Der Bergdoktor 2273 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2273 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Das Leben der Familie Freilinger gerät aus den Fugen, als die geliebte Altbäuerin Regine die erschütternde Diagnose Krebs erhält. Ihre Tage sind gezählt, und sie weiß, dass sie sich bald von dieser Welt verabschieden muss - doch ein letzter Herzenswunsch treibt sie an: Sie möchte unbedingt auf der Hochzeit ihrer Enkelin Nora tanzen. Aber Nora ist nicht verlobt, geschweige denn bereit für die Ehe. Als ihr Kindheitsfreund Felix vorschlägt, eine Hochzeit zu inszenieren, scheint das eine Lösung. Doch was als uneigennütziger Plan beginnt, bringt tiefe Gefühle ans Licht und droht, die enge Freundschaft zwischen Nora und Felix zu zerstören ...


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Seitenzahl: 131

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Happy End – für einen einzigen Tag

Vorschau

Impressum

Happy End – für einen einzigen Tag

Wenn das Schicksal nicht gnädig ist

Von Andreas Kufsteiner

Das Leben der Familie Freilinger gerät aus den Fugen, als die geliebte Altbäuerin Regine die erschütternde Diagnose Krebs erhält. Ihre Tage sind gezählt, und sie weiß, dass sie sich bald von dieser Welt verabschieden muss – doch ein letzter Herzenswunsch treibt sie an: Sie möchte unbedingt auf der Hochzeit ihrer Enkelin Nora tanzen.Aber Nora ist nicht verlobt, geschweige denn bereit für die Ehe. Als ihr Kindheitsfreund Felix vorschlägt, eine Hochzeit zu inszenieren, scheint das die Lösung. Doch was als uneigennütziger Plan beginnt, bringt tiefe Gefühle ans Licht und droht, die enge Freundschaft zwischen Nora und Felix zu zerstören ...

Unablässig prasselte der Novemberregen auf das Doktorhaus von St. Christoph nieder. Gut, dass wenigstens Mittwochnachmittag war! Da nämlich hatte die Praxis von Dr. med. Martin Burger, wie alle wussten, geschlossen. Keiner seiner Patienten musste bei diesem nasskalten Wetter durch den Regen zu ihm stapfen und seinen triefenden Tirolerhut und Mantel an einen Haken im Wartezimmer hängen.

Warum aber fuhr dann soeben ein Geländewagen langsam durch die Kirchgasse? Der Fahrer ließ die Roswitha-Apotheke und das Haus des Sparkassenleiters hinter sich. Die Scheibenwischer arbeiteten auf Hochtouren und schleuderten Tropfen nach allen Seiten.

Durch die nasse Scheibe konnte man verschwommen den Fahrer ausmachen: einen Bauern Anfang fünfzig mit einem runden, freundlichen Gesicht. Neben ihm saß eine ältere Bäuerin, die das graue Haar zu einem Knoten gesteckt hatte. Auch die Rückbank des Wagens war belegt. Wasser spritzte auf den Gehsteig, als das Auto das Ende der Kirchgasse erreichte.

Der Bergdoktor stand in seiner Diele. Durchs Fenster beobachtete er, wie der Fahrer anhielt und ausstieg. Geduckt eilte der Bauer zum Kofferraum und entnahm ihm einen bunt gemusterten Regenschirm. Damit lief er zur Beifahrertür.

»Du, Martin!« Auf diese Anrede hin wandte sich Dr. Burger um. Die Bachhuber-Zenzi, die treue Hauswirtschafterin seiner Familie, steckte den Kopf aus der Küche. »Ich hab ein Auto gehört«, erklärte sie. »Sind das die Freilingers aus Altenacker?«

Dr. Burger warf erneut einen Blick durchs Fenster. Unter dem Regenschirm beugte sich der Freilinger-Johann zu seiner Mutter herab und half ihr beim Aussteigen.

»Ja, du hast recht, das sind sie.«

Zenzi seufzte. Doch alles, was sie sagte, war: »Ich trag' rasch einen Teller voll Lebkuchen hinüber ins Sprechzimmer. Und eine Kanne Kräutertee mit viel Honig. Bei diesem Wetter kann ein bisserl Wärme net schaden, gell?«

Martin nickte, und sie verschwand wieder in der Küche. Voller Zuneigung sah er ihr nach. Zenzi besaß ein gutes Herz und zugleich eine äußerst praktische Veranlagung. Ihr Mitgefühl mit seinen Patienten zeigte sie daher gerne durch Schmankerl aus ihrer Koch- und Backstube.

