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Nein, so hat sich Hanna diesen Sommer nicht vorgestellt. Anstatt mit ihrem Freund zwei Wochen durch Südengland zu wandern, sitzt sie allein daheim in München - ohne Geld und mit einem Haufen Mietschulden.
Verzweifelt blättert sie in der Zeitung und stößt auf eine Anzeige: "Gesucht: Aushilfe auf einem Bauernhof. Schon immer davon geträumt, um 4 Uhr morgens aufzustehen und Ställe auszumisten? Dann könnte das dein Traumjob sein! Aber seien wir ehrlich: Unser Hof liegt sehr abgelegen in den Bergen. Das nächste Dorf ist so weit weg, dass selbst die Kühe ab und zu das Navi fragen. Wir stehen früh auf. Sehr früh. Du wirst die Sonne jeden Tag aufgehen sehen - ob du willst oder nicht ..."
O nein, so verzweifelt ist sie nun auch wieder nicht! Hanna will schon weitersuchen, als ihr plötzlich einfällt, wie ihr Großvater früher vom Zillertal geschwärmt hat. In den Bergen kann man glücklich sein, hat er gesagt. Und ein bisschen Glück könnte sie gerade so dringend brauchen ...
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Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Die Glückssucherin
Vorschau
Impressum
Die Glückssucherin
Sie wollte kein Mitleid und überraschte alle
Von Andreas Kufsteiner
Nein, so hat sich Hanna diesen Sommer ganz sicher nicht vorgestellt. Statt mit ihrem Freund zwei Wochen durch die malerische Landschaft Südenglands zu wandern, sitzt sie allein in ihrer Münchner Wohnung – ohne Geld und mit einem Berg an Mietschulden.
In ihrer Verzweiflung blättert sie lustlos durch die Zeitung, bis eine Anzeige ihre Aufmerksamkeit fesselt: »Dringend gesucht: Aushilfe auf unserem Bergbauernhof. Schon immer davon geträumt, mit dem ersten Hahnenschrei aufzustehen? Dann könnte das dein Traumjob sein! Aber sei dir im Klaren: Unser Berghof liegt so abgelegen, dass selbst die Kühe ab und zu das Navi fragen.«
Hanna lacht trocken auf. So verzweifelt ist sie nun auch wieder nicht! Sie will gerade weiterblättern, als ihr plötzlich ein Zitat ihres Großvaters einfällt: »Im Zillertal, inmitten der Berge, da kann man glücklich sein.«
Und genau das – ein kleines Stückchen Glück – könnte sie jetzt so dringend gebrauchen!
»Ich vermisse ihn auch, Pirat.« Tränen brannten in Hannas Augen. Sie blinzelte hastig, um sie zurückzuhalten ... zu spät. Die salzige Flut bahnte sich einen Weg über ihre Wangen und tropfte von ihrem Kinn, als wäre ein Damm gebrochen.
Schon wieder!
In den Tagen nach dem furchtbaren Anruf aus dem Krankenhaus war sie innerlich wie betäubt gewesen. Sie hatte nur ... funktioniert und all die Wege zum Bestatter, dem Pfarramt und viele weitere irgendwie hinter sich gebracht. Doch am Abend vor der Beerdigung – als es plötzlich nichts mehr für sie zu tun gab – war die Trauer über sie hereingebrochen wie ein Wirbelsturm. Hanna hatte die ganze Nacht geweint.
Seitdem kam das Vermissen in Wellen, die sie nicht kontrollieren konnte. Sie war ihren Gefühlen ausgeliefert und kämpfte jeden Tag darum, das Vermissen zu ertragen. Vier Wochen war ihr Großvater inzwischen nicht mehr bei ihr, und die Lücke in ihrem Herzen schien mit jedem Tag, jeder Stunde größer zu werden.
Es half ein wenig, mit Pirat über ihn zu sprechen, auch wenn die Unterhaltung mit dem kleinen Hund überaus einseitig war.
