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In St. Christoph freut man sich auf einen besonders schönen Sommer. Man hat viel vor: Feste, Veranstaltungen und viele Überraschungen sollen die Sommerwochen unvergesslich machen. Merle kann sich nicht wirklich freuen, denn ausgerechnet in dieser Zeit zieht sie um und verlässt den elterlichen Hof. Der Grund dafür ist die Ehe ihres Bruders Lukas, der eine Frau geheiratet hat, mit der weder Merle noch die Eltern zurechtkommen. Wäre da nicht Beni, der kleine Bub des Paares, hätte Merle sogar schon eher den Schritt nach vorn gewagt. Es fällt ihr schwer, in die neue Wohnung im Lindenhaus zu ziehen. Obendrein fühlt sie sich nicht wohl, sie leidet an diffusen Schmerzen und Beschwerden, die eine Behandlung bei Dr. Burger nötig machen. Er tut alles, um die "geknickte Sonnenblume" wieder aufzurichten. Und dann geschieht etwas, das Merle gar nicht für möglich gehalten hätte und das ihr wie ein Sommermärchen vorkommt ...
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Seitenzahl: 114
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Sonnenstunden und Schattenzeiten
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Impressum
Sonnenstunden und Schattenzeiten
Dr. Burger und der Sommer, der Merles Tränen trocknet
Von Andreas Kufsteiner
In St. Christoph freut man sich auf einen besonders schönen Sommer. Man hat viel vor: Feste, Veranstaltungen und viele Überraschungen sollen die Sommerwochen unvergesslich machen. Merle kann sich allerdings nicht wirklich freuen, denn ausgerechnet in dieser Zeit zieht sie um und verlässt den elterlichen Hof. Der Grund dafür ist die Ehe ihres Bruders Lukas, der eine Frau geheiratet hat, mit der weder Merle noch die Eltern zurechtkommen. Wäre da nicht Beni, der kleine Bub des Paares, hätte Merle sogar schon eher den Schritt nach vorn gewagt.
Es fällt ihr schwer, in die neue Wohnung im Lindenhaus zu ziehen. Obendrein leidet sie an diffusen Schmerzen und Beschwerden, die eine Behandlung bei Dr. Burger nötig machen. Der Arzt tut alles, um die »geknickte Sonnenblume« wieder aufzurichten. Und dann geschieht etwas, das Merle gar nicht für möglich gehalten hätte und das ihr wie ein Sommermärchen vorkommt ...
Die frühen Morgenstunden im Sommer waren für Merle Hallweger von einem ganz besonderen Zauber erfüllt. Alles ringsum schien noch unberührt zu sein, als habe sich über Nacht die Welt auf wundersame Weise verändert – oder wenigstens das heimatliche Zillertal.
Die ersten Sonnenstrahlen, denen man noch nicht anmerkte, ob der Tag angenehm warm oder sogar richtig heiß wurde. Der Tau auf den Wiesen hinter dem Schweigerhof und die Alpengipfel im Morgenlicht passten in ein Märchen, das ungefähr so begann:
»Es war einmal an einem Sommertag in längst vergangener Zeit, als im ersten Licht des Morgens in einem wunderschönen Tal, das von mächtigen Gipfeln umrahmt wurde, ein Mädchen zu den Bergen hinaufblickte und alle heimlichen Wünsche in den blauen Himmel schickte.«
Aber die Zeit für Märchen war vorbei, auch wenn Merle sich das Gegenteil gewünscht hätte.
Eine Zauberfee wäre genau das Richtige gewesen, so ein zartes, überirdisches Geschöpf, das Herzenswünsche erfüllte, wenn man darum bat. Ganz zu schweigen von dem ersehnten Märchenprinzen, den man natürlich wirklich nur im Wunderland der Träume finden konnte.
Ich gehe meinen eigenen Weg, dachte Merle, und ein Märchenprinz muss nicht unbedingt dabei sein.
Heute war sie noch daheim auf dem Schweigerhof, aber morgen würde sie ihre persönlichen Dinge einpacken, nämlich alles, was sie nicht auf dem Hof zurücklassen wollte. Übermorgen ging dann der Umzug in ihre neue Wohnung im Weiler Hochbrunn über die Bühne.
Sie redete sich selbst gut zu und tat so, als ob sie Grund zur Freude hatte. Die Wahrheit sah anders aus.
