1,99 €
Lisa hat eine schlimme Trennung hinter sich, und seitdem verspürt sie immer wieder den Drang, zu stehlen. Dabei bringt sie sich mehrmals in die Bredouille, bis ein Richter ihr androht: Beim nächsten Mal muss sie ins Gefängnis! Bloß das nicht! Lisa flieht. Weg aus der Stadt, weg von den Verlockungen, die sie ins Verderben stürzen. Im abgelegenen Bergdorf St. Christoph hofft sie auf einen Neuanfang. Sie wagt den Schritt und warnt offen: Im Berghotel, im Laden der Jeggl-Alma und im Doktorhaus spricht sie von ihrer "Sucht". Unerwartet findet sie bei den Dörflern Trost und Verständnis. Es könnte alles gut werden. Sie beginnt, den Frieden der Berge einzuatmen und ihre ruhelose Seele zu beruhigen. Doch als im Berghotel ein wertvolles Schmuckstück verschwindet, ändert sich alles ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 128
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Süße gefährliche Herzensdiebin
Vorschau
Hat Ihnen diese Ausgabe gefallen?
Impressum
Cover
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Vom Drang zu stehen zur Kraft, neu zu lieben
Von Andreas Kufsteiner
Lisa hat eine schlimme Trennung hinter sich, und seitdem verspürt sie immer wieder den Drang, zu stehlen. Dabei bringt sie sich mehrmals in die Bredouille, bis ein Richter ihr androht: Beim nächsten Mal muss sie ins Gefängnis!
Bloß das nicht! Lisa flieht. Weg aus der Stadt, weg von den Verlockungen, die sie ins Verderben stürzen. Im abgelegenen Bergdorf St. Christoph hofft sie auf einen Neuanfang. Sie wagt den Schritt und warnt offen: Im Berghotel, im Laden der Jeggl-Alma und im Doktorhaus spricht sie von ihrer »Sucht«.
Unerwartet findet sie bei den Dörflern Trost und Verständnis. Es könnte alles gut werden. Sie beginnt, den Frieden der Berge einzuatmen und ihre ruhelose Seele zu beruhigen. Doch als im Berghotel ein sehr wertvolles Schmuckstück verschwindet, ändert sich schlagartig alles ...
Lisa Faller klopfte das Herz bis zum Hals. In ihr brodelte eine Anspannung, der sie ausgeliefert war. Wie einem Juckreiz an einer Stelle, an der sie sich nicht kratzen konnte. Es juckte immer weiter – bis es unerträglich wurde.
Und genauso wuchs die Unruhe in ihrem Inneren. Schwoll an wie ein Ballon, der jedes andere Gefühl aus ihr verdrängte.
Sie sollte hier verschwinden. Schleunigst.
Doch ihre Füße blieben wie angewurzelt stehen. Sie heftete ihren Blick auf das Regal mit Nagellack, der in allen erdenklichen Farben angeboten wurde. Im Hintergrund hörte sie das Klappern von Schritten anderer Kunden, hier und da drangen Fetzen einer Unterhaltung zu ihr durch. Zwei junge Mädchen standen in der Nähe und schienen sich nicht entscheiden zu können, ob sie farblosen oder lila Nagellack kaufen sollten.
Lisa lackierte sich nie die Nägel. Zu unpraktisch. Als Altenpflegerin hantierte sie von früh bis spät mit Reinigungs- und Desinfektionsmitteln. Bei ihr hielt ein Nagellack keine Stunde durch, dann begann er abzublättern. Und trotzdem konnte sie ihren Blick jetzt nicht von einem Fläschchen mit blassrosa Nagellack nehmen.
Tu es!, hämmerte eine hartnäckige Stimme in ihrem Kopf. Jetzt!
Unwillkürlich grub sie die Zähne in die Unterlippe. Rührte sich nicht vom Fleck, während das Drängen in ihrem Inneren stärker und stärker wurde.
Danach wird es dir besser gehen. Versprochen.
Lisa sah sich nach allen Seiten um. Niemand achtete auf sie. Am Ende der Regalreihe sortierte ein blasser Verkäufer mit gleichgültiger Miene eine Flasche Nagellackentferner nach der anderen ein.