Gerade jetzt hatte er sich neben dem Grabhügel niedergelegt und winselte leise. Ihr Großvater hatte ihn als Welpe aus dem Tierheim geholt. Seinen Namen verdankte er nicht nur seiner Fellzeichnung – es war weiß mit einem schwarzen Fleck um das rechte Auge, sodass es aussah, als würde er eine Augenklappe tragen –, sondern auch dem Umstand, dass er anfangs nach allem und jedem geschnappt und niemandem vertraut hatte. Mit unendlicher Geduld hatte ihr Großvater sein Vertrauen erworben. Und Pirat hatte es ihm mit Treue und Anhänglichkeit gedankt.
Hanna kauerte sich hin und ordnete die frischen gelben Rosen in der Grabvase. Ihre Finger zitterten ein wenig, als sie die Schleife an dem Blumenkranz glattstrich. Der war nicht mehr ganz so frisch, aber sie brachte es noch nicht übers Herz, ihn fortzuwerfen.
Die Schleife hatte sie selbst bestickt. Auf einem Band stand: In lieber Erinnerung, Deine Hanna und auf dem anderen war ein Hundekopf aufgestickt und daneben stand: Meinem liebsten Menschen, Pirat
Es hatte Hanna einige verwunderte Blicke eingebracht, dass sie Pirat auf dem Kranz verewigt hatte, aber für ihren Großvater war sein Hund ein Teil der Familie gewesen. Sie wusste, es hätte ihm gefallen. Beim Sticken hatte sie sich vorgestellt, wie er gelächelt und sich gefreut hätte, dass sie seinen Hund einbezog.
»Du fehlst uns, Großvaterl«, flüsterte sie und legte eine Hand auf das schlichte Holzkreuz, welches das Grab vorerst markierte, bis sie einen Stein in Auftrag geben konnte. Sie hatte eine Fotografie daran angebracht. Es zeigte ihren Großvater als jungen Mann, wie er lachend und mit hochgereckten Armen auf dem Gipfel des Ahorns stand. Mitten im Schneetreiben!
Dreißig Jahre war es her, dass er den Gipfel bezwungen hatte. Damals war Hanna noch nicht auf der Welt gewesen, aber er hatte ihr oft erzählt, wie er sich die letzten Höhenmeter durch Schnee und Kälte gekämpft hatte und kurz vor dem Aufgeben gewesen war. Doch er hatte durchgehalten.
Und das würde sie auch tun.
Irgendwie würde sie diese Zeit überstehen und weitermachen, auch wenn sie manchmal nicht wusste, wie ihr das gelingen sollte.
Ihr Großvater war Lehrer gewesen. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte er Hanna bei sich aufgenommen. Damals war sie erst vier gewesen, und gewiss wären ihr kaum Erinnerungen an ihre Eltern geblieben, wenn er sie nicht mit Erzählungen und Fotografien lebendig gehalten hätte.
Er hatte alles getan, um ihr eine schöne Kindheit zu bereiten. Ihr Großvater war alles für sie gewesen. Bis zu jenem verhängnisvollen Julitag, als er mitten im Unterricht einfach umgefallen war. Der eilig herbeigerufene Notarzt hatte ihm nicht mehr helfen können.
Ein Aneurysma in seinem Kopf war geplatzt.
Niemand hatte etwas von der tickenden Zeitbombe in seinem Schädel geahnt.
Ihr einziger Trost war, dass es schnell gegangen war. Er hatte nicht gelitten.
Doch er hatte so früh gehen müssen. Viel zu früh.
Ein kleiner Grünfink hüpfte von einer der Kiefern, welche den Kirchhof säumten, auf den Weg zwischen den Gräbern. Er hüpfte näher und sah Hanna mit schräg gelegtem Kopf an.
»Du hast wohl Hunger, was, Kleiner?« Hanna kramte in ihrer Tasche, fand einen Keks und wickelte ihn aus.
Pirat hob interessiert den Kopf und schnupperte, als sie einen Brocken abbrach und dem kleinen Vogel hinwarf. Sie hatte auch immer ein Leckerchen für ihn dabei, also griff sie nun in ihre Tasche und warf ihm eines hin.
Er fing es im Flug und zermalmte es hörbar mit den Zähnen.
Hanna wandte sich wieder dem Grab zu.