Zugegeben, es war eine schöne, helle und geräumige Wohnung, um die man sie eigentlich beneiden konnte. Möbel hatte sie auch schon rechtzeitig bestellt, und wenn alles klappte, sollten sie in wenigen Tagen geliefert werden. Ihr Zirbenholzbett, den dazu passenden Schrank und eine Kommode hatte ihr Bruder schon vergangene Woche weggebracht, natürlich mit den üblichen Worten: »Gesa und ich, wir wollen net, dass du umziehst. Das weißt du ja. Wir möchten, dass du auf dem Hof bleibst.«
Ja, Lukas fiel es schwer, seine »kleine« Schwester nicht mehr jeden Tag zu sehen. Aber seine Frau war zweifellos anderer Meinung. Wahrscheinlich hatte sie schon insgeheim die Tage bis zu Merles Umzug gezählt.
Merle blickte aus dem Fenster und beobachtete, wie das Sonnenlicht nach und nach die letzte, schattenhafte Dunkelheit am Waldrand und über den Wiesen vertrieb.
Sie war den Tränen nahe, von Freude also wirklich keine Spur. Lukas hatte in der letzten Zeit wirklich jeden Tag betont, dass sie auf dem Hof bleiben sollte. Aber sie wusste, dass es weder für ihn noch für sie selbst gut gewesen wäre. Im Grunde genommen musste Lukas sich eingestehen, dass es für Merle jetzt besser war, neu anzufangen.
Nachdem er geheiratet und Söhnchen Beni ihn zu einem stolzen Vater gemacht hatte, war sich Merle wie das fünfte Rad am Wagen vorgekommen. Vielleicht stimmte das nicht, aber trotzdem hatte sich Merle wie ein Störenfried gefühlt.
Lukas und Gesa, Benis Mama, gingen in ihrem jungen Familienglück auf – jedenfalls sollte es nach außen hin so ausschauen. Vor allem wurde seit der Hochzeit nicht müde, darauf hinzuweisen, wie gern sie mit Lukas »romantische Stunden« genoss.
Mit der Zeit ging Merle dieses Gerede auf die Nerven. Lukas fand es vermutlich peinlich, aber er schwieg, um seine junge Frau nicht zu verärgern. Es passte einfach nicht, dass Merle als Schwester und Schwägerin noch mit im Haus lebte.
Ihre Eltern waren nach Ellmau umgezogen, weil sie mehrmals mit der Schwiegertochter aneinander geraten waren. Das ließ tief blicken, denn eigentlich waren Mia und Paul Hallweger sehr freundlich und immer verständnisvoll.
Im Dorf bedauerte man es sehr, dass die netten Hallwegers ihren Wohnsitz nach Ellmau verlegt hatten. Aber die beiden konnten der allzu selbstsicheren jungen Frau, mit der ihr Sohn sein Leben verbringen wollte, nichts abgewinnen. Kurz gesagt, sie kamen mit Gesas spitzen Bemerkungen gar nicht zurecht und ärgerten sich über Lukas, weil er sich ausgerechnet für sie entschieden und sie vom ersten Moment an regelrecht angehimmelt hatte. Und das, obwohl Gesa sich mehr für Kleider, Frisuren und Kosmetik interessierte als für das Leben auf einem Alpenhof.
Gesa Lehner aus Innsbruck, eigentlich eine überzeugte Städterin, hatte jedoch schon vor der Hochzeit geplant, die Fäden in die Hand zu nehmen und sich auf dem Schweigerhof als gescheite Alleskönnerin hervorzutun. Denn ihrer Meinung nach schaffte sie alles mit links – ein Irrtum, der sie jetzt vor große Probleme stellte. Sie hatte sich selbst überschätzt und bemühte sich derzeit gar nicht mehr, den Alltag in den Griff zu bekommen. Es war einfach zu anstrengend.
Lukas war trotzdem von ihren Fähigkeiten überzeugt, jedenfalls tat er so. Aus Liebe verschloss er die Augen davor, dass sie ziemlich hochnäsig daherkam und obendrein im Haushalt sehr ungeschickt war. Täglich vor dem Spiegel zu stehen und sich hübsch zu finden, konnte nicht der Sinn des Lebens sein. Aber wenn man sich wie eine Prinzessin von einem anderen Stern fühlte, die leider auf dem falschen Planeten gelandet war, dann war der Spiegel wohl der einzige Trost.
Noch immer wusste Gesa gar nicht, wie sie mit der Arbeit fertig werden sollte. Es war nicht damit getan, im Garten Kräuter abzuschneiden und ab und zu mal einen Besen in die Hand zu nehmen. Am liebsten verschob sie alles, was nicht brandeilig war, auf unbestimmte Zeit. Und wehe, Lukas machte Einwände. Dann brach sie in Tränen aus und war zutiefst beleidigt. Oder sie schloss sich im Schlafzimmer ein und reagierte auf gar nichts mehr.