Die Drogerie befand sich in der Innsbrucker Innenstadt – nur einen Steinwurf von der Hofburg entfernt. Jetzt in den Abendstunden waren nur noch wenige Kunden in dem Geschäft unterwegs. In einer Viertelstunde würden sie schließen. Die Gänge leerten sich bereits.
Der typische Duft von Waschmitteln und Frische, der in jeder Drogerie gleich zu sein schien, stieg ihr in die Nase, wurde überdeutlich mit ihren gereizten Sinnen.
Lisa kämpfte gegen ihre innere Erregung an. Doch es fühlte sich an, als würde sie auf verlorenem Posten stehen.
Nun mach schon. Du weißt doch, du willst es. Greif zu! Es ist nichts dabei. Hinterher fühlt es sich so viel besser an.
»Nein«, flüsterte sie und wirbelte herum, stürmte aus der Drogerie, ohne noch einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie eigentlich Toilettenpapier hatte kaufen wollen.
Mit wild jagendem Puls eilte sie durch die Passage zu dem Kurzzeitparkplatz, auf dem sie ihren Dienstwagen abgestellt hatte. Hand in Hand, Altenpflege Denise Haubold, stand an beiden Seiten – zusammen mit einer Telefonnummer, unter der ihre Chefin zu erreichen war.
Lisa lehnte sich mit dem Rücken gegen ihr Auto und fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht, während Enttäuschung und Erleichterung in ihr kämpften wie die Nacht gegen das Licht.
Bevor sie sich darüber klar werden konnte, was sie beinahe getan hätte, bemerkte sie eine Bewegung zu ihrer Linken. Ein Paar schlenderte eng umschlungen über die Straße und hielt auf ein Eiscafé zu, das Tische im Freien aufgestellt hatte und unter gelb und weiß gestreiften Sonnenschirmen verlockende Eisbecher anbot.
Stefan! Lisa fuhr ein Stich geradewegs ins Herz. Sie konnte nicht anders, als das Paar anzustarren, das überhaupt keine Notiz von ihr nahm, weil es viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Sie blieben immer wieder stehen und küssten sich, so ineinander verschlungen, dass ein junger Bursche, der an ihnen vorbeilief, murrte: »Nehmt euch doch ein Zimmer!«
Lisas Augen begannen zu brennen.
Stefan ... Es fühlte sich immer noch an wie ein Verrat. Dabei waren sie seit fünf Monaten kein Paar mehr. Fünf Monate, in denen sie versucht hatte, ohne ihn zu leben und über den Kummer und die Bitterkeit hinwegzukommen, die er ihr beschert hatte.
Im vergangenen Sommer hatte Stefan sie gefragt, ob sie ihn heiraten wolle. Überglücklich hatte sie Ja gesagt – nur, um wenige Monate später herauszufinden, dass er sich heimlich noch mit anderen Frauen traf und mit ihnen schlief, während er an ihr überhaupt kein Interesse mehr zeigte und sich kaum zu einer Umarmung herablassen konnte. Wie ein Spielzeug, mit dem er sich zu oft beschäftigt hatte, sodass es langweilig geworden war.
Die Blondine, die er gerade so intensiv küsste, war nicht die Frau gewesen, mit der sie ihn erwischt hatte.
Doch das machte das herbe Ziehen in ihrer Brust nicht leichter.
Offenbar bekam Stefan nie genug – nur von ihr.
Lias Augen füllten sich mit Tränen. Sie wischte sie hastig, fast trotzig, fort.
Tief in ihr baute sich der Druck wieder auf. Wie Dampf in einem Kessel, der Entlastung brauchte, weil er sie sonst zerstören würde.
Also schön! Verbissen wandte sie sich um und kehrte in die Drogerie zurück.
Sie steuerte das Regal mit dem Nagellack erneut an. Konnte einfach nicht länger widerstehen.
Ein schneller Blick nach links, einer nach rechts, dann packte sie das Fläschchen mit blassrosa Nagellack und stopfte es in ihre Umhängetasche.
