Der Bergdoktor 2262 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2262 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Emmi hat ihr Herz verloren - an die Tiere im Wald, an den kleinen Hof nahe St. Christoph und an ihre Patentante Klara, die sie wie eine Tochter großgezogen hat. Aufopferungsvoll kümmert sie sich um die kranke Frau und pflegt nebenbei ihre geretteten Schützlinge, die nirgendwo sonst ein Zuhause finden.
Emmi träumt davon, den Hof später in einen Gnadenhof für Tiere zu verwandeln. Doch als Klara stirbt, bricht für Emmi eine Welt zusammen: Nicht sie, sondern Klaras leiblicher Sohn Ben erbt den Hof - und mit ihm die Verpflichtung, dort mit seiner Verlobten Marika zu leben. Für Emmi gibt es plötzlich keinen Platz mehr.
Tief verletzt verlässt Emmi den Ort, der ihr einziges Zuhause war, und überlässt ihre geliebten Tiere und Erinnerungen dem ungewissen Schicksal ...

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Seitenzahl: 135

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Ein Engel geht fort

Vorschau

Impressum

Ein Engel geht fort

Wenn Träume nicht wahr werden und das Glück vorbeizieht

Von Andreas Kufsteiner

Emmi hat ihr Herz verloren – an die Tiere im Wald, an den kleinen Hof nahe St. Christoph und an ihre Patentante Klara, die sie wie eine Tochter großgezogen hat. Aufopferungsvoll kümmert sie sich um die kranke Frau und pflegt nebenbei ihre geretteten Schützlinge, die nirgendwo sonst ein Zuhause finden.

Emmi träumt davon, den Hof später in einen Gnadenhof für Tiere zu verwandeln. Doch als Klara stirbt, bricht für Emmi eine Welt zusammen: Nicht sie, sondern Klaras leiblicher Sohn Marco erbt den Hof – und mit ihm die Verpflichtung, dort mit seiner Verlobten Marika zu leben. Für Emmi gibt es plötzlich keinen Platz mehr.

Tief verletzt verlässt Emmi den Ort, der ihr einziges Zuhause war, und überlässt ihre geliebten Tiere und Erinnerungen dem ungewissen Schicksal ...

Etwas versteckt oberhalb des Dorfes St. Christoph im Zillertal lag ein Bauernhof.

Was für ein schöner Anblick! An diesem Julitag schien die Sonne auf seine Gebäude und Wiesen. Das weiß gekalkte Erdgeschoss, der hölzerne erste Stock und das dunkle Schindeldach des Wohnhauses erhoben sich vor dem Wald und den schroffen Felsen. Über allem erstreckte sich der strahlend blaue Sommerhimmel ohne ein Wölkchen darin.

Wo man auch hinsah, regte sich auf dem Hof etwas. Freilaufende Hühner scharrten am Boden und pickten nach Würmern oder Körnern. Auf einer Weide grasten einträchtig Pferde und Ponys. Kein Mitglied der kleinen Herde glich dem anderen. Ein blonder Haflinger war dabei. Ein schwerer, grau gesprenkelter Ackergaul mit kräftigem Hals und zotteligen Fesseln. Ein klapperdürrer Schimmel und ein braun-weiß geschecktes Shetlandpony, das den Weidegefährten kaum bis zu ihren Bäuchen reichte.

Die angrenzende Hangweide teilten sich einige Kühe mit ein paar Schafen und Ziegen. Näher am Haus strich ein schwarzer Kater steifbeinig durch sein Revier. Vor der Haustür lag ein Schäfermischling in der Sonne. Zwar öffnete der Hund ein Auge, als der Kater vorbeikam. Sobald er jedoch sah, dass nur dieser seine Ruhe störte, schloss er es und döste weiter.

Die Haustür schwang auf. Ein Madel mit einem langen, blonden Zopf eilte hindurch. Es hielt eine Schüssel voller Küchenabfälle in beiden Händen. Fleißige Finger hatten die Kartoffel- und Gurkenschalen in kleine Stücke geschnitten.

Als das Madel die Schüssel am Futterplatz ausleerte, machten sich sofort die Hühner über die leckere Mahlzeit her.

