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Matthias Höller, charismatischer Hüttenwirt und eingefleischter Junggeselle, genießt sein Leben und seine Freiheit in vollen Zügen, als ihn ein schwerer Unfall zum Nachdenken zwingt. Plötzlich ist er auf fremde Hilfe angewiesen, doch da ist niemand! Jetzt erinnert er sich an Claudia, eine einstige Saisonkraft, und den Sohn, den er nie anerkannt hat. Auf der Suche nach einer Lösung lädt Matthias Claudia und den siebenjährigen Luca zu sich auf die Alm ein. Doch der Sommer bringt mehr als nur frische Bergluft: Alte Gefühle flammen auf, neue Konflikte entstehen, und Matthias erkennt, dass er nicht nur um die Zukunft seines Lebenswerks kämpfen muss - sondern um das Glück seines Sohnes ...
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Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Neuanfang mit Herz
Vorschau
Impressum
Neuanfang mit Herz
Ein Sommer, der alles verändert. Ein Mann, der eine zweite Chance braucht. Und ein Junge, der mehr als nur einen Vater sucht ...
Von Andreas Kufsteiner
Matthias Höller, charismatischer Hüttenwirt und eingefleischter Junggeselle, genießt sein Leben und seine Freiheit in vollen Zügen, als ihn ein schwerer Unfall zum Nachdenken zwingt. Plötzlich ist er auf fremde Hilfe angewiesen, doch da ist niemand! Jetzt erinnert er sich an Claudia, eine einstige Saisonkraft, und den Sohn, den er offiziell nie anerkannt hat.
Auf der Suche nach einer Lösung lädt Matthias Claudia und den siebenjährigen Luca zu sich auf die Alm ein. Es dauert nicht lange, dann flammen alte Gefühle auf, neue Konflikte entstehen, und Matthias erkennt erschüttert, dass er nicht nur um die Zukunft seines Lebenswerks kämpfen muss – sondern auch um das Glück seines Sohnes ...
Auf der Höller-Alm oberhalb von St. Christoph brach ein sonniger Julimorgen an. Eine Drossel sang ihr Lied. Die Kühe grasten auf ihren saftigen Sommerweiden. Unweit der Hütte stieß Resl, die Leitkuh der Herde, ein kräftiges »Muuh!« aus. Die Glocke an ihrem Hals bimmelte. Als wollte sie den Wirt der Almhütte ermahnen, endlich das Bett zu verlassen und seinen Melkpflichten nachzukommen.
Mit einem unwilligen Grunzen öffnete Matthias Höller die Augen. Der fesche Enddreißiger leckte sich die Lippen. Sein Mund fühlte sich trocken an. Er schüttelte den Kopf, um ihn zu klären. Und bereute es sogleich: In seinem Schädel herrschte ein Getöse, als probte dort die Blaskapelle von St. Christoph den Radetzky-Marsch. Was, zum Henker, war gestern passiert?
Ein Stöhnen entfuhr ihm, als die Erinnerung langsam zurückkehrte. Gestern hatte sich seine deutsche Urlaubergruppe verabschiedet. Allesamt rüstige Rentner. Und trinkfest! Matthias hatte ihnen vor der Abfahrt ein paar Runden Zirbenschnaps spendiert.
Im Gegenzug hatten sie ihn und sein Serviermadel, die Claudia, mit dem mitgebrachten Korn aus ihren Koffern abgefüllt. Matthias war von kräftiger Statur und gut geeicht, wie man sagte. Aber nach dem zehnten »Ex und hopp in den Kopp!« hatte die Stube auch für ihn angefangen, sich zu drehen. Dass Claudia bis dahin mitgehalten hatte, grenzte an ein Wunder.
Claudia! Erst einundzwanzig. Drall und liebreizend in ihrem tief ausgeschnittenen Dirndl. Trotz ihrer zierlichen Statur stand sie ihren Mann, das hatte Matthias während der Saison manches Mal bemerkt. Sei es beim Einfangen und Melken der Kühe, sei es beim Hacken von Brennholz. Aber ihre Trinkfestigkeit? Die war ihm neu.
Draußen fing die depperte Drossel erneut an zu trällern. Jeder Ton bohrte sich wie ein Eispickel in Matthias' Schädel. Herr im Himmel! Wie war er gestern überhaupt herauf in sein Bett gekommen? Er konnte sich nicht an den Weg über die Treppe erinnern. Ratlos hob er den Kopf und stützte sich auf die Ellbogen auf.
