Der Bergdoktor 2285 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 2285 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

"Du bist nicht meine Mami!" Die Tränen ihrer dreijährigen Nichte treffen Franziska bis ins Herz. Doch Leni will sich nicht von ihr trösten lassen. Sie isst nichts. Sie nimmt ihre Medikamente nicht. Stattdessen läuft sie weg und bringt sich selbst in Gefahr. Franziska weiß nicht mehr ein noch aus. Sie hat ihrer Schwester kurz vor deren Tod geschworen, sich um ihr Kind zu kümmern. Doch wie soll sie ihr Versprechen halten, wenn Leni sie nicht an sich heranlässt? Verzweifelt sucht sie nach einem Weg, um das Vertrauen des kleinen Mädchens zu gewinnen. Dabei wird sie unerwartet von Marco unterstützt - dem Mann, den sie einst von ganzem Herzen liebte und nie ganz vergessen konnte. Während sie nun darum kämpft, ihrer Nichte die Heimat zu erhalten, ist Marco an ihrer Seite. Doch da häufen sich plötzlich die unliebsamen Zwischenfälle auf dem kleinen Berghof, und bald weiß Franziska nicht mehr, wem sie noch vertrauen kann. Meint Marco es wirklich ehrlich mit ihr? Oder ist er Teil eines Geheimnisses, das niemals ans Licht kommen sollte?


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Seitenzahl: 132

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Ein Stück von mir

Vorschau

Impressum

Ein Stück von mir

Das Kind ihrer toten Schwester – ein Erbe aus Schmerz und Liebe

Von Andreas Kufsteiner

»Du bist nicht meine Mami!« Die Tränen ihrer dreijährigen Nichte treffen Franziska bis ins Herz. Doch Leni will sich nicht von ihr trösten lassen. Sie isst nichts. Sie nimmt ihre Medikamente nicht. Stattdessen läuft sie weg und bringt sich selbst in Gefahr.

Franziska weiß nicht mehr ein noch aus. Sie hat ihrer Schwester kurz vor deren Tod geschworen, sich um das Mädelchen zu kümmern. Doch wie soll sie ihr Versprechen halten, wenn Leni sie nicht an sich heranlässt?

Verzweifelt sucht sie nach einem Weg, um das Vertrauen des kleinen Mädchens zu gewinnen. Dabei wird sie unerwartet von Marco unterstützt – dem Mann, den sie einst von ganzem Herzen liebte und nie ganz vergessen konnte. Während sie nun darum kämpft, ihrer Nichte die Heimat zu erhalten, ist Marco an ihrer Seite. Doch da häufen sich plötzlich die unliebsamen Zwischenfälle auf dem kleinen Berghof, und bald weiß Franziska nicht mehr, wem sie noch vertrauen kann.

Meint Marco es wirklich ehrlich mit ihr? Oder ist er Teil eines Geheimnisses, das niemals ans Licht kommen sollte?

Mit kräftigem Rauschen schlug der Atlantik gegen die felsige Küste. Die Luft schmeckte nach Salz und etwas, das Franziska nicht genau benennen konnte, das sie jedoch untrennbar mit Madeira verband. Die Insel war seit einem Jahr ihr Zuhause, und sie entdeckte jeden Tag etwas Neues.

Die zerklüftete Vulkanlandschaft wurde von Levadas durchzogen, künstlichen Bewässerungskanälen, die Wasser zu den landwirtschaftlichen Nutzflächen transportierten und teilweise über fünfhundert Jahre alt waren. Dieses Netz aus Wasserwegen wurde von Pfaden gesäumt, die bei Wanderern hochbeliebt waren. Daneben gab es auf der Insel etliche Weingüter und mystische Lorbeerwälder. Und den Ozean, an dem sich Franziska niemals sattsehen konnte. Sie war in den Bergen aufgewachsen und so war die Weite des Meeres etwas, das sie schwindlig machte.

An diesem Tag wanderte sie auf der Halbinsel Farol da Ponta de São Lourenço im Osten von Madeira. Ihr Weg führte an imposanten Felsformationen vorüber, die aussahen, als wären sie von Riesen geformt worden. Der Boden war steinig, kaum ein Halm wagte sich aus dem graubraunen Untergrund. Doch der Blick auf das weite Blau, das sich bis zum Horizont erstreckte, fesselte Franziska. Kräftig schritt sie aus, weiter bergan.

