Thomas Hobbes - Herfried Münkler - E-Book

Thomas Hobbes E-Book

Herfried Münkler

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Beschreibung

Thomas Hobbes (1588–1679), dessen Denken von den europäischen Konfessions- und Bürgerkriegen des 17. Jahrhunderts geprägt war, steht für einen Paradigmenwechsel innerhalb der politischen Philosophie. Diese ging seit Platon und Aristoteles von der Opposition zwischen gerechtem und ungerechtem Gemeinwesen aus. Hobbes jedoch »erfand« für sein Zeitalter eine neue Opposition: die von Herrschaftslosigkeit und Herrschaft. Chaos und Krieg sollten durch die Einsetzung eines absoluten Souveräns gebannt werden. Damit war Hobbes Wegbereiter einer neuen Regierungsform. Herfried Münklers bekannte Einführung in die Philosophie von Thomas Hobbes liegt nun in einer aktualisierten Neuauflage vor.

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Herfried Münkler

Thomas Hobbes

Eine Einführung

3., aktualisierte Auflage

Campus Verlag Frankfurt/New York

Über das Buch

Thomas Hobbes (1588–1679), dessen Denken von den europäischen Konfessions- und Bürgerkriegen des 17. Jahrhunderts geprägt war, steht für einen Paradigmenwechsel innerhalb der politischen Philosophie. Diese ging seit Platon und Aristoteles von der Opposition zwischen gerechtem und ungerechtem Gemeinwesen aus. Hobbes jedoch »erfand« für sein Zeitalter eine neue Opposition: die von Herrschaftslosigkeit und Herrschaft. Chaos und Krieg sollten durch die Einsetzung eines absoluten Souveräns gebannt werden. Damit war Hobbes Wegbereiter einer neuen Form politischen Denkens. Herfried Münklers bekannte Einführung in die Philosophie von Thomas Hobbes liegt hiermit in einer aktualisierten Neuauflage vor.

Über den Autor

Herfried Münkler ist Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Inhalt

Siglen

1 Einleitung

2 Erfahrungen und Konsequenzen

2.1 Hobbes’ Vita und Werk

2.2 Der Bürgerkrieg in England

2.3 Hobbes’ Bruch mit der klassischen politischen Philosophie

2.4 Sprachkritik

3 Die Grundelemente der politischen Theorie

3.1 Hobbes’ Menschenbild

3.2 Der Naturzustand

3.3 Der Vertrag und die Einsetzung des Souveräns

3.4 Die Rechte und Pflichten des Souveräns

3.5 Politische Theologie

4 Rezeptionsgeschichte

Anmerkungen

Literatur

A. Erstveröffentlichungen der Werke Hobbes’ in chronologischer Reihenfolge

Posthum erschienene Werke

B. Weiterführende Literatur

a) Eigenständige Publikationen und Sammelbände

b) Aufsätze

c) Websites

Zeittafel

Siglen

Bei Einzelausgaben wird zunächst der Originaltitel angeführt, dann die deutsche Ausgabe, nach der zitiert wird.

OLThomas Hobbes Malmesburiensis opera philosophica quae latine scripsit omnia, hrsg. von William Molesworth, 5 Bde., London 1839–1845 (J. Bohn), Nachdrucke Aalen 1961 sowie Darmstadt 1966.

EWThe English Works of Thomas Hobbes of Malmesbury, hrsg. von William Molesworth, 11 Bde., London 1839–1845 (J. Bohn), Nachdrucke Aalen 1962 und Darmstadt 1966.

EI. The Elements of Law (1640) – Naturrecht und allgemeines Staatsrecht in den Anfangsgründen, übersetzt und mit einer Einführung von Ferdinand Tönnies, Essen 1926; Neudruck mit einem Vorwort von Arthur Kaufmann, Darmstadt 1983.

OLElementorum Philosophiae sectio prima de Corpore (1655) – Elemente der Philosophie. Erste Abteilung. Der Körper, übersetzt und herausgegeben von Karl Schuhmann, Hamburg 1996.

OLElementorum Philosophiae sectio secunda de Homine (1658) – Vom Menschen. Vom Bürger. Elemente der Philosophie II/III, eingeleitet und herausgegeben von Günter Gawlick, 3., verbesserte Auflage, Hamburg 1994, S.1–56 (enth. Kap. 1, 10–15).

OLElementorum Philosphiae sectio tertia de Cive (1642) – Vom Menschen. Vom Bürger. Elemente der Philosophie II/III, eingeleitet und herausgegeben von Günter Gawlick, 3., verbesserte Auflage, Hamburg 1994, S.57–327.

OLHobbes über die Freiheit. Widmungsschreiben, Vorwort an die Leser und Kapitel I–III aus »De Cive« (lat.-dt.), eingeleitet und mit Schollien herausgegeben von Georg Geismann und Karlfriedrich Herb, Würzburg 1988.

OLLeviathan or The Matter, Forme and Power of a Commonwealth, Ecclesiasticall and Civill (1651) – Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, herausgegeben und eingeleitet von Iring Fetscher, übersetzt von Walter Euchner, Neuwied/Berlin 1966; Neudruck mit Nachträgen zur Einleitung und zur Bibliographie, Frankfurt/M. 1984. – Leviathan in der Übersetzung von Walter Euchner, Teil I und II. Kommentar von Lothar R. Waas, Berlin 2011.

Vita Thomas Hobbessii Malmesburiensis Vita, Authore Seipso (1672) – Das Leben des Thomas Hobbes aus Malmesbury, in Versen geschrieben im Jahre 1562, übersetzt und eingeleitet von Dietmar Herz, in: Politisches Denken. Jahrbuch 1993, S.59–83.

OLBehemoth or The Long Parliament (1679) – Behemoth oder Das Lange Parlament, herausgegeben und mit einem Essay von Herfried Münkler, Frankfurt/M. 1991.

OLA Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Laws of England (1681) – Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Recht, herausgegeben und kommentiert von Bernard Willms, Weinheim 1992.