Seine Hirschlederne lag neben dem Bett. Ein weißer, gewirkter Stutzen auch. Ein Haferlschuh stand neben der Tür. Den zweiten und den fehlenden Stutzen konnte er nirgendwo entdecken.
Argwöhnisch hob er das Laken eine Handbreit an. Sogar seiner Unterhose hatte er sich im Suff noch entledigt. Und ...
Der Hüttenwirt erstarrte. Quer über seinem behaarten Männerbein lag ein Schenkel. Ein draller, heller Madelschenkel, der geradewegs zum Hineinkneifen einlud.
Träumte Matthias noch? Oder lag er nach dem Korn gestern gar im Delirium? Er streichelte den Madelschenkel, zog versonnen seine Konturen bis zur Hüfte nach – und wandte anschließend erst den Kopf.
Scharf sog er die Luft ein. Claudia lag neben ihm im Bett. Nackt, wie Gott sie erschaffen hatte. Ihre Brüste, die oft so reizvoll aus dem Dirndl lugten, wurden durch das Laken kaum verdeckt.
Matthias riss die Hand von ihrem Schenkel, als hätte er sich daran verbrannt. Zu spät! Schon räkelte sich Claudia. Sie stieß einen wohligen, kleinen Seufzer aus und öffnete die Augen.
Ihre Blicke begegneten einander. Im ersten Moment wirkte das Madel so erstaunt wie Matthias. Gleich darauf aber lächelte es ihn an.
»Guten Morgen, Chef.«
Die Begrüßung gab Matthias den Rest. Stöhnend sank er zurück auf die Matratze.
Deren Sprungfedern quietschten leise, als sich Claudia neben ihm kerzengerade aufsetzte.
»Krieg' ich kein Busserl? Du weißt aber schon, was man tut, wenn man neben einem Madel aufwacht, gell?«, fragte sie ihn spitz.
Matthias wandte nicht den Kopf nach ihr.
»Du kennst meinen Wahlspruch«, teilte er den Deckenbalken mit.
»Freilich«, erwiderte Claudia. »Auf der Alm, da gibt's koa Sünd.«
Matthias rieb sich die Nasenwurzel. Es half nur wenig gegen das Getöse in seinem Kopf.
»Ja, das auch«, musste er zugeben.
Sein Ruf als größter Schürzenjäger von St. Christoph ließ sich nicht leugnen. Zwar war er nie verheiratet oder einem Madel versprochen gewesen, die Einsamkeit aber kannte er nicht: Stets fanden sich genügend Urlauberinnen, die mit ihm das Bett teilen.
»Ich hab eigentlich gemeint: Keine Gspusis mit dem Personal. Weil das nix als Ärger gibt.« Erst recht, wenn das Personal wie in diesem Fall seine Tochter sein hätte können!
Claudia tätschelte mitleidig seine Schulter. Er sah auf. Der Schalk blitzte ihr aus den dunklen Augen, als sie zurückgab: »Schade. Ich hätt' sonst die Dorli gefragt, ob sie Lust auf einen flotten Dreier hat.«
Ein erstickter Laut entkam Matthias. Claudia schien zu genießen, dass es ihm angesichts ihrer Dreistigkeit die Sprache verschlagen hatte. Unbekümmert schwang sie die Beine aus dem Bett. Sie griff nach einem Hemd, das über dem Bettpfosten hing, und schlüpfte hinein. Seinem Hemd, sah Matthias. Dem karierten von gestern.
Spitzbübisch zwinkerte sie ihm zu.
»Was, glaubst du, sagt die Dorli, wenn ich das heut' zur Arbeit trag'?«
Statt zu antworten, zog sich Matthias das Polster übers Gesicht. Dorli gehörte praktisch zum Inventar seiner Hütte. Tüchtig und treu, fromm und bieder herrschte sie seit Jahren uneingeschränkt über Küche, Keller und Gästekammern. Nicht auszudenken, was wäre, wenn sie von seinem Fehltritt mit Claudia erfahren würde!
Ein jäher Gedanke kam ihm. Er hob das Polster und räusperte sich. Seine Stimme klang heiser, als er zugab: »Ich kann mich an gar nix erinnern. Haben wir beide wirklich ...?« Er beendete den Satz mit einer hilflosen Geste.