Ihr Herz pumpte wild. Sie erwartete, dass ihr jeden Moment jemand auf die Schulter tippen und sie bitten würde, ihre Tasche herzuzeigen. Doch nichts geschah – und ein wildes Triumphgefühl breitete sich in ihr aus.
Sie hielt noch kurz inne und wartete ab. Doch niemand sprach sie an.
Alles war gut. Sehr gut sogar.
Sie setzte sich wieder in Bewegung, streifte die Regalreihen ab, stopfte wahllos eine Packung Zahnpflegekaugummi in ihre Tasche, dann eine Schachtel Ameisenköder und einen Proteinriegel. Nichts davon brauchte sie, aber das spielte auch keine Rolle. In ihren Adern rauschte das Adrenalin, ließ sie sich lebendig fühlen, und allein darauf kam es an.
Lisa steuerte dem Ausgang zu und schob sich am Kassenband vorbei, ohne etwas darauf zu legen. Plötzlich streifte ihr Blick die Kundin, die gerade eine Shampoo-Flasche bezahlte, und sie stockte. Oh nein! Nicht gerade jetzt. Und nicht hier. Die rothaarige Frau, deren grüne Augen hinter einer großen Brille selten anders als freundlich in die Welt blickten, war niemand anderes als Denise Haubold. Ihre Chefin kramte gerade in ihrer Geldbörse und hatte sie noch nicht entdeckt.
Lisa entschied, den Laden schleunigst zu verlassen. Sie mochte sich nicht bemerkbar machen. Auf keinen Fall wollte sie hier mit ihrer Chefin zusammentreffen, während sie die Tasche voller gestohlener Sachen hatte.
Das wäre ... der absolute Tiefpunkt.
Lisa spürte, wie ihre Wangen brannten, als sie an ihrer Chefin vorbei zum Ausgang strebte. Niemand hielt sie auf. Alles schien gutzugehen.
Vor ihr glitten die Glastüren auseinander. Sie konnte die warme Sommerluft bereits auf ihrem Gesicht spüren ...
Da vertrat ihr plötzlich ein hoch gewachsener Mann den Weg und sah sie ernst an.
»Würden Sie bitte mitkommen?«
»W-was?« Lisas Beine wurden weich. In ihren Ohren rauschte es plötzlich. Sie hörte nur wie aus weiter Ferne, wie er sich vorstellte und sie bat, mit nach hinten zu kommen, damit er den Inhalt ihrer Tasche kontrollieren konnte. Auch das Wort Polizei fiel. Er war ernst, aber nicht unfreundlich. Trotzdem wurde es Lisa speiübel.
Sie war erwischt worden!
Sekundenlang konnte sie nicht atmen. Als sie sich umsah, begegnete sie dem Blick ihrer Chefin. Denise Haubold sah sie verwirrt an, als wollte sie sich erkundigen, ob alles in Ordnung sei. Doch nach einem Blick in Lisas schuldbewusstes Gesicht breitete sich Verstehen auf ihrem Gesicht aus, und ihre Augen verdunkelten sich.
Lisa presste die Hände zu Fäusten zusammen, dass sich ihre Fingernägel schmerzhaft in ihre Handballen gruben. Jedes Gefühl von Erleichterung verflog. Alles, was sie jetzt empfand, war pures Grauen ...
... und Ekel vor sich selbst.
***
Stunden später saß Lisa daheim in ihrer dunklen Wohnung.
Sie hatte die Knie an den Körper gezogen und starrte blicklos ins Leere. In ihrem Kopf hallten die Stimmen aus der Drogerie noch nach. Der Ladendetektiv, der sie gebeten hatte, den Inhalt ihrer Tasche herzuzeigen, ihre Weigerung, sein Anruf bei der Polizei ... Sie hatte ihre Personalien angeben müssen und wusste, dass sich ein Richter mit ihrem Handeln befassen würde.
Sie war nicht zum ersten Mal ertappt worden. Beileibe nicht.
Aber diesmal war zum ersten Mal jemand zugegen gewesen, der sie kannte.
Ausgerechnet ihre Chefin!
