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Im idyllischen Bergdorf St. Christoph kämpfen die Bewohner mit den täglichen Herausforderungen des Lebens - doch die wahren Dramen spielen sich in den Herzen der Menschen ab.
Sebastian Trawöger, ein junger Tagelöhner aus einer bescheidenen Familie, träumt davon, eines Tages der Enge seines Dorfes zu entfliehen. Nur die Verantwortung gegenüber seiner Familie hält ihn zurück.
Als er auf dem Feuerwehrfest der wohlhabenden Bauerntochter Carina begegnet, verstrickt er sich in ein Netz aus Lügen, um ihr zu gefallen. Doch was als harmlose Täuschung beginnt, führt schon bald zu einer verbotenen Romanze und schließlich zu einer ungewollten Schwangerschaft, die für einen Skandal sorgt ...
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Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Eine unbedachte Lüge
Vorschau
Impressum
Eine unbedachte Lüge
Um ihr Herz zu gewinnen, tat er etwas Unverzeihliches
Von Andreas Kufsteiner
Im idyllischen Bergdorf St. Christoph kämpfen die Bewohner mit den täglichen Herausforderungen des Lebens – doch die wahren Dramen spielen sich in den Herzen der Menschen ab.
Sebastian Trawöger, ein junger Tagelöhner aus einer bescheidenen Familie, träumt davon, eines Tages der Enge seines Dorfes zu entfliehen. Nur die Verantwortung gegenüber seiner Familie hält ihn zurück.
Als er auf dem Feuerwehrfest der wohlhabenden Bauerntochter Carina begegnet, verstrickt er sich in ein Netz aus Lügen, um ihr zu gefallen. Doch was als harmlose Täuschung beginnt, führt schon bald zu einer verbotenen Romanze und schließlich zu einer ungewollten Schwangerschaft, die für einen Skandal sorgt ...
Im »Ochsen«, jenem bekannten Traditionsgasthof im Herzen von St. Christoph, war auch an diesem Freitag die Stube gut gefüllt. Hinter der Schank zapfte der Althöfer-Joschi mit geübten Bewegungen das Bier. Seine Anna werkelte in der Küche, von wo es ganz wunderbar nach Schnitzeln duftete. Und eine tschechische Servierkraft eilte mit den Tabletts voller Tellern und Maßkrügen hin und her.
Soeben hielt sie auf den Stammtisch im Eck zu. Dort, unter dem Hirschgeweih, pflegten üblicherweise die Großbauern aus St. Christoph und Umgebung zu hocken. Heute hatten es sich allerdings ein paar ihrer Söhne am Tisch bequem gemacht. Der Scharrer-Stefan, der Kramer-Julius und deren Spezln – Joschi kannte sie alle.
Ein Großbauernsohn sagte wohl etwas Anzügliches zu der Servierkraft, als diese sich beim Einsammeln der leeren Krüge weit über den Tisch beugte. Sie richtete sich empört auf und bedachte ihn mit einer scharfen Antwort.
Schmunzelnd griff Joschi zu einem Lappen und wischte ein wenig verschüttetes Bier von der Schank. Viele der Madeln, die auf Saison ins Zillertal kamen, hätten zu einem Gspusi mit einem der Hofsöhne nicht Nein gesagt. Oder auch zu mehr als einem Gspusi. In eine reiche Bauernfamilie einzuheiraten, wäre schließlich nicht das Schlechteste! Sein Madel aber hatte daheim in Budweis einen Verlobten. Und dem blieb es treu.
Kaum war sie mit dem Tablett zurück bei der Schank, tönte es aus der Küche: »Die Schnitzel sind fertig!«, und sie sauste davon.
Joschis Lächeln wurde versonnen, als er sich seine Anna am Herd ausmalte. Andere Männer mochten ein bestimmtes Parfüm mit ihrer Liebsten verbinden. Für ihn jedoch war es seit jeher der leichte Geruch nach Panier und Schmalz, der seiner Frau nachts beim Abschließen der Küche anhaftete. Freitags und samstags wurde es besonders spät. Und am Sonntag hieß es für gewöhnlich auch nicht faulenzen. Gleich nach der Kirche kamen schließlich die Mittagsgäste, und am Nachmittag wurde oben im Saal getanzt.
