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Was habe ich nur getan? Mit rasendem Herzen starrt Carina auf das tief verschneite Dorf hinab - einst ihr Zuhause, nun ein Ort, der von Schuld und Schmerz durchdrungen ist.
Fünf endlose Jahre sind vergangen, seit sie St. Christoph überstürzt verlassen musste, nachdem sie den Unfall verursacht hatte, der das Leben ihrer Schwester unwiderruflich zerstörte - und Carina selbst zur Geächteten machte.
Nun ist sie zurück, auf Drängen von Dr. Burger. Doch das Dorf hat sie nicht vergessen. Ihr Vater schweigt, die Blicke der Dorfbewohner brennen, und Kati, ihre Schwester, hat ihr nie vergeben ...
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Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Da war nur einer, der sie liebte ...
Vorschau
Impressum
Da war nur einer, der sie liebte ...
Von Rückschlägen und Neuanfängen – ein wunderbarer Mutmach-Roman
Von Andreas Kufsteiner
Was habe ich nur getan? Mit rasendem Herzen starrt Carina auf das tief verschneite Bergdorf hinab – einst ihr Zuhause, nun ein Ort, der von Schuld und Schmerz durchdrungen ist.
Fünf endlose Jahre sind vergangen, seit sie St. Christoph überstürzt verlassen musste, nachdem sie den Unfall verursacht hatte, der das Leben ihrer Schwester unwiderruflich zerstörte – und Carina selbst zur Geächteten machte.
Nun ist sie zurück, auf Drängen von Dr. Burger. Doch das Dorf hat nichts vergessen. Ihr Vater schweigt, die anklagenden Blicke der Dorfbewohner brennen, und Kati, ihre Schwester, hat ihr nie vergeben ...
»Auf unseren Simon.« Mit einem breiten Lächeln hob Ronald sein Glühweinglas. »Wir sind wirklich froh, dich in unserer Runde zu wissen. Alles Gute zum Geburtstag!«
»Happy birthday! Alles Gute!«, echoten Carina und Kati wie aus einem Mund.
Simons braune Augen funkelten erfreut. »Ich dank' euch, Leute.«
Der Gastraum der Berghütte füllte sich mit dem leisen Klirren der Gläser, als sie miteinander anstießen. Vor dem Fenster wirbelten Schneeflocken vorüber und ließen die verschneite Berglandschaft draußen nur noch erahnen. Alles war in dichtes Weiß getaucht. Ein bitterkalter Wind rüttelte an den Fensterläden, doch hier drinnen verbreitete ein Kachelofen in der Ecke behagliche Wärme und hielt die Kälte fern.
An der Wand dem Fenster gegenüber war eine gerahmte Fotografie von der Hütte festgemacht: »Bärenbadhütte« war sorgfältig von Hand darunter vermerkt worden.
Der Wirt hatte den Tisch für ihre Feier mit hübschen Platzdecken, Kerzen und deftigen Speisen gedeckt. Von der Brotzeit und den Eisenpfannen mit Tiroler Gröstl waren nur noch Krümel übrig. Auch der Apfelstrudel war längst aufgegessen. Nun widmeten sie sich entspannt ihrem dampfenden Glühwein.
»Zweiundzwanzig, hm?« Ronald stützte die Ellenbogen auf den grob gezimmerten Holztisch und musterte sein Gegenüber nachdenklich. »Du wirst langsam alt, mein Freund. Die Midlife-Crisis rückt immer näher.«
»So redest du nur, weil du Angst hast, dass ich dir alle hübschen Skihaserln wegschnappe«, versetzte Simon gutmütig.
»Geh«, warf Kati ein, »wenn man deine akrobatischen Übungen beim letzten Mal auf der Piste bedenkt, würde ich sagen, Ronald hat da nichts zu befürchten.«
»Ja, das stimmt«, neckte Carina. »Ich hab noch nie jemanden gesehen, der es schafft, in den Schnee zu fallen, bevor der Lift überhaupt losfährt.«
Simon grinste. »Ihr seid ja alle nur neidisch, weil ich eine ganz besondere Technik habe.«
»Lass mich raten«, gab Ronald zurück. »Man nennt sie Schneeklatscher ... Jessas, bloß net kitzeln.« Lachend wich er zur Seite aus und prustete: »Na schön. Ich geb' auf und versichere feierlich, dass du der reinste Künstler auf den Brettln bist.«
»Endlich siehst du es ein.« Simon nickte zufrieden. Das leichte Zittern seiner Mundwinkel zeigte, wie viel Spaß ihm das Geplänkel machte.
