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Emil Rohrmoser, der Verwaltungsdirektor der Frankfurter Sauerbruch-Klinik, bekommt einen riesigen Schreck, als seine langjährige Sekretärin Irene Busswald plötzlich mitten im Diktat ohnmächtig zusammenbricht. Was fehlt der sonst immer so munteren, zuverlässigen Frau? Dr. Peter Kersten, der Leiter der Notaufnahme, findet es bald heraus: Irene und ihr Mann sind völlig erschöpft von der Sorge um ihre neunzehnjährige Nichte Daria, die seit dem Tod ihrer Eltern bei ihnen wohnt. Dem Mädchen fehlt jeder Lebensmut, dreimal hat es schon versucht, sich das Leben zu nehmen, und Onkel und Tante wissen nicht mehr aus noch ein. Peter Kersten entschließt sich zu einem außergewöhnlichen Schritt: Kurzentschlossen beordert er Daria ins Krankenhaus, wo sie als Hilfsschwester Irene Busswald pflegen soll. Doch bald bereut er seinen Entschluss, denn er hat nicht nur die Verantwortung für die lebensmüde junge Frau, sondern muss sich auch noch um den jungen Assistenzarzt Bastian Wilson kümmern, der zwar ein begabter Mediziner, aber so unselbstständig und unsicher ist, dass er den ganzen Betrieb aufhält. Als in der Klinik der Strom ausfällt und sich auf der Straße ein schreckliches Verbrechen ereignet, bekommen die beiden jungen Leute Gelegenheit zu zeigen, was wirklich in ihnen steckt. Doch werden sie ihre Chane auch nutzen?
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Seitenzahl: 121
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Der wahre Kampf ums Überleben
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Impressum
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Dr. Kersten und eine außergewöhnliche Therapie der Hoffnung
Karin Graf
Emil Rohrmoser, der Verwaltungsdirektor der Frankfurter Sauerbruch-Klinik, bekommt einen riesigen Schreck, als seine langjährige Sekretärin Irene Busswald mitten im Diktat ohnmächtig zusammenbricht. Was fehlt der sonst immer so munteren, zuverlässigen Frau?
Dr. Peter Kersten, der Leiter der Notaufnahme, findet es bald heraus: Irene und ihr Mann sind völlig erschöpft von der Sorge um ihre neunzehnjährige Nichte Daria, die seit dem Tod ihrer Eltern bei ihnen wohnt. Dem Mädchen fehlt jeder Lebensmut, dreimal hat es schon versucht, sich das Leben zu nehmen, und Onkel und Tante wissen nicht mehr aus noch ein.
Peter Kersten entschließt sich zu einem außergewöhnlichen Schritt: Kurzentschlossen beordert er Daria ins Krankenhaus, wo sie als Hilfsschwester Irene Busswald pflegen soll. Doch bald bereut er seinen Entschluss, denn er hat nicht nur die Verantwortung für die lebensmüde junge Frau, sondern muss sich auch noch um den jungen Assistenzarzt Bastian Wilson kümmern, der zwar ein begabter Mediziner, aber so unselbstständig und unsicher ist, dass er den ganzen Betrieb aufhält.
Als in der Klinik der Strom ausfällt und sich auf der Straße ein schreckliches Verbrechen ereignet, bekommen die beiden jungen Leute Gelegenheit zu zeigen, was wirklich in ihnen steckt. Doch werden sie ihre Chance auch nutzen?
»... erlaube ich mir, Komma, Sie in aller Höflichkeit darauf hinzuweisen, Komma, dass Sie sich bei der Abrechnung nun schon zum dritten Mal in diesem Jahr, Komma, diesmal um ganze drei Cent, Komma, zu Ihren Gunsten verrechnet haben. Punkt. Oder noch besser ein Ausrufezeichen. Haben Sie es?«
Emil Rohrmoser, der Verwaltungsdirektor der Frankfurter Sauerbruch-Klinik, schaute seine Sekretärin herausfordernd an.
»... um ganze drei Cent zu Ihren Gunsten ...«, murmelte Irene Busswald, während ihre Hand, die den Kugelschreiber hielt, nur so übers Papier flog.