Nicht jedoch übermorgen! Da stand nämlich das Feuerwehrfest von St. Christoph auf dem Plan. Mit Würsteln und Grillhähnchen zu Mittag und danach Bier und Schnaps, Kaffee und Kuchen bis in die späten Abendstunden. Um einen Wettbewerb zu vermeiden, blieb der »Ochse« an diesem Tag geschlossen.
Was bedeutete: Der Wirt und die Wirtin durften endlich einmal ausschlafen und ihr Mittagsmahl still und harmonisch zu zweit genießen. Später würden sie dann natürlich auf einen Sprung zum Fest schauen, das gehörte sich so. Und wenn die Blaskapelle eine Polka spielte, dann würden sie das Tanzbein schwingen.
Joschis Gedanken wurden unterbrochen, als die Tür der Gaststube aufschwang. Heiße, schwüle Luft kam von draußen herein und brachte drei Tagelöhner mit sich. Alle frisch von der Baustelle mit dreckigen Stiefeln und staubigen Hosen. Der Hausleitner-Lukas trug ein weißes Unterhemd, das an der Brust und unter den Achseln vom Schweiß völlig durchnässt war. Hinter ihm knöpfte sich der Trawöger-Sebastian rasch das karierte Hemd über der nackten Brust zu.
Der Hausleitner-Mario, Lukas' älterer Bruder, stützte die entblößten Arme auf die Schank. Das Hemd hing als nasser Fetzen von seinem Gürtel. Im Gegensatz zu den beiden anderen hatte er auf jede Bedeckung seines Oberkörpers verzichtet.
»Eine Runde Bier für drei durstige Burschen«, verlangte er grinsend.
Der Althöfer-Joschi hob eine Braue. »Zieh dich erst einmal ordentlich an, sonst kriegst du gar nix«, entgegnete er streng. »Wir sind hier net beim Ballermann auf Mallorca.«
»Aber heiß genug dafür wär's, gell?«, warf Lukas ein. Er hieb seinem Bruder auf die Schulter, dass es klatschte.
Während Mario unwillig das Hemd aus seinem Gürtel zog und hineinschlüpfte, drängte sich der jüngere Hausleitner an ihm vorbei und streckte dreist die Hand nach einem Maßkrug voller frisch gezapftem Bier aus.
»Pfoten weg, du Lauser«, knurrte Joschi gutmütig.
Er kannte die Brüder, seit sie ihm bloß bis zum Knie gereicht hatten. Die Familie wohnte praktisch nebenan. Beide Eltern arbeiteten im Schichtbetrieb in einer Fabrik. Das hatte dazu geführt, dass die Buben ihre Kindheit zur Hälfte in Joschis Gaststube verbracht hatten.
Inzwischen waren aus ihnen tüchtige Burschen geworden, die den Wirt jeweils um einen halben Kopf überragten. Lausbuben blieben sie dennoch.
Das Serviermadel kam mit dem Tablett und nahm die vollen Krüge auf. Als es sich umdrehte, versuchte Lukas ihm in den drallen Hintern zu kneifen.
Blitzschnell umfasste der Trawöger-Sebastian sein Handgelenk und hielt ihn fest.
»Was soll das?« Erbost wandte sich Lukas an Sebastian. Das Madel war fort, schon auf halbem Weg zum Stammtisch. »Wetten, ihr hätt's gefallen?«
»Sie hat daheim einen Burschen«, entgegnete Sebastian.
Lukas schnaubte verächtlich. »Ja, mei, in Böhmen. Was der net weiß, tut ihm auch net weh!« Sein Blick suchte und fand das Madel, das sich nun über den Stammtisch beugte und Krüge verteilte. Joschi sah ihn die Hände bewegen, als juckte es ihn in den Fingern.
Er selbst zapfte drei Maß Bier und schlug diesmal Marios Arm weg, als dieser sogleich nach einer davon greifen wollte.
»Net so schnell, Bürscherl. Wer von euch bezahlt?«
»Der Trawöger«, erwiderten die Brüder wie aus einer Kehle.
Sebastian seufzte. Doch er kramte gottergeben in seiner Hosentasche, fischte ein paar Münzen und zu guter Letzt einen zerknitterten Zehn-Euro-Schein heraus.
Ein sonderbarer Geselle war der Trawöger-Sebastian. Joschi wurde aus ihm nicht schlau. Die Hausleitner-Brüder waren Tagelöhner, wie er sie kannte: Burschen aus einfachen Verhältnissen, die keine großen Erwartungen an das Leben hegten.