Sie hatte ja recht. Etwas Warmes würde den Freilingers bei diesem trüben Wetter nicht schaden. Auch wenn der Bergdoktor wusste: Kein Tee mit noch so viel Honig könnte ihnen die bittere Nachricht versüßen, die es zu überbringen galt.

***

Wenig später hockten sie zu fünft drüben im Sprechzimmer in seiner Praxis.

»So ruhig war es draußen im Warteraum, glaub' ich, noch nie«, merkte die Freilinger-Regine halblaut an. Sie schenkte dem Bergdoktor ein schwaches Lächeln.

»Aber so viele Leut' auf einmal hat der Herr Doktor auch noch net gleichzeitig vor sich sitzen gehabt. Gell, Mama?«, versuchte ihr Sohn Johann zu scherzen. Bei dem letzten Wort fing seine Stimme zu zittern an. Rasch wandte er das Gesicht ab und fuhr sich mit dem rechten Handrücken über die Augen.

Seine Frau, die Freilinger-Maria, griff nach seiner linken Hand und verschränkte ihre Finger mit den seinen. Auch ihre Augen schimmerten feucht.

Hinter seinem Schreibtisch blickte Martin Burger in die Runde. Zenzi hatte für den Besuch vier Stühle in einem Halbkreis zusammengeschoben. Die Freilinger-Regine saß zwischen ihrem Sohn und ihrer Enkelin, der sechsundzwanzigjährigen Nora. Dr. Burger bemerkte, wie sie eine Hand auf das Knie des Madels legte: ein stummer Zuspruch.

Es gab Momente im Leben des Arztes, die ihn trotz seiner langjährigen Erfahrung noch immer ins Herz trafen. Dazu gehörte es, eine Nachricht wie die heutige zu überbringen. So etwas tat man nicht zwischen Tür und Angel oder während der gewöhnlichen Öffnungszeiten seiner Praxis. Erst recht nicht, wenn draußen im Warteraum womöglich die Leitnerin hockte und ungeniert lauschte!

Freilich: Regine Freilingers Diagnose würde sich im Ort rasch herumsprechen. Neuigkeiten wie diese blieben nicht lange geheim. Zumindest aber konnte der Bergdoktor seiner Patientin und ihrer Familie etwas Zeit verschaffen.

»Es tut mir leid«, fing er an und sah Regine dabei offen ins Gesicht. »Ich hab die letzten Befunde hier. Und es ist so, wie wir's befürchtet haben. Ich kann dir leider keine bessere Diagnose stellen.«

Die Altbäuerin erbleichte. Ihre Unterlippe begann zu beben.

Neben ihr ließ ihr Sohn den Kopf hängen.

»Krebs im Endstadium«, hörte ihn der Bergdoktor murmeln. »Und das so kurz nach der Sach' mit dem Papa! Herrgott, was willst du unserer Familie denn noch alles aufbürden?«

Seine Frau bekreuzigte sich stumm.

Nora am anderen Ende des Halbkreises war blass wie ein Leintuch geworden. Sie legte ihre schlanke Madelhand auf die altersfleckige ihrer Großmutter und drückte sie fest. Ganz so, als hätte sie Angst, der Tod könnte bereits hier und jetzt nach Regine greifen.

»Wie lange hab ich noch, Herr Doktor?«, stieß die Altbäuerin hervor.

Er antwortete sanft: »Regine, das kann kein Mensch so genau sagen. Nur der liebe Herrgott.«

Der Freilinger-Johann sah auf.

»Aber Herr Doktor! Mit ihrer vielen Erfahrung ...« Seine Stimme erstarb. Tapfer versuchte er es von Neuem: »Geben Sie uns wenigstens eine grobe Einschätzung. Ich bitt' Sie!«

Dr. Burger ließ sich mit seiner Erwiderung Zeit. Kein Patient glich dem anderen aufs Haar. Wie lange ein Körper und ein Geist gegen den Krebs bestehen konnten, hing von so vielen Faktoren ab! Doch er war nicht mehr wie einst als Chirurg an der Uni-Klinik in München tätig: mit Patienten, die er meistens nur einmal und dann nie wieder gesehen hatte. Seine Patientenkartei in St. Christoph umfasste nun Nachbarn und Freunde. Menschen, mit denen er aufgewachsen war. Deren Eltern und Großeltern er gekannt und die das Leid seiner Familie mit ihm geteilt hatten. So wie er nun ihr Leid mit ihnen teilte.