Früher hätte Lukas sich so etwas nicht bieten lassen, aber er war wie Wachs in Gesas Händen. Sie war so hübsch, so unbekümmert und fand das Leben bunt und abwechslungsreich, es sei denn, es ging ums Arbeiten. Wenn man ihr sagte, dass es viel zu tun gab, auch für sie, dann nickte sie nur und erwiderte: »Ach, immer dasselbe! Man soll sein Leben genießen und nicht jedem Staubkörnchen hinterherjagen.«
In Innsbruck hatte sie in einem Modegeschäft anspruchsvolle Kundinnen beraten und sich, wie sie selbst zugab, nicht die Hände schmutzig gemacht.
Auf dem Schweigerhof wurde aber erwartet, dass sie auch mal richtig mit anpackte. Nach Möglichkeit umging sie jede Tätigkeit, die ihr lästig vorkam. Seit der Geburt des Stammhalters Benedikt versteckte sie sich dahinter, dass sie das kleine Beni-Bübl, inzwischen anderthalb Jahre alt, rund um die Uhr »ganz allein« betreuen musste. Stressig, so ein Kleinkind!
Das stimmte aber überhaupt nicht. Beni war nämlich ein ausgesprochen herziges, braves und fröhliches Putzerl. Der kleine Bub schlief die Nacht durch, machte keinerlei Schwierigkeiten und hinderte niemanden daran, die notwendige Arbeit zu tun. Im Gegenteil, er wollte seinem Papa gern helfen, vielleicht in der großen Scheune, in der das Heu bis unter den Giebel reichte.
Aber das ging nun wirklich noch nicht! Beni, dieses kleine Zwergerl, in der riesigen Scheune – das war zu gefährlich.
Gesa hatte jedenfalls genug Zeit, daran bestand kein Zweifel. Außerdem war auch noch die langjährige Hauserin Wally da, die mehrmals in der Woche auf den Hof kam und sich nur allzu gern um Beni kümmerte.
Auch Merle betreute den Kleinen immer dann, wenn es ihr zeitlich möglich war. Ihre Tätigkeit im Berghotel »Am Sonnenhang« ließ ihr manchmal viel zu wenig Freizeit. Aber Tante Merle und das immer vergnügte Beni-Bübl waren ein richtig gutes Team. Natürlich würden sie das auch bleiben, wenn Merle umgezogen war.
Es konnte keinen Zweifel geben: Gesa hatte einen Keil in die Familie Hallweger getrieben. Allerdings tat sie so, als ob sie davon nichts merkte. Sie wusste freilich sehr wohl Bescheid.
Es war ihr ziemlich egal, was die anderen über sie dachten. Sie werkelte vor sich hin und klagte zuweilen, dass sie nicht alles auf einmal tun konnte, was natürlich auch niemand von ihr verlangte. Aber wenn man ihr einen gut gemeinten Ratschlag gab, wurde sie »katzig« und nörgelte, dass man sie nicht wie eine Erstklässlerin behandeln sollte, der man alles beibringen musste.
Es war jedenfalls nicht mehr so wie früher, als man auf dem Schweigerhof harmonisch zusammengelebt hatte. Aber Lukas war nun mal der Hoferbe, er hatte seine Auserwählte geheiratet, und nun musste es wohl oder übel anders weitergehen als bisher.
Merle hatte erstens ein Wohnrecht auf dem Hof, und zweitens war sie von ihren Eltern ausbezahlt worden, sodass sie eine »gute Partie« war, wie man im Dorf tuschelte. Dass sie den Hof verließ, bedauerten ihre Eltern sehr, aber sie verstanden andererseits den Entschluss ihrer Tochter.
Immerhin hatten sie sich ja selbst dazu durchgerungen, sich nicht im Austragshäusl neben dem Hof niederzulassen, sondern als Altersruhesitz ihr stilvolles Einfamilienhaus – es war jedenfalls ganz und gar »tirolerisch« – in Ellmau am Wilden Kaiser zu wählen. Dieses Haus hatten die Hallwegers als junges Paar von einer Erbschaft gekauft.
Ein kluger Entschluss, denn inzwischen war der Wert des Hauses samt Grundstück erheblich gestiegen. Viele Jahre lang war das schmucke Anwesen vermietet gewesen, es hatte zeitlich gut gepasst, dass die bisherigen Mieter – inzwischen Senioren – vor einigen Monaten gekündigt hatten. Sie waren in ihre Heimat am Neusiedler See zurückgekehrt.
Insgesamt hatte sich also für die Hallwegers mehr verändert, als sie es noch vor einiger Zeit für möglich gehalten hätten. Und das nur, weil Lukas eine Frau geheiratet hatte, die bis jetzt weder im Zillertal noch auf dem Schweigerhof Wurzeln geschlagen hatte.
