Der Schoppenfetzer und der Narrenwein - Günter Huth - E-Book

Der Schoppenfetzer und der Narrenwein E-Book

Günter Huth

0,0

Beschreibung

"Mit letzter Kraft bäumte sich Elvira Stark auf und ließ ihre verschränkten Fäuste unter Einsatz ihres Körpergewichts wie einen Hammer auf das Brustbein des Verletzten herunter­sausen. Ermattet sank sie vornüber und ihr Kopf sank auf den Brustkorb Bürgermeister Farmers herab. Plötzlich durchfuhr sie es wie ein Blitzschlag! Sie hob den Kopf und legte ihre Hand auf seine Brust. Es war eindeutig, der Brustkorb des Bürgermeisters hob und senkte sich leicht." Was hat der brutale Überfall auf Bürgermeister Andy Far­mer mit der Fernsehsendung "Die närrische Weinprobe" und der Wahl des alljährlichen Narrenweins zu tun? Farmer sollte in der Sendung eine wichtige Rolle übernehmen, liegt nun aber im Koma. Der Leiter der Mordkommission, Sebastian Krämer, hält Elvira Stark für die Täte­rin und versucht alles, um der Freundin seines verhassten Vorgängers Erich Rottmann die Schuld nachzuweisen. Eine Anschlagsdrohung auf die beliebte Fernsehsendung ruft das Landeskriminalamt auf den Plan. Der Leiter dieses Teams sieht Erich Rottmann als einzige Lösung dieser gefährlichen Situation. Kann Rottmann Elvira Stark und die Närrische Weinprobe retten?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 224

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Foto: Rico Neitzel – Büro 71a

Günter Huth wurde 1949 in Würzburg geboren und lebt seitdem in seiner Geburtsstadt. Er kann sich nicht vorstellen, in einer anderen Stadt zu leben.

Er ist Rechtspfleger (Fachjurist), verheiratet, drei Kinder.

Seit 1975 schreibt er in erster Linie Kinder- und Jugendbücher, Sachbücher aus dem Hunde- und Jagdbereich (ca. 60 Bücher). Außerdem hat er bisher Hunderte Kurzerzählungen veröffentlicht. In den letzten Jahren hat er sich vermehrt dem Genre Krimi zugewandt. 2003 kam ihm die Idee für einen Würzburger Regionalkrimi. „Der Schoppenfetzer“ war geboren.

2013 erschien sein Mainfrankenthriller „Blutiger Spessart“, mit dem er die Simon-Kerner-Reihe eröffnete, mit der er eine völlig neue Facette seines Schaffens als Kriminalautor zeigt. Durch den Erfolg des ersten Bandes ermutigt, brachte er 2014 mit dem Titel „Das letzte Schwurgericht“ den zweiten Band, 2015 mit „Todwald“ den dritten Band, 2016 mit „Die Spur des Wolfes“ den vierten Band und 2017 mit „Spessartblues“ den fünften Band dieser Reihe auf den Markt.

Der Autor ist Mitglied der Kriminalschriftstellervereinigung „Das Syndikat“.

Die Handlung und die handelden Personen dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lenbens ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

Günter Huth

Der Schoppenfetzerund der Narrenwein

Der fünfzehnte Fall des WürzburgerWeingenießers Erich Rottmann

Günter Huth

Der Schoppenfetzer und der Narrenwein

© Echter Verlag, Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Gestaltet von Peter Hellmund

Gedruckt und gebunden von Pressel, Remshalden

Zweite Auflage 2021

ISBN

978-3-429-05639-1

978-3-429-05159-4 (PDF)

978-3-429-06535-5 (ePub)

www.echter.de

Inhalt

An einem Herbstabend in der Nähe von Maindorf

Würzburg, Samstag, den 22. Oktober

Würzburg, Montag, den 24. Oktober

Würzburg, Donnerstag, den 27. Oktober

Maindorf, Montag, den 31. Oktober

Würzburg, Montag, den 31. Oktober

Am selben Tag ebenfalls in Würzburg

Würzburg, Dienstag, den 1. November

Würzburg, Mittwoch, den 2. November

Maindorf, am Abend des 2. Novembers

Würzburg, Donnerstag, den 3. November

Würzburg, Freitag, den 4. November

Am selben Tag im Stückfasskeller

Würzburg, Montag, den 7. November

Würzburg, Mittwoch, den 9. November

Zu guter Letzt

An einem Herbstabend in der Nähe von Maindorf

Die Dämmerung breitete sich wie ein Mantel über die Weinberge und verwandelte die kräftigen Herbstfarben der Weinstöcke immer mehr in ein sanftes pastellfarbenes Landschaftsgemälde. Die schwarze Luxuslimousine fuhr mit Standlicht im Schleichgang den geschotterten obersten Weinbergsweg entlang. Der Fahrer bemühte sich, den Steinschlag durch hochschlagenden Split möglichst gering zu halten. Unter den drei Männern im Wageninneren herrschte Schweigen. Die drei waren Hauptakteure eines ungewöhnlichen Plans, dessen Fundamente jetzt in Form gegossen werden sollten.