Kapitel 1Einleitung

Von der Grundlegung bis in die Einzelheiten hinein hat Hobbes seine politische Theorie in Auseinandersetzung mit der politischen Philosophie von Platon und Aristoteles entwickelt – auch und gerade dort, wo er sich von ihnen grundlegend absetzt. Hobbes’ theoretisch-methodischer Ansatz kann daher tatsächlich als Bruch mit einer zweitausendjährigen Tradition politischen Denkens beschrieben werden, wie er dies auch selbst empfunden und propagiert hat. Manifest wird dieser Bruch nicht nur in der von ihm vollzogenen Abkehr von der aristotelischen Tugendlehre, sondern auch in einer Überführung der Grundsätze des politischen Denkens aus dem Feld der praktischen in das der theoretischen Philosophie. Auch wenn Hobbes’ diesbezügliche systematische Überlegungen sich nicht in seiner politischen Theorie erschöpfen, so bildet diese doch unverkennbar das Kernstück, auf das hin seine gesamte Philosophie bezogen werden kann.

Leo Strauss hat Thomas Hobbes als einen »unklugen, koboldhaften und bilderstürmerischen Extremisten« bezeichnet. Damit wollte er ihn keineswegs denunzieren und herabsetzen, denn er fährt in seiner Charakterisierung fort, Hobbes sei »wegen seiner fast jungenhaften Offenheit, seiner nie versagenden Menschlichkeit und seiner wunderbaren Klarheit und Nachdrücklichkeit ein […] genußreicher Schriftsteller«.1 Was Strauss offenkundig zum Ausdruck bringen wollte, ist die frappante Gleichzeitigkeit von Radikalität und Ambivalenz in Hobbes’ politischer Theorie, die sich gemeinhin ausschließen: Die Ambivalenz einer Theorie wird als Folge fehlender Radikalität begriffen, so wie umgekehrt die radikale Durchdringung eines Problems beansprucht, dessen ambivalente, mehrdeutige Erscheinungsweise in ihren Ursachen aufzuklären und eindeutig zu machen. Bei Hobbes ist dies anders: Der Mann, der in der Literatur übereinstimmend als revolutionärer Mitbegründer der politischen Philosophie der Neuzeit bezeichnet wird, wird zugleich von den einen als erster liberaler Politiktheoretiker angesehen,2 während andere ihn als denjenigen begreifen, der wie kaum ein anderer in dieser Eindeutigkeit das Erfordernis des starken, autoritären Staates zwingend nachgewiesen habe.3 Bemerkenswert an diesen widersprüchlichen Lesarten der Hobbes’schen Theorie ist, dass beide Seiten gute Gründe für die Richtigkeit ihrer jeweiligen Sichtweise geltend machen können. Im Falle der Hobbes’schen Theorie scheint Ambivalenz durch Radikaliät nicht getilgt, sondern gerade erst hervorgebracht worden zu sein. Um dieses Problem des Nebeneinanders und der Gleichzeitigkeit von argumentativer Klarheit und politischer Mehrdeutigkeit kreisen nahezu alle Interpretationen der Hobbes’schen Theorie; insofern ist es naheliegend, es zum Ausgangspunkt der Darstellung zu machen. Hobbes hat sich mehrfach und dezidiert von allen Traditionen des politischen Denkens abgesetzt und seine Theorie als revolutionären Neubeginn, ja als Beginn eines gründlichen politischen Denkens überhaupt bezeichnet. Verwissenschaftlichung der Politik, und zwar Verwissenschaftlichung nach den Vorgaben der Geometrie, sollte die Antwort auf die politischen Wirren seiner Zeit sein. In dem an den Earl of Devonshire gerichteten Widmungsbrief zu De cive schreibt Hobbes:

»Wenn die Moralphilosophen ihre Aufgabe mit gleichem Geschick [wie die Geometer] gelöst hätten, so wüßte ich nicht, was der menschliche Fleiß darüber hinaus noch zum Glück der Menschen in diesem Leben beitragen könnte. Denn wenn die Verhältnisse der menschlichen Handlungen mit der gleichen Gewißheit erkannt worden wären, wie es mit den Größenverhältnissen der Figuren geschehen ist, so würden Ehrgeiz und Habgier gefahrlos werden, da ihre Macht sich nur auf die falschen Ansichten der Menge über Recht und Unrecht stützt, und das Menschengeschlecht würde eines beständigen Friedens genießen […]. Wenn dagegen jetzt der Krieg mit den Schwertern und der Krieg mit den Federn kein Ende nimmt; wenn die Kenntnis des Rechts und der natürlichen Gesetze heute nicht größer ist als in alten Zeiten; wenn jede Partei ihr Recht mit Aussprüchen der Philosophen unterstützt; wenn dieselbe Handlung von dem einen gelobt und von dem andem getadelt wird, wenn derselbe Mensch heute das billigt, was er morgen verdammt, und wenn er die eigenen Taten anders beurteilt, sofern sie andere tun: so sind dies überaus deutliche Zeichen, daß die bisherigen Schriften der Moralphilosophen zur Erkenntnis der Wahrheit nichts beigetragen haben« (Civ. 61f.).

