Der Pakt mit dem Teufel - Herfried Münkler - E-Book

Der Pakt mit dem Teufel E-Book

Herfried Münkler

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Beschreibung

Nationale Mythen haben für das Selbstverständnis und die Politik Deutschlands schon immer eine zentrale Rolle gespielt. Das gilt besonders für den Mythos des Gelehrten Johann Faust, der sich, nach höherer Erkenntnis strebend, mit dem Teufel einlässt: Spätestens mit Goethes Bearbeitung wurde die Erzählung zum Urmythos der Deutschen, Faust zum Nationalhelden. Dabei bleibt er eine zutiefst zwiespältige Figur. Herfried Münkler schildert, wie der Mythos im Laufe der Jahrhunderte gedeutet und stets auch instrumentalisiert wurde: von den ersten historischen Belegen der Figur bis zum Nationalismus des 20. Jahrhunderts, für den die angeblich «faustische» Natur des Deutschen Ansporn zur Tat und Rechtfertigung zugleich war; von Carl Schmitt und Martin Heidegger, die nach 1933 ihren je eigenen Teufelspakt eingingen, bis zu Hanns Eislers Oper «Johann Faustus», die sich nicht der Parteidoktrin der DDR fügen wollte und heftig angefeindet wurde. Ein aufschlussreicher und spannender Essay über ein Stück Geschichte, in dem sich historische Wendepunkte, aber auch die Mentalität der Deutschen auf außergewöhnliche Weise spiegeln.

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Herfried Münkler

Der Pakt mit dem Teufel

Doktor Johann Georg Faust als deutscher Mythos

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Über dieses Buch

Nationale Mythen haben für das Selbstverständnis und die Politik Deutschlands schon immer eine zentrale Rolle gespielt. Das gilt besonders für den Mythos des Gelehrten Johann Faust, der sich, nach höherer Erkenntnis strebend, mit dem Teufel einlässt: Spätestens mit Goethes Bearbeitung wurde die Erzählung zum Urmythos der Deutschen, Faust zum Nationalhelden. Dabei bleibt er eine zutiefst zwiespältige Figur. Herfried Münkler schildert, wie der Mythos im Laufe der Jahrhunderte gedeutet und stets auch instrumentalisiert wurde: von den ersten historischen Belegen der Figur bis zum Nationalismus des 20. Jahrhunderts, für den die angeblich «faustische» Natur des Deutschen Ansporn zur Tat und Rechtfertigung zugleich war; von Carl Schmitt und Martin Heidegger, die nach 1933 ihren je eigenen Teufelspakt eingingen, bis zu Hanns Eislers Oper «Johann Faustus», die sich nicht der Parteidoktrin der DDR fügen wollte und heftig angefeindet wurde.

Über Herfried Münkler

Inhaltsübersicht

Der Pakt mit dem TeufelLiteratur

Der Pakt mit dem Teufel

Doktor Johann Georg Faust

Um wen es sich bei Faust handelt, ist bis heute nicht ausgemacht, und über die Frage, ob es klug sei, mit ihm Umgang zu pflegen, wird nach wie vor gestritten: Während die einen in Faust einen melancholischen Zweifler und Grübler sehen, der zu jeder Tat unfähig sei, wird er von den anderen gerade als der entschlossene, im Umgang mit übernatürlichen Kräften gehärtete Tatmensch gepriesen. Für die einen ist Faust eine diabolischen Mächten verfallene Kreatur, die am Ende elendig zugrunde geht, für andere verkörpert er die menschliche Selbsterlösung nach der Befreiung aus dem Bann der Religion.[1] Eine zentrale Frage ist dabei, was von dem Teufelspakt zu halten ist, den Faust geschlossen hat: Fällt er ihm zuletzt zum Opfer, oder trägt der Teufel sogar dazu bei, den Weg in ein selbstgeschaffenes Paradies zu ebnen? So wird Faust einmal als der moderne Mensch in seiner ganzen Verzweiflung und Hilflosigkeit begriffen, dann wieder als der Welterforscher und -eroberer schlechthin.