„Wir sind da“, durchbrach der Fahrer das Schweigen. „Da vorne ist es.“ Aus dem schwachen Licht tauchten etwas entfernt die kantigen Konturen eines weißgestrichenen Weinbergshäuschens auf. Der Mann auf dem Rücksitz beugte sich nach vorn und übersetzte die Worte des Mannes am Lenkrad für den Beifahrer in bestes Mandarin, die chinesische Hochsprache. Der kleine schlanke Mann neben dem Fahrer nickte. Auch im Profil war seine chinesische Herkunft deutlich zu erkennen. Die dichten schwarzen Haare trug er streng nach hinten gekämmt, wo sie mit reichlich Gel an Ort und Stelle gehalten wurden.

„Das ist ja winzig“, übersetzte der Dolmetscher die Worte des Chinesen.

Das steinerne Weinbergshäuschen stand direkt am Grenzweg zwischen den Weinbergen und dem darüberliegenden Trockenrasengebiet oberhalb von Maindorf, einem bekannten Weinort am Main.

Das Häuschen besaß zwei Fenster, die offenbar mit Gardinen verhängt waren, denn erst jetzt, aus der Nähe, erkannte man gedämpften Lichtschein. Der Fahrer lenkte den Wagen nach rechts und parkte ihn dicht neben den obersten Rebstöcken. Die drei stiegen aus und näherten sich der Eingangstür. Der Übersetzer trug eine Kühltasche und einen Aktenkoffer. Ehe sie anklopfen konnten, wurde die Tür geöffnet und die Konturen eines kräftigen Mannes zeichneten sich im Lichtschein ab.

„Guten Abend“, grüßte der Gastgeber und trat zur Seite, damit die Besucher eintreten konnten. Im Vorübergehen gab der Fahrer ihm die Hand. Der Chinese beschränkte sich darauf, sich zu verneigen, während der Dolmetscher ihn vorstellte. Die Eintretenden mussten die Augen etwas zusammenkneifen, denn die einzige, aber kräftige Lichtquelle, eine auf einem kleinen Tisch stehende Gasleuchte, blendete sie.

Der winzige Raum nahm praktisch die gesamte Grundfläche des Häuschens ein und war spartanisch eingerichtet: der Tisch, sechs Stühle, in eine Ecke eingepasst ein kleiner Schrank. Trotzdem strahlte der Raum eine gewisse Gemütlichkeit aus, der man sich nur schwer entziehen konnte.

Der Gastgeber machte eine einladende Handbewegung.

„Herr Präsident, vielleicht nehmen Sie hier Platz.“

Der so Angesprochene hob die Hand. „Den Präsidenten habe ich heute zu Hause gelassen. Also bitte ganz zwanglos.“ Er wartete, bis sich der Chinese niedergelassen hatte, dann nahm auch er Platz. Als das Stühlerücken beendet war, ergriff der Präsident das Wort: „Ich freue mich sehr über das Zustandekommen dieses Treffens. Insbesondere begrüße ich sehr herzlich Herrn Chang Shixin, der den weiten Weg aus dem Reich der Mitte zu uns auf sich genommen hat, um mit uns zusammenzuarbeiten. Ich hoffe, ich habe Ihren Namen richtig ausgesprochen.“ Er blickte um Verständnis bittend in Richtung des Chinesen.

Nach der Übersetzung des Dolmetschers verbeugte sich der Chinese knapp und begann zu sprechen. Der Gastgeber lauschte andächtig der für ihn fremden Sprachmelodie. Der Übersetzer transferierte seine Worte fast synchron ins Deutsche.

„Meine Herren, es ist mir eine große Ehre, Ihr Gast zu sein, um mit Ihnen Geschäfte zu machen. Ich bin überzeugt, dass sich unsere Interessen und die Ihren sich auf wunderbare Weise vereinen lassen.“ Er schloss mit einer neuerlichen Verneigung.

Der Präsident fuhr fort: „Herr Chang, ich darf Ihnen Max Runkelbauer vorstellen, der uns hier in dieses idyllische Weinbergshäuschen eingeladen hat.“

Der Übersetzer hatte offenbar Mühe, die Bezeichnung „Weinbergshäuschen“ ins Chinesische zu übersetzen, und musste allerlei Umschreibungen bemühen, bis der Gast verstehend nickte.