Im Gackern des Federviehs ging die leise Stimme fast unter, die aus einem Fenster im Obergeschoss des Hauses drang: »Emmi!«

Das Madel hatte gute Ohren. Es legte den Kopf in den Nacken und lauschte. Und schon tönte es weiter: »Ich brauch' dich!«

Emmi machte kehrt. Auf der Schwelle blieb sie stehen. Leuchtend gelbe und orangefarbene Ringelblumen wuchsen gleich neben der Haustür. Rasch stellte das Madel die leere Schüssel auf die Sonnenbank und knipste ein paar der schönsten Blüten samt ihren Stängeln ab. Anschließend lief sie ins Haus zurück.

Ihre flinken, jungen Beine trugen sie in den ersten Stock. Dort gab es nicht viele Zimmer: nur die große Elternschlafkammer, ein Bad und daneben das Bubenkammerl, das die meiste Zeit über leer stand. Vor der großen Schlafkammer hielt Emmi inne. Sie klopfte, öffnete danach die Tür und trat ein.

Zwischen den Vorhängen hindurch fiel das Sonnenlicht in die Kammer. Es ließ die Farben der bunten Bauernmöbel so frisch und kräftig strahlen wie einst. Das Blau des Betthauptes glich dem Himmel draußen, und der karierte Überzug der Decke leuchtete mit Emmis Ringelblumen um die Wette.

Emmis Patentante Klara, die im Bett lag, wirkte dagegen blass wie ein Gespenst. Sie war zeit ihres Lebens eine hagere Frau gewesen. Nun aber bezeugten ihre eingefallenen Wangen und der ausgemergelte Körper, wie schlimm es um sie stand.

Krebs im Endstadium – so lautete die bittere Diagnose. An den meisten Tagen verließ sie ihr Bett bloß noch, um das Badezimmer nebenan aufzusuchen. Und selbst dabei benötigte sie Emmis Hilfe.

Emmi schenkte ihr ein Lächeln.

»Du hast nach mir gerufen, gell, Tante Klara? Was brauchst du denn?«

Die todkranke Bäuerin antwortete nicht sofort.

»Jetzt weiß ich's gar nimmer«, gestand sie zu guter Letzt. Mürrisch ergänzte sie: »Du hast es ja auch net besonders eilig gehabt, zu mir zu kommen. Da ist es mir wieder entfallen.«

Ihr anklagender Ton schmerzte Emmi. Obwohl sie wusste, dass der Vorwurf unbegründet war! Stets ließ sie alles liegen und stehen, sobald Tante Klara nach ihr rief. Auch diesmal war sie sofort zu ihr geeilt.

Es ist net die Tante, tröstete sie sich im Stillen. Es ist nur der Krebs, der aus ihr spricht. Denn trotz allem, was der Bergdoktor für sie tat, war sichtbar, dass Klara Ardagger litt: sowohl an den Schmerzen, die ihr der Krebs zufügte, als auch an ihren unerfüllten Wünschen und Träumen.

Sie war noch keine sechsundfünfzig, und ihr einziger Sohn Marco hatte sich mit der Familienplanung Zeit gelassen. Wenn nicht ein Wunder geschah, würde Tante Klara diesen Winter nicht mehr erleben. Sie würde nie einen Enkel in der Familie willkommen heißen oder für ihn kleine Stutzen zur Lederhose stricken, wie sie es einst für Marco getan hatte. Sie würde auch nicht in den Genuss der Rente kommen, für die sie sich ihr Leben lang abgerackert hatte.

Und dieses Wissen nagte an ihr. Oft kamen von ihr daher Sprüche wie jener: »Dass einer einzigen Bauernfamilie so viel Unglück widerfährt! Zuerst ist mir der Sepp mit nur dreiunddreißig Jahren weggestorben. Dann hat's uns in fünf Sommern fünf Mal die Ernte verhagelt. Und jetzt der Krebs! Als nächstes wird wahrscheinlich am Dachboden der Blitz einschlagen. Das ist ja das Einzige, was uns bisher noch erspart geblieben ist.«

Ein andermal hieß es: »Dass sich der Herrgott einen solchen Scherz mit uns erlaubt! Viele werden neunzig Jahre alt, hocken täglich im ›Ochsen‹, trinken sich einen Rausch an und erfreuen sich trotzdem bester Gesundheit. Mein Sepp und ich, wir können net einmal zusammengerechnet einen neunzigsten Geburtstag feiern.«

Viel bittere Wahrheit lag in diesen Worten. Nicht nur für Tante Klara – auch für Emmi. Denn jenes Unglück, das Tante Klara so früh zur Witwe gemacht hatte, hatte Emmi erst an ihren Hof gebracht.