Hobbes ist also der Auffassung, dass der Bürgerkrieg, der während der Niederschrift von De Cive in England offen ausgebrochen war und der auf dem Kontinent seit mehreren Jahrzehnten in Gestalt des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) die Länder und Staaten zerrüttete, vermeidbar gewesen wäre, wenn Moralphilosophie und politische Wissenschaft jene Fortschritte gemacht hätten, wie sie im Bereich der Naturwissenschaften zu verzeichnen waren. Die Gefährdungen der politischen Ordnung waren nach Hobbes’ Urteil dieselben, die schon Thukydides und Platon ausgemacht hatten: Ehrgeiz und Habgier. Aber Moralphilosohie und politische Wissenschaft hatten auf diese Herausforderung bislang keine gültige Antwort gefunden. Was ihnen fehlte, war, so Hobbes, ein »geeigneter Ausgangspunkt« (commodum principium), und den glaubte er, wie er eingangs der zitierten Passage andeutet, darin gefunden zu haben, dass er »die Verhältnisse der menschlichen Handlungen« in derselben Weise zueinander in Beziehung setzte, wie dies die Geometrie mit den »Größenverhältnissen der Figuren« tat. Eine more geometrico verfahrende politische Theorie würde danach die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Bürgerkrieg beendet und eine stabile politische Ordnung begründet werden könnte. Dies sei jedoch nur möglich, wenn mit den überkommenen Formen politischen Denkens gebrochen werde, denn sie hätten sich als unfähig erwiesen, die Gesetze des Friedens zu entdecken. Was Hobbes damit verlangte, war die Abkehr von der aristotelischen Tugendlehre wie überhaupt die Abkehr des politischen Denkens von der praktischen Philosophie und seine Überführung in die theoretische Philosophie. Aristoteles hatte die Einordnung der Politik – neben Ethik und Ökonomik – in den Bereich der praktischen Philosophie damit begründet, dass sie es mit veränderlichen, von Zeitumständen und äußeren Gegebenheiten abhängigen Problemen zu tun habe und es in ihr darum neben dem richtigen Erkennen auf das rechte Handeln ankomme. Es ist die wissensystematische Zuordnung politischer Theorie zur praktischen Philosophie, gegen die Hobbes an der zitierten Stelle mit dem Argument angeht, sie habe dazu geführt, dass es im politischen Denken seit der Antike keinen Fortschritt gegeben habe, denn diese Art des Denkens sei aufgrund des fehlenden systematischen Ausgangspunktes nicht in der Lage, die Ordnung der Gesellschaft rational zu konstruieren und diesbezügliches Wissen zu akkumulieren. Was Hobbes vorschlägt, ist ein fundamentaler Bruch mit einer zweitausendjährigen Tradition politischen Denkens.

Hobbes brach damit nicht nur mit der an den europäischen Universitäten nach wie vor hegemonialen Philosophie des Aristoteles, sondern verwarf auch das große Projekt des Renaissance-Humanismus, durch eine Rückbesinnung auf die Vorbilder der Antike zu einem Aufschwung von Kultur und Wissenschaft in Europa beitragen zu können.4 Die philologisch geschulte Neulektüre antiker Texte und die Orientierung am Vorbild der Römer sollten nach Auffassung der Renaissance-Humanisten dafür sorgen, dass die Menschen moralisch besser und politisch klüger würden. Aber weder Erasmus, der in seiner Institutio Principis Christiani auf die sorgfältige Erziehung eines christlichen Herrschers gesetzt hatte, noch Machiavelli, der in seinen Discorsi die Orientierung an den politischen Praktiken der Römer als Orientierungsmaßstab effektiven politischen Handelns ins Spiel gebracht hatte, waren für Hobbes Politiktheoretiker, an die man anknüpfen konnte und deren Überlegungen sich weiterführen ließen. Mit wenigen Ausnahmen, Thukydides etwa oder auch Platon, ließ sich aus der Tradition des politischen Denkens nach Hobbes’ Auffassung nichts oder nur Falsches lernen. Also musste methodologisch ein radikaler Neuanfang gemacht werden, und dafür hat Hobbes die Übernahme mathematisch-naturwissenschaftlicher Verfahren in die politische Wissenschaft vorgesehen.

Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Hobbes in dem knapp ein Jahrzehnt später verfassten Widmungsbrief zu De corpore die Behauptung aufgestellt hat, politische Philosophie im exakten Sinne sei »nicht älter als das Buch, welches ich selbst unter dem Titel De cive verfaßt habe« (OL 12). Es dürften diese und ähnliche, die wissenschaftliche wie die politische Gelehrsamkeit vor den Kopf stoßenden Äußerungen gewesen sein, die Leo Strauss dazu veranlasst haben, Hobbes als »unklug« zu bezeichnen. So hat Hobbes seine Überzeugungen und Grundsätze in einer Schärfe und Unversöhnlichkeit vorgetragen, dass sie zum Ausgangspunkt immer neuer Kontroversen und Auseinandersetzungen werden mussten, und tatsächlich war Hobbes, seitdem er 1640 seine Elements of Law als royalistische Parteischrift verfasst hatte – er war damals immerhin schon über fünfzig Jahre alt –, bis zu seinem Lebensende in immer neue Polemiken verwickelt: über die Freiheit des Willens, über die Quadratur des Kreises, über Organisation und Lehrinhalte der Universitäten und vor allem natürlich über seine politische Theorie, die nicht nur bei seinen politischen Gegnern, sondern auch bei seinen politischen Freunden auf heftigen Widerspruch und strikte Ablehnung stieß.5 Dabei hatte Hobbes offensichtlich erwartet, er könne durch die schlagende Klarheit der Argumente seine Leser überzeugen und dazu bringen, seinen Hinweisen und Ratschlägen aus Einsicht zu folgen. So erklärte er in dem De cive vorangestellten »Vorwort an die Leser«:

»Wenn Sie die von mir aufgestellte Lehre erfaßt und begriffen haben werden, so hoffe ich, daß Sie lieber einige Unbequemlichkeiten im Privatleben, da die menschlichen Dinge nicht frei von aller Unbequemlichkeit sein können, mit Geduld ertragen werden, als daß Sie den Staat in Verwirrung bringen; daß Sie die Gerechtigkeit Ihrer Unternehmungen nicht nach den Reden und dem Rate einzelner Bürger, sondern nach den Gesetzen des Staates bemessen werden und daß Sie nicht mehr von ehrgeizigen Menschen sich werden mißbrauchen lassen, um mit Ihrem Blute diesen zur Macht zu verhelfen. Ich hoffe, daß Sie es vielmehr vorziehen werden, den gegenwärtigen Zustand, auch wenn er nicht der beste ist, selbst zu genießen, als Krieg zu beginnen, damit, nachdem Sie selbst getötet worden oder das Alter Sie verzehrt hat, andere in einem späteren Jahrhundert eine verbesserte Verfassung besitzen« (Civ., 72).