„Unser Gastgeber ist selbständiger Winzer, der seinen Wein selbst vermarktet. Ein Geschäft, bei dem man in Deutschland zwar große Eigenständigkeit genießt, bei dem man aber auch in ständigem Wettstreit mit den großen Weingütern und den Winzergenossenschaften liegt. Ein harter Wettstreit, bei dem durchaus mit Ellbogen gearbeitet wird. Es ist deshalb notwendig, sich ständig Neues einfallen zu lassen, um den Absatz sicherzustellen. Leider laufen die Geschäfte bei Herrn Runkelbauer seit zwei Jahren nicht mehr ganz so gut.“

Nicht mehr ganz so gut ist wirklich stark geschmeichelt, dachte Runkelbauer. Wenn dieser Handel heute nicht zustande kam, würde sein Betrieb das nächste Jahr nicht mehr überstehen.

Der Präsident ließ dem Dolmetscher wieder etwas Zeit, damit er mit dem Übersetzen nachkam. Herr Chang hielt den Kopf währenddessen leicht gesenkt und hörte konzentriert zu, dann nickte er zum Zeichen, dass er alles verstanden hatte.

„Als ich vor einigen Monaten aus geschäftlichen Gründen in Nordchina in der Provinz Shandong zu tun hatte“, fuhr der Präsident fort, „lernte ich Herrn Chang kennen. Er leitet dort ein großes Weingut, in dessen Weinbergen, man höre und staune, unter anderem auch Müller-Thurgau angebaut wird. Bei einer ausgiebigen Verkostung konnte ich mich von der Qualität des Weines überzeugen. Herr Chang und ich haben uns dann lange und ausgiebig unterhalten. Dabei haben wir eine Geschäftsidee entwickelt, die ich nach meiner Rückkehr mit meinem Bekannten, Herrn Runkelbauer, diskutiert habe. Das Ergebnis dieser Kontakte ist dieses heutige Treffen. Wir sind uns darin einig, dass die Umsetzung dieser Idee von allen Seiten eine gewisse … Risikobereitschaft verlangt. Die ist aber, soweit ich das verstanden habe, durchaus vorhanden.“

Alle am Tisch, mit Ausnahme des Dolmetschers, stimmten dieser Aussage kopfnickend zu.

„Dann würde ich vorschlagen“, fuhr der Präsident fort, „zunächst einmal den Wein, um den es geht, zu verkosten. Schließlich will keiner die Katze im Sack kaufen. Anschließend können wir ja die Einzelheiten besprechen.“

Auf einen Wink hin öffnete der Dolmetscher die Kühltasche und stellte eine Bordeauxflasche auf den Tisch, auf der sich ein Etikett mit chinesischen Schriftzeichen befand. Herr Chang griff sich die Flasche und fuhr mit den Fingern über das Glas, auf dem sich sofort Tau gebildet hatte. Runkelbauer holte aus einem Eckschrank mehrere Probengläser. Während Chang den Schraubverschluss öffnete, erläuterte er: „Meine Herren, das hier ist ein Müller-Thurgau aus der Ernte des letzten Jahres meines Weinguts. Es ist mir eine Ehre, Ihnen diesen Wein jetzt präsentieren zu dürfen.“ Während der Dolmetscher noch übersetzte, schenkte Herr Chang in jedes Glas eine angemessene Menge ein. Nachdem er alle bedient hatte, erhob er sein Glas. „Wie sagt man hier? Zum Wohl.“ Die beiden Worte des Trinkspruchs versuchte er auf Deutsch zu sagen, was ihm nur mäßig verständlich gelang.

Die Herren, die sich alle als Weinsachverständige verstanden, rochen, schlürften und ließen den Tropfen auf der Zunge zergehen, um anschließend den Abgang auszukosten. Anerkennende Lautäußerungen kamen von allen Seiten aus den Kennerkehlen.

„… eindeutig ein ausgezeichneter Müller-Thurgau mit einem beeindruckenden Nachhall“, stellte Runkelbauer anerkennend fest. „Der aus meinem Wengert ist nicht besser.“

Die anderen schlossen sich dem Lob an. Der Dolmetscher übersetzte, Herr Chang verneigte sich und lächelte.