Die Faustfigur ist ein Paradebeispiel für das, was Blumenberg als «Arbeit am Mythos» bezeichnet hat:[2] den Umstand, dass mythische Erzählungen nicht von Anfang an fertig ausgebildet sind und anschließend nur noch interpretiert und verstanden werden müssen, sondern dass der Mythos das Ergebnis der lange währenden Umgestaltung eines ursprünglichen narrativen Kerns ist. Dabei war die Bearbeitung des Stoffs durch Goethe, die diesen ein Leben lang beschäftigt hat – vom sogenannten Ur-Faust des Jahres 1775 bis zur Versiegelung des zweiten Teils der Tragödie im August 1831 –, mehr als nur eine wichtige Station in der Arbeit am Mythos: Ohne sie hätte die Fausterzählung wohl kaum zum Nationalmythos werden können.

Den «anheimelnden Zauber», den sie auf die Deutschen ausübe und «den bis zum heutigen Tage kein Ausländer ganz verstanden» habe, erklärte der Historiker Heinrich von Treitschke in seiner vielgelesenen Deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts (1879) damit, dass Goethes Faust «wie ein symbolisches Bild der vaterländischen Geschichte [erschien]. Wer sich darein vertiefte, übersah den ganzen weiten Weg, den die Germanen durchmessen hatten seit den dunklen Tagen, da sie nah mit den Göttern des Waldes und des Feldes in traulicher Gemeinschaft lebten, bis zu dem lebensfrohen Volksgetümmel, das aus unseren alten Städten […] ins Freie drängt. Hier war des deutschen Lebens Überschwang: der wilde Teufelsspuk unseres Volksaberglaubens und die zarte Innigkeit deutscher Frauenliebe, der Humor der Studenten, die Schlaglust der Soldaten und die Sonnenflüge des deutschen Gedankens – fast alles, was unser Leben ausmacht […]; dem schlichten Leser schien alles verständlich, dem geistvollen unergründlich.»[3] Franz Dingelstedt, Direktor des Wiener Burgtheaters, ernannte Goethes Faust zur «zweiten Bibel unserer Nation», es sei «das Allerheiligste unseres nationalen Schrifttums»,[4] und der Kunsthistoriker Herman Grimm stellte in seinen 1876 gehaltenen Berliner Goethe-Vorlesungen fest: «Dadurch, daß wir Faust und Gretchen besitzen, stehen die Deutschen in der Dichtkunst aller Zeiten und Nationen an erster Stelle.»[5] So wurde Faust nicht nur zum «populärsten Bild des deutschen Wissenschaftlers und Intellektuellen», sondern aus ihm wurde auch «die Gestalt eines Nationalhelden» geformt.[6]

Man kann daraus mit dem Literaturwissenschaftler Gert Mattenklott die These ableiten, die zum Nationalmythos erhobene Fausterzählung sei die «Philosophie des deutschen Sonderwegs», und Faust sei der «Repräsentant einer Elite, die sich kulturell immer neu legitimieren muß»,[7] aber damit ist man vermutlich schon den Suggestionen erlegen, die der Mythos transportiert: dass es einen deutschen Sonderweg in die Moderne gebe, gleichgültig, ob man diesen für problematisch oder für verhängnisvoll hält, und vor allem, dass das Bildungsbürgertum in Deutschland tatsächlich eine Elitenposition besessen und Einfluss auf Politik und Gesellschaft genommen habe.[8]

Genau das steht im Zentrum des Faust-Mythos, wie er im 19. Jahrhundert Gestalt angenommen hat: Nicht sozioökonomische Prozesse und machtpolitische Konstellationen entscheiden danach über den Gang der Geschichte, sondern die seelische Verfassung der Menschen, ihre Haltung und ihr Charakter. Unter dem Schlagwort des Faustischen wollten einige Publizisten und Literaten eine spezifisch deutsche, geschichtsmächtige Disposition erkennen, auf die man sich entschieden einlassen müsse, um die Welt zu verändern. Dass der Faust-Mythos eine so tiefe Spur in der Geschichte der deutschen Selbstwahrnehmung hinterlassen würde, war zu Beginn der Neuzeit freilich nicht zu erkennen.

