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Nebel legt sich wie ein Mantel des Schweigens über die alte Waldkapelle von St. Christoph. Während die Renovierungsarbeiten voranschreiten, macht einer der Arbeiter bei Grabungen eine erschütternde Entdeckung. Er findet menschliche Säuglingsknochen. Ärztin Sabine Burger, Architektin Julia Steiner und Gendarm Ludwig Sirch stehen vor einem Rätsel, das bald das ganze Dorf in Aufruhr versetzt. Sind die Knochen Relikte alter Bräuche, oder bergen sie Hinweise auf ein Verbrechen, das nie ans Licht kommen sollte?
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Seitenzahl: 104
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Die vergessene Geschichte der alten Kapelle
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Impressum
Die vergessene Geschichte der alten Kapelle
Dramatischer Roman um eine furchtbare Entdeckung
Von Andreas Kufsteiner
Nebel legt sich wie ein Mantel des Schweigens über die alte Waldkapelle von St. Christoph. Während die Renovierungsarbeiten voranschreiten, macht einer der Arbeiter bei Grabungen eine erschütternde Entdeckung. Er findet menschliche Säuglingsknochen.
Ärztin Sabine Burger, Architektin Julia Steiner und Gendarm Ludwig Sirch stehen vor einem Rätsel, das bald das ganze Dorf in Aufruhr versetzt. Sind die Knochen Relikte alter Bräuche, oder bergen sie Hinweise auf ein Verbrechen, das nie ans Licht kommen sollte?
Sabine Burger zog ihre Jacke fester um sich. In den letzten Tagen war es merklich abgekühlt. Wind kam auf. Die Blätter fielen von den Bäumen, inzwischen war es richtig herbstlich geworden.
Sabine mochte all die bunten Farben, den Geruch nach feuchtem Moos, Laub und Erde, nur auf den schneidigen Wind, auf den konnte sie verzichten.
Die Kinder hatte sie bereits mit Mützen und Schals ausgestattet, nur sie war in ihrer luftigen Strickjacke nach draußen gegangen in dem Gedanken, die Bewegung würde sie warmhalten.
Mit ihren drei Kindern Tessa, Filli, Laura und Rauhaardackel Poldi spazierte sie den schmalen, teils holprigen Pfad entlang, der zur alten Kapelle führte. Die Sonne stand so früh am Tag noch tief am Horizont, und das Morgenlicht verlieh dem Krähenwald eine geheimnisvolle, fast magische Atmosphäre.
Die Kinder waren voller Tatendrang, doch der Weg, obwohl bereits freigeschnitten, war für die Kleinen beschwerlicher als gedacht.
»Wie weit ist es noch?«, jammerte Tessa.
Sofort begann Laura, das Nesthäkchen, ebenfalls zu quengeln. Die Zweijährige wollte wieder auf den Arm. Aber der Weg war eng, und Sabine hatte Sorge, mit Laura auf dem Arm zu stürzen. So versuchte sie, die Kinder abzulenken.
»Gleich sind wir da. Wusstet ihr, dass diese Kapelle früher ein wichtiger Pilgerort war?« Sabine streichelte Laura über den Kopf und nahm sie an die Hand.
»Sag bloß, du kannst nicht mehr, Tessa?«, neckte Sabine ihre Älteste.
»Natürlich kann ich noch. Ich bin ja kein Baby mehr.« Tessa marschierte nun entschlossen voran, das Kinn trotzig erhoben, während Filli mit seinen wachen, braunen Augen neugierig auf jedes Detail am Wegesrand schaute. Die Ameisenstraße, Pilze, eingetrocknete Brombeeren, ein Mauseloch – der Fünfjährige fand alles interessant.
»Woher wissen die Ameisen, wo ihr Weg ist?«, fragte er, doch als Sabine antworten wollte, war er schon in einen Pilz vertieft.