Lisa schluchzte, aber sie konnte nicht mehr weinen. Sie hatte ihre Tränen vergossen, als sie heimgekommen war. Nun brannten ihre Augen, und sie fühlte sich leer und ausgebrannt, als wäre nichts als ein Häuflein Asche von ihren Gefühlen übrig geblieben.
Sie konnte sich zu nichts aufraffen und blieb einfach sitzen, dem Wirbel aus Gedanken ausgeliefert, die sich nicht abschütteln ließen.
Da klingelte jemand an ihrer Tür.
Sie reagierte nicht.
Doch das Klingeln wiederholte sich.
Lisa schüttelte nur den Kopf und lehnte die Stirn gegen ihre Knie.
Rrrrring! Wer auch immer draußen stand, war offenbar nicht gewillt, so einfach aufzugeben. Er ließ den Finger auf dem Klingelknopf. Lisa stöhnte verhalten. Dann stellte sie ihre Füße auf dem Boden ab, stemmte sich hoch und wankte zur Tür.
»Ich komme ja.« Sie öffnete – und schaute im nächsten Augenblick in ein Gesicht, das ihrem zum Verwechseln ähnlich sah. Herzförmig, mit großen braunen Augen und umrahmt von braunen Haaren. Doch während sie ihre lang und gern geflochten trug, hatte ihre Zwillingsschwester sich die Haare kurz und fransig schneiden lassen, was ihr ausgesprochen gut stand.
Sorgenvoll sah Marie sie an.
»Du lebst«, stellte sie nach einem Moment fest, »und es scheint auch noch alles an dir dran zu sein. So weit, so gut. Bist du krank?«
»W-was? Nein.« Lisa schüttelte den Kopf.
»Nicht krank also. Offenbar auch nicht verletzt. Gut, dann kann ich meine Panik jetzt beiseiteschieben und zum Ärger kommen.« Marie stemmte die Hände auf die Hüften. »Was hast du dir nur dabei gedacht, so völlig auf Tauchstation zu gehen? Weißt du eigentlich, was wir uns für Sorgen um dich gemacht haben?«
»Wir?«
»Mutterl und ich.«
»Wieso denn?« Die Frage war kaum heraus, als es Lisa einfiel. »O nein.«
»O doch.« Marie versuchte nicht einmal, den Vorwurf aus ihrer Stimme herauszuhalten.
Hitze rieselte ihr durch den Körper und setzte sich in ihren Wangen fest. Das Abendessen mit ihrer Familie! Jeden Freitag trafen sie sich abwechselnd entweder bei ihrer Mutter, bei Marie oder bei Lisa. Dann kochten sie zusammen, aßen gemeinsam und tauschten sich über das Neuste aus ihrem Leben aus.
Sie hatten nach dem Tod ihres Vaters damit begonnen, weil weder Marie noch Lisa noch daheim lebten und sie nicht wollten, dass sich ihre Mutter einsam fühlte. Inzwischen gehörte das gemeinsame Abendessen fest zu ihrem Leben dazu.
An diesem Abend hatte sie es jedoch verpasst, ohne Bescheid zu sagen.
»Tut mir leid«, murmelte sie.
»Das reicht leider net.« Marie schob sich an ihr vorbei und marschierte, ohne lange zu zaudern, in die Küche. »Ich hab dich angerufen, Lisa.«
»Ich hab nix gehört.«
»Zwölfmal hintereinander!«
Ihr Handy war stumm geschaltet. Sie hatte nichts mehr sehen oder hören wollen von der Welt ...
»Es tut mir leid«, wiederholte sie.
Ihre Schwester schaltete die Tischleuchte ein und drehte sich dann zu ihr um. Nun schimmerte warme Sorge in ihren Augen.
»Was ist denn los mit dir? Du sitzt hier im Dunkeln, gehst nicht ans Handy und vergisst unser Abendessen ... Das sieht dir überhaupt net ähnlich.«
Nein, tat es nicht.
Lisa erkannte sich selbst kaum noch wieder. Doch das brachte sie nicht über die Lippen. Also schwieg sie.
Ihre Schwester setzte ihren Rucksack ab, zog ihn auf und holte zwei Frischhaltedosen heraus.