»Weiter sind Sie noch nicht?«, stellte Direktor Rohrmoser sie schroff zur Rede. »Haben Sie nach jedem einzelnen Wort Urlaub am Wannsee gemacht, oder was?«
»... verrechnet haben. Sie diktieren heute ein bisschen zu schnell, Herr Direktor«, rechtfertigte sich die adrette Fünfzigjährige. »Außerdem habe ich Kopfschmerzen und kann mich nicht so gut konzentrieren.«
»Kopfschmerzen? Ha!« Emil lachte trocken auf. »Das kenne ich. Das ist eine ganz faule Ausrede. Meine Gattin hat auch immer Kopfschmerzen, wenn ich sie am Sonntagmorgen – dem einzigen freien Tag in der Woche, den ich mir gönne und an dem ich mal ein bisschen länger schlafen könnte – bitte, mit Santa Gassi zu gehen.«
»Nun ...« Irene schaute ihren Chef über den Rand ihrer Lesebrille hinweg an. »Ich würde jetzt liebend gerne mit Santa Gassi gehen. An der frischen Luft bekäme ich vermutlich rasch einen klaren Kopf, und ich mag Ihren kleinen Hund sehr. Nur das Konzentrieren bereitet mir heute ein bisschen Probleme.«
»Warum stenografieren Sie nicht einfach?«, fragte Emil Rohrmoser ein bisschen milder gestimmt. Wer seinen kleinen Hund mochte, der Santa wie Santa Claus hieß, weil er ihm neulich kurz vor Weihnachten zugelaufen war, der konnte schließlich kein schlechter Mensch sein.
»Stenografieren geht schneller!«, fügte er noch hinzu.
»Ich kann nicht stenografieren«, gestand Irene Busswald. »Das wird schon lange nicht mehr unterrichtet, weil es heutzutage kein Mensch mehr braucht. Es gibt doch Diktiergeräte. Warum haben Sie den Brief nicht einfach auf ein Diktiergerät gesprochen, Herr Direktor? Sie haben doch eines. Dann hätte ich ihn in aller Ruhe abtippen ...«
»Nicht frech werden, Busswald!«, fiel ihr der Verwaltungsdirektor schroff ins Wort. »Ruhe können Sie sich in Ihrer Freizeit gönnen. Für Ruhe werden Sie nicht bezahlt. Und wie komme ich dazu, meine Briefe in einen unansehnlichen Blechkasten sprechen zu ...«
Emil brach ab und zuckte grinsend mit den Schultern.
»Na ja, das wäre eigentlich Jacke wie Hose, denn besonders ansehnlich sind Sie ja auch nicht gerade. Aber einen Blechkasten anzuschreien, das macht mir keinen Spaß. Dem ist das nämlich wurst. Sie hingegen, Sie gucken immer so wundervoll bedröppelt, wenn man Sie mal nicht mit Samthandschuhen anfasst.«
Irene Busswald musste sich ein amüsiertes Auflachen verkneifen. Als ob Direktor Rohrmoser sie oder sonst irgendjemanden jemals mit Samthandschuhen angefasst hätte. Vermutlich besaß er gar keine Samthandschuhe.
Ihr bedröppelter Gesichtsausdruck, wie er es nannte, war jedoch immer nur gespielt, weil sie wusste, dass es ihm große Freude bereitete, andere Leute vor den Kopf zu stoßen. Sie ließ sich von seinem ruppigen Umgangston schon lange nicht mehr aus der Ruhe bringen.
Anfangs, vor fast dreißig Jahren, hatte sie beinahe täglich überlegt, auf der Stelle zu kündigen, wenn er gezetert, gepöbelt, sie angeschnauzt, ihr gedroht, gemeckert, gemosert und gemotzt hatte. Damals hatte seine unberechenbare Art sie zutiefst erschreckt.
Doch recht bald war sie dahintergekommen, dass Herr Rohrmoser ein Schaf im Wolfspelz war. Er fletschte gerne die Zähne, er knurrte bedrohlich, schmiss mit Beleidigungen nur so um sich und mimte den skrupellosen Diktator.
