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Als Förster Reckwitz die bewusstlose Ida Rödl aus dem Waldsee rettet, beginnt für Dr. Burger ein Wettlauf gegen die Zeit: Idas Leben steht auf der Kippe, und es mehren sich die Zweifel, ob ihr Sturz ins eiskalte Wasser wirklich ein Unfall war. Während Ida im künstlichen Koma liegt, tauchen zwei Männer in ihrem Leben auf: Ihr Neffe Peter, der scheinbar liebevolle, aber ehrgeizige Erbe, und Johann, ein wortkarger Holzknecht, der mehr für Ida empfindet, als er zugeben will. Doch die Wahrheit ist noch dunkler, als sich herausstellt, dass ein Unbekannter im Wald sein Unwesen treibt - und nicht nur Idas Leben bedroht. Inmitten von Verrat, verlorener Liebe und tiefen Familienwunden wird Dr. Burger zum Ermittler wider Willen. Mit scharfer Beobachtungsgabe und unerschütterlichem Mitgefühl kommt er einem erschütternden Familiengeheimnis auf die Spur ...
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Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Erlösung im Frühling
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Impressum
Erlösung im Frühling
Dr. Burger und das bewegende Schicksal der Witwe Ida Rödl
Von Andreas Kufsteiner
Als Förster Reckwitz die bewusstlose Ida Rödl aus dem Waldsee rettet, beginnt für Dr. Burger ein Wettlauf gegen die Zeit: Idas Leben steht auf der Kippe, und es mehren sich die Zweifel, ob ihr Sturz ins eiskalte Wasser wirklich ein Unfall war.
Während Ida im künstlichen Koma liegt, tauchen zwei Männer in ihrem Leben auf: Ihr Neffe Peter, der scheinbar liebevolle, aber ehrgeizige Erbe, und Johann, ein wortkarger Holzknecht, der mehr für Ida empfindet, als er zugeben will. Doch die Wahrheit ist noch dunkler, als sich herausstellt, dass ein Unbekannter im Wald sein Unwesen treibt – und nicht nur Idas Leben bedroht.
Inmitten von Verrat, verlorener Liebe und tiefen Familienwunden wird Dr. Burger zum Ermittler wider Willen. Mit scharfer Beobachtungsgabe und unerschütterlichem Mitgefühl kommt er einem erschütternden Familiengeheimnis auf die Spur ...
Es war erst Anfang Dezember. Dennoch lag der kleine Ort St. Christoph im Zillertal bereits so verschneit da wie auf einer winterlichen Postkarte.
Durch die offene Tür des Doktorhauses schaute Dr. med. Martin Burger auf die weiß überzuckerte Kirchgasse hinaus. Der Schnee wirkte an diesem Samstag noch fast unberührt, nur ein paar Stiefel- und Schlittenspuren zeichneten sich darin ab. Kaum beugte sich der Bergdoktor vor, landeten zarte Flocken auf seiner Stirn und seinem dunklen Haar. Der nächste Schneefall kündigte sich an.
Dr. Burger wandte sich um. »Komm, Poldi«, lockte er. »Ein Spaziergang wird uns beiden guttun.«
In seinem Körbchen unter der Treppe rollte sich der Rauhaardackel herum, sodass er seinem Herrchen das Hinterteil zuwandte. Klar und deutlich gab er zu verstehen: Gewiss net! Da draußen frier' ich mir die Pfoten ab.
»Du, Martin!«, tönte es aus der Küche. Die Bachhuber-Zenzi, die gute Seele des Doktorhauses, steckte ihren Kopf in die Diele. »Mach die Tür zu. Hier zieht's ja wie in einem Vogelhäusl.«
Belustigt schickte sich Martin Burger an, dem Befehl Folge zu leisten. Mochte er auch einundfünfzig Jahre alt, dreifacher Vater und der allseits geachtete Landarzt von St. Christoph sein: Der Zenzi, die ihn nach dem Tod seiner Mutter wie ihren eigenen Sohn aufgezogen hatte, widersprach er nie.
Er warf einen letzten Blick hinaus in den Schnee. Für den Moment waren er und Zenzi mit Poldi im Haus allein. Martins Vater Pankraz und seine Frau Sabine hatten die Kinder mit zum Weihnachtsmarkt am Kirchplatz genommen. Dort würde es neben Punsch, Keksen, Apfelbrot und sonstigen Leckereien gewiss die eine oder andere Schneeballschlacht geben!