Hobbes hat seine Leser davon überzeugen wollen, dass Gehorsam gegenüber dem Souverän, wer auch immer er sei, die geeignetste Form ist, den eigenen Interessen zu genügen. Dabei hat er nicht an den Altruismus und die Opferbereitschaft der Bürger appelliert, sondern im Gegenteil auf deren wohlverstandenes Eigeninteresse gesetzt, von dem er erwartete, es werde ein hinreichendes Gegengewicht gegen politische Visionen sein, die eine bessere Zukunft versprachen, von denen Hobbes aber nichts anderes als eine Intensivierung der politischen Konflikte erwartete. In diesem Sinne hat er seine Theorie als eine Belehrung zur Orientierung am Eigeninteresse und als Rationalisierung politischen Verhaltens durch eine Zurückdrängung der Affekte und Emotionen verstanden. Ganz offensichtlich hat er bei der Niederschrift der zitierten Passagen geglaubt, dies könne und werde ihm mit der Veröffentlichung von De cive gelingen.

Schlaglichtartig wird damit sichtbar, was in der jüngeren Forschung als das Performanzproblem der Hobbes’schen Theorie thematisiert worden ist: die Erwartung, dass das Aussprechen dessen, was Hobbes für wahr und zutreffend hielt, für die so beschriebenen Menschen auch Verbindlichkeit erlangte, dass – mit anderen Worten – konstative Sätze, wie etwa der, dass Menschen interessegeleitet seien, durch ihr öffentliches Aussprechen bzw. ihre Publikation in einem Buch performative Qualität erlangten, d.h. dass mit ihnen eine Selbstverpflichtung zur Orientierung an den je eigenen Interessen einhergehe. Diese Engführung von Konstativem und Performativem ist für Hobbes’ Argumentation elementar, denn nur wenn die Menschen mit großer Zuverlässigkeit als interessengesteuerte Lebewesen agieren, kann Hobbes’ politische Geometrie funktionieren. Man könnte auch von einer Inversion des Deskriptiven und Präskriptiven in der methodischen Anlage der Hobbes’schen Theorie sprechen; denn nur wenn die Menschen tatsächlich so sind, wie sie von Hobbes beschrieben werden, kann die von ihm entwickelte politische Ordnung als eine mechanische Kombination der politischen Eigeninteressen entstehen. Auf die eingangs erwähnte Forschungskontroverse bezogen, ob Hobbes eher in die Tradition liberalen Denkens gehöre oder ein Repräsentant des autoritären Staates sei, heißt das, dass Hobbes’ politische Theorie um so liberaler daherkommt, je mehr man vom »Wunder des Performativen« ausgeht, und dass die autoritären Züge in dem Maße zunehmen, in dem man bezweifelt, dass sich die Menschen tatsächlich so verhalten, wie sie von Hobbes beschrieben worden sind: Dann nämlich muss der Souverän sie zwingen, so zu sein, wie sie theoretisch immer schon hätten sein sollen. Hobbes selbst hat dieses Dilemma nicht thematisiert und wahrscheinlich hat er es als solches auch nicht erkannt. Er dürfte darum auch kaum vorausgesehen haben, dass seine auf die Herstellung eines dauerhaften Friedens ausgerichtete Lehre zum Ausgangspunkt heftiger Auseinandersetzungen werden würde, zumal er doch, wie er versicherte, »nicht im Interesse einer Partei, sondern des Friedens« schrieb (Civ., 74). Solche Erwartungen in einer ideologisch hochgradig aufgeladenen Bürgerkriegssituation zu hegen, war in gewisser Hinsicht naiv oder, wie Leo Strauss es nannte, »unklug«. Denn gerade in einer solchen Situation wurde, wie Hobbes sehr bald erfahren musste, jede theoretische Intervention zur Parteinahme. Hatte er eine solche Parteinahme noch intendiert, als er auf Vorschlag des Earl of Newcastle die Elements of Law verfasste und Abschriften unter den Abgeordneten des Kurzen Parlaments zirkulieren ließ, so hat er De cive ebensowie das große Werk Leviathan als jedem Parteistandpunkt überhobene theoretische Reflexionen in praktischer Absicht verstanden. Für die von Hobbes mit so großer Eindringlichkeit analysierte Bürgerkriegssituation ist jedoch gerade charakteristisch, dass es in ihr keinen von den Konfliktparteien unabhängigen Standpunkt der politischen Vernunft gibt. Was dem »Krieg der Federn«, wie Hobbes die Schriften der Parteiintellektuellen später genannt hat, überhoben sein sollte, wurde von den Zeitgenossen als Teilnahme daran wahrgenommen.6 Das »Wunder des Performativen«kam nicht zustande. So wurde die Lehre von der Unterwerfung unter die de-facto-Macht, wie Hobbes sie im Leviathan entwickelt hat, in royalistischen Kreisen sogleich (und mit Grund) als Aufforderung zur Unterwerfung unter die Republik bzw. die Militärdiktatur Oliver Cromwells verstanden, und Hobbes, der nach der Niederschrift der Elements of Law nach Frankreich geflohen war, kam zu dem Ergebnis, er müsse nun vom Exilhof Karls II. in Frankreich wieder nach England fliehen. Das macht, um Leo Strauss’ dritte Charakterisierung des Thomas Hobbes aufzugreifen, das Koboldhafte an Hobbes aus: Die konsequente Orientierung an der Herstellung des Friedens und die Logik seiner eigenen Theorie, der er sich aus kurzfristigen taktischen Erwägungen nicht zu entziehen bereit war, haben ihn, der durchweg ein überzeugter Anhänger der Monarchie war, dazu veranlasst, eine faktisch prorepublikanische und antiroyalistische Position einzunehmen – was sein alter Kontrahent und Gegenspieler Edward Hyde, Earl of Clarendon, ihm nach der Restauration der Stuarts mehrfach zum Vorwurf gemacht hat: Ein Monarch, so Clarendon, sei gut beraten, seine und seines Staates Sicherheit nicht auf die Theorie eines Thomas Hobbes zu gründen, denn sie sei kaum geeignet, ihm in politisch heiklen Konstellationen die Loyalität und Treue seiner Untertanen zu erhalten.7