Sabine merkte auf. »Das ist ein Pilz, den du leicht erkennen kannst und der lecker ist, er heißt Maronen-Röhrling. Schau ihn dir genau an, Filli. Er sieht aus wie ein kleiner brauner Hut auf einem dicken Bein. Der Hut ist dunkelbraun, und wenn du ihn anfasst, fühlt er sich weich und ein bisschen samtig an. Unter dem Hut hat er keine Lamellen, die kleinen Linien wie bei anderen Pilzen, sondern kleine gelbliche Röhren, die aussehen wie winzige Löcher. Wenn du den Pilz aufschneidest, wird sein Fleisch etwas blau.«
Filli hörte gebannt zu, denn seine Mutter wusste noch mehr zu berichten.
»Du findest ihn oft in der Nähe von Kiefern oder Fichten. Demnächst sollten wir uns Zeit nehmen und einmal mit Papa Pilze sammeln gehen. Und merk dir eins: Du solltest den Pilz aber immer erst mit einem Erwachsenen sammeln, der sich gut auskennt, bevor du ihn isst, denn es gibt auch Pilze, die sehr giftig sind.«
Filli nickte, und Sabine wusste, dass er sich ihre Erklärung gut gemerkt hatte.
Inzwischen war Poldi ein Stück schnuppernd vorausgelaufen. Schwanzwedelnd blieb er nun vor einem Gebüsch stehen, in dem es raschelte.
»Poldi, hiiiiier«, rief Sabine gerade noch, bevor der Dackel sich dem Kaninchenbau genauer widmen konnte. Poldi überlegte kurz und kam dann zurückgerannt.
»Schaut mal da hinten«, sagte Sabine, um die Kinder bei guter Laune zu halten, »das ist der alte Pilgerweg, der wieder freigeschnitten werden soll.«
»Was sind Pilger?«, wollte Filli wissen.
»Pilger sind Menschen, die weite Reisen unternehmen, um an heilige Orte zu gelangen«, erklärte Sabine geduldig. »Früher waren so weite Reisen oft sehr beschwerlich, aber die Menschen nahmen die Strapazen auf sich, weil sie hofften, dass sie durch die Reise gesegnet würden.«
»Und warum sind sie nicht einfach mit dem Auto gefahren?«, warf Tessa ein, die als Grundschulkind Sabines Erklärungen immer mit einer gesunden Portion Skepsis begegnete.
Sabine strich ihrer Tochter über das dunkle Lockenhaar.
»Damals gab es noch keine Autos, mein Schatz. Die Menschen mussten zu Fuß gehen oder mit Pferden und Kutschen reisen.«
Die Kinder schienen mit dieser Antwort fürs Erste zufrieden zu sein, und so setzten sie ihren Weg fort, bis sie schließlich die Lichtung erreichten, auf der die alte Kapelle stand.
Das Unterholz und Gestrüpp um das kleine, stark baufällige Gebäude herum waren schon beseitigt worden. Sabine blieb einen Moment stehen und ließ den Anblick auf sich wirken. Die ehemals weiß getünchte Kapelle mit dem roten Dach wirkte zerbrechlich, wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Die Spuren der Vernachlässigung waren leider allzu offensichtlich – der Putz bröckelte und das Holz des Eingangstores war verwittert. Jahrzehntelang hatte sie niemand mehr betreten.
»Das ist sie«, sagte Sabine leise und ehrfürchtig, und die Kinder scharten sich um sie. »Und bald wird sie hoffentlich wieder erstrahlen.«
Was ein schöner Ort und was für eine gute Entscheidung des Fördervereins, dieses Schmuckstück nun zu restaurieren!
Julia Steiner, die von außerhalb beauftragte Architektin, die sich auf die Restauration historischer Gebäude spezialisiert hatte, war bereits vor Ort und winkte ihnen freundlich zu.
Julia trug praktische Arbeitsklamotten, ihr Zopf hing locker über der rechten Schulter, und trotz der Müdigkeit in ihren blauen Augen strahlte sie eine ruhige Gelassenheit aus. Schon mehrfach waren sich die Frauen begegnet, und die Sympathie beruhte auf Gegenseitigkeit.