Als hätten Martin Burgers Gedanken es heraufbeschworen, vernahm er das wilde Kriegsgeheul vom Ende der Kirchgasse. Er wandte den Kopf danach und lachte laut auf bei dem Anblick, der sich ihm bot.
An der Spitze der Meute lief sein Vater geduckt durch den Schnee. Er zog einen Schlitten. Auf dem saß Dr. Burgers Jüngste, die zweieinhalbjährige Laura, und quietschte vor Vergnügen. Eine Dutzend Kinder folgte den beiden und bewarf den rüstigen alten Landarzt mit Schneebällen.
Die achtjährige Tessa war eine von ihnen.
»Doch net auf das Mauserl!«, hörte Martin Burger sie empört kreischen, als ein Geschoss den Schlitten nur knapp verfehlte.
Ihr fünfjähriger Bruder Filli stimmte ein: »Den Opa sollt ihr treffen, net meine kleine Schwester!« Er ließ seinen Schneeball fallen, blieb stehen und funkelte die größeren Kinder vorwurfsvoll an.
Sabine bildete den Abschluss der Prozession. Sie hielt einen Becher Punsch in der Hand. In ihrer Eile, den Kindern zu folgen, war ihr die Strickmütze tief in die Stirn gerutscht. Wie reizend sie mit ihrem Lächeln und mit den blonden Haaren aussah, die unter der Mütze hervorlugten!
»Du, Martin, bist du in der Tür festgefroren?« Zenzis Stimme sorgte dafür, dass sich Martin Burger vom Anblick seiner Frau losriss. Die alte Hauserin trat neben ihn. Kopfschüttelnd musterte sie das Treiben in der Kirchgasse.
»Gütiger Himmel!«, hörte der Bergdoktor sie murmeln. »Dass ein Mann mit siebenundsiebzig noch so ein Kindskopf sein kann. Und ein studierter Doktor dazu!«
Pankraz hatte das Doktorhaus fast erreicht. Da streifte ihn ein gut gezielter Schneeball eines älteren Buben und riss ihm den Hut vom Kopf! Er blieb stehen, ließ das Schlittenseil los und drehte sich um. Der Missetäter duckte sich kleinlaut.
Im selben Moment hörte Martin Burger Motorenlärm am Ende der Kirchgasse: Ein Geländewagen raste in hohem Tempo heran.
Der Bergdoktor rief eine Warnung. Sabine reagierte sofort. Der Punsch in ihrem Becher schwappte über, als sie das hinterste Kind der Gruppe am Kragen packte und es auf den Gehsteig zog. Die Übrigen sprangen eilig zur Seite. Ein besonders tollkühner Bub flitzte noch rasch los und rettete Pankraz' Hut von der Straße, ehe er diesen und sich selbst in Sicherheit brachte. Martins Vater bückte sich und hob den Schlitten samt dem Laura-Mauserl hoch. Gerade rechtzeitig! Schon raste der Geländewagen knapp an ihnen vorbei.
Mit quietschenden Bremsen hielt er vor dem Doktorhaus. Fabian Reckwitz, der Förster, riss die Fahrertür auf und sprang heraus. Ihm folgte sein Setter, der auf dem Beifahrersitz gehockt hatte.
»Herr Doktor!« Der Förster in seinem waldgrünen Anorak war ein kräftiger Mann, den so leicht nichts erschüttern konnte. Nun aber wirkte das Gesicht unter seinem Lodenhut blass und verstört. »Was bin ich froh, dass ich Sie antreffe!«, stieß er hervor.
Kein Zweifel: Hier lag ein medizinischer Notfall vor. Dr. Burger eilte aus dem Haus. Auch Sabine steuerte bereits auf den Geländewagen des Försters zu. Er sah, wie sie nach ein paar Schritten innehielt und einen raschen, besorgten Blick auf die versammelten Kinder warf.
Martins Vater erfasste die Lage sogleich.
»Ich geb' auf!«, rief er seinen jungen Verfolgern zu. »Ihr gewinnt. Und dafür habt ihr euch alle beim Stand der Feuerwehrjugend eine heiße Schokolade verdient. Findet ihr net?«
Ein »Jaaa!« aus unzähligen Kehlen begrüßte den Vorschlag. Pankraz nickte seinem Sohn und dessen Frau zu. Anschließend drehte er den Schlitten mit dem Laura-Mauserl darauf um und zog ihn ein weiteres Mal Richtung Kirchplatz. Die Kinder, einschließlich Tessa und Filli, folgten ihm wie dem Rattenfänger von Hameln.