Vermutlich hatte er bei seinen zahlreichen Ausbildungen zum Spitzenmanager gelernt, dass man als solcher eiskalt, beinhart und gnadenlos vorgehen müsse und keinesfalls Gefühle oder gar Mitleid zeigen dürfe, weil einem sonst alle auf der Nase herumtanzten. Daran hielt er sich und fand sogar Spaß daran. Es funktionierte auch recht gut.
Keine der Krankenversicherungen oder der Firmen, mit denen er stets zu tun hatte, wagte jemals den Versuch, ihn zu übervorteilen oder sich mit ihm über zweifelhafte Beträge zu streiten, denn er schlug selbst bei einem einzelnen Cent, der ihm zu viel berechnet wurde oder den er von einer der Krankenversicherungen zu wenig vergütet bekam, einen solchen Krach, als ob es sich um einen Millionenbetrag handelte.
Was er bei Außenstehenden bitterernst meinte, war bei den Angehörigen der Sauerbruch-Klinik jedoch nur ein Spiel, das ihm Vergnügen bereitete. Ernst meinte er es bei den eigenen Leuten so gut wie nie, und Irene hatte recht bald begriffen, dass man sich im Fall der Fälle blind auf ihn verlassen konnte.
Eine solche Verhaltensweise war ihr weitaus lieber als die jener Leute, die einem zuckersüß kamen und einem dann ein Messer in den Rücken rammten, wenn man sich umdrehte. Deshalb gönnte sie ihrem Chef das Vergnügen und spielte mit.
»Es tut mir sehr leid, Herr Direktor«, entschuldigte sie sich deshalb jetzt gespielt unterwürfig. »Bitte diktieren Sie weiter, ich werde mir jetzt mehr Mühe geben.«
»Hoffentlich!« Emil Rohrmoser verdrehte seufzend die Augen. »Andernfalls müsste ich annehmen, dass Sie langsam alt und senil werden. In diesem Fall wäre ich dazu gezwungen, Sie durch eine jüngere Sekretärin zu ersetzen.«
»Wie Sie ...« Irene biss sich auf die Unterlippe. Wie Sie meinen, hatte sie gelassen erwidern wollen, denn erstens handelte es sich dabei ja ohnehin nur um eine leere Drohung, die sie regelmäßig zu hören bekam, und zweitens wäre es ihr egal gewesen. Ihr Mann verdiente als Dirigent des Opernorchesters sehr gut, und sie könnte es sich durchaus leisten, mit fünfzig in Frühpension zu gehen.
»Oh, bitte nicht!«, flehte sie stattdessen, um ihm eine Freude zu machen. »Ich brauche das Geld!«
»Dann tun Sie gefälligst auch was dafür!«, knurrte der Verwaltungsdirektor. »Umsonst ist nur der Tod. Sagt man, stimmt aber nicht.« Er stieß ein verächtliches Grunzen aus.
»Deshalb habe ich bereits testamentarisch festgelegt, dass ich nach meinem Hinscheiden in eine gebrauchte Umzugskiste verpackt werde. Statt eines Grabsteins verlange ich ein handgefertigtes Pappschild, auf dem mein Name steht, und meine letzte Ruhestätte soll statt Blumen nur Goldie, mein Sparschwein zieren, in das die Besucher Münzen werfen sollen. Ich möchte das himmlische Klimpern auch als tote Leiche nicht missen müssen.«
»Das ... hört sich sehr originell an«, behauptete Irene. »Ich werde Sie dann bestimmt öfter mal aufsuchen und Münzen in Goldie werfen.«
»Ihr Schwein pfeift wohl!«, brauste Emil auf. »Wer sagt denn, dass Sie mich überleben? Sie sehen doch jetzt schon ziemlich verblüht und welk aus, während ich gerade erst einmal in voller Blüte stehe. Also hüten Sie Ihre vorlaute Zunge, sonst muss ich Sie doch noch entlassen.«
»Nur das nicht! Es tut mir leid«, entschuldigte sich Irene Busswald abermals und senkte den Kopf.
Emil Rohrmoser war nicht dumm. Ganz im Gegenteil. Er wusste genau, dass seine Sekretärin nur so tat, als ob sie übermäßig viel Respekt oder gar Angst vor ihm und seinen Drohungen hätte. In Wahrheit musste sie sich fest auf die Unterlippe beißen, wie er wohl bemerkte, um nicht laut aufzulachen.