»Als Arzt kann ich darüber keine fundierte Aussage treffen, Johann«, antwortete er. »Doch als dein alter Spezl vom Fußball? Mit Glück noch vier oder fünf Monate. Das wär' meine Einschätzung.«

Der Freilinger-Bauer schniefte. Seine Frau hatte schon ein Taschentuch hervorgezogen. Sie betupfte sich damit die Augen und reichte es anschließend an ihn weiter.

Er starrte darauf herab. Zu guter Letzt hob er es vor sein Gesicht. Statt sich die Augen abzuwischen, schnäuzte er sich geräuschvoll hinein.

Regine flüsterte: »Wenigstens können wir uns darauf einstellen, gell? Nicht so wie bei meinem Franzl. Der hat sich in der Früh auf den Traktor gesetzt, und das war das letzte Mal, dass wir ihn lebend gesehen ...«

Ein Schluchzen unterbrach sie mitten im Wort. Nora sprang so rasch von ihrem Stuhl auf, dass dieser fast umgekippt wäre. Sie stürmte aus dem Sprechzimmer.

»Wo willst du denn hin?«, entfuhr es ihrer Mutter.

Nora wandte sich nicht um. Die Tür knallte hinter ihr ins Schloss. Wenig später hörte Dr. Burger, wie auch die Haustür des Anbaus zufiel. Durchs Fenster sah er: Im Laufschritt verließ Nora die Praxis. Sie trug zwar einen Mantel, aber keine Kapuze oder Haube. Der Regen prasselte auf ihr hüftlanges, braunes Haar herab.

Die Freilinger-Maria blickte so wie er durchs Fenster. Sie erhob sich.

Ihr Mann griff nach ihrem Arm und hielt sie zurück.

»Lass sie«, bat er. »Unser Madel will halt allein sein.«

»Ohne Schirm draußen im Regen?«, hielt seine Frau erregt dagegen. »Sie holt sich ja noch den Tod!« Kaum waren ihr die letzten Worte entschlüpft, presste sie erschrocken eine Hand auf ihren Mund und fing an zu weinen.

»Maria«, nannte ihr Mann sie beim Namen. »Maria!« Er warf dem Bergdoktor einen Hilfe suchenden Blick zu. Danach rückte er seinen Stuhl näher an den seiner Frau heran, zog sie an sich und streichelte sanft ihre Schultern.

Martin Burger spähte erneut durchs Fenster. Nora stand nach wie vor im Regen. Sie hielt nun ihr Handy und tippte rasch eine Nachricht.

Regines Räuspern riss ihn aus der Betrachtung.

»Herr Doktor, ich bin so frei und frag' einfach: Sind das auf dem Teller etwa gar Lebkuchen von der Zenzi?«

»Freilich, Regine. Greif nur zu.« Er hielt den Keksteller einladend zunächst ihr, dann den Jüngeren hin. »Und darf ich euch dazu eine Tasse Kräutertee mit Honig anbieten?«

Der Freilinger schüttelte abwehrend den Kopf. Seine Frau jedoch hörte zu weinen auf.

»Das wär' arg nett von Ihnen«, stieß sie mit erstickter Stimme hervor. »Für die Nora. Wenn sie schon im Regen herumsteht, sollt' sie wenigstens etwas Warmes trink...«

Sie unterbrach sich. Der Bergdoktor spitzte die Ohren. Draußen näherte sich rasch ein Auto. Es klang nach einem älteren Geländewagen.

Kaum erkannte Martin Burger das, preschte dieser auch schon mit mehr als der erlaubten Geschwindigkeit in die Kirchgasse. Mit laufendem Motor hielt er vor der Praxis.