Emmis Vater Eduard, genannt Edi, war der beste Spezl von Tante Klaras Mann Sepp gewesen. Fast wie ein Bruder. Daraus hatte sich ganz selbstverständlich ergeben, dass Emmis Eltern Sepp zu ihrem Paten und Klara zu ihrer Patin ernannt hatten.

Als dann ein tragischer Autounfall auf einen Schlag nicht nur Emmis Eltern, sondern auch Sepp aus dem Leben gerissen hatte – da hatte Klara, frisch verwitwet mit einem kleinen Sohn, das verwaiste Patentöchterlein zu sich geholt.

Diese Großherzigkeit rechnete ihr Emmi bis heute hoch an. Dafür vergab sie gerne manche Kränkung und manches unverdiente harsche Wort.

»Was du brauchst, fällt dir gewiss wieder ein«, tröstete sie ihre Patentante nun. »Und ich bin ja eh im Haus – du kannst alleweil nach mir rufen. Schau! Ich hab dir ein paar Ringelblumen mitgebracht. Blühen sie net prächtig? Wie kleine Sonnen: die gelben wie die Mittags- und die orangefarbenen wie die Abendsonne.«

Sie trat zum Nachttisch und steckte die Blumen in die Vase, die dort stand. Einige Schafgarben befanden sich darin. Und in der Mitte ein prächtiger, lila blühender Wiesensalbei. Emmi ordnete die Ringelblumen um ihn herum an.

Anschließend griff sie nach dem Krug neben der Vase.

»Ich bring' dir was Frisches zu trinken. Magst du gespritzten Hollersaft? Oder lieber einen Kräutertee?«

»Tee«, erwiderte Tante Klara barsch. »Der Hollersaft verpickt mir den Magen, du tust alleweil zu viel süßen Sirup hinein.«

Die letzten Worte gingen in einen Hustenanfall über, der ihren ausgezehrten Körper schüttelte. Sie leiden zu sehen und dabei untätig bleiben zu müssen, fiel Emmi schwer. Doch Tante Klara ließ sich äußerst ungern helfen. Und es gab auch nicht mehr viel, das irgendjemand für sie tun konnte. Sogar der Bergdoktor sprach längst nicht mehr von Heilung. Nun galt es bloß noch, Tante Klara das Sterben zu erleichtern.

Emmi war entschlossen, ihr Bestes zu tun. Sie zerbrach sich den Kopf nach einer freudigen Ablenkung.

»Dass wir heut' Nachmittag Besuch kriegen, weißt du eh, gell? Um zwei. Ich hab für ihn extra einen Mohnstriezel gebacken.«

Die Wirkung ihrer Worte war erstaunlich. Ruckartig hob die kranke Bäuerin den Kopf.

»Der Marco kommt aus der Stadt?« Die Hoffnung auf ihren Gesichtszügen ließ sie jünger und kräftiger wirken.

Es brach Emmi das Herz, sagen zu müssen: »Net der Marco. Den Bergdoktor hab ich gemeint.«

Der Hoffnungsschimmer in Tante Klaras Miene erlosch ebenso schnell, wie er aufgeflackert war. Sie schloss ermattet die Augen und sank zurück auf ihr Polster.

»Geh weg«, befahl sie Emmi. »Bring mir den Tee nachher, jetzt lass mich erst einmal in Ruh'. Ich mag rasten.«

Emmis Herz floss vor Mitleid über – wie immer, wenn sie ihre stolze, unbeugsame Patentante so hilflos sah. Doch sie verbiss sich das Schluchzen, das in ihrer Kehle aufstieg. Sie würde stark sein, schwor sie sich. Um Tante Klaras willen.

Spontan beugte sie sich zu ihr herab und drückte ihr ein Busserl aufs schüttere, vorzeitig ergraute Haar.

»Schlaf gut«, raunte sie. »Ich weck' dich, wenn der Bergdoktor da ist. Einverstanden?«

Ihre Patin gab keinen Laut von sich. Sie öffnete auch nicht die Augen. Ein klares Zeichen: Das Gespräch war für sie beendet.

Leise verließ Emmi mit dem Krug die Kammer. Sie stieg die Treppe hinunter und betrat die Küche. Die Gemüsesuppe fürs Mittagessen köchelte auf dem Herd vor sich hin.

