Die Bergklinik 4 – Arztroman - Hans-Peter Lehnert - E-Book

Die Bergklinik 4 – Arztroman E-Book

Hans-Peter Lehnert

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Beschreibung

Die Arztromane der Reihe Die Bergklinik schlagen eine Brücke vom gängigen Arzt- zum Heimatroman und bescheren dem Leser spannende, romantische, oft anrührende Lese-Erlebnisse. Die bestens ausgestattete Bergklinik im Werdenfelser Land ist so etwas wie ein Geheimtipp: sogar aus Garmisch und den Kliniken anderer großer Städte kommen Anfragen, ob dieser oder jener Patient überstellt werden dürfe. Dr. Vinzenz Trautner war ärgerlich, jedenfalls trug er jenen Gesichtsausdruck, der bei ihm grundsätzlich Ärger signalisierte, zur Schau, und als er die chirurgische Station der Bergklinik betrat, war rasch heraus, wem der Ärger galt. "Ist der Professor da?" fragte er mit einer Stimme, die seinen Zorn nur sehr schwer verbergen konnte. Man kannte des Chefs Stimmungen natürlich zu gut, um nicht zu wissen, daß Ärger ins Haus stand. In dem Moment, noch bevor Schwester Almut antworten konnte, wurde eine Tür geöffnet, und Prof. Stolzenbach kam mit seinem Assistenten, Dr. Wolfgang Schröder, auf den Gang heraus. Beide trugen OP-Kleidung und beide waren in aufgeräumter Stimmung.

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Inhalt

Der Gegenkandidat

Es wird ein Unglück geben

Die Bergklinik – 4–

Die Bergklinik

Hans-Peter Lehnert

Der Gegenkandidat

Roman von Hans-Peter Lehnert

Dr. Vinzenz Trautner war ärgerlich, jedenfalls trug er jenen Gesichtsausdruck, der bei ihm grundsätzlich Ärger signalisierte, zur Schau, und als er die chirurgische Station der Bergklinik betrat, war rasch heraus, wem der Ärger galt.

»Ist der Professor da?« fragte er mit einer Stimme, die seinen Zorn nur sehr schwer verbergen konnte.

Man kannte des Chefs Stimmungen natürlich zu gut, um nicht zu wissen, daß Ärger ins Haus stand.

In dem Moment, noch bevor Schwester Almut antworten konnte, wurde eine Tür geöffnet, und Prof. Stolzenbach kam mit seinem Assistenten, Dr. Wolfgang Schröder, auf den Gang heraus. Beide trugen OP-Kleidung und beide waren in aufgeräumter Stimmung.

»Na, Herr Kollege?« Clemens Stolzenbach lachte Dr. Trautner freundlich an. »Was schauen Sie denn so derb drein? Wenn ich Chef dieser wunderschönen Klinik wäre, mir würde das Herz vor lauter Vergnügen lachen.«

Schwester Almut, sie war so was wie der gute Stern der chirurgischen Abteilung, mußte zur Seite sehen, denn immer wieder gelang es dem jungen Chirurgie-Professor, Dr. Trautner aus der Fassung zu bringen. Und stets tat er das auf eine sehr nette und äußerst verbindliche Art.

Dr. Trautner nahm den Faden auch diesmal wieder auf.

»Wie ich gehört habe, ist gestern ein Kollege dagewesen, den Sie als Oberarzt für die Chirurgie haben möchten?« Dabei sah er Clemens Stolzenbach über die Gläser seiner randlosen Brille vorwurfsvoll an.

Prof. Stolzenbach kannte seines Chefs Gewohnheiten inzwischen natürlich auch und wußte, daß er zumindest ärgerlich war. Wahrscheinlich jedoch war Trautner sogar zornig, sonst hätte er, um seinen Unmut auszudrücken, zumindest so lange gewartet, bis er seinen Chirurgieprofessor in einer ruhigen Minute hätte sprechen können.