»Ich wünschte, du wärst noch hier und ich könnte mir deinen Rat einholen«, sagte sie leise. »Luca und ich haben Schluss gemacht. Es ... es hat sich rausgestellt, dass du ganz recht damit hattest, ihm nicht zu trauen. Ich glaube, er könnte das Wort Treue nicht einmal dann buchstabieren, wenn es in leuchtenden Lettern auf seinen Handrücken tätowiert wäre. Ich weiß nicht, was jetzt werden soll. Es ist unerträglich, weiter mit ihm im selben Hotel zu arbeiten.« Sie seufzte leise und streichelte gedankenverloren das weiche Fell des kleinen Hundes.
Die Sonne stand schon tief im Westen, und obwohl sich der Sommer allmählich dem Herbst zuneigte, hatte sie noch genug Kraft, um die Luft aufzuheizen.
Hanna blieb an dem Grab, bis sich ein leises Ziehen in ihrem Rücken meldete. Sie richtete sich auf und hob die Hundeleine auf.
»Na komm, Kleiner, lass uns nach Hause gehen.« Sie warf noch einen letzten Blick auf das Grab und flüsterte einen leisen Abschied, ehe sie den Friedhof verließ.
Hinter dem schmiedeeisernen Tor schien das Rauschen der Stadt lauter zu sein. Als würde die Betriebsamkeit hier Halt machen.
Hanna wohnte nur wenige Minuten Fußweg entfernt. Eine kleine Dachgeschosswohnung am Rand von Innsbruck war es. Vor den Fenstern breitete sich eine wunderschöne Aussicht auf den Fluss und die Berge aus.
Als Hanna in die kleine Straße einbog, sah sie gerade noch, wie ihr früherer Freund einen Karton in einen Lieferwagen wuchtete, die Tür zuschlug und dann eilig einstieg und davonbrauste.
Eine ungute Ahnung stieg in ihr auf ...
Sie beschleunigte ihre Schritte, stieg die vier Stockwerke zu ihrer Wohnung hinauf und schloss auf. Als die Tür vor ihr aufschwang, trat sie ein, wandte sich dem Wohnzimmer um – und stockte jäh.
Der Fernseher war weg. Ebenso wie der Ständer mit ihrer Plattensammlung. Und der Teppich mit dem Mandala-Muster, den ihre Freundin Nele ihr von ihrer Indienreise mitgebracht hatte und den sie heiß und innig liebte.
Hanna wirbelte herum und schaute in die Küche.
Die schien noch vollständig zu sein.
Doch nebenan, im Schlafzimmer, fehlte ihr Heimtrainer. Auch der kleine Tablet-PC, auf dem sie beim Radeln gern ihre Lieblingsserie ansah, war verschwunden.
Das also hatte Luca gemeint, als er angekündigt hatte, »seine restlichen Sachen holen zu wollen«.
Er hatte ihre Wohnung geplündert.
Das meiste, das fehlte, hatte ihr gehört – lange bevor sie mit ihm zusammengekommen war.
Ein bitterer Geschmack breitete sich in Hannas Mund aus.
Pirat schien zu spüren, was in ihr vorging, denn er schmiegte sich an sie und fiepte.
»Wenigstens hat er dein Hundebettchen da gelassen, was?«, brachte sie leise hervor, doch ihre Kehle war eng dabei.
Pirat wedelte lebhaft.
Hanna sank auf die Bettkante nieder und stützte den Kopf in ihre Hände. Ihre Augen brannten, ihr Herz raste schmerzhaft, und in ihrem Kopf, ach, da ging es drunter und drüber.
Und da hatte sie geglaubt, es könnte nicht noch schlimmer kommen ...
Ein leises Knirschen riss sie aus ihren Gedanken. Als sie aufsah, kaute Pirat gerade andächtig auf dem Deckel eines Kartons herum. Der stand neben ihrem Bett und enthielt einige der Bücher, die sie von ihrem Großvater geerbt hatte.
Die Bücherkartons waren zu ihrer Erleichterung noch vorhanden. Die waren für ihren früheren Freund wohl nicht von Interesse gewesen. Hannas Blick fokussierte sich auf den Bildband, der zuoberst lag: Unser schönes Zillertal. Der zerfledderte Rücken verriet, wie oft ihr Großvater darin geblättert hatte. Er hatte die Berge geliebt – und das Zillertal ganz besonders.
