergwacht ausrückte.
Zu Fuß oder mit dem Rettungshubschrauber ...
»Nein, weiter geht's net.« Der Pilot stieß neben ihm den Atem aus. »Wir müssen umkehren, Martin. Die Sicht ist praktisch gleich null.«
»In Ordnung.« Er wusste, dass sein Begleiter niemals vor der Zeit aufgab. Wenn Roy umkehren wollte, gab es nichts zu diskutieren. »Lass uns ... Warte mal!« Aus dem Augenwinkel erhaschte er einen hellen Schimmer im Nebel. Ein. Aus. Ein. Aus. »Siehst du das? Da drüben gibt jemand Lichtsignale!«
»Wo denn?« Roy drehte den Kopf. Dann stieß er ein gedämpftes Lachen aus. »Ja, ich seh's. Das Madel hat wirklich Glück. Nur wenige Sekunden später und wir wären weg gewesen.«
»Kannst du uns runterbringen?«
»Was, ich soll da drüben landen? Ohne Sicht? Ausgeschlossen!«
»Dann also Plan B?«
»Ja, anders geht es net.«
»Alles klar.« Martin Burger wusste Bescheid. Er stand auf und ging nach hinten. Hier legte er das Geflecht aus Gurten an, das ihn sichern würde, wenn er sich am Rettungstau nach unten ließ.
Als er bereit war, stieß er die Seitentür auf und kniff die Augen zusammen, als ihm der Flugwind entgegenfauchte.
Sie befanden sich nun unmittelbar über der Lichtquelle.
»Los!«, rief Martin Burger, und die Winde setzte sich in Bewegung. Er ließ sich vorsichtig aus dem Hubschrauber gleiten und schwebte langsam in die Tiefe.
Bald schälten sich Felsen unter ihm aus dem Nebel ... dazu die Umrisse einer Gestalt, die im Gras saß. Zierlich ... eine junge Frau ... Lucy!
Als er den Boden erreicht hatte, hakte er sich aus. Er wusste, sein Pilot würde den Hubschrauber so ruhig wie möglich halten und auf ihn warten.
»Lucy?« Dr. Burger wandte sich der jungen Bäuerin zu, die erleichtert aufschluchzte, als er vor sie hintrat.
Lucy Rieder war vierundzwanzig Jahre alt und hatte lange braune Haare, die sie an diesem Tag zu einem Zopf geflochten trug. Sie presste ein Tuch an ihre Schläfe, das früher einmal hellblau gewesen sein mochte, nun jedoch blutrot gefärbt war und nichts Gutes verhieß. Sommersprossen sprenkelten ihr Gesicht. Und in ihren grünen Augen schimmerten Tränen, als sie zu ihm aufsah.
»Ich bin so froh, Sie zu sehen, Dr. Burger.«
»Was machst du denn nur für Sachen, Lucy? Im Nebel auf den Berg zu steigen?«
»Als ich aufgebrochen bin, war es noch net so schlimm. Die Milli hab ich gesucht. Ich hab sie fliegen lassen, aber das verflixte Wetter ... Ich glaub', sie hat sich verflogen. Jedenfalls ist sie net zu mir zurückgekommen.«
»Milli?«
»Sie ist ein Rotmilan-Weibchen, das ich verletzt gefunden und aufgepäppelt hab. Sie folgt mir aufs Wort. Also, normalerweise.« Lucys Stimme klang schleppend und verriet, wie erschöpft sie war. »Ich hab sie gesucht und net aufgepasst und bin wohl in ein Kaninchenloch getreten. Bevor ich wusste, wie mir geschah, bin ich schon lang hingestürzt und hab mir den Kopf an einem Stein aufgeschlagen. Ich glaub', ich war bewusstlos, denn als ich wieder zu mir kam, war der Nebel schlimmer als zuvor.«
»Ist dir übel? Oder schwindelig?«
»Beides«, bejahte sie leise.
»Ich verstehe.« Das klang ganz nach einer Gehirnerschütterung. Er deutete auf ihren Kopf. »Ist es in Ordnung, wenn ich mir die Verletzung anschaue?«
»B-bitte«, sagte sie und ließ das Tuch sinken.