Carina lehnte sich auf ihrem Platz zurück. Ach, wie wunderbar es war, ein paar ausgelassene Stunden mit ihrer Schwester und ihren Freunden zu verbringen! Darüber konnte sie beinahe vergessen, wie deprimierend die vergangenen Monate gewesen waren. Sie vier waren im selben Dorf aufgewachsen und kannten sich von klein auf. Was hatten sie nicht schon alles zusammen durchgemacht! Die gemeinsamen Erlebnisse hatten sie zusammengeschweißt – trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere. Oder vielleicht gerade deswegen?
Simon saß am Kopfende des Tisches. Er arbeitete auf dem Bauernhof seiner Familie, auch wenn er ihn als der jüngere Sohn nicht übernehmen würde. Er war oft ernst und nachdenklich. Seine dunkle Haare waren kurz geschnitten, und seine sportliche Statur verriet, dass er sich gern und oft bewegte.
Rechts von ihm saßen Carina und ihre jüngere Schwester Kati. Kati war mittelgroß und drahtig – ein Wirbelwind. Sie trug ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und war am glücklichsten, wenn sie auf ihren Skiern die Pisten hinunterbrettern konnte. Wenn sie nicht gerade für ihre Abfahrten trainierte, half sie ebenso wie Carina auf dem Bauernhof ihres Vaters mit.
Ihnen gegenüber fläzte Ronald auf der Eckbank. Der charismatische Skilehrer hatte sich lässig zurückgelehnt und schaute mit einem verschmitzten Lächeln in die Runde. Seine blonden, leicht gewellten Haare waren ein wenig länger, als die Mode es verschrieb. Unter seinem Norwegerpullover zeichneten sich kräftige Muskeln ab.
Carina fing ein Lächeln von Simon auf und zwinkerte ihm zu.
»Also, Simon: Wie fühlt es sich an, uralt zu sein?«
Das entlockte ihm ein Lachen. »Wenn du mich so fragst, fühl' ich mich plötzlich wie ein Großvater. Ich hoffe, unter euren Geschenken ist ein Gehstock für mich.«
»Wusst' ich doch, dass wir etwas vergessen haben.« Ronald tat, als würde er sich vor die Stirn schlagen.
»Hör nicht auf die beiden«, meinte Kati. »Du bist fitter als wir alle zusammen und steckst uns locker in die Tasche. Apropos Tasche, Simon ...« Sie lehnte sich zu ihrem Rucksack und zog eine kleine Geschenkbox heraus. »Das ist von uns allen.«
Simon bedachte die Box mit einem skeptischen Blick.
»Danke, aber wenn da jetzt wieder irgendein dämlicher Witz drin ist ...«
»Ein Witz?« Kati schmunzelte. »Das wäre doch nie Ronalds Stil ...«
Simon zog eine Augenbraue hoch. »Mei, es wäre doch net nötig gewesen, dass ihr mir etwas schenkt.« Er lüftete den Deckel und stieß im nächsten Augenblick einen leisen Freudenruf aus. »Korrigiere: Doch, es war nötig.« Mit leuchtenden Augen brachte er die hammerähnliche Kletterhilfe zum Vorschein. »Das ist ein echtes Petzl. Ihr seid ja verrückt, die Dinger sind irre teuer.«
»Wenn wir dich net vom Eisklettern abhalten können, dann sollst du wenigstens einen Eispickel dabei haben, der dich sicher hält«, erklärte Carina. »Der Verkäufer meinte, die für Fels und Eis geeignete DRY-Haue wäre optimal für umgekehrte Positionen geeignet. Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet, aber er klang sehr überzeugend.«
»Danke, Leute.« Simon umarmte zuerst Kati und Carina und stieß seine Faust gegen die von Ronald. Dann beugte er sich über die Box und holte ein zusammengerolltes Papier heraus. »Was haben wir denn hier noch?« Er strich es glatt und las vor: »Sherlock Holmes und ein Skandal im Zillertal.« Er sah Carina an. »Hast du etwa ...«
»Dir eine Geschichte geschrieben?« Sie nickte. Sie liebte die Sherlock-Holmes-Geschichten und kannte sie inzwischen nicht nur auswendig, sondern hatte irgendwann auch angefangen, eigene Geschichten mit ihrem Helden zu verfassen.