Sie nahm den Bildband zur Hand und schaute nachdenklich darauf nieder.
War es ein Zeichen, dass gerade dieses Buch ganz oben lag?
Ein Wegweiser vielleicht?
Ein Ortswechsel wirkte immer verlockender. Es war lange her, seit sie zuletzt mit ihrem Großvater im Zillertal gewesen war. Warum nicht dorthin zurückkehren?
Es konnte nur besser werden ...
***
»Schlimmer geht immer«, kommentierte Victor trocken, als vernehmliches Rumpeln von der Treppe drang. Gefolgt von einem nicht minder geräuschvollen Schimpfen, das an niemand Bestimmten gerichtet zu sein schien.
Max Reindl stand am Arbeitstisch seiner Bauernküche und schnitt Gemüse für eine Pfanne zum Abendessen. Vor dem Fenster neigte sich die Sonne den Zillertaler Bergen zu. Er hielt unvermittelt inne und hob lauschend den Kopf. »Ist das etwa ...«
»Julie«, bestätigte sein Bruder nickend. Victor saß am Küchentisch bei einem Haferl Kaffee und der Post, die an diesem Tag eingetroffen war. »Sie verlässt uns.«
»Was?!« Entgeistert legte Max sein Messer zur Seite. »Warum denn?«
»Ich bin net sicher, ob es daran lag, dass die Hühner ihre teuren Schuhe ruiniert haben, oder doch eher daran, dass unser Bulle sie hinterrücks in den Misthaufen gestoßen hat. Jedenfalls hat sie mir vorhin verkündet, dass sie genug von unserem ›schrecklichen Bauernhof‹ hat und zurück in die Stadt will.«
»Und du hast net versucht, sie aufzuhalten?«
»Versucht man, eine Lawine aufzuhalten?« Sein Bruder zog die Brauen hoch. »Das wäre vergebene Liebesmüh gewesen. Diesmal meint sie es wirklich ernst.«
»Himmel noch mal.« Max stieß einen gedämpften Fluch aus, dann wirbelte er herum und eilte aus der Küche. »Julie, so warte doch. Wir können doch darüber reden ...« Er sah gerade noch einen roten Rockzipfel durch die Haustür verschwinden, dann knallte sie zu, dass etwas Putz von der Wand rieselte.
Er öffnete sie gerade, als seine Magd in ein wartendes Taxi stieg.
»Julie ...«
Ein bitteres Lachen antwortete ihm. Dann schlug sie die Autotür zu und sprach hastig auf den Fahrer ein, der sofort Gas gab und wenig später auf und davon war.
Max ließ die Schultern sinken. »Weg ist sie«, murmelte er niedergeschlagen und kehrte in die Küche zurück. »Das war unsere dritte Magd in nur zwei Monaten.«
»Ein neuer Rekord, würde ich sagen«, ergänzte sein Bruder, nicht im Mindesten beunruhigt, wie es schien. »Ein ganz schöner Verschleiß.«
»Wie kannst du so entspannt bleiben, wenn uns die Arbeit um die Ohren zu fliegen droht? Ohne ein zusätzliches Paar Hände auf dem Hof sind wir aufgeschmissen. Das weißt du genauso gut wie ich.«
»Richtig. Und ich hab auch schon eine Lösung für unser Problem.«
»Und welche?«
»Setz dich erst mal zu mir und trink etwas.« Victor hatte ein weiteres Haferl mit Kaffee gefüllt und schob es ihm hin.
Max nahm es und nippte daran, dann stellte er es zurück auf den Tisch. Er hatte im Moment wirklich nicht die nötige Ruhe, um entspannt Kaffee zu trinken.
Ohne eine Magd sah es düster für den Hof aus.
»Trink«, mahnte sein Bruder.
»Seh' ich aus, als wär' ich net angespannt genug?« Max raufte sich die Haare.