Ein Bursche sprang heraus und rannte ums Heck des Wagens. Er trug nicht einmal eine Jacke, nur ein kariertes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Der Regen prasselte auf ihn nieder, und mit jedem Schritt spritzte das Wasser vom Boden bis zu seinen Knien hoch. Nichts davon schien ihn zu kümmern.

Nora warf sich schluchzend in seine Arme. Der Bursche – es war der Kröll-Felix – zog sie an sich. Er sagte leise etwas zu ihr. Sie nickte unter Tränen und ließ sich von ihm zur Beifahrertür des Wagens geleiten.

Der Bergdoktor wandte den Blick ab, als Felix auf der Fahrerseite einstieg und Gas gab. Kein Zweifel: Nora befand sich in den besten Händen.

***

Auf dem Freilingerhof in Altenacker herrschte nach jenem Besuch in der Praxis eine gedrückte Stimmung. Und dennoch: Das Rad der Zeit drehte sich unbeirrt weiter.

Der Advent verging wie im Fluge. Weihnachten stand vor der Tür. Von Festtagsfreude war weit und breit nichts zu spüren! Doch alle versuchten, sich nichts anmerken zu lassen – Regine zuliebe. Es würde ja wohl ihr letztes Weihnachten sein.

Die Freilinger-Maria buk mehr Kekserl als sonst: Keine von Regines liebsten Sorten durfte fehlen. Unter der Tanne stapelten sich die Geschenke.

Wie es Brauch war, las der Freilinger-Johann am Heiligenabend das Weihnachtsevangelium vor. Bis zum Wort »Sohn«, weiter schaffte er es nicht. Zu guter Letzt nahm Nora ihm die Bibel aus der Hand und machte an seiner Stelle weiter. Auch ihre Stimme zitterte hörbar.

Als nächstes kam Silvester. Alle hatten für das neue Jahr nur einen Wunsch, doch alle wussten: Er würde sich nicht erfüllen. Regines Zustand verschlechterte sich stetig. Dr. Burger hatte mit seiner Einschätzung damals im November offenbar recht gehabt. Wie viel Zeit blieb ihr noch? Zwei Monate, mit Glück sogar drei?

Diese Frage beschäftigte den ganzen Hof. Sie hing wie ein Schatten über dem Leben seiner Bewohner.

Der Freilinger-Johann brachte Regine nun zweimal die Woche auf den Friedhof zum Grab ihres Mannes. Zuvor hatte er sich meistens geweigert.

»Nimm dir halt ein Taxi. Von deiner Witwenrente kannst du es dir eh leisten«, hatte es von ihm geheißen. Oder sogar: »Warum willst du denn schon wieder hin und mit einem Stein reden? Der Papa wär' uns gram, wenn er säh', dass seinetwegen am Hof die Arbeit liegen bleibt!«

Nun verlor er darüber kein Wort mehr. Stumm und ergeben stand er neben seiner Mutter am Grab, bis sie ihr »Gegrüßet seist du, Maria« gebetet hatte.

Maria Freilinger verbrachte jede Minute, die sie entbehren konnte, in der Kirche. Sie ließ keine Frühmesse mehr aus. Stets suchte sie danach das Gespräch mit Hochwürden und flehte ihn an, um die wundersame Genesung ihrer Schwiegermutter zu beten.

Und Nora? Das einst so muntere und lebenslustige Madel wurde immer zurückgezogener und stiller. Sie hörte auf, sich mit den Freundinnen aus Altenacker und St. Christoph oder mit denen aus der Landwirtschaftsschule zu treffen.

»Kommst du am Freitagabend mit nach Mayrhofen?«, hieß es anfangs noch öfters am Telefon.

Nora verneinte. »Lieber net«, entgegnete sie leise. »Mir ist grad net nach Party machen zumute. Du weißt ja, die Oma ...«

Bald wurden die Einladungen seltener. Und Noras Antworten darauf schärfer.

»Sag mal, hörst du schlecht?«, herrschte sie ihre älteste Freundin, die Trenzer-Anni, am Telefon an. »Zum letzten Mal: nein! Die Oma könnt' morgen tot sein! Und du glaubst ernsthaft, ich komme heut' Abend mit dir nach Mayrhofen und reiße mir beim Après-Ski einen Kerl auf?«

»Du könntest morgen auch tot sein«, entgegnete Anni. »Wir könnten alle morgen tot sein! Man weiß ja net. Womöglich überfährt dich ein Bus. Oder dich überrollt am Berg eine Lawine. Oder womöglich ...«

»... stürzt du mit dem Traktor den Hang hinunter und bis sie dich finden, ist's zu spät?«, fauchte Nora. Sie warf das Handy auf den Flickenteppich in ihrer Kammer, vergrub das Gesicht in ihrem Polster und weinte bitterlich.