Der Präsident stellte sein Glas ab und ergriff wieder das Wort. „Meine Herren, kommen wir auf den Punkt: Bei meinen Gesprächen mit Herrn Chang haben wir beide festgestellt, dass sich unsere Interessen auf erfreuliche Weise überschneiden, deshalb sind wir hier. Als Präsident einer … gewissen Institution habe ich in den letzten Jahren mit zunehmender Sorge zur Kenntnis nehmen müssen, dass unsere Ausgaben für diverse Veranstaltungen horrend gestiegen sind. Als Verantwortlicher bin ich daher bemüht, uns jede nur erdenkliche Einnahmequelle zu erschließen. An diesem Punkt kommen unsere gemeinsamen Interessen“, er deutete auf Max Runkelbauer und verneigte sich in Richtung des Chinesen, „auf wunderbare Weise zusammen. Herr Chang würde es begrüßen, wenn er seinen Wein nach Franken exportieren könnte mit dem Fernziel, sich den Markt in Europa zu erschließen.“

Der Dolmetscher übersetzte so schnell, dass ihn Herr Chang mit einer Geste bat, etwas langsamer zu sprechen. Der Präsident legte geduldig eine Pause ein. Nach der Übersetzung nickte der Chinese heftig und lächelte.

„Herr Chang und ich sind uns darin einig“, nahm der Präsident wieder den Faden auf, „dass er, würde er den offiziellen Weg des Marktes beschreiten, auf absehbare Zeit keine Chance hätte, sich zu etablieren. Chinesischer Wein in Franken wäre, außer vielleicht für einige experimentierfreudige Kenner, ein absolutes ‚No-Go‘.“ Er blickte fragend in die Runde. Runkelbauer stimmte ihm vollkommen zu.

Der Präsident räusperte sich und sah den Chinesen direkt an. „Manchmal muss man die Menschen ganz einfach zu ihrem Glück zwingen. Max Runkelbauer ist bereit, durch das Zurverfügungstellen seines Namens und durch die Bereitstellung diverser Lagerressourcen das Experiment ‚chinesischer Müller-Thurgau in Unterfranken‘ zu unterstützen. Herr Chang seinerseits wird sich, wie er mir sagte, selbstverständlich durch großzügige finanzielle Investitionen und äußerst günstige Konditionen beteiligen.“ Er gab durch ein Handzeichen zu verstehen, dass er nun dem chinesischen Gast das Wort überlassen wollte.

Der Dolmetscher übersetzte ins Deutsche: „Es wird mir eine Ehre sein, mich mit einem Tanklastzug unseres Weines an dem Experiment zu beteiligen. Außerdem kann der geschätzte Herr Winzerkollege mit einer Finanzbeteiligung an seinem Unternehmen rechnen, als Ausgleich für das zu tragende Risiko. Ich habe Verträge aufsetzen lassen, die vom Herrn Präsidenten juristisch geprüft und für gut befunden wurden.“

Er gab dem Übersetzer ein Zeichen, der daraufhin einen Aktenkoffer auf den Tisch hob und mehrere Schriftstücke herausnahm. Der Text war sowohl in chinesischer als auch deutscher Schrift geschrieben. Dann zog er einen edlen Kugelschreiber aus der Aktentasche und legte ihn neben die Papiere.

„Lassen Sie mich noch einmal die Parameter dieser Kooperative zusammenfassen“, meldete sich der Präsident wieder zu Wort. „Es sind, das gebe ich unumwunden zu, knallharte wirtschaftliche Notwendigkeiten, die mich veranlasst haben, diesen Deal einzufädeln. Aber keinesfalls, das möchte ich klarstellen, geht es dabei für mich um persönliche Bereicherung.“ Er räusperte sich. „Wie hier in dieser Runde teilweise bekannt, wird jedes Jahr in der sogenannten Närrischen Weinprobe, einer Sendung des Bayerischen Fernsehens, die aus dem Stückfasskeller des Staatlichen Hofkellers übertragen wird, der sogenannte Narrenwein vorgestellt. Bisher kam bei diesem speziellen Bocksbeutel immer ein uns bekanntes großes Weingut zum Zuge und machte das damit verbundene Geschäft. Meine Organisation war hierbei immer außen vor. Das werden wir jetzt mit unserer kleinen Kooperative ändern!“

Runkelbauer zog ein nachdenkliches Gesicht. „Sind Sie sicher, dass wir diesmal zum Zuge kommen? Ich bin da immer noch etwas skeptisch!“