Was er ebenfalls wusste, war, dass er selbst dann, wenn er auf der ganzen Welt jeden einzelnen Winkel durchsuchen und jeden Stein umdrehen würde, niemals einen gleichwertigen Ersatz für sie fände. Sie arbeitete flott, kapierte alles sofort, wusste meistens schon, was er wollte, noch bevor er sie darum bitten musste, war absolut zuverlässig, diskret und respektvoll – und sie hatte nie versucht, ihm seine Launen abzugewöhnen.
Natürlich würde er ihr das niemals sagen, denn am Ende käme sie dann gar auf die haarsträubende Idee, eine Gehaltserhöhung von ihm zu verlangen.
»Können wir jetzt endlich weitermachen, bevor Sie hier endgültig verwelken wie eine Primel in der Wüste?«, schnauzte er sie grob an, weil ihn der Gedanke mit der Gehaltserhöhung ziemlich erschreckte.
»Ich bin bereit, Herr Direktor.«
»Hoffentlich. Weiter also. Deshalb ersuche ich Sie ... Nein, streichen Sie das. Ich ersuche nicht. Das wäre ja noch schöner. Ich befehle. Deshalb befehle ich Ihnen ...«
»Fordere ich Sie dazu auf«, schlug Irene vor.
»Wie meinen?«
»Deshalb fordere ich Sie dazu auf sagt im Prinzip dasselbe aus wie deshalb befehle ich Ihnen, klingt aber ein bisschen eleganter.«
»Sind Sie vom wilden Affen gebissen, Busswald?«, brauste Direktor Rohrmoser auf. »Wie kommen Sie dazu, mich zu belehren? Verfügen Sie neuerdings über ein Diplom in Briefwissenschaften, oder was?«
»Natürlich nicht.« Die Sekretärin senkte den Kopf. »Es tut mir leid, Herr Direktor.«
»Das hoffe ich! Die halbe Minute, die wir jetzt wegen Ihres ebenso unerbetenen wie unbrauchbaren Vorschlags vertrödelt haben, die werden Sie am Abend nachsitzen! Weiter! Und zwar so, wie ich es sage!«
»Sehr wohl, Herr Direktor!«
»Deshalb fordere ich Sie dazu auf, Komma, Ihren Fehler umgehend zu korrigieren und den ausständigen Betrag binnen einer Frist von vierzehn Tagen auf das Konto der Sauerbruch-Klinik zu überweisen. Punkt. Hoffend, Komma, dass Sie künftig bei Ihren Kalkulationen etwas mehr Sorgfalt walten lassen, Komma, verbleibe ich mit freundlichen ...«
Der Verwaltungsdirektor brach abrupt ab, denn in diesem Augenblick verdrehte Frau Busswald die Augen so weit nach oben, dass nur noch das Weiße zu sehen war. Dann sank sie mit einem gedämpften Stöhnen zu Boden und blieb dort reglos liegen.
***
Im Bereitschaftsraum in der Notaufnahme der Sauerbruch-Klinik klingelte das Haustelefon, das an der Wand neben der Tür angebracht war.
»Können Sie bitte mal rangehen, Baldri...«
Dr. Peter Kersten, der Leiter der Notaufnahme, verstummte abrupt und biss sich fest auf die Unterlippe. Er hatte sich verplappert und schüttelte ein bisschen peinlich berührt den Kopf.
»Es tut mir leid!«
»Macht nichts. Ich hab's schon mitgekriegt, dass ihr mich hinter meinem Rücken Baldrian nennt. Aber das macht mir nichts aus, denn so nennt man mich schon seit der Grundschule«, murmelte der fünfundzwanzigjährige Assistenzarzt Dr. Bastian Wilson und beendete die längste Rede, die er in den zwei Wochen, die er nun schon in der Notaufnahme tätig war, jemals von sich gegeben hatte, mit einem Schulterzucken.
»Gehen Sie bitte mal ans Telefon, wir reden nachher drüber, Baldri...«
Schon wieder war Peter nahe dran gewesen, sich zu verplappern. Er stieß einen genervten Seufzer aus. »Himmel Hergott! Tut mir noch mal leid, Bastian.«
Peter schaute dem attraktiven jungen Kollegen nach, wie er mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern im Schneckentempo zum Telefon schlurfte. Er konnte noch immer nicht verstehen, warum der Chefarzt sich für ihn entschieden hatte.