Mario war mit fünfzehn von der Schule abgegangen und betonte regelmäßig voller Stolz, dass er noch immer den Rekord für das schlechteste Abschlusszeugnis von St. Christoph hielt.
Lukas hatte als Schüler mehr Zeit in dem Kammerl fürs Nachsitzen als je im Klassenzimmer verbracht. Keiner der beiden wollte etwas aus sich machen. Tagsüber schuften, abends trinken und dazwischen ab und zu ein Gspusi mit einem willigen Madel – das genügte ihnen.
Sebastian war aus anderem Holz geschnitzt. Er war ein stiller Bursche. Nicht schüchtern, ahnte der Wirt – eher einer, der seine Gedanken für sich behielt, weil er zu dem Schluss gelangt war, dass keiner sie hören wollte.
Laut seinem Lehrer war er ein ausgezeichneter Schüler gewesen. Fast nur Einsen im Zeugnis. Und das, obwohl er neben den Hausaufgaben zumeist seine jüngeren Brüder hatte beaufsichtigen müssen. Oberlehrer Wirth missfiel noch heute, dass Sebastian keine Matura gemacht hatte.
Freilich brauchte man sich bei seiner Familie darüber nicht zu wundern. Die Mutter war Näherin, der Vater Tagelöhner. Dazu drei jüngere Brüder – aus so einem wurde selten ein Maturant oder gar Student.
Sebastian beklagte sich auch nie. Die Hausleitners betrachteten ihn als ihren Spezl. Das bewies für Joschi, dass der Bursche erstens tüchtig anpacken konnte und sich zweitens nicht zu schade für jegliche Drecksarbeit war.
Und dennoch, wer jeden Abend hinter der Schank stand, dem fiel manches auf. Zum Beispiel die sehnsüchtigen Blicke, die Sebastian den Großbauernsöhnen zuwarf, sobald er sich unbeobachtet wähnte.
»Wo wart ihr heut' im Einsatz?«, fragte Joschi die drei Tagelöhner, auch wenn ihre Stiefel und die staubigen Jeans es ihm bereits verrieten. »Beim Swimmingpool des Kramer-Bauern?«
Lukas nahm einen langen Zug von seinem Bier und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Ein Dreckloch ist diese Baustelle«, verkündete er.
Mario warf ein: »Wärst du halt nachher so wie wir in den Teich gesprungen.«
»Der Teich beim Kramer ist ein noch größeres Dreckloch. Schau ich denn wie Gelsenfutter aus?« Lukas unterbrach sich.
Die Tür der Stube ging nämlich erneut auf, und mit der schwülen Luft kamen diesmal zwei liebreizende Madeln herein. Die Bianca und – na, wie hieß noch mal die andere? Beides Saisonkräfte aus dem Berghotel »Am Sonnenhang«. Mit ihren blonden Haaren und den großen, blauen Augen hätte man sie für Zwillinge halten können.
Lukas starrte gebannt zur Tür. Der Maßkrug in seiner Hand sank langsam tiefer, ohne dass er es zu bemerken schien. Erst als er mit einem Knall auf der Schank aufsaß, riss das den Burschen aus seiner Verzückung.
Die Madeln waren gleich hinter der Tür stehen geblieben. Sie schauten sich um. Die Kleinere deutete auf einen freien Tisch, doch Bianca schüttelte den Kopf.
Lukas ließ seinen Krug los. Zu Joschis Belustigung kämmte er sich rasch mit den Fingern durchs Haar. Anschließend sah er an seinem verschwitzten Unterhemd herunter.
»Trawöger«, verlangte er und schnippte mit den Fingern, »gib mir dein Hemd.«
Sebastian schnaubte. »Und ich steh' oben ohne da, oder wie hast du dir das gedacht?«
»Du willst eh nix von den Madeln«, wies ihn Lukas zurecht. »Braver als du könnt' kein Mönch sein. Du träumst alleweil noch von der Carina, gell?«
Sebastian setzte zu einer Erwiderung an. Mario verpasste ihm einen Stoß mit dem Ellbogen.