Darunter kam eine stark blutende Wunde zum Vorschein. Er untersuchte sie behutsam.
»Du hattest Glück, der Riss ist net allzu tief, muss aber genäht werden. Vorher müssen wir dich allerdings von diesem Berg herunterbringen. Ich verbinde dich jetzt nur, und dann bringe ich dich von hier weg.« Er setzte seinen Rucksack ab, holte Verbandsmaterial heraus und versorgte die Verletzung provisorisch.
Lucy hielt ganz still, während er sie verband.
Ihre linke Hand war blutig aufgeschürft, und auch die Knie hatten einiges abbekommen, aber das waren nur oberflächliche Verletzungen. Am schlimmsten hatte es ihren Kopf erwischt.
Nachdem die Blutung versorgt war, half Dr. Burger ihr, den zweiten Gurt anzulegen. Sie ließ es geschehen und schaute zweifelnd nach oben.
»Ich weiß net, dass ich das über mich bringe, Herr Doktor«, flüsterte sie in das Dröhnen der Rotoren hinein.
»Du musst dich net fürchten, Lucy. Ich helfe dir.«
»Nein, Sie verstehen net. Ich hab so Höhenangst. Vielleicht warte ich lieber hier, bis sich der Nebel verzieht.«
»Das kann noch Stunden dauern. Über Nacht wird es zudem recht kühl werden. Außerdem kann man bei Kopfverletzungen net vorsichtig genug sein. Du solltest heute Nacht unter ärztlicher Beobachtung bleiben.« Er bemerkte, wie sich ihre Augen weiteten. »Wir machen das zusammen. Eins, zwei, drei sind wir im Hubschrauber und in Sicherheit. Versprochen.«
Lucy schlang die Arme um sich selbst und sagte kein Wort.
»Soll ich dir vorher ein Medikament zur Beruhigung geben?«
»Nein, bis das wirkt, hab ich noch reichlich Zeit, um mir die Sache auszureden. Ich ... ich werd' einfach meine Augen schließen und an meine Vögel denken, die daheim auf mich warten.«
»Gut.« Er nickte ihr zu. »Wollen wir dann?«
Sie gab sich einen Ruck. »Ja, wir wollen.«
Er hakte sie beide ein, vergewisserte sich, dass sie beide gesichert waren, und signalisierte dem Piloten, dass sie bereit waren. Kurz darauf wurden sie langsam nach oben gezogen. Lucy stieß einen Schrei aus und kniff die Augen zusammen. Sie wurde ganz steif.
»Net nach unten schauen. Lass die Augen einfach zu und denk an deine Vögel.«
Dr. Burger sprach leise mit ihr, bis sie im Hubschrauber waren und sich die Tür hinter ihnen schloss. Vorsichtig öffnete sie zuerst ein Auge, dann das andere. Einen tiefen Atemzug ausstoßend, nahm sie den Kopfhörer entgegen und setzte ihn auf.
»Willkommen an Bord«, sagte der Pilot mit einem Lächeln in der Stimme. »Ich werde uns jetzt zurück ins Tal bringen. Genießen Sie den Flug. Der Tomatensaft ist leider aus, aber Kochsalzlösung könnte ich anbieten.«
»Danke, die probiere ich vielleicht ein anderes Mal«, erwiderte Lucy mit einem matten Lächeln. Sie war weiß wie eine Wand und ballte die Hände zu Fäusten, als der Hubschrauber einen Schwenk nach rechts machte und zurückflog. »Jesses«, murmelte sie, »wollen wir net doch lieber laufen?«
Martin Burger unterhielt sich mit ihr, während er sie untersuchte und sicherging, dass ihre Vitalwerte stabil waren.
Sie waren erst wenige Minuten geflogen, als über Funk ein Ruf für ihn hereinkam.
»Doktor Burger? Hier ist Ludwig Sirch«, meldete sich eine Stimme, dröhnend wie ein Alphorn. Sie gehörte dem Gendarm von St. Christoph.