»Grüß dich, Sabine.« Julia Steiner umarmte sie herzlich. »Die Arbeiten an der Kapelle sind ein gutes Stück vorangekommen. Ich freue mich, dass ihr heute hier seid.«
»Wir wollten unbedingt sehen, wie die Renovierung voranschreitet. Und ich wollte den Kindern diesen besonderen Ort zeigen. Nun ist der Weg hierhin ja wieder begehbar. Aber nicht nur die Forstarbeiten sind gut vorangekommen, auch hier tut sich ja einiges!«
Julia beugte sich zu Tessa und Filli hinunter.
»Wisst ihr, dass ich dafür sorge, dass diese Kapelle wieder genauso schön wird wie früher?«, fragte sie und zwinkerte.
Tessa musterte die Architektin einen Moment lang kritisch, bevor sie mit einer Mischung aus Skepsis und Neugier nickte.
»Und wie willst du das machen?«, fragte sie, die Arme vor der Brust verschränkt.
Julia lachte leise. »Mit ganz, ganz viel Geduld und viel Liebe zum Detail.«
Die Kinder schauten beeindruckt zur Kapelle hinauf. Sabine und Julia führten die drei durch die Baustelle.
Sabine bemerkte zufrieden, wie viel sich schon verändert hatte. An der Wetterseite war der alte Putz bereits vollständig entfernt worden. Bald würde dieser Ort nicht mehr nur eine verfallene Kapelle sein, sondern ein Stück lebendige Geschichte für die Dorfbewohner.
Sabine trat neben Julia, als sie das gedämpfte Murmeln der Arbeiter hörte, das plötzlich lauter wurde. Sie merkte auf und schaute sich um. Ein Mann, der nahe der alten Traufrinne arbeitete, hob etwas weiß-grau Bröseliges aus dem Erdreich und winkte hektisch seine Kollegen zu sich.
Sabines Blick wanderte von Julia zu den Arbeitern, und in ihrem Magen breitete sich ein unangenehmes Gefühl aus.
Das waren – Knochen! Sie konnte es aus der Entfernung sofort erkennen, oft genug hatte sie als Ärztin menschliche Knochen gesehen. Sie wusste, dass solche Funde während einer Renovierung zutage treten konnte, doch dass so etwas hier geschah ...
Tessa, der wie immer nichts entging, eilte neugierig näher.
»Mama, was ist denn da los?«, fragte sie, während Filli und Laura ihr folgten, die Augen weit aufgerissen.
Sabine wollte ihre Kinder fernhalten, doch es war zu spät. In den Händen des Arbeiters lagen kleine Knochen – eindeutig die Überreste eines winzigen, zerbrechlichen Körpers. Säuglingsknochen.
»Was ... was ist das?« Tessa flüsterte die Frage, ihre sonst so selbstbewusste Art schien für einen Moment verflogen zu sein. Filli trat nervös einen Schritt zurück und griff unbewusst nach Lauras Hand.
Sabine reagierte schnell. Sie kniete sich zu ihren Kindern hinunter und zog sie zu sich in die Arme, die beiden Kleinen auf den Schoß.
»Hört zu, Kinder«, sagte sie mit sanfter, aber bestimmter Stimme, um ihnen die Verunsicherung zu nehmen, »das sind sehr, sehr alte Knochen aus längst vergangenen Zeiten. Es ist nichts, was euch Sorgen machen muss. Es ist ein Teil der Geschichte dieser Kapelle, etwas, das schon lange hier liegt.«
Sie hoffte, dass das stimmte, war sich aber bewusst, dass nur Fachleute diesen Fund richtig einordnen konnten. Nun ging es erst einmal darum, den Kindern die Ängste zu nehmen, ohne sie anzulügen. Die drei hatten ein gutes Gespür, sie würden sowieso jede Lüge erkennen.
Die Kinder schauten sie mit großen Augen an.
»Aber ... aber es sind doch Knochen!«, protestierte Filli leise, während Laura sich ängstlich an ihn klammerte.
»Ich weiß, Filli«, antwortete Sabine und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. »Das ist nichts Gefährliches. Es ist nur ein Überbleibsel aus einer Zeit, die lange vorbei ist. Ihr kümmert euch jetzt um Poldi, ja? Geht mit ihm da hinten zu den zwei großen Eichen. Ich komme gleich nach.«
Tessa wollte noch etwas sagen, aber Sabine schickte sie mit einer klaren Handbewegung weg. »Später, Tessa.«
Zögernd folgten die Kinder der Aufforderung, wobei Tessa Poldis Leine ergriff und die zwei Kleinen in Richtung Wald führte. Sabine blieb einen Moment stehen, um sicherzustellen, dass die Kinder außer Hörweite waren, dann trat sie zu den Arbeitern.