»Jetzt sei kein fader Zipf«, befahl er. »Wenn du ihm net dein Hemd geben willst, geh wenigstens hin und lad sie auf ein Glaserl Sekt ein. Oder Wein. Was solche Madeln halt trinken.«
»Den Sekt bezahlst aber du«, schoss Sebastian zurück.
»Freilich.« Grinsend wandte sich Mario an seinen Bruder. »Was meinst du – wir teilen uns die Rechnung und die Madeln? Ich lass' dir sogar die erste Wahl. Welche willst du?«
»Die Kleinere«, erwiderte Lukas sofort. »Sie ist zwar ein bisserl schüchterner als die Bianca, aber an ihr ist mehr dran.« Um seine Worte zu unterstreichen, klopfte er sich auf den eigenen Hintern.
Kopfschüttelnd blickte Sebastian von einem zum anderen. Einen Moment lang dachte Joschi, er würde sich weigern. Dann seufzte der Bursche, setzte seinen noch fast vollen Maßkrug ab und schlenderte zur Tür.
Wer so viel Zeit in der Gaststube verbrachte wie Joschi, war um jede unterhaltsame Begebenheit froh. Also ließ er die Hausleitners stehen und begab sich ans Ende der Schank. Die Kaffeemaschine dort musste ohnehin wieder einmal entkalkt werden. Er stellte sich mit dem Rücken zu Sebastian und den Madeln und spitzte zugleich die Ohren.
Leider übertönte das Surren der Maschine Sebastians Stimme. Nur ein paar Satzfetzen waren zu hören: »... meine Spezln da drüben ... einladen ... ein Glaserl Sekt ...«
Bianca lachte glockenhell auf.
»Ach, du bist ja herzig«, hörte Joschi sie flöten. Er lehnte sich seitwärts. Im Spiegel über der Bar sah er, wie sie sich näher zu Sebastian beugte. »Ihr drei seid die jungen Tagelöhner, stimmt's? Wir haben von euch gehört.«
»Der Julius sagt ...«, mischte sich die Kleinere ein.
Bianca fiel ihr ins Wort: »Ich wollt' dich schon länger was fragen.« Sie lächelte zuckersüß und wies auf Sebastians Arbeitsstiefel. »Wo findet man denn bitte solche Schuhe? Und gibt's die auch in sauber zu kaufen?«
Sebastians Miene verdüsterte sich. Abrupt drehte er sich um. Die beiden Madeln kicherten hinter ihm her.
Vom Stammtisch rief ihnen der blonde Kramer-Julius zu: »Sucht ihr zwei ein Platzerl? Setzt euch doch zu uns!« Bianca ergriff die Hand ihrer Freundin und zog sie mit zu den Großbauernsöhnen.
Joschi kehrte seiner Kaffeemaschine den Rücken zu und überblickte die Lage. Der junge Trawöger stand reglos vor der Schank, hinter sich die beiden Madeln und die Großbauernsöhne, ein paar Meter neben sich seine beiden Spezln.
Joschi sah, wie sich sein Brustkorb in erregtem Atem senkte und hob. Ohne ein Wort marschierte Sebastian aus der Stube. Die Tür fiel knallend hinter ihm zu.
***
Auch noch am Samstag hielt die Gluthitze das Zillertal in ihrem Bann. Zweiunddreißig Grad und mehr hatte der Wetterbericht gemeldet. Schon am Weg zur Baustelle am Kramer-Hof hatte Lukas gestöhnt: »Ich komm' mir vor wie ein Backhenderl im Ofen.«
Sie waren die Einzigen, die heute unter der Sonne schufteten. Wahrscheinlich, dachte Sebastian düster, kühlte sich halb St. Christoph gerade im Kuckuckssee ab. Und die andere Hälfte schlief vorsichtshalber lange aus, denn morgen Abend stand das Feuerwehrfest am Programm.
Aber was nützte es, zu klagen? Ein Tageslohn war ein Tageslohn. Für den Samstag zahlte ihnen der Kramer außerdem die Zuschläge unter der Hand aus, sodass mehr übrig blieb.
Er rieb sich den Rücken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Teifi, wozu brauchte ein Bauer einen Swimmingpool? Noch dazu einen so großen? Gewiss, der Kramer vermietete auch Fremdenzimmer. Die Gäste aus der Stadt mochten solche Annehmlichkeiten erwarten.