Claudia schwieg zunächst. Sie spähte an sich herunter. Er tat dasselbe. Beim Anblick ihrer drallen Schenkel unter dem Hemd übermannte ihn das Verlangen von Neuem.
Nein, er brauchte nicht zu fragen, ob ihm Claudia in der Nacht gehört hatte. Matthias war kein Kostverächter und gewiss nicht blind gegenüber ihren Reizen.
Zu guter Letzt sagte sie bloß: »Ich hab schon gemerkt, dass es für dich net das erste Mal war.«
»Und für dich?«, fragte er mit rauer Stimme.
»Das würdest du gern wissen, gell? Aber so etwas steht net in meiner Personalakte.« Matthias war erneut von ihrer Dreistigkeit verblüfft – und bewunderte sie zugleich still und heimlich dafür.
Sie bückte sich und hob ihr Dirndl vom Boden neben dem Bett auf. Während sie es sich über den Arm legte und den Rock glattstrich, bimmelte draußen wieder Resls Glocke.
Claudias Blick huschte zum Fenster.
»Ich sollt' wohl besser duschen gehen«, merkte sie an. Nach einer kurzen Pause ergänzte sie: »Außer du hast Lust auf eine zweite Runde.« Kam es ihm nur so vor, oder bebte ihre Stimme?
Schlagartig wurde ihm klar: Ihr Selbstbewusstsein und ihre Dreistigkeit waren bloß Fassade. Sie wusste mit dem Tabubruch der vergangenen Nacht ebenso wenig umzugehen wie er.
Matthias schwieg. Nach ein paar langen Momenten verließ Claudia mit dem Dirndl über dem Arm seine Kammer.
Der Hüttenwirt ballte eine Faust und hieb sich damit an die Stirn.
»Du Holzkopf!«, schalt er sich. Er konnte nur hoffen, dass Dorli nichts von den Geschehnissen der Nacht merkte. Dass Claudia den Mantel des Schweigens darüber breiten und sich keiner von ihnen je wieder zu so etwas würde hinreißen lassen.
***
Fast acht Jahre später hockte der Höller-Matthias in Dr. med. Martin Burgers Praxis und wartete auf das Urteil.
»Jetzt spannen Sie mich net auf die Folter, Herr Doktor«, knurrte er. »Wie schaut's aus?«
»Gut«, erwiderte der Bergdoktor.
Matthias stieß den angehaltenen Atem aus. Doch er gab sich Mühe, seine Erleichterung zu überspielen.
»Hab ich ja gewusst«, behauptete er. »Einen Höller bringt eben nix um.« Auch wenn es diesmal ausgesprochen knapp gewesen war!
Das rasche Eintreffen der Feuerwehr, die ihn aus dem Wrack seines Geländewagens geschnitten hatte, hatte sein Leben gerettet. Ebenso wichtig: Dank der professionellen Notversorgung durch Dr. Burger hatte er sein linkes Bein behalten. Das war bei dem Unfall böse zerquetscht worden. Eine Zeit lang hatte sogar das schreckliche Wort »Amputation« im Raum gestanden. Dabei war dem Höller-Wirt ganz anders geworden! Von seinem Krankenbett in der Klinik aus hatte er abwechselnd die Ärzte und den lieben Herrgott beschworen, ihm doch eine zweite Chance zu geben.
Sein Flehen hatte letztendlich zum Erfolg geführt. Als man ihm mitgeteilt hatte, das Bein dürfe dranbleiben, hatte der Höller-Wirt wie ein kleiner Bub geweint.
Trotzdem hingen ihm die Folgen des Unfalls bis heute nach. Die Steifheit seines Beins. Die Krücken, mit denen er sich außerhalb der Hütte fortbewegen musste. In der Stube ging es gerade eben ohne sie, wenn nicht viel Betrieb war und er sich an den Tischkanten festhalten konnte. Über die Treppe hangelte er sich am Handlauf. Und jeden Sonntag sprach er vor dem Marterl am nahen Waldrand ein Vaterunser für seine treue Dorli, die ihm die Hütte in Schuss hielt. Ohne sie hätte er während seiner Genesung monatelang zusperren müssen und wäre womöglich zu allem Überfluss in den Bankrott geschlittert.