 

An seinem Anfang steht eine spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Erzählung von einem – je nachdem – Scharlatan oder Wissenschaftler, der durch öffentliche Auftritte auf Marktplätzen oder, seltener, bei Hofe die Menschen beeindruckt und in seinen Bann gezogen hat. Das Zusammentreffen von Renaissance und Reformation, einem zunehmend wissenschaftlichen Verhältnis zur Natur auf der einen und einer gesteigerten Sorge um das Seelenheil auf der anderen Seite findet in den Berichten von dem historischen Faust – möglicherweise zwischen 1478 und 1480 im württembergischen Knittlingen geboren und um 1540 in Staufen/Breisgau unter unklaren Umständen gestorben[9] – seinen Niederschlag: Der Astrologe, Alchemist und Wunderheiler Johann Georg Faust, wie Günther Mahal ihn charakterisiert hat,[10] wurde neben die Naturphilosophen Agrippa von Nettesheim und Theophrastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, gestellt – mit dem Unterschied freilich, dass er keine Texte hinterlassen hat, sondern nur durch die Zeugnisse anderer, Philipp Melanchthons etwa oder des Sponheimer Abts Johannes Trithemius, für die Nachwelt greifbar ist.[11] So ist es kein Wunder, dass sich bald eine Fülle von Gerüchten, Vermutungen und Vorwürfen um ihn rankten: Er habe Geister beschworen, mit Toten gesprochen und zaubern können; Faust wurde zum Teufelsbündner, der seine Seele verkauft hat, um irdische Macht und übernatürliche Kräfte zu erlangen. Diese Sicht bestimmte die 1587 bei Johann Spieß in Frankfurt erschienene Historia von D. Johann Fausten, die zur Grundlage aller weiteren Bearbeitungen des Stoffs wurde.[12]

Für die Bühne ist er zuerst durch den Engländer Christopher Marlowe bearbeitet worden, um dann in der Gestalt eines Puppenspiels nach Deutschland zurückzukehren; noch in der Zeit Goethes war diese Tradition lebendig.[13] Daneben nahm sich die protestantische Mahnliteratur der Faust-Erzählung an.[14] Faust wurde zum warnenden Beispiel für die verhängnisvollen Folgen eines sündigen Lebens: Neugier und Unbußfertigkeit, sinnliche Begierde und ehrgeizige Selbstdarstellung lassen ihn einen Pakt mit dem Teufel eingehen, der ihn Leben und Seelenheil kostet. Als er begreift, dass er unrettbar verloren ist, hilft alles Wehklagen nicht mehr. Es ist zu spät.

Um Faust aus einer Gestalt der protestantischen Mahnliteratur in einen Mythos der Moderne verwandeln zu können, musste man ihn entdiabolisieren: Die Macht des Teufels musste zurückgenommen werden, um dem Geist der Aufklärung und der Vorstellung vom Fortschritt des Menschengeschlechts Rechnung zu tragen. Die Domestikation des Teuflischen machte den Faust-Mythos mit der Moderne kompatibel, und gleichzeitig war sie die Voraussetzung dafür, dass die Erzählung von dem Manne, der sich mit dem Teufel eingelassen hatte und daran zugrunde gegangen war, national anschlussfähig wurde. Ohne Entdiabolisierung hätte Goethes Faust kaum zur «zweiten Bibel» der Deutschen werden können, wie es bei Dingelstedt heißt.

Indem Goethe dem Teufelspakt (nach dem Muster der Hiob-Geschichte des Alten Testaments) eine Wette zwischen Gott und Mephisto voranstellt, hat er die Macht des Teufels stark relativiert,[15]