»Die werd' ich heute Abend in Ruhe lesen«, beschloss Simon und drückte das Papier kurz an sein Herz, bevor er es behutsam zurück in die Box legte. Dabei hielt er die Augen gesenkt, aber Carina war sich beinahe sicher, dass sie ein verräterisches Schimmern darin entdeckt hatte.
Für eine kleine Weile legte sich eine friedliche Stille über die Gaststube. Es war nichts zu hören als das Knistern des Feuers und das Knarzen der Holzdielen unter den Sohlen des Hüttenwirts, der umherging und weitere Kerzen entzündete, weil sich draußen allmählich der Abend über die Berge senkte.
»Das war heute 'ne super Zeit im Training, Kati«, meinte Ronald. »Es würd' mich net wundern, wenn du bald ein Ticket für die nächste Olympiade in der Tasche hättest.«
»So schnell geht das net«, wehrte Kati ab.
»Aber du bist auf einem guten Weg«, beharrte er und strahlte sie an.
Carina entging das nicht, und ein leiser Stich fuhr ihr ins Herz. Sie mochte Ronald, aber er hatte nur Augen für ihre Schwester.
Kati war wirklich vom Glück gesegnet. Während ihr eigener Traum von einem Grafikstudium gerade geplatzt war und sie nicht recht wusste, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte, war ihre Schwester ein aufgehender Stern am Wintersporthimmel. Katis Zeiten im Abfahrtslauf brachten ihr bereits lukrative Werbeverträge ein und ließen Großes für ihre Zukunft erhoffen. Und nun war auch noch Ronald vollkommen verrückt nach ihr ...
Net den Mut verlieren, ermahnte sie sich selbst. Es kommen auch wieder bessere Zeiten.
»Lasst uns auf Kati anstoßen«, schlug Ronald vor.
»Aber net mit leeren Gläsern«, erwiderte Simon trocken.
»Da sagst du was. Ich werd' rasch Nachschub für uns holen.« Damit stand Ronald auf und strebte dem Tresen entgegen.
Während er sich mit dem Hüttenwirt unterhielt, ließ Carina den Blick aus dem Fenster schweifen. Draußen schneite es immer noch. Hinter dem Flockenwirbel zeichnete sich die winterliche Berglandschaft ab und aus dem Tal schimmerten die Lichter ihres Heimatdorfes herauf. Hohe Berge umgaben St. Christoph und schienen es wie steinerne Wächter zu beschützen.
»Möchtet ihr noch etwas essen?«, fragte Simon.
Carina schüttelte den Kopf, und auch ihre Schwester hob abwehrend die Hände.
»Bloß net, sonst brauch' ich morgen beim Wettkampf keine Skier. Dann kann ich mich gleich so den Hang runterrollen ...«
»Na schön. Sagt Bescheid, wenn ihr es euch anders überlegt. Heute geht alles auf mich.« Simon nickte ihnen zu, ehe er sich nach Ronald umsah. »Soll ich dir beim Tragen helfen?«
»Geht schon«, kam es undeutlich zurück.
Derweil wandte sich Kati an Carina und grub die Zähne in die Unterlippe.
»Ich wollt' dich das schon lange fragen«, begann sie unsicher. »Ist es dir auch schon aufgefallen, dass beim Vater alles ein bisserl länger dauert als früher?«
»Länger? Wie meinst du das?«
»Na ja ... Jeder Handgriff scheint ihn mehr Kraft zu kosten. Ich hab schon eine Weile dieses Gefühl, und heute Morgen ist es mir aufgefallen, als er Kaffee gekocht hat. Beinahe wie in Zeitlupe.«
»Vielleicht war er einfach noch müde?«
»Ja, das wär' natürlich eine Erklärung.«
»Er wird auch älter.«
»Schon, aber ich frag' mich ... ob das wirklich der ganze Grund ist.« Kati schien sich wirklich Sorgen zu machen, aber sie kamen nicht dazu, das Thema zu vertiefen, weil Ronald mit einem Tablett zurückkam, auf dem vier Sektgläser standen. Er verteilte sie vor ihnen und hob dann sein Glas zum Anstoßen.