In ihrem Rucksack führte sie reichlich Wasser, Snacks und Sonnenschutz mit sich. Dazu eine Regenjacke, weil das Wetter hier auf der Insel im Handumdrehen umschlagen konnte. Weit und breit gab es keinen Baum und kein Haus, aber ein Sonnenhut spendete ihr wohltuenden Schatten.

Franziska ließ die Abra-Bucht hinter sich und erklomm den Pfad, der sich durch die karge Landschaft schlängelte. Von der Höhe aus sah sie die sogenannte Haifischflosse unter sich – eine Felsformation, die sich dreieckig wie die Flosse eines imposanten Hais aus dem Wasser erhob. Umtost vom Meer schien es fast so, als würde sie sich tatsächlich bewegen!

Franziska blieb stehen und sog den Anblick in sich auf. Dabei schlich sich ein dankbares Lächeln auf ihr Gesicht. Das Brausen des Wassers, der warme Wind auf ihrem Gesicht und die Sonne in ihrem Rücken ... wie herrlich das war!

Sie nahm ihren Hut ab und wischte sich mit der Hand über die verschwitzte Stirn. Dass sie hier sein konnte, war beileibe nicht selbstverständlich. Sie stammte aus einem kleinen Dorf im Zillertal. Ihre Familie bewirtschaftete einen Hof, und es hatte nie in Frage gestanden, dass das auch ihr Schicksal war.

Doch seit sie denken konnte, hatte sie immer davon geträumt, die Welt zu sehen. Bücher waren ihr Tor in die Ferne gewesen. Sie hatte sich stundenlang in Reisebeschreibungen verloren, aber die hatten ihr Fernweh nur noch stärker gemacht.

Also hatte Franziska ihren Abschluss als Krankenpflegerin gemacht und nebenher Sprachkurse absolviert, sodass sie neben Englisch auch fließend Spanisch und Portugiesisch sprach. Nach ihrem Abschluss war sie ins Ausland gegangen – in die private Krankenpflege. Sie wurde überall dorthin geschickt, wo sie gebraucht wurde. Auf diese Weise war sie schon in der Schweiz und in Spanien gewesen. Und nun war sie auf Madeira.

Ihr Patient war ein Arzt, der in München als Neurochirurg arbeitete. Vor zwei Jahren war er auf dem Heimweg mit dem Fahrrad gestürzt und hatte sich schwer verletzt. Er wollte im Nu wieder fit werden, aber die starken Schmerzen hatten ihn ausgebremst. Also hatte er sich mit Schmerzmitteln beholfen – und war süchtig danach geworden.

Auf Madeira wollte er sich erholen und von den Opiaten loskommen, um in seinen Beruf zurückkehren zu können. Es war Franziskas Aufgabe, seinen Entzug zu begleiten und dafür zu sorgen, dass sein Körper die Strapazen überstand und er keinen Rückfall erlitt. Sie kämpften gegen Schweißausbrüche, Erbrechen, Bluthochdruck, Muskelkrämpfe, Stimmungsschwankungen und Schlaflosigkeit ...

Oh, die Liste war noch länger, aber Franziska war zuversichtlich, dass ihr Patient durchhalten würde. Doch für den Rest seines Lebens würde er sich vor einem Rückfall in Acht nehmen müssen. Die Sucht war ein tückischer Wegbegleiter.

An diesem Nachmittag war er in der Stadt beim Arzt. Franziska hatte ein paar Stunden frei, und sie nutzte das wunderbare Wetter für eine Wanderung. Etliche Wanderer waren unterwegs, aber an der weitläufigen Küstenlinie verliefen sie sich.

Mit allen Sinnen sog Franziska den wunderbaren Ausblick auf den Atlantik in sich auf ... als plötzlich ihr Handy in ihrer Tasche summte. Sie zog es hervor. Es war ein Anruf, der da gerade hereinkam. Der Name der Anruferin wurde ihr angezeigt.

Hannah.

Schlagartig überfiel sie das schlechte Gewissen. Sie hatte sich lange nicht mehr bei ihrer Schwester gemeldet. Viel zu lange nicht.

Hannah führt daheim den kleinen Berghof, seitdem ihr Vater vor vier Jahren gestorben war. Ihre Mutter half bei der Arbeit mit. Hannah hatte eine Tochter, Leni, ein süßer Fratz. Hannah schickte Franziska regelmäßig Fotos von ihr. Das kleine Madel war gerade drei Jahre alt und ein richtiger Sonnenschein.