Ächzend hievte er das Bein von der Patientenliege herunter und auf den Boden. Dr. Burger kehrte zu seinem Schreibtisch zurück und tippte etwas in den Computer.
»Ich dank' Ihnen schön.« Auf Krücken humpelte Matthias zur Tür. Dort drehte er sich um. »Soll ich mir bei der Bärbel gleich einen Termin für die nächste Kontrolle holen?«
»Matthias.« Die Nennung seines Namens sorgte dafür, dass Matthias ertappt innehielt. Er stützte sich auf die Krücken und entlastete so sein Bein, während er den Bergdoktor fragend anschaute.
Dieser hatte zu tippen aufgehört.
»Wir sind noch net ganz fertig«, sagte er freundlich, aber bestimmt. »Setz dich.« Einladend wies er auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
Matthias ließ sich unwillig darauf nieder und rückte den Stuhl nach hinten, damit er sein Bein ausstrecken konnte.
Der Bergdoktor musterte ihn. Mit jedem Moment, der verstrich, fühlte sich Matthias unbehaglicher. Er hatte von Arztpraxen und Krankenhäusern mehr als genug und wünschte sich nur, so rasch wie möglich auf seine Alm zurückzukehren.
Außerdem verhieß dieser prüfende Blick nichts Gutes. Der Höller-Wirt war daran gewöhnt, sein eigener Herr zu sein! Er ließ sich ungern etwas sagen. Die Bemerkungen der Dörfler hin und wieder beim Ochsenwirt – darüber, dass er mit fünfundvierzig noch Junggeselle war, oder über seine Gspusis mit den Urlaubermadeln – prallten an ihm ab. Was erlaubten sich die Nachbarn, über ihn zu urteilen? Er führte sein Leben genauso, wie es ihm gefiel. Solange er damit keinem Menschen Schaden zufügte, ging es den Rest der Welt einen Dreck an.
Nur ein paar wenige gab es, deren gute Meinung für ihn zählte. Seine Dorli zum Beispiel, Gott schütze sie. Außer wenn es um die Urlaubermadeln ging! Matthias wusste, was sie von seinen wechselnden Bettgespielinnen hielt. Aber er war ihr Chef, nicht ihr Sohn, und sie hatten sich längst darauf geeinigt, das Thema auszuklammern.
Ansonsten zählte zu den wenigen noch Pfarrer Roseder. Und eben der Bergdoktor. Geistlichen und Ärzten, das hatte Matthias' selige Mama ihn gelehrt, musste man stets mit der gebührlichen Achtung begegnen.
Er wetzte auf dem Stuhl hin und her, bis er die Anspannung nicht mehr aushielt.
»Was gibt's denn, Herr Doktor?«, knurrte er. »Rücken Sie schon damit heraus!« Ein schrecklicher Verdacht stürmte auf ihn ein. »Schwester Sofie hat doch in meinem Blut net irgendwelche Bakterien gefunden?« Bei der Vorstellung, das Thema Amputation könnte noch einmal zur Sprache kommen, setzte sein Herz einen Schlag lang aus.
»Nein, nein«, beruhigte ihn Dr. Burger rasch. »Gesundheitlich ist, soweit ich das sehen kann, alles in Ordnung.«
Matthias schnitt eine zweifelnde Grimasse. Der Bergdoktor lächelte.
»Die vollständige Rekonvaleszenz braucht ihre Zeit, aber das haben wir von Anfang an gewusst«, erinnerte er den Hüttenwirt sanft.
Widerstrebend nickte Matthias.
»Ich möcht' bloß wissen«, fuhr der Bergdoktor fort, »wie es dir sonst geht. Geistig und seelisch. Denn ein Unfall hinterlässt oft auch andere Narben als die körperlichen«, fügte er bedeutsam hinzu.
Er wartete geduldig, bis Matthias zugab: »Ich mach' mir halt meine Gedanken.« Selbst die paar Worte kamen ihm schon wie ein Eingeständnis von Schwäche vor. Er biss sich auf die Lippe, bevor ihm noch mehr herausrutschen konnte.