Kati ließ ihr Glas gegen seines klirren, trank jedoch nicht.
»Ich hab genug. Noch mehr Alkohol und ich find' meine Skier morgen net wieder.«
»Also, ich hab keinen Zweifel, dass du morgen gewinnst«, versetzte Ronald.
»Beruf es bloß net.« Kati klopfte mit erschrockenen Augen dreimal auf Holz. »Wenn es klappt, hat mir mein Sponsor weitere Gelder in Aussicht gestellt. Einen Teil werde ich für den Jugendtreff an der alten Wassermühle spenden. Der könnte eine Renovierung vertragen.«
»Du bist wirklich eine von den Guten«, murmelte Ronald. »Wir sind unglaublich stolz auf dich.«
»Absolut.« Carina nickte, auch wenn sie einen leisen Stich in der Brust spürte. Sie gönnte ihrer Schwester den Erfolg von Herzen. Sie wünschte sich nur ... ach, verflixt, sie wünschte sich nur etwas, für das sie ebenso brennen konnte wie Kati für ihren Wintersport.
Doch ihr großer Traum, zu studieren, war vor wenigen Wochen geplatzt, als sie eine Absage für das Stipendium erhalten hatte. Nun hing sie in der Luft – und das fühlte sich einfach furchtbar an.
Niedergeschlagen leerte sie ihr Glas und schnappte sich dann das Glas ihrer Schwester, um es ebenfalls zu leeren.
»Na na«, machte Simon, während Ronald sie entgeistert ansah. »Immer langsam mit den jungen Pferden.«
Carina machte ein schiefes Gesicht. »Ein bisserl Sekt wirft mich net um.«
Simon schwieg, aber seine Augen verrieten, dass er sich Sorgen um sie machte.
»Hey, was haltet ihr davon, um die Wette ins Tal zu rodeln?« Kati sah unternehmungslustig von einem zum anderen. »Ich weiß, wir wollten nachher den Lift nehmen, aber hier an der Hütte kann man Schlitten mieten. Wäre das net spaßig?«
Carina stöhnte leise. Für einen Wettkampf war ihre Schwester immer zu haben. Aber ...
»Warum eigentlich net? Das klingt wirklich nach Spaß.«
»Genau.« Kati nickte bekräftigend.
»Nein. Das ist keine gute Idee«, meinte Ronald. »Du hast morgen einen Wettkampf, vergiss das net.«
»Du sagst es. Der ist erst morgen. Bis dahin ist noch reichlich Zeit.«
»Trotzdem solltest du ausgeschlafen antreten. Sei vernünftig«, mahnte Ronald. »Es wird schon dunkel. Lasst uns bezahlen und dann den Lift ins Tal nehmen.«
»Wie langweilig.« Kati schüttelte lebhaft den Kopf. Nichts konnte sie von ihrem Plan abbringen.
Und so nahm das Drama seinen Lauf ...
***
»Mei, die Kälte kriecht einem in alle Knochen, was, Poldi?« Dr. Martin Burger stemmte die Schaufel in den Schnee, zog hörbar die eiskalte Winterluft in die Lungen und rieb die Hände aneinander, um sie aufzuwärmen.
Dackel Poldi saß an der Haustür und blickte zu ihm herüber. Er schien nicht davon angetan zu sein, dass sein Bauch durch den kalten Schnee schleifte. Seine kurzen Beine reichten kaum, um ihn über dem Weiß zu halten.
»Sobald die Zufahrt geräumt ist, drehen wir noch eine Runde. Dann kommst du auch besser voran, Kleiner.«
Das Zamperl gab ein Schnaufen von sich und wirkte nicht begeistert von der Aussicht, an diesem Tag noch eine Pfote in die Kälte zu setzen.