Nun kann eine Theorie, die in ihrem Kerngehalt während eines Zeitraums von etwa zehn Jahren, zwischen der Abfassung der Elements of Law und der Niederschrift des Leviathan, erarbeitet worden ist, und dies obendrein unter dem Eindruck eines Bürgerkrieges, schwerlich völlig aus einem Guss sein. Fraglos gibt es eine Entwicklung der Hobbes’schen Theorie, auch wenn diese in Anbetracht der dramatischen Umstände, unter denen sie entstanden ist, bemerkenswert wenig Risse aufweist. Akzentverschiebungen und Gewichtsverlagerungen freilich sind bei genauerer Betrachtung nicht zu übersehen: Zunächst ist eine deutliche Entnormativierung der Rolle des Souveräns festzustellen, dessen Aufgaben und Pflichten in den Elements of Law noch viel deutlicher und klarer bestimmt werden, als dies später der Fall ist. Dementsprechend ist die Absolutheit der obersten Gewalt im Leviathan erheblich ausgeprägter als in den vorangegangenen Schriften.8 Andererseits sind die Elements eher eine politische Tendenzschrift, während es sich beim Leviathan um eine systematisch-staatstheoretische Abhandlung handelt.

Gleichzeitig wird Hobbes’ Sprache im Exil leidenschaftlicher und polemischer, er wirbt nicht mehr um die Zustimmung derer, die nicht seiner Meinung sind, sondern sucht seine Gegner mit klaren Beweisketten zu widerlegen. Das erwähnte Performanzproblem schlägt auf den Duktus der Theoriebildung zurück. Unübersehbar ist auch die im Verlaufe der Zeit wachsende Bedeutung, die Hobbes der Religion für eine kohärente und überzeugende Darlegung seiner Theorie beimisst: Spielte sie in den Elements noch eine eher beiläufige Rolle, weswegen er sich mit ihr auch bloß in den Kap. VI und VII im zweiten Teil des Buches beschäftigt, wo es um die Bedeutung privater Urteile in Religionsstreitigkeiten sowie die Superiorität der souveränen Gewalt auch in Glaubensfragen geht, so hat er der Religion in De cive bereits einen ganzen von insgesamt drei Abschnitten gewidmet. Offenkundig hat Hobbes die Notwendigkeit gesehen, parallel zur Entnormativierung der Rolle des Souveräns den Nachweis zu führen, dass die Absolutheit der ihm zugesprochenen Macht nicht in Widerspruch steht zu den Geboten und Gesetzen, die Gott den Menschen gegeben hat. Ähnlich wie nach ihm Spinoza im Tractatus Theologico-Politicus (1670) ist Hobbes dabei immer mehr zum Bibelinterpreten bzw. zum politiktheoretischen Begründer der historischen Bibelkritik geworden.9 Ihren Abschluss fand diese Entwicklung schließlich im Leviathan, worin er mit zwei von vier Büchern (»Vom christlichen Staat«; »Vom Reich der Finsternis«) die Hälfte des gesamten Werkes Fragen der Religion gewidmet hat.

Es ist in der Forschungsliteratur lange Zeit üblich gewesen, Hobbes’ Auseinandersetzung mit Religionsfragen als den Zeitumständen geschuldet zu behandeln, um sich fast ausschließlich auf die für die politikwissenschaftliche wie sozialphilosophische Diskussion anschlussfähigen Teile der Begründung einer politischen Gemeinschaft qua Vertrag sowie dessen Voraussetzungen und Folgen zu konzentrieren. Nun ist zweifellos richtig, dass Hobbes’ politische Theorie in vielfältigen Frontstellungen gegen unterschiedliche Gegner und Kontrahenten entstanden ist, beginnend bei der aristotelischen Schulphilosophie über die Common-Law-Juristen und Anhänger einer Mischverfassung bis zu den zahllosen Gruppen der Theologen, von den Papisten bis zu den Millenariern, die damit beginnen wollten, Gottes Reich auf Erden zu errichten, und manche Überlegungen von Hobbes sind insofern heute tatsächlich eher von historischem als von politiktheoretischem Interesse. Inzwischen hat sich in der Hobbes-Literatur die zeitweilig dominierende Fokussierung auf das kontraktualistische Argument aber relativiert, und mit der Repolitisierung religiöser Fragen im Gefolge der islamistischen Kritik des Westens – oder allgemeiner: der fundamentalistischen Kritik am Verfassungsstaat westlicher Provenienz – hat Hobbes’ Auseinandersetzung mit Religion und Theologie neue Relevanz und auch wachsendes Interesse gefunden. Die Beschäftigung mit Hobbes’ politischer Theorie und das Hauptaugenmerk, das jeweils auf sie geworfen wird, unterliegt selbst historisch wechselnden Konjunkturen des Interesses, und nicht zuletzt dieser Umstand kennzeichnet Thomas Hobbes als einen der großen Klassiker in der Geschichte des politischen Denkens: Auch diejenigen Teile seiner Theorie, die lange als obsolet, weil bestimmten historischen Konstellationen geschuldet, gegolten haben, erweisen sich mit dem Wandel der politischen Herausforderungen mit einem Mal wieder als interessant und anschlussfähig.

Mit Blick auf die Theorieentwicklung durch Hobbes selbst ist augenfällig, dass er, je prägnanter er das kontraktualistische Argument und, damit verbunden, die Idee der Absolutheit souveräner Macht entwickelte, das Erfordernis einer theologisch-moralischen Unterfütterung seiner kalkülrationalen Staatskonstruktion gespürt hat. Man kann darin eine Reaktion auf das oben beschriebene Performanzproblem sehen. Der wachsende Umfang der religiösen Fragen gewidmeten Teile seiner Schriften ist sicherlich nicht nur seinem Bestreben zu überzeugen geschuldet, sondern auch dem – freilich niemals explitzit eingestandenen – Empfinden, dass ein bloß auf der Kalkülrationalität individueller Nutzenmaximierer errichteter Staat trotz der Konzentration absoluter Macht beim Souverän auf längere Sicht eine fragile Angelegenheit ist und er darum einiger zusätzlicher Begründungen wie Bindungen bedarf, die nicht in die interessengesteuerte Verfügung der staatsbildenden Individuen gestellt sind.