Franziska strich über das Display, um den Anruf anzunehmen und die Freisprechfunktion zu aktivieren.

»Hey, Hanni«, rief sie. »Ich freu' mich so, dass du anrufst. Ich wollte mich schon lange mal wieder melden.«

»Franzi ...« Die Stimme ihrer Schwester war kaum zu verstehen. Nur ein Flüstern war es. Kaum mehr als ein Hauch.

Ein Stich fuhr ihr ins Herz. Etwas war passiert. Das spürte sie plötzlich.

»Hannah?« Sie umklammerte ihr Telefon fester.

»Hör mir bitte zu. Es hat ... hat ein Unglück gegeben ...« Die nächsten Worte waren nur undeutlich. »... versprich es mir!«

»Was soll ich dir versprechen?« Franziska war es mit einem Mal ganz bang ums Herz. Nichts von der idyllischen Umgebung nahm sie noch wahr. All ihre Sinne waren auf ihr Telefon gerichtet – und auf ihre Schwester, bei der etwas ganz und gar nicht so war, wie es sein sollte. Furcht überfiel sie. »Was ist denn los?«

»Versprich mir ... dich gut ... um Leni zu kümmern.«

»Hannah?«

»Versprich es mir!« Das kam drängend, regelrecht verzweifelt!

»Ich verspreche es«, brachte sie über die bebenden Lippen. »O Gott, Hannah, bitte rede mit mir. Was ist denn passiert?«

»Lass nicht zu ... sei bei ihr ...«

»Hannah?« Ihre Finger schmerzten, so fest hielt sie das Telefon. »Du machst mir Angst. Bitte, sag mir, was los ist. Hannah? ... Hannah!«

Sie lauschte. Doch die einzige Antwort aus ihrem Telefon war ... Stille.

***

»... bin ich heute Morgen kaum aus dem Bett gekommen, Herr Doktor.« Hubert Dahl stemmte eine Hand in seinen Rücken. »Es zwackt mich wieder mal mächtig. Wenn Sie mir was verschreiben könnten, damit ich meine Arbeit schaffe, wäre ich Ihnen wirklich dankbar.«

»Freilich, Hubert.« Dr. Martin Burger hatte seinen Patienten sorgfältig untersucht. »Es ist der Ischias, der dich plagt. Ich werde dir eine Physiotherapie verschreiben. Bettruhe wär' jetzt grundverkehrt. Bewegung in moderatem Umfang wird helfen. Dazu Wärme und ein Muskelrelaxans, das ich dir aufschreibe.«

»Für Bettruhe fehlt mir ohnehin die Zeit. Die Schuhe meiner Kunden besohlen sich schließlich net von allein.« Der alte Schuhmacher hielt ganz still, als Dr. Burger ihm eine Spritze in die Hüfte gab. Dann zog er sein Hemd wieder an.

»Das Medikament sollte rasch anschlagen«, versprach Dr. Burger ihm.

»Danke.« Der Patient atmete auf. Während er die Knöpfe schloss, wehte durch das offene Fenster des Sprechzimmers ein warmer Sommerwind herein und ließ die Jalousien schaukeln.

Draußen strahlte die Sonne über den Bergen, als würde sie nie etwas anderes tun. Ein leuchtend blauer Himmel wölbte sich über den Felsspitzen und lockte die Urlauber in die höheren Regionen, wo es kühler war und der Blick über die grünen Hänge reichte – bis nach Italien hinein.

Die Praxis von Dr. Burger befand sich im Anbau seines Hauses. Es stand in der Kirchgasse – nur einen Steinwurf vom Waldrand entfernt. Er nahm sich Zeit für jeden Patienten und half auch bei privaten Sorgen, wo er konnte. Dafür nannten ihn die Dorfbewohner dankbar »Bergdoktor«.

»Wissen Sie«, setzte Hubert an. »Heut' Morgen meinte meine Frau zu mir, wie knackig ich doch sei. Hab ich mich gefreut. So was hört man schließlich net alle Tage. Bis mir dämmerte, dass das gar kein Kompliment war. Sie meinte, meine Glieder würden so knacken, wenn ich mich rühre.« Er seufzte.