„Letztes Jahr hätte ich Ihre Bedenken geteilt. Es wurde jedoch das Auswahlkonzept für den Narrenwein geändert. Bisher hat die Vorstellung des Weines eine ehemalige Weinkönigin in der Sendung vorgenommen. Dieses Jahr wird das Procedere auf Wunsch der Zuschauer des Bayerischen Fernsehens geändert. Unterfränkische Weingüter können ihre Weine einreichen und der Weinexperte der Stadt Würzburg, Bürgermeister Andy Farmer, wird im Rahmen einer Blindverkostung seine Auswahl treffen. Diese wird etwa zwei Wochen vor der eigentlichen Veranstaltung unter notarieller Aufsicht stattfinden. Während der eigentlichen Aufzeichnung der Fernsehsendung wird dieser Wein dann von Herrn Farmer vorgestellt.“ Der Präsident hielt das Probierglas gegen das Licht. „Was Ihre Frage betrifft, Herr Runkelbauer, das lassen Sie mal unsere Sorge sein. Herr Chang und ich haben da unsere Mittel und Wege.“ Er grinste leicht. Herr Chang verneigte sich wieder lächelnd, schob den Vertrag über den Tisch und reichte den Kugelschreiber weiter.

Schon wenige Tage später verließ ein Kühltankwagen mit der Aufschrift „Wang-Transporte Frankfurt a. M.“ das Weingut Chang in der chinesischen Provinz Shandong und machte sich auf den weiten Weg. Zwischen dem Weingut Chang und dem Ziel, dem Weinort Maindorf in Unterfranken, lag eine halbe Weltreise.

Weitere zwei Wochen später läutete mitten in der Nacht, kurz nach drei Uhr, Max Runkelbauers Handy. Er war sofort hellwach, schnappte sich das Telefon und huschte auf nackten Füßen aus dem ehelichen Schlafzimmer in die Küche. Seine Frau hatte einen gesegnet tiefen Schlaf und bekam davon nichts mit.

Runkelbauer meldete sich und hörte die Stimme eines unbekannten Mannes, der ihm erklärte, die bestellte Lieferung aus China sei eingetroffen. Der Winzer bekam vor Aufregung feuchte Hände. Er erklärte dem Anrufer, dem Fahrer des Tankwagens, wie er in den Hof des Weinguts fahren konnte, ohne den Weg durch den Ort nehmen zu müssen. Runkelbauers Weingut lag etwas außerhalb von Maindorf. Eine halbe Stunde später wurde hektoliterweise Müller-Thurgau aus China in einen von Runkelbauers Edelstahltanks gepumpt. Als der letzte Tropfen im Tank war, bestätigte Runkelbauer die Lieferung auf einem Lieferschein, und wenig später war der Tankwagen wieder verschwunden. Danach stand Runkelbauer nachdenklich in seinem Weinkeller und betrachtete das silbrig schimmernde Metall des Tanks. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Er löschte das Licht im Keller, ging zurück in seine Wohnung und legte sich wieder ins Bett. An Schlaf war jetzt allerdings nicht mehr zu denken.

Würzburg, Samstag, den 22. Oktober

Bürgermeister Andy Farmer stieg über die breite, aber steile Steintreppe hinunter in die historische Unterwelt des Weinkellers unter der Würzburger Residenz. Der Weg war ihm zwar vertraut, trotzdem musste man immer aufpassen, dass man auf den glitschigen Stufen nicht ausglitt. Die Luftfeuchtigkeit im Keller setzte sich auf den Steinen ab. Farmer konnte sich beim besten Willen nicht mehr erinnern, wie oft er schon diese Stufen hinabgeschritten war, um im Namen der Stadt an irgendwelchen Feierlichkeiten teilzunehmen. Geblendet blinzelte er. Ungewöhnlich heller Lichtschein strahlte ihm aus der Tiefe entgegen. Die Fernsehleute waren offenbar schon mitten in den Vorbereitungen.

Der Bürgermeister fühlte sich innerlich angespannt. Das lag sicher nicht an den bevorstehenden Fernsehaufnahmen, derartige Aktionen waren ihm durchaus vertraut. Der eigentliche Grund war der Besuch zweier Männer vor vier Tagen in seinem Büro, der ihm nicht aus dem Kopf ging.

Vier Tage zuvor

Dienstag, kurz nach 14 Uhr, Andy Farmer kam gerade von einer Besprechung mit dem Oberbürgermeister, als seine Sekretärin an die Tür klopfte.

„Entschuldigen Sie bitte, Herr Farmer, in meinem Büro stehen zwei Herren, die Sie dringend sprechen möchten. Sie haben allerdings keinen Termin.“

Wegen der offenen Tür beugte sie sich zu Farmer herab und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

„Für den Präsidenten habe ich natürlich Zeit. Und wer ist dieser Roger Wang?“, entgegnete Farmer laut.

Sie zuckte mit den Schultern. „Herr Wang ist Asiate, er spricht aber ganz ausgezeichnetes Deutsch.“

Farmer machte eine einladende Handbewegung. Er aß sehr gerne gebratene Ente süßsauer, fühlte sich dem Chinesischen essenskulturell also durchaus zugeneigt. Im Moment konnte er gerade einige Minuten erübrigen.