Emmi beugte sich darüber und schnupperte, bevor sie den Liebstöckel und das Suppengrün herausfischte und die Suppe mit Salz und Pfeffer abschmeckte. Sie schöpfte für sich eine kleine Portion in eine Schüssel und stellte den Rest für später warm.

Gerade als sie sich zu einem einsamen Mahl am Küchentisch niederlassen wollte, hörte sie ein Kratzen an der Tür. Sie lief hin und öffnete. Stritzi humpelte herein.

Emmi hatte den Schäfermischling von einem Bauern geschenkt bekommen. Als Hofhund hatte er für diesen unerwünschte Besucher vom Gelände vertreiben sollen. Doch nach einem Traktorunfall hatte ihm der Tierarzt den linken Hinterlauf amputieren müssen. Ein dreibeiniger Wachhund war für den Bauern nicht infrage gekommen.

Das war Jahre her, und seitdem folgte Stritzi seinem neuen Frauchen auf seinen drei Beinen überallhin. Nur beim Treppensteigen brauchte er Hilfe.

Nun legte er den Kopf auf ihr Knie. Emmi kraulte ihm die Ohren, während sie aß. Das Geräusch seines Atems vertrieb die Einsamkeit, die in letzter Zeit wie eine schwere Decke auf ihr lastete. Seit Tante Klara kaum mehr das Bett verließ, vermisste Emmi sie hier unten. Ihre oft harschen Worte, ihre lauten Schritte und ihre energischen Gesten hatten das Haus stets mit Leben erfüllt.

Nun gab es nur noch Emmi. Und ihre Tiere. Stritzi. Den alten Kater Nero. Ja, sogar das eine oder andere freche Huhn wagte sich hin und wieder in den Hausflur!

Und dann war da natürlich Marco: Emmis Ziehbruder. Er lebte in der Stadt und kam jedes zweite Wochenende nach Hause – wenn er kam. Oft sagte er seine Besuche kurzfristig ab oder verschob sie in letzter Minute.

Meistens lag es an seiner Arbeit. Marco war selbstständiger Software-Entwickler, und wenn ein Kunde samstags etwas von ihm wollte, konnte er diesen nicht auf Montag vertrösten. Er hatte ja nicht bloß sich und seine Verlobte zu versorgen, sondern schickte auch jeden Monat Geld für Tante Klara, Emmi und den Hof. Geld, das sie zum Überleben brauchten.

Emmi zweifelte nicht daran, dass Marco sein Bestes gab. Trotzdem tat ihr jedes Mal das Herz weh, wenn sie Tante Klara gestehen musste, dass er doch wieder nicht kommen würde.

Die Bäuerin litt sehr darunter, dass ihr Sohn in die Stadt gezogen war und sich dort ein anderes Leben aufgebaut hatte als das, welches sie sich für ihn wünschte. Während Emmi ihre Suppe löffelte, versuchte sie es sich auszumalen. In einer Wohnung statt auf einem Hof zu leben. Durchs Fenster benachbarte Gebäude zu sehen, nicht den Wald und die Berge. Tiere gab es dort sicher nur wenige: Tauben auf den Dächern, Katzen auf vergitterten Balkonen und Hunde, die einander beim Gassigehen kurz beschnuppern durften.

Nein: Emmi verstand ebenso wenig wie Tante Klara, was Marco daran gefiel. Keinen Augenblick hatte sie je daran gedacht, aus St. Christoph wegzuziehen!

Ihre Gedanken schweiften weiter. Ohne Tante Klaras Rufe aus dem Obergeschoss würde es hier bald noch stiller sein. Wenigstens hatte Emmi ihre Schützlinge, die ihr Gesellschaft leisteten.

Tante Klara hielt freilich wenig von ihnen. Sie nannte Emmis Tiere gern ihre »unnützen Esser« und hatte ihr streng verboten, noch mehr Gnadenpferde oder alte Kühe, Schafe und Ziegen aufzunehmen.

Was aber würde später sein? Sie könnte ein oder zwei Knechte einstellen, überlegte Emmi, um die Nutzflächen des Hofes besser zu bewirtschaften. Und mit dem Geld daraus könnte sie weitere Schützlinge aufnehmen und versorgen. Es gab so viele alte oder kranke Tiere, die sonst keiner mehr wollte! Emmi kannte kein schöneres Gefühl als das, ihnen zu helfen.