Danach rief Anni nicht mehr an. Und sonst auch kaum jemand. Der Einzige, der sich nicht vertreiben ließ, war der Kröll-Felix. Er und Nora kannten einander seit ihrer frühesten Kindheit. Sie kamen beide aus Altenacker, und einige Felder des Kröll-Hofs grenzten an jene der Freilingers.

Daraus hatte sich ein nachbarschaftliches Verhältnis entwickelt. Zuerst hatte Felix' selige Uroma und später seine große Schwester Lisi auf ihn und Nora aufgepasst, während die jeweiligen Eltern und Großeltern auf dem Feld gewesen waren.

In Felix' Bubenkammer hatte Nora auf diese Weise endlose Stunden mit seinen Rennautos und Ritterburgen verbracht. Sie hatte ihm geholfen, im Garten ein Indianerzelt aufzubauen, und natürlich auch darin übernachtet. Beim Elfmeterschießen unter der Wäschestange der Krölls war sie die Torwartin gewesen. Felix hatte sie alleweil als seinen besten Spezl bezeichnet – seinen besten Spezl mit Zöpfen.

Später hatten sich ihre Interessen dann gewandelt. In der Mittel- und in der Landwirtschaftsschule hatte Nora rasch Freundinnen gefunden: Madeln, die sich so wie sie für Mode begeisterten. Für Popmusik. Und für Burschen!

Felix hatte es unterdessen zum Kapitän seiner Fußballmannschaft gebracht. Doch obwohl er und Nora heute kaum mehr etwas gemeinsam hatten, hatte ihre Freundschaft die Jahre überdauert. Unzählige blaue Flecken vom Fußballspiel, unzählige Kratzer von Waldabenteuern, unzählige gemeinsam verbrachte Nächte im Zelt und all die anderen Kindheitserinnerungen ließen sich eben nicht ausradieren.

Nun lud Felix sie nicht etwa nach Mayrhofen zum Après-Ski ein. Dafür kannte er Nora und ihre Familie zu gut!

»Kommst du mit zur Hütte?«, fragte er stattdessen. Als Nora drauf und dran war, Nein zu sagen, ergänzte er rasch: »Nur für eine Stunde. Morgen, während deine Oma bei Dr. Burger ist. Ich will dir ja net die restliche Zeit mit ihr stehlen! Bis sie wieder da ist, bist du auch zurück. Versprochen!«

Am Telefon hätte Nora wohl trotzdem abgelehnt. Aber Felix rief genau aus diesem Grund nicht an, sondern klopfte stets an der Haustür der Freilingers. Und stand dort: freundlich, aber beharrlich. Bis Nora den Rufen ihrer Mutter folgte und mit ihm redete. Er ließ nicht zu, dass sie sich versteckte oder verkroch.

»Freilich wandert die Nora mit dir zur Hütte«, warf ihre Mutter nun ein, bevor das Madel antworten konnte. Sie warf Nora einen mahnenden Blick zu. »Es wird allerhöchste Zeit, dass sie wieder ein bisserl Bergluft schnuppert.«

***

So stieg Nora am nächsten Tag in Felix' alten Geländewagen und fuhr mit ihm zu dem kleinen Parkplatz am Beginn eines Wanderwegs.

Es hatte seit Tagen nicht geschneit. Hier im Wald aber war der Boden noch gefroren und weiß überzuckert. Die kalte, klare Luft raubte Nora beim Aufstieg fast den Atem. Zugleich fühlte sie sich lebendiger als in den Tagen zuvor.

»Das war eine gute Idee von dir«, gab sie widerstrebend zu, als sie oben unter dem Vordach der Hütte saßen.

Ein grob behauener Baumstamm diente als Bank. Das Holz war kalt, aber Felix hatte den Regenschutz seines Rucksacks und dann noch seinen Pullover darüber gebreitet. Im Anorak über einem karierten Hemd hockte er neben ihr.