»Im Augenblick? Nein.« Ein Grinsen schlich sich auf Victors Gesicht. »Julie ist weg, das stimmt, aber ein großer Verlust ist sie net. Es ist ja net gerade so, als hätte sie sich hier totgearbeitet, oder?«
Da war etwas dran, das musste Max zugeben. Julie hatte sich gern und oft hinter dem Hof gesonnt und an ihrer Bräune gearbeitet, wenn sie eigentlich im Stall zu tun gehabt hätte.
»Trotzdem war sie uns eine Hilfe«, brummte er.
»Ach, komm schon. Sie war net scharf darauf, hier als Magd zu schuften. Was sie wirklich wollte, war die Rolle der Bäuerin an deiner Seite.«
»Die ist net zu vergeben«, wehrte er an.
»Das hat sie bestimmt net abgeschreckt. Ich meine: Nix reizt Frauen mehr als die Herausforderung, aus einem einsamen Hagestolz einen mehr oder minder glücklich verheirateten Mann zu machen. Oder net?« Victor legte den Kopf schief und sah seinen Bruder fragend an.
Max brummte etwas, das er nicht einmal selber verstand.
Der Hof war seit über zweihundert Jahren im Besitz der Familie. Das Bauernhaus war im Lauf der Zeit immer wieder renoviert, aus- und umgebaut worden. Hier waren seine Wurzeln, und die würde er nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
Der Reindl-Hof schmiegte sich an den Fuß des Hexensteins, eines Berges im Herzen des Zillertals. Nicht nur einer, sondern gleich zwei schrundige Gipfel erhoben sich über einem dichten Kiefernwald, der sich um seinen Fuß schmiegte. Der Hof lag hoch genug, dass sich der Wald bereits lichtete und niedrigere Latschen und Almrosen auf dem Hang wuchsen.
Eine steile Serpentinenstraße führte von St. Christoph hier herauf. Im Winter war der Hof häufig vom Dorf abgeschnitten, wenn kräftige Schneefälle die Straße unpassierbar machten und der Winterdienst nicht mit dem Räumen nachkam.
Bis vor acht Jahren hatten die Eltern den Hof bewirtschaftet. Nach ihrem Tod hatte Max das Gehöft geerbt, und Victor, sein Bruder, half ihm dabei, alles am Laufen zu halten. Sie waren tagein, tagaus vor dem ersten Hahnenschrei auf den Beinen. Und trotzdem reichte die Zeit oft nicht, um alle Arbeiten zu bewältigen, bis die Dunkelheit anbrach ...
Max ließ den Blick aus dem Fenster schweifen. Die Berge schienen hier heroben zum Greifen nah zu sein – und sie waren so idyllisch, dass sich sein Herz schmerzhaft zusammenzog.
Wunderschön war es hier heroben – wunderschön und einsam. Weit und breit gab es nichts als Berge und grüne Hänge ...
Im Lauf der letzten Jahre hatten Victor und er zahlreiche Aushilfen beschäftigt, aber niemand hatte es länger als ein paar Monate ausgehalten, dann war die Arbeit zu hart und der Hof zu abgelegen gewesen.
Auf einem so alten Gehöft gab es vieles, das renoviert und modernisiert werden musste. Die Installationen der Melkanlage, die Heizung, die Elektrik im Haus und im Stall ... Max hätte die Liste endlos fortsetzen können. Victor und er taten, was sie konnten. Sie arbeiteten beide neben dem Hof noch nebenher, um das Geld für die nötigen Reparaturen zu verdienen. Doch ohne Hilfe war das beinahe unmöglich.
»Obacht, das Gesicht könnte dir so finster bleiben«, mahnte sein Bruder.
»Wie soll ich anders schauen, wenn wir wieder ohne Hilfe dastehen?«
»Mach dir keine Sorgen deswegen. Ich hab schon einen Plan.«
»Wirklich? Und was für ein Plan ist das?« Max vergaß seinen Groll kurzzeitig und sah seinen Bruder interessiert an.
»Ich hab mir überlegt: Warum haben uns Julie und ihre Vorgänger verlassen? Weil sie net wussten, was hier auf sie warten würde. Und darum hab ich ein Inserat aufgegeben, in dem ehrlich steht, was wir bieten und erwarten.«
»Was meinst du damit?« Ein gewisser Argwohn stieg in Max auf.