»Was machen wir denn jetzt?«, fragte derjenige, der die Knochen gefunden hatte, und hielt sie hoch.
Sabine musterte die Knochen, und obwohl ihr innerlich flau war, blieb sie bewusst ruhig.
»Das sind historische Knochen«, erklärte sie. »Jahrhunderte alt. Wahrscheinlich Überreste von Säuglingen, die hier vor langer Zeit begraben wurden. Legen Sie sie wieder hin, sie können zerbrechen.« Sie richtete sich auf. »Legen Sie sofort alle Hacken und Schaufeln ab und stellen Sie die Arbeiten ein.«
Ein Raunen ging durch die Gruppe der Arbeiter. Einer von ihnen, ein stämmiger Mann mit wettergegerbtem Gesicht, verschränkte die Arme vor der Brust und verzog den Mund.
»Meine Güte, so ein Aufstand um nichts! Das sind nur ein paar alte Knochen. Können genauso gut irgendwelche Tierknochen sein. Wir werden doch hier nicht wegen so was die Arbeit einstellen.«
Sabine trat einen Schritt näher und stellte sich vor ihn, um ihm direkt in die Augen zu sehen.
»Ich verlange, dass sofort alle Arbeiten ruhen«, erklärte sie entschlossen. »Wir müssen die Gendarmerie informieren. Es ist nicht erlaubt, solche Funde einfach zu ignorieren.«
Der Mann verzog das Gesicht.
»Fürs Nichtstun werden wir nicht bezahlt, Frau Doktor. Außerdem – wer weiß, wie lange die hier schon liegen. Und ob es wirklich Knochen von Menschen sind. Auf ein paar alte Knochen kommt es doch nun wirklich nicht an.«
»Vielleicht hat auch jemand verbotenerweise hier gegrillt und die Knochen vom Kotelett vergraben«, kommentierte ein anderer.
Sabine spürte, wie ihr Puls schneller wurde, doch jetzt durfte sie nicht die Fassung verlieren, wenn sie die Kontrolle über die Situation gewinnen wollte.
»Diese Kapelle ist ein historisches Gebäude, und das, was ihr hier gefunden habt, könnte von unschätzbarem Wert für die Geschichte des Dorfes sein. Darum werden die Arbeiten gestoppt, und zwar sofort.«
Der Mann öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, doch Sabine ließ ihm keine Chance.
»Ihr riskiert eine Anzeige, wenn ihr weiterarbeitet, ohne die Behörden zu informieren. Und ob ihr es glaubt oder nicht, ich werde diejenige sein, die euch anzeigt. Also schlage ich vor, dass ihr abfahrt und auf weitere Anweisungen wartet.«
Es entstand eine angespannte Stille, in der die Arbeiter sich gegenseitig unbehagliche Blicke zuwarfen.
Zufrieden registrierte Sabine die Unsicherheit, die sie mit ihren Worten ausgelöst hatte. Schließlich seufzte der Anführer der Gruppe und nickte. Sichtbar widerwillig verkündete er mit bebendem Kinn: »Na gut, wir machen Feierabend. Aber das letzte Wort ist sicher noch nicht gesprochen.«
Sabine sah zu, wie die Männer ihre Werkzeuge und Gerätschaften einsammelten und sich langsam zum Abmarsch bereitmachten. Dabei warfen sie Sabine immer wieder ärgerliche Blicke zu. Als der letzte Arbeiter den Platz verlassen hatte, atmete sie tief durch und ließ ihren Blick noch einmal über die Kapelle schweifen.
»Und was jetzt?«, fragte Julia unsicher.
»Ich informiere den Gendarm, und dann gehe ich mit den Kindern nach Hause.«
***
Dr. Martin Burger lehnte sich einen Moment in seinem Stuhl zurück und atmete tief durch.