Martin Burger machte sich wieder daran, den Schnee vor dem Haus zur Seite zu räumen. Die Sprechstunde war für diesen Tag zu Ende, aber sollte es einen Notfall geben, musste er ohne Zeitverzug ausrücken können. Dann brauchte er eine freie Zufahrt und ein Auto, das er nicht erst mühsam von Eis und Schnee befreien musste. Also arbeitete er sich durch die kalten weißen Neuschneemengen, die an diesem Nachmittag gefallen waren.
Er war seit vielen Jahren Landarzt in St. Christoph und kümmerte sich um die gesundheitlichen Probleme der Dorfbewohner. Auch bei privaten Sorgen hatte er immer ein offenes Ohr. Dafür nannten ihn viele hier im Tal respektvoll den »Bergdoktor«.
Das Doktorhaus stand am Ende der Kirchgasse, nur einen Schneeballwurf vom Wald entfernt. Es war im rustikalen Alpenstil erbaut und wurde von einem großen Garten umgeben, der jetzt unter der Schneedecke dem Frühling entgegenschlummerte.
Die Praxis war im Anbau untergebracht – helle Räume mit einer modernen Ausstattung, die er auf dem neuesten Stand hielt. Es gab sogar ein Labor und einen Röntgenraum, weil das Dorf nach starken Schneefällen oder Lawinen im Winter hin und wieder tagelang von der Außenwelt abgeschnitten war. Oft musste er Patienten unter schwierigen Bedingungen behandeln, da wollte er keinesfalls bei der Ausrüstung geizen.
»Hier, wärm dich erst einmal auf, Martin.« Zenzi, die Wirtschafterin, stapfte durch den Schnee auf ihn zu und brachte ihm einen dampfenden Becher. Zenzi war seit über vierzig Jahren die gute Seele des Doktorhauses und längst ein Familienmitglied.
»So spät noch Kaffee, Zenzi? Ich bin net sicher, ob ich danach heut' Nacht in den Schlaf finde.«
»Darum ist es nur eine heiße Schokolade.« Ihr Lächeln vertiefte die Lachfältchen um ihre Augen. »Ich hab ein bisserl Zimt hineingetan. Wie du es magst.«
»Mei, Zenzi, du bist meine Rettung. Ein bisserl Wärme kommt jetzt wirklich gelegen. So kalt war es lange nimmer.« Er trank einen langen Schluck und seufzte zufrieden, als sich Wärme in seinem Inneren ausbreitete. Rasch trank er aus.
Zenzi schlang ihr warmes Schultertuch enger um sich und nahm den Becher wieder an sich.
»Die Kinder haben ihren Kakao auch gerade getrunken. Jetzt warten sie darauf, mich beim Domino zu besiegen. Aber ein paar Tricks hab ich auch auf Lager.« Sie zwinkerte ihm zu und kehrte ins Haus zurück, und Martin Burger fuhr damit fort, den Schnee zur Seite zu schaufeln.
Bald türmte sich das Weiß links und rechts von der Zufahrt.
Schließlich sauste Poldi an seine Seite und wedelte erwartungsvoll.
»Du willst wohl doch noch eine Runde drehen, was? Na gut, dann komm, Poldi. Drück die Pfoten, dass wir uns unterwegs nix abfrieren.« Sein Atem stieg weiß vor dem Gesicht auf, als er das Zamperl anleinte und dann zu einem Spaziergang aufbrach.
Der Winter hatte das Zillertal fest im Griff. Vor der Roswitha-Apotheke auf der gegenüberliegenden Straßenseite schaufelte ein Mann gerade seinen Wagen frei, der beinahe komplett unter dem Schnee verschwunden war. Urlauber stapften mit Skiern über der Schulter ihren Quartieren entgegen. Und am Eingang des Gasthofs »Zum Ochsen« waren Heizstrahler neben einem Stand mit Glühwein aufgestellt, um den sich mehrere Gäste drängten.
Soeben verließ ein Mann den Gasthof. Es war Quirin Sperber – ein graubärtiger Landwirt, der seinen Hof ein gutes Stück den Berg hinauf hatte.