„Schauen wir mal, was sie auf dem Herzen haben. Schicken Sie sie rein.“ Flüsternd fügte er hinzu: „Wenn das Gespräch länger als zehn Minuten dauert, kommen Sie bitte rein und erinnern mich an meinen nächsten Termin.“ Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Sie lächelte verstehend und ging wieder hinaus. Einen Moment später betrat der Präsident zusammen mit einem kleinen, zierlichen Asiaten das Büro des Bürgermeisters. In der Nähe der Tür blieben beide kurz stehen und der Präsident breitete die Arme aus. Sein Begleiter machte lächelnd eine leichte Verneigung.

„Lieber Andy, herzlichen Dank, dass du für uns etwas Zeit erübrigen kannst, obwohl wir keinen Termin haben. Ich darf dir Herrn Wang vorstellen.“

Der Asiate verbeugte sich erneut. Der Präsident und Farmer duzten sich schon seit ewigen Zeiten.

Andy Farmer erhob sich, kam hinter seinem Schreibtisch hervor und gab seinen Besuchern die Hand. Dann wies er in Richtung seines Besprechungstisches und bot ihnen Platz an. Der Präsident und Wang ließen sich nieder, Farmer setzte sich ihnen entspannt gegenüber und musterte sie neugierig. Wang stellte einen Aktenkoffer neben seinem Stuhl ab, dann blieb er, ohne sich anzulehnen, kerzengerade sitzen.

Als hätte er einen Stock verschluckt, dachte Farmer. Laut fragte er: „Was führt euch beide zu mir? Wie kann ich helfen?“

Der Präsident fuhr sich durch seine dichten, nach hinten gegelten weißen Haare.

„Lieber Andy, du weißt ja, dass die nächste Faschingssession vor der Tür steht und ich als einer der Verantwortlichen in diesem Narrenzirkus mir rechtzeitig Gedanken darüber machen muss, wie die finanzielle Seite aussieht. Es ist ja nichts Neues, dass es keine ernstere Angelegenheit gibt als den Fasching. Seit Jahren schon haben wir massive Probleme, beispielsweise die Kosten des Faschingszugs zu stemmen.“

Wenn er betteln will, warum hat er dann diesen Asiaten mitgebracht?, dachte Farmer.

Als hätte er Farmers Gedanken gelesen, fuhr der Präsident fort: „Da ich ja weiß, dass auch die Stadt in den Miesen steckt und wir kaum nennenswerte Unterstützung bekommen können, habe ich mir etwas einfallen lassen, das unsere Situation nachhaltig verbessern könnte.“ Er nickte in Richtung Wang. „Dies ist auch der Grund, warum ich Herrn Wang mitgebracht habe.“ Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Ich war gewissermaßen der Türöffner für Herrn Wang und werde mich aus terminlichen Gründen jetzt wieder verabschieden. Herr Wang wird dir erläutern, um was es geht. Es wäre mir ein großes Anliegen, wenn du unsere Vorstellungen unterstützen könntest.“ Hastig stand er auf, gab dem überraschten Farmer die Hand, nickte Wang kurz zu und verließ das Büro.

Der Bürgermeister fühlte sich etwas überrumpelt, wollte aber nicht unhöflich sein. „Also, Herr Wang, dann legen Sie mal los. Aber meine Zeit ist leider begrenzt.“

Herr Wang verneigte sich, dann begann er zu sprechen. „Ich vertrete eine Interessengruppe, die ihre geschäftlichen Aktivitäten gern auf Unterfranken ausdehnen möchte.“

„Aha“, machte der Bürgermeister. Er musste seiner Sekretärin recht geben, der Mann sprach ganz ausgezeichnet Deutsch, wenn es auch etwas gestelzt klang. „Das ist ja sehr interessant, da wir hier in Würzburg immer an einem Zuwachs neuer Firmen interessiert sind. Können Sie mir sagen, auf welchen Geschäftsfeldern Sie aktiv sind?“

„Die Volksrepublik China ist, wie Sie sicher wissen, eine massiv wachsende Volkswirtschaft, die neben vielen anderen Produkten in zunehmendem Maße qualitativ hochwertigen Wein produziert. Dies gilt auch für das Weingut, das ich hier vertrete.“ Er bemerkte die hochschnellenden Augenbrauen des Bürgermeisters und fuhr fort: „Wir wissen, dass man China nicht unbedingt mit Weinproduktion in Verbindung bringt. Es wird Sie aber vielleicht in Erstaunen versetzen, zu hören, dass wir mittlerweile bei der Weinerzeugung beispielsweise Frankreich bereits überholt haben.“

„Das ist ja sehr interessant“, warf Farmer ein, der noch immer keine Vorstellung hatte, warum der Mann ihm dies alles erzählte.