»Was ist passiert, Fabian?«, erkundigte sich Dr. Burger, sobald er den Geländewagen erreichte. Es war so kalt, dass sein Atem in der Luft gefror. Zwar hatte er vor dem geplanten Spaziergang mit Poldi bereits seine Stiefel angezogen. Nun aber wünschte er sich, er wäre rasch auch noch in seinen Mantel geschlüpft.
Der Förster öffnete wortlos die hintere Wagentür. An ihm vorbei überblickte der Bergdoktor die Rückbank. Er sog scharf die Luft ein. Zugleich hörte er hinter sich Sabines erschrockenes Keuchen.
Die Frau, die auf der Rückbank des Wagens lag, war klein und zierlich. So zierlich, dass sie in der grünen Lodenjacke fast verschwand, die Förster Reckwitz über sie gebreitet hatte. Der Rock und die Strümpfe, die darunter hervorlugten, sahen völlig durchnässt und von der Kälte steif gefroren aus. Das Gesicht oberhalb der Jacke war wächsern bleich mit blau angelaufenen Lippen.
Dr. Burger griff in einen Jackenärmel und schälte eine zarte, eiskalte Hand heraus. Er legte zwei Finger an die Innenseite des Gelenks und atmete auf: Der Puls war da. Schwach, aber er war da.
»Ich hab sie im Waldsee gefunden«, erklärte der Förster dem Ehepaar Burger. »Sie muss durchs Eis gebrochen sein.«
Trotz der nüchternen Worte hörte ihm Dr. Burger seine Erschütterung an. Als Förster war der Reckwitz mit den grausamen Seiten der Natur so vertraut wie kaum einer: Er hatte im Wald schon so manches kranke, verletzte oder verendete Tier gesehen. Nun aber rang er sichtlich darum, seine Fassung zu wahren.
»Im Waldsee?«, wiederholte Sabine ungläubig.
Der Förster nahm seinen Hut mit dem Gamsbart ab. Er kratzte sich am Kopf und setzte den Hut wieder auf.
»Ein oder zwei Meter vom Ufer entfernt«, bestätigte er. »Dort ist das Eis noch dicker. Sie hat auf der Scholle gelegen. Ich nehm' an, sie ist weiter draußen eingebrochen und hat sich mit letzter Kraft dahin gerettet.«
Während sie sprachen, beugte sich Dr. Burger über die Patientin. Sie atmete, wenn auch etwas unregelmäßig. Sabine begegnete seinem Blick und wandte sich ab.
»Zenzi, wir brauchen sofort das kleine Krankenzimmer!«, rief sie der Hauserin zu. »Und Decken!«
Förster Reckwitz half Martin Burger, die Bewusstlose aus seinem Wagen zu heben. Anschließend trug der Bergdoktor sie zu dem Anbau ans Doktorhaus, der bei den Dörflern nur die »Mini-Klinik« hieß. Sabine eilte ihm voran und öffnete für ihn die Türen.
Der Reckwitz keuchte neben ihm her.
»Der See ist in dem Jahr noch gar net vollständig zugefroren«, stieß er atemlos hervor. »Ein oder zwei Zentimeter! Dicker kann die Eisschicht in der Mitte net sein. Ich weiß ja net, welcher Teufel sie geritten hat, dass sie sich so weit hinausgewagt hat. Sie muss tausend Schutzengerl gehabt haben. Wenn mein Hasso sie net gewittert hätt' ...« Er verstummte.
Sie stiegen die Treppe hinauf. Zenzi hatte rasch noch eines der beiden Krankenzimmer gelüftet. Nun schloss sie das Fenster.
»Die nassen Kleider müssen als Erstes weg«, entschied Sabine. »Hilfst du mir bitte, Zenzi?«
Während die beiden Frauen die Bewusstlose versorgten, wandte sich Dr. Burger an den Förster: »War sie ganz allein? Hat keiner sie begleitet?«
Fabian Reckwitz schüttelte den Kopf. Wieder zog er sich den Hut vom Kopf. Diesmal drehte er ihn nervös in beiden Händen, ehe er ihn aufsetzte.