»Servus, Ludwig. Was gibt's denn?«
»Können Sie auf dem schnellsten Weg nach Hause kommen?«
»Warum denn?« Ein unliebsames Gefühl beschlich ihn plötzlich. »Was ist passiert?«
***
»Ein schöner Wachhund bist du!« Die Bachhuber-Zenzi baute sich vor Poldi auf und stemmte die Hände in die Hüften. »Statt den Einbrecher zu vertreiben, hast du ihn glatt verschlafen. Wo gibt's denn so was?«
Ihre Worte veranlassten den kleinen Rauhaardackel zu einem freundlichen Wedeln.
Das wiederum brachte die Wirtschafterin zu einem Zungenschnalzen.
»Du sollst doch Laut geben, wenn jemand nachts ins Haus eindringt.«
Das Zamperl richtete sich auf und wedelte noch heftiger.
Zenzi machte eine Handbewegung, die wohl ausdrücken sollte, dass bei ihm Hopfen und Malz verloren war.
Martin Burger konnte seinen kleinen Hund nicht schelten. Er war nur froh, dass niemandem von seiner Familie etwas zugestoßen war.
Was hätte an diesem Abend nicht alles schiefgehen können!
Die Nachricht des Gendarms war ihm in alle Glieder gefahren: Jemand war in die Praxis eingebrochen!
Auf dem Heimweg hatte er schon von Weitem das zerbrochene Fenster entdeckt: im Anbau – dort, wo seine Praxis untergebracht war. Jemand hatte die Scheibe des Behandlungszimmers eingeschlagen und war in die Praxisräume eingebrochen. Weder die verschlossene Tür noch die zugezogenen Jalousien hatten den Eindringling abhalten können.
Drinnen wirkte auf den ersten Blick alles wie immer – wenn man einmal von den Scherben absah, die überall auf dem Boden verstreut waren. Beim näheren Hinschauen war ihm jedoch aufgefallen, dass der Medikamentenschrank aufgebrochen worden war. Ob etwas fehlte – und was genau das war –, musste erst eine Inventur zeigen.
Dr. Burger hatte Lucy in einem der Patientenzimmer untergebracht, ihre Verletzung versorgt und sie über Nacht bei sich aufgenommen. Sie hatte in kein Krankenhaus gewollt, aber er wollte sie auch nicht ohne ärztliche Beobachtung lassen.
Glücklicherweise verfügte seine »Mini-Klinik« über zwei medizinisch-ausgestattete Zimmer, die es ihm erlaubten, Patienten aufzunehmen und zu versorgen. Er würde mehrmals in der Nacht nach Lucy sehen, für den Fall, dass ihre Verletzung am Kopf unliebsame Folgen wie eine Blutung oder Hirnschwellung nach sich zog.
An Schlaf war nach den Schrecken dieses Abends ohnehin nicht mehr zu denken.
Nachdem Lucy versorgt war, hatte er nach seinen Kindern gesehen. Die drei hatten die Aufregung glatt verschlafen und schlummerten tief und fest.
Seine Frau war nicht so entspannt. Blass stand sie am Fuß der Treppe und zog eine Strickjacke fester um sich.
»Net zu glauben, dass ich nix gehört hab«, murmelte Sabine. »Ich war noch wach und hab gelesen. Ich hätte doch etwas bemerken müssen.«
»Net unbedingt, Liebes«, beruhigte er sie. »Wenn der Eindringling leise war, war der ärgste Lärm das Einschlagen der Scheibe – und das war drüben im Anbau.«
»Mei, Martin, was, wenn er rauf zu den Kindern gegangen wäre?« Sabine hob ihm ihr blasses Gesicht entgegen. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und in der übergroßen Strickjacke wirkte ihre zierliche Gestalt so verloren, dass er die Arme um sie schlang und sie liebevoll an sich zog.
»Alles ist gut«, raunte er. »Wir werden dafür sorgen, dass sich so etwas net wiederholt.«
»Wie können wir das? Wenn jemand so dreist ist, in ein bewohntes Haus einzudringen ...«
»Wir werden einen Weg finden. Am besten lassen wir uns vom Sirch-Ludwig beraten, was wir tun können.«
»Ich bin so erschrocken, als die Zenzi gerufen hat, dass jemand die Vorräte geplündert hat, Martin.«
»Ich weiß. Mir ist der Schreck auch in alle Glieder gefahren.« Er legte seiner Frau einen Arm um die Schultern und ging mit ihr zur Küche.