Prof. Lutz Weidner war weithin dafür bekannt, dass er sich von allen Jungärzten des ganzen Landes die Besten der Besten herauspickte, um sie zu den besten Fachärzten der Welt auszubilden.
Baldrian, nein, Bastian war vermutlich ein talentierter Bursche. Immerhin war es nicht die Regel, mit fünfundzwanzig Jahren bereits Studium, Praktikum und Doktorarbeit erledigt und die Approbation erhalten zu haben. Mit dieser Leistung lag er weit über dem Durchschnitt. Er musste also so einiges auf dem Kasten haben.
Das zu überprüfen war allerdings schwierig, denn man bekam ihn kaum jemals in Aktion zu sehen. Das lag nicht etwa daran, dass er faul war, es mangelte ihm lediglich an Selbstvertrauen. Nein, es mangelte ihm nicht nur daran, er hatte offensichtlich gar keines.
Während die anderen Assistenzärzte bei Behandlungen oder Notoperationen sehr darauf bedacht waren, zu demonstrieren, wie gut und selbstständig sie schon waren, musste man Baldri..., nein, Bastian stets dazu auffordern, dies oder das zu tun. Aber selbst dann drehte er sich erst einmal um, um nachzusehen, ob jemand hinter ihm stand, an den der Auftrag ergangen sein könnte.
Stand dort niemand, dann schaute er einen ungläubig an und wartete offensichtlich darauf, dass man lachte und »April, April!«, oder »Scherz!«, rief.
Seine Selbstzweifel konnten nicht daran liegen, dass er zu wenig positiven Zuspruch bekommen hätte. Er hätte längst an seinen Bewertungen erkennen müssen, dass er überdurchschnittlich gut war.
Sein Studium hatte er mit Summa cum laude abgeschlossen, seine Doktorarbeit hatte internationale Aufmerksamkeit erregt, und die Ärzte der Mainzer Universitätsklinik, in der Bastian sein praktisches Jahr absolviert hatte, überschlugen sich beinahe vor Lob, seine Intelligenz und seine Fähigkeiten betreffend.
Jeder andere, der solche Erfolge erzielte, wäre mit stolzgeschwellter Brust und hoch erhobenem Kopf herumstolziert, während Bastian sich beinahe so verhielt, als ob er geistig nicht ganz auf der Höhe wäre.
Niemals wäre der attraktive junge Arzt auf die Idee gekommen, sich ungefragt an Gesprächen zu beteiligen. Stellte man ihm eine private Frage, zuckte er nur mit den Schultern oder sagte bestenfalls »Hm.« Wenn eine junge Frau ihn zu lange anguckte – und das kam häufig vor, weil er, wie bereits erwähnt, ziemlich gut aussah – errötete er und wurde so nervös, dass er über die eigenen Füße stolperte.
Mangelndes Selbstbewusstsein oder Depressionen. Vielleicht auch beides, hatte Lea gemutmaßt, als Peter seiner Lebensgefährtin, der Kinder- und Jugendpsychologin Dr. Lea König, Bastians Verhaltensweise beschrieben hatte. Sie hatte versprochen, bei Gelegenheit mal in der Notaufnahme vorbeizukommen und sich den jungen Arzt unauffällig anzusehen.
Jens Jankovsky, der fast zwei Meter große junge Sanitäter der Notaufnahme, hatte Bastian Wilson wegen seiner einschläfernden Wirkung auf andere den Spitznamen Baldrian verpasst, und seither nannten sie ihn alle so, wenn sie in seiner Abwesenheit über ihn sprachen.
»Wer ist es denn?«, hakte Peter ein bisschen ungeduldig nach, als er das ratlose Gesicht des jungen Kollegen sah.
Dr. Bastian Wilson hielt den Hörer ein wenig auf Abstand. »Es ist Herr Direktor Rohrmoser«, erwiderte er in seinem trägen Singsang, der so schrecklich ermüdend wirkte.
»Aha. Und was will er?«