„Mainfranken als qualitativ hochwertiges und international bekanntes Weinanbaugebiet hat unser Interesse geweckt. Wir würden gern in einem ersten Schritt mit Hilfe etablierter Winzer einen Fuß in die Tür der unterfränkischen Weinproduktion bringen.“

Farmer sah seinen Besucher mit großen fragenden Augen an. Hatte er da richtig verstanden?

„Wollen Sie damit sagen, unterfränkische Winzer sollen chinesischen Wein verkaufen?“ Er schüttelte heftig den Kopf. „Das wird keiner tun! Die würden sich ja ihr eigenes Geschäft kaputtmachen.“

Der Chinese lächelte noch immer.

„Unterfranken ist eine gesegnete Provinz mit zahlreichen wohlhabenden Winzern. Bedauerlicherweise gibt es aber auch vereinzelt Familienbetriebe, die ziemlich kämpfen müssen, um gegen die Konkurrenz der Großen ihr Überleben zu sichern. Bei Menschen dieser Kategorie sind wir mit unserer Geschäftsidee durchaus auf offene Ohren gestoßen.“

„Das heißt, Sie haben jemanden gefunden, der bei dieser verrückten Idee mitmacht?“ Der Bürgermeister war sichtlich betroffen.

Der Chinese nickte lächelnd und verbeugte sich leicht. „Wir setzen unsere Pläne und Vorgehensweisen immer sehr stringent um.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie dies in die Praxis umsetzen wollen. Mal abgesehen davon, dass das rechtlich problematisch sein dürfte. Außerdem, was sollte ich mit einem derartigen … Geschäft zu schaffen haben?“ Die Stimmlage Farmers änderte sich merklich. Seine Stirn legte sich in ärgerliche Falten.

„Um Ihnen dieses zu erläutern, bin ich hier“, erwiderte der Chinese unverändert freundlich.

„Da bin ich aber mal gespannt!“, brummte Farmer. Es klang mehr wie ein Knurren.

In diesem Augenblick klopfte es und seine Sekretärin streckte den Kopf herein. „Herr Farmer, ich möchte Sie an Ihren nächsten Termin erinnern. Sie sind schon etwas spät.“

Der Bürgermeister warf ihr einen etwas ärgerlichen Blick zu und winkte ab. „Sagen Sie den Termin bitte ab, ich bin durch eine dringende Angelegenheit hier aufgehalten worden. Und bitte keine weiteren Störungen mehr.“

Die Sekretärin blickte verwundert, nickte dann aber und verschwand wieder. In ihr Büro zurückgekehrt, verdrehte sie die Augen. Mal hü, dann wieder hott, daraus sollte jemand schlau werden. Offenbar hatte der Chef gerade Stress.

So als hätte die Unterbrechung gar nicht stattgefunden, fuhr Herr Wang fort: „Wir wissen, dass Sie aus einer bekannten Winzerfamilie stammen und in der unterfränkischen Weinszene eine bedeutende Persönlichkeit sind. Ihr Wort hat Gewicht.“

Farmer runzelte die Stirn. Anscheinend war dieser Wang gut informiert. Laut sagte er: „Kommen Sie bitte auf den Punkt!“

Der Chinese verneigte sich leicht. „Demnächst finden in Würzburg wieder die Vorbereitungen für die Fernsehsendung Die Närrische Weinprobe statt. In dieser Veranstaltung wird immer ein sogenannter Narrenwein vorgestellt. Wie wir wissen, wurde dieses Jahr das Procedere dergestalt abgeändert, dass Sie, Herr Bürgermeister, diesen Wein im Rahmen einer Blindverkostung aus mehreren von verschiedenen Weingütern eingereichten Weinen auswählen werden.“

„Diese Änderung wurde aufgrund des Ergebnisses einer Zuschauerumfrage vorgenommen.“

„Das ist korrekt“, stimmte Wang zu. „Es waren in der Presse auch die zehn Weingüter namentlich genannt, die im Vorfeld im Rahmen einer Ausschreibung ausgelost worden waren, um an dieser finalen Auswahl teilzunehmen.“

Andy Farmer beugte sich leicht nach vorn und fixierte sein Gegenüber mit schmalen Augen, ließ ihn aber ohne Unterbrechung weitersprechen. Er fühlte, der Mann würde jetzt auf den Punkt kommen.