»Ja, das hab ich auch schon zu hören bekommen.«

»Sie? Mei, Herr Doktor, wenn ich noch mal so fit wär' wie Sie ...« Ein versonnener Ausdruck wärmte das faltige Gesicht des Schuhmachers. »Na, passt schon. Ich hab meine Gerti und würd' mein Leben net ändern wollen.«

»Wer das sagen kann, ist ein glücklicher Mensch.«

»Wohl wahr, Herr Doktor, wohl wahr.« Hubert stülpte seine Kappe wieder auf die graumelierten Haare. »Ich pack's dann mal wieder. Bis zum nächsten Mal. Pfüati.«

»Gute Besserung. Komm bitte wieder her, wenn die Beschwerden in drei Tagen net besser sind.« Dr. Burger gab ihm das Rezept mit auf den Weg und begleitete ihn noch zur Tür.

Gerade, als er seinen nächsten Patienten hereinrufen wollte, klingelte das Telefon auf seinem Schreibtisch. Seine Sprechstundenhilfe hatte einen Anruf durchgestellt, also musste es wichtig sein. Er eilte an den Apparat und meldete sich. »Burger hier.«

Ein Schluchzen antwortete ihm.

»Herr Doktor, bitte, kommen Sie schnell! Meine Tochter ...« Ein Wimmern riss der Anruferin die Worte von den Lippen.

»Wer ist denn da?«

»Die Jennewein-Priska. Bitte, kommen Sie ... schnell!« Sie stammelte noch etwas und schluchzte herzzerreißend.

Seine Brust schnürte sich zusammen. In all den Jahren, in denen er bereits Arzt war, hatte er schon viel Leid gesehen und ein Gespür dafür entwickelt, wenn die Dinge schlimm lagen. Dieses Gefühl hatte er auch jetzt. Auf dem kleinen Berghof war ein Unglück geschehen.

Priska brachte kaum noch ein Wort über die Lippen, aber sie konnte ihm immerhin noch mitteilen, dass sie auf ihrem Hof war und dort auf ihn wartete.

»Ich mache mich sofort auf den Weg«, versprach er ihr. Dann legte er das Telefon hin, schnappte sich seinen Einsatzrucksack und eilte ins Vorzimmer. Hier saß Bärbel Tannauer am Computer und tippte noch etwas ein.

»Bärbel, bitte ruf den Rettungsdienst an. Sie sollen einen Wagen zum Jenewein-Hof schicken. Sag, dass es eilt. Und hol bitte meinen Vater in die Praxis. Er müsste irgendwo im Haus sein. Er soll mich hier kurz vertreten. Ich muss weg.«

»Zur Priska?« Bärbel hatte den Anruf durchgestellt und war im Bilde. Ein sorgenvoller Ausdruck legte sich wie ein Schatten über ihr hübsches Gesicht. »Alles klar, ich kümmere mich um alles. Vielleicht kann ich auch ein paar Patienten telefonisch erreichen und ihren Nachmittagstermin verschieben.«

»Mach das, Bärbel.« Er hielt sich nicht länger auf, sondern verließ seine Praxis, sich der neugierigen Blicke, die ihm aus dem Wartezimmer folgten, wohl bewusst.

Sein Vater würde ihn vertreten. Pankraz Burger hatte die Praxis gegründet und viele Jahre geleitet, bevor er vor einigen Jahren in den Ruhestand gegangen war. Er half immer noch mit, wenn Not am Mann war und Martin zu einem Notfall ausrücken musste.

Mit langen Schritten stürmte er zu seinem Geländewagen, verstaute den Arztkoffer auf dem Beifahrersitz, stieg ein und gab Gas, kaum, dass er den Gurt angelegt hatte.

Er brauste die Kirchgasse entlang und bog am Dorfladen rechts ab, um über den Marktplatz zu der Bergstraße zu fahren, die hinauf zum Hof der Familie Jenewein führte.

Die Sonne schien ihm entgegen, sodass er die Sonnenblende herunterklappte. Es war früher Nachmittag und auf den Straßen von St. Christoph herrschet kaum Verkehr. Die meisten Urlauber waren irgendwo in der Natur unterwegs, und die Bauern kümmerten sich entweder um ihr Heu oder saßen beim Mittagessen. Nur ein paar Schulkinder strebten mit ihren Ranzen den Gehweg entlang. Sie schienen Alma Jeggls »Einkaufsparadies« anzusteuern. Er ahnte, dass es die Eistruhe war, die sie anzog.