»Kein Mensch zu sehen. Und ich wollt' nur schauen, ob genug Futter fürs Wild in der Krippe ist.« Er schluckte kräftig. »Ich hab ja schon einiges erlebt, Herr Doktor. Aber dass da auf einmal ein Madel so steif gefroren wie ein Eiszapfen vor einem liegt ...«
Dr. Burger legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Du hast genau das Richtige getan«, versicherte er dem aufgewühlten Förster. »Gut, dass du sie mit deiner Jacke gewärmt und gleich zu mir gebracht hast! Meine Frau und ich kümmern uns jetzt um sie.«
»Ich dank' Ihnen schön, Herr Doktor.«
Zenzi und Sabine hatten die Bewusstlose von ihren eisigen Kleidern befreit und ihr ein Patientenhemd angezogen. Sabine zog die Bettdecke über sie. Zenzi reichte ihr aus dem Schrank eine zusätzliche Wolldecke.
Mit einem letzten Blick auf die Patientin nahm der Förster seinen Abschied. Er polterte die Treppe hinunter. Dr. Burger hörte, wie er die Haustür öffnete, und gleich darauf zweistimmiges Gebell.
»Hasso!«, herrschte der Förster seinen Setter an. »Lass den Poldi in Frieden! Bei Fuß!« Die Tür fiel hinter ihm zu.
***
»Das ist die Rödl-Ida, gell? Kennst du sie?«, fragte Sabines Mann sie leise.
Sie saßen auf Stühlen an Idas Krankenbett, jeder auf einer Seite, und wachten über die Patientin. Denn das Tückische an einer Unterkühlung war: Auch nach der Rettung aus der unmittelbaren Gefahrenzone konnte es noch zu einem Kreislaufzusammenbruch kommen. Sabine hielt zudem nach den ersten Anzeichen für eine Lungenentzündung Ausschau und wusste, dass Martin dasselbe tat.
Sie blickte herab auf das blasse, herzförmige Gesicht umrahmt von dunklem Haar.
»Nur ein bisserl«, erwiderte sie ebenso leise. »Sie wohnt gar net weit vom See entfernt. In dem alten Waldhaus.«
Ihr Mann gab einen zustimmenden Laut von sich.
»Der Wald dort gehört dem Angerer-Toni, net wahr?«
»Der Großteil, ja. Bis auf den Teil rund um das Waldhaus. Die Liegenschaft hat ihm die Ida seinerzeit nach ihrer Scheidung abgekauft. Zehn Jahre muss das ungefähr her sein.«
Martin sah auf. Eine winzige Falte erschien zwischen seinen Augen.
»Nach ihrer Scheidung? Ich hab gedacht, ihr Mann wär' gestorben. Reden die Leitnerin und der ganze Rest net alleweil von der Witwe Rödl?«
»Sie ist nach ihrer Scheidung hergezogen.« Was das anging, war sich Sabine sicher. »Später ist ihr Exmann dann gestorben.«
Sie versuchte sich zu erinnern, was sie sonst noch über Ida wusste. Im Dorfladen der Jeggl-Alma wurde zwar viel getratscht, aber was gab es groß über eine Witwe zu erzählen, die so zurückgezogen und bescheiden mitten im Wald lebte?
Nach kurzem Überlegen fuhr sie fort: »Er hat zuletzt in Innsbruck gewohnt, glaub' ich. Mit seiner Neuen. Nach der Scheidung von ihm hat sich die Ida mit dem Geld, das ihr zugestanden ist, das Waldhäusl gekauft. Sie hat einen großen Garten angelegt und hält außerdem ein paar Schafe und ein Dutzend Hühner. Sogar Enten, hab ich gehört. Im Großen und Ganzen versorgt sie sich selbst und kauft im Ort nur das Nötigste.«
Ein pfeifendes Geräusch begleitete den nächsten Atemzug der Patientin. Sabine unterbrach sich. Sie begegnete Martins Blick und wusste, dass er die gleichen Befürchtungen hegte wie sie. Er griff nach Idas Handgelenk, maß den Puls und kräuselte besorgt die Stirn.
Nach kurzem Schweigen nahm er den Gesprächsfaden wieder auf: »Hat sie in St. Christoph Familie?«
Sabine schüttelte den Kopf. »Nur in Salzburg, wo sie ursprünglich her ist. Einen Bruder. Kinder aus ihrer Ehe gibt's keine.«
Ein unerwartetes Lächeln huschte über Martins Lippen. Sabine schaute ihn fragend an.