Carl Schmitts vielzitierter Einwand gegen Hobbes, dieser habe durch die Trennung von confessio und fides, öffentlichem Bekenntnis und privatem Glauben, eine Lücke geöffnet, die den Bürgern eine zunehmende Distanzierung von staatlichen Festlegungen ermöglicht habe,10 weist darauf als Problem hin. Klaus-Michael Kodalle hat, von Schmitt herkommend, aber in einer affirmativen Wendung gegen dessen Kritik an Hobbes, die Auffassung vertreten hat, Hobbes habe den religiösen Bereich ganz bewusst als eine dem rationalen Zugriff der Einzelnen überhobene transzendente Wahrheitsebene eingeführt, um derart erst der politischen Ordnung den entscheidenden Halt zu verleihen.11 Unverkennbar ist dies keine Diskussion, bei der es bloß um die Frage eines richtigen und adäquaten Verständnisses der Hobbes’schen Theorie geht. Was hier am Material der Hobbes’schen Theorie verhandelt wird, ist vielmehr die Frage, ob eine politische Gemeinschaft zureichend qua Gesellschaftsvertrag begründet werden kann oder ob die kontraktualistische Legitimation der politischen Ordnung eines zivilreligiösen Unterbaus bedarf, der für die Gesellschaftsmitglieder eine höhere Verpflichtung darstellt, als dies ihr wohlverstandenes Eigeninteresse ist.

Aber nicht nur Intensität und Umfang der Beschäftigung mit religiösen und theologischen Fragen haben sich während der Entstehungsgeschichte der Hobbes’schen Theorie verändert, sondern auch die Geschichtsschreibung hat durch Hobbes eine recht unterschiedliche Behandlung erfahren: In der Zeit, in der Hobbes am sozialphilosophischen Kerngehalt seiner Theorie arbeitete, also von der Abfassung der Elements bis zur Niederschrift des Leviathan, hat er der Geschichtsschreibung eine bestenfalls marginale Bedeutung für die Herstellung einer politisch stabilen Ordnung beigemessen; je mehr er nämlich auf eine more geometrico verfahrende Begründung der politischen Ordnung setzte, desto weniger Gewicht kam der Geschichte zu, stand diese doch für das historisch Kontingente, während es ihm darum ging, eine von zeitlichem wie räumlichem Kontext unabhängige Begründung des Gemeinwesens zu entwerfen. Hobbes setzte dabei auf das Verfahren historischer wie geographischer Dekontextualisierung, um moralphilosophisch und politiktheoretisch allgemeingültige Aussagen machen zu können. Demgemäß hat er nicht nur vor der Lektüre des Aristoteles, sondern auch vor der antiker Historiker eindringlich gewarnt:

»Was die Rebellion gegen die Monarchie im besonderen betrifft, so ist eine ihrer häufigsten Ursachen die Lektüre der politischen und historischen Schriften der alten Griechen und Römer […]. Die Lektüre dieser Bücher, meine ich, brachte die Menschen dazu, ihre Könige zu töten, weil die griechischen und römischen Schriftsteller in ihren Büchern und Abhandlungen über Politik dies zu einer rechtmäßigen und lobenswerten Handlung für jedermann machten, vorausgesetzt, er nenne ihn vor der Tat einen Tyrannen« (Lev., 249).

Und an anderer Stelle schreibt er:

»Durch Lektüre dieser griechischen und römischen Schriftsteller wurde es den Menschen von Kindheit an unter dem Einfluß eines falschen Freiheitsbildes zur Gewohnheit, Aufruhr gutzuheißen und die Handlungen ihres Souveräns sowie die Kritik der Kritiker zu kritisieren, was mit soviel Blutvergießen verbunden ist, daß ich wohl recht habe, wenn ich sage, daß niemals etwas so teuer erkauft wurde wie das Erlernen der griechischen und lateinischen Sprache von der westlichen Welt« (Lev., 167).

Hobbes hat ganz entschieden bezweifelt, dass aus der Lektüre historischer Schriften etwas für die Herstellung einer stabilen politischen Ordnung Fruchtbares gelernt werden könne. Im Gegenteil: Die Beschäftigung mit der Geschichte hatte eine politisch destabilisierende Wirkung – jedenfalls bei all denen, die sich zuvor nicht durch die Kenntnis der wahren Konstruktionsprinzipien einer politischen Ordnung gegen die Verführungskünste der Geschichte immunisiert hatten. Andererseits hat sich Hobbes aber selbst, und zwar sowohl vor als auch nach jenem Jahrzehnt, in dem er seine politisch-philosophische Theorie ausarbeitete, intensiv mit der Geschichte beschäftigt und dazu beigetragen, dass diese einem größeren Publikum bekannt wurde. Zu nennen ist zunächst seine 1628 veröffentlichte englische Übersetzung des Thukydides, dessen Werk ob seines Inhalts, der Analyse eines Krieges, in dem sich der Kampf zwischen den Städten mit dem innerhalb der Städte verband, wie auch ob seines nüchternen, unpathetischen Realismus für ihn stets große Bedeutung gehabt hat; sodann aber auch sein eigenes Spätwerk Behemoth, in dem Hobbes die Geschichte des Englischen Bürgerkriegs einer scharfsinnigen Analyse unterzogen hat.12 In diesem in der Forschung lange und in vieler Hinsicht immer noch unterschätzten Werk erklärt Hobbes in seinem an Sir Henry Bennet gerichteten Widmungsschreiben: »Es gibt nichts Belehrenderes in bezug auf Untertanentreue und Gerechtigkeit als die Erinnerung an diesen Krieg, so lange sie dauert« (Beh., 11). Hier nimmt Hobbes die vordem so stark akzentuierte skeptische Distanz gegenüber der Historiographie deutlich zurück, mehr noch: Er weist der Geschichte einen veränderten Stellenwert für die politische Theorie zu: Ging es in den Elements, in De cive und im Leviathan darum, das Wissen um die richtigen Konstitutionsprinzipien der politischen Ordnung kontextunabhängig zu entwickeln, um so ohne Rücksicht auf die besonderen Gegebenheiten wahre Aussagen über die Ordnung eines politischen Gemeinwesens machen zu können, so lässt Hobbes nun den die historischen Ereignisse erläuternden Dialogpartner erklären:

»Wenn es ebenso wie im Raume auch in der Zeit Höhe und Tiefe gäbe, so möchte ich wahrhaft glauben, daß der Höhepunkt der Zeit zwischen 1640 und 1660 liegt. Denn wer damals wie vom Berge der Versuchung aus die Welt betrachtete und die Handlungsweise der Menschen besonders in England beobachtete, würde einen Überblick über alle Arten von Ungerechtigkeiten und Torheiten, die die Welt sich je leisten konnte, bekommen haben. Er würde genau gesehen haben, wie diese Ungerechtigkeiten und Torheiten von den Müttern Heuchelei und Dünkel geboren wurden, deren eine die doppelte Ungerechtigkeit, die andere die zweifache Torheit verkörpert« (Beh., 12).

Nun lässt sich dieser Wechsel in Hobbes’ Methodik der Wissenserzeugung durch die Feststellung entschärfen, dass Hobbes, als er den Behemoth verfasste, bald achtzig Jahre alt gewesen sei und sich vermutlich nicht mehr auf der Höhe seines eigenen Systems befunden habe. Auch wenn so selten argumentiert wird, hat man doch den Behemoth zumeist so behandelt: Man hat die Darstellung der Hobbes’schen politischen Theorie auf De cive und Leviathan beschränkt, die Elements of Law vielleicht als einen ersten, noch etwas ungelenken Versuch des Systementwurfs einbezogen und dabei den Behemoth ebenso vernachlässigt wie den Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Laws of England. Dabei hätten schon die von Hobbes gewählten Titel seiner Bücher, der unverkennbare Bezug der Bürgerkriegsanalyse auf die Staatskonstruktion durch die Komplementarität der mythischen Ungeheuer aus dem Buch Hiob, des Seeungeheuers Leviathan und des Landungeheuers Behemoth, als Hinweis genügen müssen, um zu erkennen, dass Hobbes die Bürgerkriegsanalyse im Behemoth seinem Hauptwerk Leviathan zur Seite gestellt wissen wollte. Aber es gibt noch weitere Gründe, den im Behemoth gewählten methodischen Ausgangspunkt der Wissensgenerierung ernster zu nehmen, als dies eine die geometrische Methode zum Dogma der Hobbes’schen Theorie erhebende Sichtweise tut. Ist nämlich der von Hobbes mehrfach beschriebene Naturzustand der notwendige systematische Ausgangspunkt seiner Vertragskonstruktion, so kommt diesem Naturzustand gerade dann, wenn er nicht als historischer Zustand, sondern als theoretische Fiktion begriffen wird, eine erkenntnistheoretisch privilegierte Position zu, insofern erst von ihm her das Erfordernis von Staatlichkeit und Machtkonzentration beim Souverän erkennbar wird. Begreift man diesen Naturzustand als »Idealtypus des Ausnahmezustandes«,13 so liegt die Verbindung zum Bürgerkrieg nahe, und die an der oben zitierten Stelle aus dem Behemoth von Hobbes vorgenommene erkenntnistheoretische Privilegierung des Bürgerkriegs, seine Apostrophierung als Berg oder Höhe, von der aus man einen besseren Überblick habe, steht ganz in der von Hobbes entwickelten Systematik politischen Denkens: Nur im Ausnahmezustand werden die Konstitutionsprinzipien des Normalzustands erkennbar, und die Ordnung des Friedens wird durch die Analyse des Bürgerkriegs dechiffriert. Es ist die Spezifik dieses Blicks auf die Geschichte, die der geometrischen Methode ähnlich ist, bei der erst die analytische Zerlegung Aufschluss über die Art und Struktur der geometrischen Körper gibt. Das Verhältnis zwischen Bürgerkrieg und Friedenszustand hat Hobbes in Analogie dazu begriffen.

Die Frage nach der Bedeutung des Spätwerks für das Verständnis der Hobbes’schen Theorie ist mit einer anderen kontrovers diskutierten Frage der Hobbes-Interpretation verbunden, der Frage nämlich, ob das Hobbes’sche System zwingend und kohärent aus seinen methodologischen Grundvoraussetzungen entwickelt werden könne,14 oder aber »die universale Bedeutung von Hobbes’ politischer Wissenschaft so lange verkannt bleiben (muß), als man, im Einklang mit wichtigen Äußerungen von Hobbes selbst, die Methode für entscheidend hält«.15 Die Konsequenz der jeweiligen Zugangsweise für die Umfangsbestimmung des Hobbes’schen Werkes ist klar: Wer Hobbes’ politische Theorie als wesentlich durch die geometrische Methode generiert begreift, kann mit dem Spätwerk wenig anfangen, zumal Hobbes darin die rational-deduktive Darstellungsweise, deren er sich von den Elements bis zum Leviathan bediente, aufgegeben und wieder auf die in den moralphilosophischen Schriften der Humanisten gepflegte Dialogform zurückgegriffen hat.16 Dagegen kann eine Hobbes-Interpretation, die sein Werk wesentlich durch eine neue Wahrnehmung des politischen Materials charakterisiert sieht, das Spätwerk, das sich wohl methodisch, nicht jedoch »gesinnungsmäßig« von den zwischen 1640 und 1651 verfassten Büchern abhebt, ohne weiteres in den Kerngehalt der Hobbes’schen Theorie einbeziehen.