Vor ihm zeichneten sich die schrundigen Bergspitzen des Hexensteins ab. Über dem bewaldeten Fuß des Berges kreisten zwei Steinadler. Dr. Burger ließ das Dorf hinter sich und sah wenig später den kleinen Berghof vor sich. Ziegen weideten auf der grünen Wiese, sprangen mit fröhlichen Sätzen über das Grün oder kletterten auf den Felsbrocken herum, die vor vielen Jahren herabgestürzt sein mussten und längst mit Moos und Grasbüscheln bewachsen waren.

Ein Bauernhaus stand unter drei ausladenden Bergkiefern.

Dr. Burger hielt davor an, stieg aus und angelte seinen Koffer vom Beifahrersitz. Dann wandte er sich um und ließ den Blick über den Hof schweifen. Nach dem Wenigen zu urteilen, das er am Telefon verstanden hatte, war Priska irgendwo hier draußen.

Er suchte in dem üppig grünen Bauerngarten nach ihr. Der war liebevoll gepflegt. Auf handgeschriebenen Schildern stand zu lesen, was in den Beeten grünte. Hier wuchs alles, was übers Jahr an Obst, Gemüse und Kräutern auf dem Hof gebraucht wurde. Viele Früchte waren zum Einwecken bestimmt, manches verkaufte die Familie auch an den Dorfladen. Doch Priska war nicht hier.

Auch der alte Ziehbrunnen war verwaist. Er war schon lange nicht mehr in Gebrauch. Jetzt wuchsen Veilchen rings um ihn herum, und Wildrosen rankten sich um das Gitter, mit dem die Öffnung gesichert war.

Doch wo war die Bäuerin? Und was war überhaupt passiert?

»Priska?« Dr. Burger hob den Kopf und lauschte. Da! Irgendwo rechts von ihm erklang ein verzweifelter Ruf.

Er setzte sich in Bewegung, erklomm die Anhöhe hinter dem Haus und sah, dass die Wiese auf der anderen Seite schroff abfiel. So steil war das Gelände hier, dass man die Wiese nur von Hand mähen konnte, für das schwere Gerät war es einfach viel zu steil. Und doch sah er nun einen Traktor vor sich.

Um Himmels willen!

Das massive Fahrzeug war umgestürzt! Es lag auf der Seite. Eine Frau kniete daneben, rang die Hände und weinte. Priska Jennewein. Die Bäuerin war von zierlicher Gestalt. Obwohl die fünfzig schon einige Jahre hinter ihr lag, mischte sich kaum eine graue Strähne in ihre langen braune Haare, die sie meist zu einem Knoten aufgesteckt trug.

Mit langen Schritten stürmte Dr. Burger den Hang hinunter. Kleine Steine rutschten unter seinen Bergschuhen weg, sodass er darauf achten musste, wo er hintrat, um nicht abzurutschen.

Er brachte den Abstieg hinter sich und sah noch eine Gestalt verkrümmt im Gras liegen. Ihre Glieder standen seltsam ab, wie bei einer zerbrochenen Puppe. Blut rann ihr aus einer Wunde am Haaransatz über Schläfe und Wange und stach deutlich von ihrer weißen Haut ab. Mit ihrer rechten Hand umklammerte sie etwas ... ein Telefon, wie er im Näherkommen erkannte.

Es war Hannah, die junge Bäuerin vom kleinen Berghof.

Sie hielt die Augen geschlossen und regte sich nicht.

Ihre Mutter kniete neben ihr und rang die Hände. Ihr Schluchzen zerriss die Stille dieses Nachmittags.

Sein Blick flog zur Seite.

Wo war das kleine Madel?

»Priska?« Er blieb neben der Altbäuerin stehen. »Wo ist Leni?«

»W-was?« Aus umschleierten Augen sah sie zu ihm auf. Sie schien einige Sekunden zu brauchen, bis sich ihr Blick auf ihn fokussieren konnte, dann nickte sie kaum merklich. »Drinnen«, erwiderte sie kratzig. »Im Haus. Der Germo ist bei ihr. Er hat gerade die Post gebracht, als ...« Priska stockte und presste die Lippen zusammen, als hätte sie schon zu viel gesagt.

Dr. Burger kniete sich neben Hannah und setzte seinen Koffer ab.

»Hannah, ich bin es. Dr. Burger«, sagte er und tastete nach ihrem Puls.