Vorerst aber blieb für solche Tagträumereien wenig Zeit. Um zwei Uhr würde der Bergdoktor kommen. Bis dahin musste der Tee gekocht, das Geschirr gespült und die Stube blitzblank gefegt sein.

Emmi kraulte Stritzi ein letztes Mal hinter den Ohren, ehe sie aufstand, ihren Teller zur Spüle trug und wieder an die Arbeit ging.

***

Auf dem Vorplatz des Ardagger-Hofes parkte Dr. med. Martin Burger seinen Geländewagen. Er nahm seine Arzttasche vom Beifahrersitz, stieg aus und ging zur Haustür.

Bevor er klingeln oder klopfen konnte, wurde die Tür bereits geöffnet.

»Grüß Sie, Herr Doktor!« Die muntere Stimme gehörte Emmi, der Ziehtochter der Ardaggerin. Ihr Lächeln kam wie immer von Herzen, das spürte man. »Tante Klara ist schon wach. Sie wartet oben.« Mit diesen Worten drehte sie sich um, sodass ihr langer, blonder Zopf schwang.

Dr. Burger folgte Emmi durch den Flur zur Treppe. Die hölzernen Stufen knarzten unter seinen Schuhen. Der Ardagger-Hof gehörte zu den ältesten Höfen in St. Christoph. Seit vielen Generationen befand er sich im Besitz derselben Familie. Auch die Bauernmöbel in der Schlafkammer hatten – das hatte ihm die Ardaggerin stolz erzählt – ein paar Jahrhunderte auf dem Buckel.

Vor der Tür zur Schlafkammer blieb Emmi stehen. Sie drehte sich weg, doch sie nahm nicht gleich ihren Abschied, und Martin Burger ahnte, dass etwas sie bedrückte.

»Wenn ich irgendwas wissen sollt' ...«, begann er und ließ den Satz in der Luft hängen.

Emmi wandte sich um. Er sah das feuchte Schimmern in ihren Augen.

»Es geht mit ihr dem Ende zu, net wahr?«, flüsterte sie. »Ich spür's. Ich glaub', sie spürt es auch.«

Dr. Burger betrachtete sie abwägend. Emmi war ein zierliches Madel. Doch er unterschätzte sie nicht. Ein Leben wie ihres zu führen, bedurfte sowohl körperlicher als auch geistiger und seelischer Stärke. Ohne Hilfe so viele Tiere zu versorgen. Zugleich eine schwer kranke Angehörige zu pflegen und zu wissen, dass es für diese keine Heilung gab. Dass am Ende des Weges nur der Tod wartete.

Aber der Tod war für das Madel trotz ihrer erst dreiundzwanzig Jahre längst kein Fremder mehr.

»Ja«, erwiderte er leise. »So hab ich's nach meinem letzten Besuch ebenfalls empfunden. Und wenn du sagst, es wär' seither net besser geworden ...«

Emmi schüttelte den Kopf. »Eher schlimmer«, stieß sie mit erstickter Stimme hervor. Doch bevor der Bergdoktor darauf etwas sagen konnte, wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen und lächelte tapfer. »Ich brühe für nachher einen Kaffee auf. Sie bleiben doch auf ein Stückerl Mohnstriezel?«

Er versprach es gerne und sah ihr zu, wie sie die Treppe hinunterlief. Danach klopfte er an der Tür und trat ein.

Seine Patientin lag im Bett, hatte aber die Augen offen. Ein kurzer Blick genügte für ihn, um Emmis Sorge zu bestätigen. Die Ardaggerin war seit dem letzten Besuch noch dürrer geworden. Ihr Gesicht wirkte so blass, als strecke bereits der Tod seine Hand nach ihr aus.

Dabei war sie, weiß Gott, nicht alt! Fast konnte man sagen: in der Blüte ihrer Jahre. Dr. Burger kannte sie seit seiner Jugend. Klara war die große Schwester zweier Buben gewesen, mit denen er oft Fußball gespielt hatte. Sie hatte am Rand der Wiese gesessen, mit anderen Madeln die Köpfe zusammengesteckt und über Burschen, Dirndlkleider und die Schule getratscht.

Doch das unbarmherzige Schicksal hatte sie vor ihrer Zeit altern lassen. Wer sie jetzt sah, konnte wahrscheinlich kaum glauben, dass sie und der Bergdoktor derselben Generation angehörten.