Gerade weil Hobbes unter die wichtigsten Klassiker des politischen Denkens zu zählen ist, gibt es eine verbreitete Neigung, aus seinem umfänglichen Werk nicht nur einen Kerngehalt herauszuschälen, sondern diesen auch als Hobbes’ eigentliche Theorie zu bezeichnen. Sowohl die Konzentration auf das kontraktualistische Argument als auch die auf die geometrische Methode haben im beschriebenen Sinn theorieverkürzend gewirkt. Die Folge solcher Verkürzungen ist jedoch nur ein zeitweiliger Gewinn an theoretischer Prägnanz, der mit einem langfristigen Verlust an Reflexionspotenzialen der Theorie beglichen werden muss. Auch aus diesem Grund, sicherlich aber auch, um die oben geforderte Widerständigkeit der Theorie gegen einen interpretativ willkürlichen Zugriff zu wahren, soll nachfolgend Hobbes’ politische Theorie so umfänglich wie möglich dargestellt werden, d. h. neben den die jüngere sozialphilosophischen, juristischen wie politikwissenschaftlichen Diskussionen befruchtenden Teilen sollen auch jene berücksichtigt werden, die dem ersten Anschein nach von eher historischem Interesse sind.

Kapitel 2Erfahrungen und Konsequenzen

2.1 Hobbes’ Vita und Werk

Hobbes’ Motivation und sein Ehrgeiz, für die politische Theorie ein alle bisherigen Ansätze vergessen machendes Grundlagenwerk zu schreiben, das die Wiederherstellung und Sicherung des inneren Friedens auf allgemeine Prinzipien gründet, denen jeder in seinem wohlverstandenen eigenen Interesse zustimmen können muss, speist sich aus drei Quellen: Der Nähe zu den politischen Entscheidungsträgern seiner Zeit, den persönlichen Erfahrungen aus dem englischen Bürgerkrieg und der festen Überzeugung, in der Geometrie Euklids einen zuverlässigen neuen Ansatz der politischen Wissenschaft gefunden zu haben. Seinem theoretischen Selbstverständnis entsprechend entwickelte Hobbes die allgemeinen Prinzipien seiner Theorie denn auch nicht unter Rekurs auf die in England vorgefundene, historisch entstandene Ordnung, die ihm selbst als viel zu bürgerkriegsträchtig erschien, sondern leitete sie aus allgemeinen Prämissen hinsichtlich der fundamental verschiedenen Existenzbedingungen des Menschen im Natur- und im Gesellschaftszustand ab.

Biographisches Material, das über Hobbes’ langes Leben – immerhin wurde er über 90 Jahre alt – genaueren Aufschluss geben könnte, ist spärlich. Gäbe es nicht die Aufzeichnungen der Familie Cavendish, Hobbes’ in lateinischen Versen abgefasste kurze Vita und John Aubreys Lebensbeschreibungen, in denen Aubrey sich neben Isaak Newton, Robert Boyle, John Dryden und anderen auch Thomas Hobbes zuwendet,17 würde die Person des Thomas Hobbes gänzlich hinter seinem Werk verschwinden. Zweifellos kann dieses Werk auch ohne Rückgriff auf die Person des Verfassers begriffen und interpretiert werden, aber die eine oder andere Wendung in Hobbes’ Leben, ein Zusammentreffen oder eine Auseinandersetzung mit berühmten oder weniger berühmten Zeitgenossen lassen doch bestimmte Aspekte und Zuspitzungen seiner Theorie deutlicher hervortreten. Die Beschäftigung mit Hobbes’ Vita ist nicht unerlässlich, aber doch bedeutsam für das Verständnis seines Werks. Von herausgehobener Bedeutung ist dabei sicherlich die Erfahrung des englischen Bürgerkriegs, auf den nachfolgend in einem separaten Kapitel gesondert eingegangen werden soll.

Hobbes war ein vielgereister Mann: Dreimal hatte er als Tutor eines adligen Zöglings den Kontinent bereist – diese oft mehrere Jahre dauernden Bildungsreisen junger Adliger, »Grand Tour« genannt, bildeten den Abschluss ihrer Erziehung zum Gentleman –, und dabei hatte er die führenden Gelehrten seiner Zeit kennengelernt: in Paris den Abbé Marin Mersenne sowie Pierre Gassendi und René Descartes, in Florenz Galileo Galilei, und in England hatte er mit Francis Bacon (dessen Privatsekretär Hobbes vermutlich zeitweise war) und William Harvey engen Kontakt. Hobbes hat also in einem mehr oder minder intensiven Gedankenaustausch – und das hieß bei ihm immer auch: in scharfen Auseinandersetzungen – mit den großen Denkern seiner Zeit gestanden. Ermöglicht wurde dies nicht zuletzt dadurch, dass er nach Beendigung seines mit dem Baccalaureat abgeschlossenen Universitätsstudiums in die Dienste einer der führenden adligen Familien Englands eingetreten war; so konnte er ein weltoffeneres und Neuerungen aufgeschlosseneres intellektuelles Leben führen, als ihm dies in einem Anstellungsverhältnis an der Universität etwa möglich gewesen wäre. Hobbes’ formelle wie faktische Stellung als Hauslehrer und Hofmeister (die Gewichte verschoben sich hier von Zeit zu Zeit), die vielleicht als eines großen Gelehrten unwürdig erscheinen mag,18 war die beste Voraussetzung dafür, dass Hobbes jene Werke schreiben konnte, die ihn zu einem der herausragenden Köpfe in der Geschichte des politischen Denkens haben werden lassen. Dabei ist bemerkenswert, dass er, der sich zeitlebens in der Umgebung des Adels bewegte, seiner politischen Theorie ein Menschenbild zugrundegelegt hat, in dem adlige Ideale und Lebensentwürfe keine wesentliche Rolle spielen, sondern alle Werte in einer als bürgerlich zu bezeichnenden Kalkülrationalität verschwinden. Man kann Hobbes’ politische Theorie als eine dezidierte Absage an die aristokratischen Ideale lesen, vom heroischen Opfermut bis zur großherzigen Güte. Hobbes hat nicht bestritten, dass es derlei immer wieder gibt, aber er hat in Abrede gestellt, dass sich darauf eine politische Ordnung errichten und legitimieren lässt, was der Kerngedanke einer aristokratischen Politikauffassung ist.19