Mit funkelnden Augen erklärte er ihr: »Ich hab gerade an das denken müssen, was Fabian Reckwitz gesagt hat. ›Ein Madel‹ hat er sie genannt. Und man könnt' sie auf den ersten Blick dafür halten, gell? So klein und zierlich ...« Seine Stimme verebbte. »Du weißt net zufällig, wie alt sie ist?«
»Älter als ich auf jeden Fall.« Sabine dachte nach. »Einundvierzig? Die Ebnerin hat uns erzählt, dass sie ihr zum Vierzigsten ein Flascherl Honiglikör geschenkt hat, weil die Ida den so gern mag. Und das ist gewiss mehr als ein Jahr her.«
Beide blickten sie auf die Bewusstlose herab. Martin maß erneut Idas Puls und legte danach eine Hand auf ihre Stirn, um die Temperatur zu überprüfen. Die Falte zwischen seinen Augen grub sich ein wenig tiefer.
Sabine schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel. Sie bat den gütigen Herrgott um seinen Beistand für ihre Patientin: für eine brave, fleißige, bescheidene Frau, die keinem Menschen je etwas zuleide getan hatte.
Zugleich tauchte in ihr eine Frage auf: Was mochte Ida dazu bewogen haben, sich hinaus aufs Eis zu wagen?
Hinter ihr schwang die Tür auf. Zenzi kam herein.
»Pankraz hat angerufen«, teilte sie ihnen mit. »Er wird mit den Kindern in zehn Minuten daheim sein.«
Sabine erhob sich von ihrem Stuhl. Hier konnte sie gerade nicht viel ausrichten: Es genügte, wenn einer von ihnen an Idas Bett wachte. Und sie wurde als Mutter ebenso gebraucht wie als Ärztin.
Die alte Hauserin trat näher.
»Was machst du nur für Sachen, Ida?«, erkundigte sie sich leise und mitfühlend.
Martin sah auf. »Du kennst sie?«
»Net gut«, wehrte Zenzi sogleich ab. »Wir treffen uns ab und zu in der Frühmesse, wenn sie im Dorf was zu erledigen hat. Hin und wieder reden wir beim Hinausgehen kurz miteinander. Letztes Mal hat sie mir erzählt, dass ihr Neffe, der Peter, sie für ein paar Tage besuchen kommt. In drei Wochen, hat sie gemeint.« Zenzis Lippen bewegten sich lautlos, als sie rasch nachrechnete. »Mei«, entfuhr es ihr. »Das muss ja diese Woche sein!«
Beide Burgers horchten auf.
»Ihr Neffe ist grad in St. Christoph?«, vergewisserte sich Martin. »Wohnt er bei ihr?«
»Um Himmels willen, nein!« Zenzi schüttelte den Kopf. »Was tät' denn so ein junger Bursche mitten im Wald? Ein Stadtkind noch dazu! Und wo sollt' er schlafen, wo sie doch nur das eine Bett hat?« Sie wartete nicht auf eine Antwort. »Er steigt im Berghotel ab. Ich glaub', er bleibt auch wegen unserer Skipisten gern ein paar Tage länger. Aber die Ida freut sich alleweil so, wenn er nach dem Skifahren auf einen Kaffee zu ihr kommt.«
Jäh stand Martin auf. »Schaust du bitte noch ein paar Minuten auf die Ida?«, bat er Sabine. »Bis die Kinder da sind.« Er schob eine Hand in die Hosentasche und kramte nach seinem Handy. »Ich möcht' den Sirch anrufen. So ein Unfall gehört gemeldet.« Sein Blick kehrte zu Idas blassem Gesicht zurück. »Und wenn noch dazu jemand von ihrer Familie vor Ort ist – man muss dem Neffen Bescheid geben, was mit seiner Tante passiert ist.«
***
Keine Stunde später saßen die Burgers beim Mittagessen, als draußen ein Wagen hielt. Der Bergdoktor schluckte den letzten Bissen von seinem Kalbsschnitzel herunter. Er legte Messer und Gabel zur Seite. Gerade nahm er noch einen Schluck aus seinem Glas, da hämmerte schon jemand an der Haustür.
Im Nu war Zenzi auf den Beinen.