Doch in der Mittagshitze ähnelte die Baugrube tatsächlich einem Backofen. Gestern hatten sie nach dem Aushub den Boden mit Holz verschalt und mit Folie abgedeckt. Nun ging es ans Betonieren. Lukas stand an der Mischmaschine – oben im Schatten eines knorrigen Birnbaums, der Glückliche. Mario beförderte den Beton über eine Bretterrutsche ins Becken, und Sebastian verteilte ihn mit der Schaufel.
Keiner von ihnen trug mehr als kurze Jeans, Arbeitsschuhe und eine Schirmkappe, um das Gesicht vor der sengenden Hitze zu schützen. Gerade schlüpfte Mario auch noch aus den Jeans. Breitbeinig stand er in nichts als Schuhen, Kappe und seiner Unterhose da.
»Sieht ja keiner«, rechtfertigte er sich. »Und wenn doch, sag' ich einfach, es wär' eine Badehose.«
»Soll heißen: Du hoffst, die Kramer-Lara springt nachher mit dir in den Teich«, witzelte Lukas.
»Da tät' ich net Nein sagen«, stimmte Mario zu. Er grinste zu Sebastian herunter. »Oder wenn mich die Hemmeler-Carina fragt, ob ich ...«
Sebastian warf eine unreife Birne nach ihm, die in die Baugrube gefallen war. Er traf Mario an der Schulter – doch im nächsten Moment prasselten die Birnen von zwei Seiten auf ihn ein.
Ein gut gezielter Wurf von Lukas knallte ihm in den Rücken. Mit einem Schmerzenslaut bückte sich Sebastian nach der Birne. Die war reifer als die anderen und von dem Aufprall ziemlich zermatscht. Als er ihre Überreste aus dem Betonstahlgitter klauben wollte, schnitt er sich zu allem Überfluss noch die Finger auf.
Ein paar Herzschläge lang betrachtete er seine rot verschmierte Hand. Kräftige Finger voller Schwielen. Dreck, Beton und Rost von dem Stahlgitter klebten daran. Finger wie die eines Bauernburschen.
Oder doch nicht? Ein Großbauernsohn, wie ihn sich die Hemmeler-Carina wünschte, machte sich wohl kaum selbst die Hände schmutzig. Dafür hatte er schließlich Knechte. Und Tagelöhner. So einer konnte seine Zeit im Swimmingpool oder am Kuckuckssee verbringen. Oder am Stammtisch beim Ochsenwirt mit einem Madel auf dem Schoß.
Sebastian richtete sich auf. Er marschierte über das Stahlgitter, umfasste die Leiter und kletterte aus der Grube. Seine Finger hinterließen blutige Abdrücke am Edelstahl.
»He, Trawöger!«, schrie ihm Mario nach. »Wo willst du hin?«
»Ich mach' Pause«, warf ihm Sebastian über die Schulter entgegen, ohne sich umzudrehen.
Er stapfte über die Wiese, durchs hohe Gras dahinter, bis zu dem sumpfigen Weiher, in dem der Kramer seinen Tagelöhnern großzügig die Abkühlung gestattete. Die Mücken schwirrten um ihn herum. Sebastian erschlug eine, die dreist genug war, sich auf seinem Arm niederzulassen. Er starrte in das brackige Wasser.
Ein Drecksloch, dachte er. Gut genug für unsereins.
Hinter sich hörte er Stimmen. Sie verklangen. Es dauerte nicht lange, bis sich Schritte näherten. Höchstwahrscheinlich war es Lukas, mutmaßte Sebastian. Ein lautes Klatschen und ein gemurmelter Fluch bestätigten seinen Verdacht.
Lukas' Schuhe verursachten schmatzende Geräusche, als er neben Sebastian trat.
»Kreuz Sakra!«, fluchte er wieder. »So schlimm wie heuer war's mit den Mücken noch nie. Die muss der Teufel ausgebrütet haben.«
Sebastian schwieg. Insgeheim gab er Lukas jedoch recht. Das Surren der Stechmücken schien ihn zu verhöhnen.
»Tagelöhner«, sangen sie. »Alleweil nur ein Tagelöhner, nie was Besseres.«
Erneut brach Lukas das Schweigen: »Zeig mal deine Hand her!«
Als Sebastian nicht gehorchte, bekam er dessen Gelenk zu fassen.
»Jesses«, entfuhr es ihm. »Von dem Gitter?«