Aber daran ließ sich nichts mehr ändern. Merle wusste, dass sie sich damit abfinden musste. Immer wieder erinnerte sie sich ein bisserl wehmütig an ihre unbeschwerte Kinderzeit und Jugend auf dem Schweigerhof zu erinnern.
Wie schön war es doch gewesen, jeden Morgen durchs Fenster einen Gruß hinauf zu den Gipfeln zu schicken, vor allem zum Feldkopf, der mit seinem eisigen Gletscher freundlich zurückgegrüßt hatte ...
Von der neuen Wohnung im neu erbauten Lindenhaus in Hochbrunn blickte man zwar auch auf die Bergkette, aber man musste sich ein bisschen verrenken, um an den drei Linden vorbeizuschauen. Herzlinden waren es, sehr schöne, alte Bäume, die unter Naturschutz standen.
Man hätte sie auf keinen Fall wegen des Neubaus fällen dürfen. Und das wäre auch niemandem eingefallen, vor allem Bürgermeister Angerer nicht, der das gemeindliche Grundstück unter bestimmten Voraussetzungen zur Bebauung freigegeben und dann verkauft hatte. Es war immer von Vorteil, wenn eine ansehnliche Summe Geld in die Gemeindekasse gespült wurde.
Im Lindenhaus waren zwei große Wohnungen entstanden, die Erdgeschoss-Wohnung zur Vermietung, im ersten Stock gab es eine Eigentumswohnung, hell und mit einem wunderschönen Wohnzimmer samt Dachterrasse. Wer dort irgendwann einziehen würde, stand noch in den Sternen. Wichtig: Das Haus war bis ins Detail im alpinen Stil erbaut worden, sodass es perfekt in die Umgebung passte.
Ganz in der Nähe stand der Kastanienhof und ein Stück weiter der »Eichenborn-Hof«. Die Dörfler nannten die idyllische Anhöhe in Hochbrunn scherzend das »Baumviertel« von St. Christoph. Um das Maß voll zu machen, war kürzlich noch ein gemütliches Einkehrhäusl namens »Zirbenwinkel« entstanden, kurz »Zirberl« genannt.
Das »Zirberl« diente als Treffpunkt für die »Baumviertler« und natürlich auch für alle Freunde aus dem Dorf, die gern nach Hochbrunn heraufkamen. Man verbrachte hier den einen oder anderen geselligen Abend oder saß im Winter bei »Stub'nmusi« und einem Becher Punsch zusammen.
Eigentlich war es ja wirklich ein Glücksfall, dass Merle im Lindenhaus die Parterre-Wohnung bekommen hatte. Interessenten hatte es, laut Bürgermeister Angerer, zur Genüge gegeben.
Aber Merle hatte den »Zuschlag« erhalten, weil ihr Vater und der Angerer-Toni nicht nur alte Freunde waren, sondern auch im Gemeinderat meistens gemeinsam ihre Vorschläge durchgebracht hatten!
***
Wie an jedem Tag, so kümmerte sich Merle auch heute um das Frühstück. Und trotzdem war es anders als sonst, denn in zwei Tagen stand nun unweigerlich der Umzug an.
Ihr Bruder blickte schweigsam zum Fenster hinaus. Es schien ihm nun wirklich nahe zu gehen werden, dass seine Schwester den Hof verließ. Und er wusste auch, dass das Verhalten seiner Frau sowohl am Unzug seiner Eltern als auch an Merles Entschluss schuld war.
Es ließ sich nicht abstreiten, dass Gesa immer noch kein Interesse daran hatte, sich in die Familie einzufügen. Ihr war natürlich klar, dass man auf einem Hof nicht bis in die Puppen schlafen konnte, man musste früh aufstehen. Als Ausrede gab sie vor, dass ihr Kreislauf »schlappmachte«, wenn sie bereits »im Morgengrauen« das Bett verließ.
Sie hatte es sich angewöhnt, länger zu schlafen und erst dann aufzustehen, wenn es ihr (und ihrem angeblich so schwachen Kreislauf) passte. Es hatte sich übrigens beim Doktor herausgestellt, dass ihre Blutdruckwerte tadellos waren. Gesa blieb dennoch weiterhin im Bett liegen und träumte vor sich hin.
Beni war jedenfalls schon eine ganze Weile wach. Er saß in seinem Hochstühlchen am Küchentisch und spielte mit einer quietschbunten Rassel. Katze Suserl war auch schon munter, obwohl sie bei der Nacht lange herumgestromert war und dann nur zwei Stündchen in ihrem Körbchen geschlafen hatte. Sie ließ sich ihre Morgenmilch und ein Schälchen »Premium-Menü« schmecken.
Suserl und Beni waren echte Freunde. Es war inzwischen selbstverständlich, dass die beiden gemeinsam ihren Mittagschlaf auf dem Sofa in der Stube hielten.