„Die Interessengruppe, die ich hier vertrete, würde es sehr begrüßen, wenn Sie nun bei dieser Verkostung dem Wein eines bestimmten Weinguts den Vorzug geben würden.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Sie können natürlich sicher sein, dass sich Ihre Kooperation nicht zu Ihrem Nachteil auswirken würde.“

Die Reaktion seines Gesprächspartners kam laut und explosiv. Mit Wucht donnerte Farmers Handfläche auf den Besprechungstisch, so dass der Chinese erschrocken zusammenzuckte und zum ersten Mal sein Lächeln aufgab.

„Was ist denn das für eine gigantische Sauerei!“, brüllte Farmer. Wang wich unwillkürlich mit seinem Stuhl ein Stück zurück. Für einen Augenblick sah es wirklich so aus, als würde der Bürgermeister seinen Besucher am Kragen packen. Etwas gemäßigter fuhr er dann fort: „Sie glauben also, Sie könnten mich für Ihre krummen Geschäfte einspannen, indem Sie mich bestechen?“

Wang hatte sich wieder gefasst. „Ihr Deutschen seid immer so kategorisch“, erwiderte er ruhig. „Es geht doch nur um ein Geschäft. Jeder hat einen Vorteil und damit ist es gut. Win-win, wie man so schön sagt.“

„Ich sage Ihnen jetzt was. Sie schnappen sich Ihr feines Aktenköfferchen und sehen zu, dass Sie Land gewinnen. Dort ist die Tür! Wenn ich Sie noch einmal sehe, dann …“ Den Rest ließ er offen. Er sprang auf die Beine, ging zur Tür, öffnete sie weit und blieb wie ein Zerberus daneben stehen.

Erstaunlicherweise bewegte sich Herr Wang aber nicht. Er warf Farmer einen durchdringenden Blick zu, dann sagte er aufreizend ruhig: „Herr Bürgermeister, Sie sind nicht sehr höflich. Sie sollten bei Ihrem Verhalten bedenken, dass meine Organisation bisher schon immer ihre Interessen durchgesetzt hat. Wir wissen, wo Sie wohnen, und wir wissen auch, dass Sie Familie haben. Wenn man derart angreifbar ist, sollte man bessere Manieren haben. Uns ist es egal, ob Sie das Geld nehmen oder nicht. Wir erwarten nur von Ihnen, dass Sie sich bei der Auswahl des Narrenweines an unser kleines Gespräch erinnern.“

Farmer stand wie versteinert an der offenen Tür und starrte den kleinen Chinesen an, der sich nun geschmeidig erhob und mit einem leisen Lächeln und einer angedeuteten Verbeugung an Farmer vorbei auf den Flur hinaustrat.

Bürgermeister Farmer stand noch geraume Zeit auf der Stelle, bis er langsam seine Bürotür wieder schloss. Er ließ sich in seinen Bürostuhl fallen und versuchte sich zu beruhigen. Schließlich griff er zum Telefon und bat seine Sekretärin, ihn mit dem Büro des Präsidenten zu verbinden. Kurz danach erhielt er die Auskunft, dass der Präsident eine längere geschäftlich bedingte Auslandsreise angetreten hatte. Er überlegte, ob er sofort die Polizei einschalten sollte. Das eben war reine Erpressung! Die Frage war nur, wie er das beweisen konnte.

An dieses bedrückende Erlebnis musste Andy Farmer denken, als er jetzt die Stufen zum Weinkeller hinunterstieg. Seit diesem Tag hatte sich sein Leben irgendwie verändert. Schon wenn das Telefon klingelte, wurde er nervös. Er musterte Menschen kritisch, die an seinem Haus vorbeiliefen. Folgte ihm jemand längere Zeit auf der Straße, wechselte er die Seite.

„Ah, schön, Andy, dass du schon da bist!“ Der Präsident des Fastnachtsverbands, Bernie Schlehbusch, kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. „Da können wir ja in aller Ruhe vorher noch die Details besprechen. Der Toni ist auch schon da und macht alle mit seiner Gschaftlhuberei verrückt.“ Mit Toni war Anton Felsmann, der Präsident des Fränkischen Weinbauvereins, gemeint, der bei derartigen Veranstaltungen natürlich nicht fehlen durfte. Die beiden marschierten in den langen Schlauch des Stückfasskellers hinein, der an beiden Seiten von hohen Fässern flankiert wurde, an deren Vorderseiten Kerzen brannten. Am Ende des Kellers, der in eine Art Sackgasse mündete, war eine Bühne aufgebaut, auf der ein langer Tisch stand, der mit einer weißen Tischdecke bedeckt war.