Denn meistens kamen diese Gedanken in den schlaflosen Nächten. Wenn er mit Gewalt seine Augen offenhielt. Aus Angst, er könnte einnicken und sich auf der Bergstraße wiederfinden, wo ihm der Hirsch ins Auto gesprungen war; könnte im Traum noch einmal das Lenkrad verreißen und frontal gegen eine Kiefer krachen.
Tagsüber witzelte er gerne, dass er von allen Beteiligten an dem Unfall noch am besten davongekommen sei. Denn was war ein lahmes Bein schon dagegen, als Feuerholz, Wildbret oder Wrack auf dem Schrottplatz zu enden? Nachts aber verlor der Scherz viel von seiner Lustigkeit.
»Gedanken worüber?«, hakte der Bergdoktor ein.
Unwillig zuckte Matthias mit den Schultern. »Übers Sterben. Und was danach aus meiner Hütte wird.«
Die Höller-Alm war sein Ein und Alles. Wenn ihn der liebe Herrgott einmal zu sich rief – gleich, ob morgen oder in sechzig Jahren –, wollte er sie in guten Händen wissen.
Leider fehlte es an denen! Eine Zeit lang hatte er nach dem Unfall erwogen, die Hütte seiner Dorli zu hinterlassen. Als er ihr das jedoch gesagt hatte, hatte sie sich ganz erschrocken bekreuzigt. Und gedroht, auf der Stelle zu kündigen, wenn er ihr noch einmal mit einer solchen Schnapsidee käme.
Dorli war damit zufrieden, seine Gäste zu bekochen und die Kammern zu putzen. Sie wollte keine Hüttenwirtin sein. Dafür blieb sie zu gerne im Hintergrund. Die Gastgeberrolle, das Bespaßen der Urlauber – das war nicht ihre Welt.
Wer aber kam sonst infrage? Die Familie? Zwischen Matthias und seiner Schwester Anna stand es schon seit Jahren nicht zum Besten. Nach dem Unfall hatte er eine Karte aus Innsbruck erhalten. Mit einem Teddybären, der einen Verband um den Kopf trug. Unter dem aufgedruckten »Die besten Wünsche zur Genesung« hatte handschriftlich gestanden: »von deiner Schwester und Familie«.
Sein erster Gedanke war gewesen: Der Teufel wusste, wie Anna überhaupt von dem Unfall erfahren hatte. Sie war fast zehn Jahre älter als er und hatte nie ein gutes Haar an ihm gelassen. Nicht als Madel, auch nicht später. Schließlich hatte sie, dem Wunsch ihrer Eltern gemäß, studiert, während Matthias sich standhaft geweigert hatte. Als er dann wenige Jahre nach dem Abschluss der Tourismus-Schule seinen Job in einem Innsbrucker Nobelrestaurant gekündigt hatte, um im Zillertal eine Hütte zu übernehmen, hatte sie ihn endgültig für geisteskrank erklärt.
Dabei hatte ihr Studium sie auch nicht weit gebracht, sann er auf der Heimfahrt von der Praxis des Bergdoktors nach. Schon im letzten Universitätsjahr war sie schwanger geworden. Von einem Kommilitonen, den sie später auch geheiratet hatte.
Zwar war es bei dem einen Kind geblieben. Doch Henris Geburt hatte ausgereicht, damit Anna beruflich nie Fuß fassen konnte. Ihr Mann hatte sich selbstständig gemacht und verdiente gut – war aber leider ein Hallodri, der das Geld mit beiden Händen zum Fenster hinauswarf.
Dass Matthias mit seiner Almhütte besser dastand als sie, wurmte Anna. Also hielt sie ihm seinen Lebenswandel vor: »Du weißt ja gar net, welches Glück dir ohne eine Familie entgeht. Während du einsam und verhärmt wie ein Mönch am Berg hockst.«
Ha! Einsam und Mönch, von wegen!
Einmal hatte sich Matthias zu der Bemerkung hinreißen lassen, sein Bett wäre besser gewärmt als ihres. Und sie sollte sich lieber darum sorgen, warum ihr Hallodri auf jede Dienstreise seine blutjunge Sekretärin mitnähme. Dieser Familienbesuch hatte mit Tränen und Geschrei geendet.
Damals hatte sich Matthias geschworen, nie mehr nach Innsbruck zu kommen. Er hatte den Schwur auch nur zweimal gebrochen: zum Begräbnis der Mama und ein halbes Jahr später, um den Papa in die Erde zu legen.