»Mutterl hat Tafelspitz gemacht. Mit Kohlrabi, Meerrettichsauce und Kartoffeln. Kannst du dir in der Mikrowelle aufwärmen. Schmeckt wirklich superlecker.«
»Danke.« Lisas Kehle war wie zugeschnürt. Es fühlte sich an, als würde sie nie wieder etwas essen können.
Schweigend sah sie zu, wie ihre Schwester die Vorräte im Kühlschrank verstaute.
Dann drehte sich Marie wieder zu ihr um, trat zu ihr und legte ihr eine Hand auf den Arm.
»Was ist denn bloß los, Lisa? Du weißt, du kannst mir alles sagen. Hast du Sorgen bei der Arbeit? Habt ihr jemanden verloren, den du mochtest?«
Lisa schloss sekundenlang die Augen. Sie kämpfte mit sich. Wollte eigentlich nicht darüber sprechen. Doch sie wusste, wie hartnäckig ihr Zwilling war. Das war eine Eigenschaft, die sie beide teilten.
Also stieß sie den Atem aus und gestand: »Ich hab meine Stelle verloren.«
»Was? Unmöglich.« Marie schüttelte den Kopf. »Das muss ein Irrtum sein. Ich weiß, wie viel ihr immer zu tun habt – und welche großen Stücke deine Chefin auf dich hält.«
»Das ist vorbei«, erwiderte Lisa leise.
Ihre Schwester sah sie einen Moment lang schweigend an.
»Was ist passiert?«, wollte sie dann wissen.
»Meine Chefin hat etwas gesehen, das sie tief enttäuscht hat. Sie war ... außer sich. Und sie hat mir fristlos gekündigt.«
»Jesses.« Marie fasste sich an die Brust. »Hast du jemanden umgebracht?«
»Was? Nein. Natürlich net.«
»Was denn dann? Nun lass dir doch net jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.«
»Geklaut hab ich. In der Drogerie.« Lisa berichtete ihrer Schwester kurz, wie sie lange Finger gemacht hatte und ertappt worden war, während niemand anderes als ihre Chefin in der Nähe gewesen war und alles mit angesehen hatte.
Marie wurde schneeweiß.
»Ist das dein Ernst?« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Das kann ich net glauben. Du doch net. Du würdest net stehlen.«
»Aber ich hab's getan.«
»Lisa!«
»Ich schäme mich in Grund und Boden.« Sie nestelte an ihrem Gürtel und konnte ihrer Schwester kaum in die Augen sehen. »Meine Chefin konnte net anders, als mich rauszuwerfen. An ihrer Stelle hätte ich dasselbe gemacht.«
»Was redest du da bloß?« Der Blick ihrer Schwester flackerte durch die Küche, als würde sie nach einer Erklärung für den Wahnsinn suchen, der Lisa befallen haben musste, um so zu handeln. Nach Alkohol vielleicht. Irgendetwas Greifbarem. Doch da war nichts. Nur ihre saubere, aufgeräumte Küche – und das Elend, das aus Lisa sprach.
»Wir gehen zu alten Menschen nach Hause, um sie zu pflegen und für sie da zu sein«, sagte Lisa leise. »Vertrauen ist die Basis unserer Arbeit. Ohne das geht's net. Ich hab das Vertrauen meiner Chefin aufs Tiefste enttäuscht. Eine Angestellte, die lange Finger macht, würde sie ruinieren.«
»Du würdest deine Patienten bestehlen?« Marie wurde noch eine Spur blasser.
»Nein.« Lisa schüttelte den Kopf. »Das würde ich net.«
»Aber gerade hast du doch zugegeben, dass du gestohlen hast. Ich ... ich versteh' das alles net. Warum machst du so etwas? Du verdienst doch gut. Und wenn dein Geld net reicht, weil irgendetwas passiert ist und du eine teure Reparatur brauchst oder so etwas ... Dann kannst du es mir sagen. Ich helfe dir, wenn ich kann. Das weißt du doch hoffentlich.«
»Ja, das weiß ich. Und ich hab net gestohlen, weil ich kein Geld habe. Geld ist net das Problem.«
»Was denn dann?«
»Das ist ... schwer zu erklären.«