Stolzenbach nickte lächelnd. »Ja, Dr. Kelterer war gestern hier und hat sich alles angeschaut.«

»Und?« Vinzenz Trautners Stimme klang bellend. »Hat ihm gefallen, was er gesehen hat?«

Stolzenbach nickte und tat so, als merkte er den ironischen Unterton nicht.

»Doch, doch«, sagte er, »es hat ihm sogar sehr gut gefallen. Ein bisserl provinziell, hat er gemeint, aber sonst war er ganz angetan.«

»Aha, provinziell findet der Herr Kollege die Bergklinik also«, brummelte Trautner. »Wieso will er denn dann hierher, wenn er uns provinziell findet? Sicher gibt es für ihn eine Verwendung, deren Rahmenbedingungen ihm nicht provinziell vorkommen.«

»Vielleicht hab’ ich Ihnen das nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht, Doktor«, plötzlich war Stolzenbach ernst, »aber Magnus Kelterer hat sich nicht um die Position des Oberarztes der Chirurgie bei uns bemüht, ich habe ihn darauf angesprochen und gebeten, sich einmal alles anzusehen.«

»Wie… wie kommen Sie dazu?« An den Schläfen Dr. Trautners zeichneten sich nun deutlich ein paar Adern ab.

»Haben Sie vergessen, daß ich Sie seit einem halben Jahr darum bitte, endlich einen Oberarzt zu bekommen?« Clemens Stolzenbachs Stimme hatte inzwischen einen schneidenden Klang.

»Ich habe Ihnen einen Oberarzt versprochen…!«

»Versprechungen entlasten mich nicht«, ließ Stolzenbach den Chef der Bergklinik erst gar nicht ausreden. »Außerdem sicherten Sie mir zu, den Oberarzt selbst auswählen zu dürfen. Da bin ich bei. In vier Tagen schon wird Kollege Kelterer seinen Dienst antreten.«

Dr. Trautner wurde daraufhin zuerst blaß, dann färbte sich von den Ohren her sein ganzes Gesicht erst schwach-, dann tiefrot. Als er etwas sagen wollte, bekam er keinen Ton heraus, lediglich seine Lippen bewegten sich.

»Sie… Sie haben eigenmächtig einen Oberarzt eingestellt?« Als er wieder zu reden imstande war, klang seine Stimme unterkühlt.

Stolzenbach hatte seine Unbefangenheit wiedergefunden. Er lächelte und nickte. »Ja, und ich bin froh, daß ich es getan habe. Magnus Kelterer ist ein Glücksfall für die Bergklinik. Er ist sehr kompetent und hat große Erfahrungen auf dem Gebiet der thorakalen Chirurgie.«

»Das hat überhaupt nichts mit der Art und Weise zu tun, wie Sie verfahren sind… ich billige das nicht.« Dr. Trautner zeigte seinen Ärger nun deutlich.

Clemens Stolzenbach zögerte einen winzigen Augenblick. »Wenn Sie mir den Trick verraten hätten, wie ich Sie aus Ihrer Lethargie, die Verpflichtung eines chirurgischen Oberarztes betreffend, hätte herausholen sollen, dann hätte es der Art und Weise, wie Sie sich so schön ausdrückten, nicht bedurft. Aber ich sage es nochmals, Magnus Kelterer ist der beste Chirurg, den wir bekommen können. Ich kenne ihn vom Münchener Klinikum.« Dann lächelte er. »Sie werden sich sicher mit Kelterer verstehen, er ist Südtiroler, sehr lebensfroh und lustig.«

Trautner stand vor Clemens Stolzenbach, hatte die Hände zu Fäusten geballt und bemühte sich, eine Antwort zu finden, die ihn nicht noch mehr blamierte, als es bisher schon geschehen war.

Sie standen auf dem Gang zum OP-Trakt, Dr. Schröder stand ein wenig abseits und tat so, als beschäftige er sich mit Röntgenbildern. Schwester Almut stand im Schwesternzimmern, dessen Tür weit offen stand. Sie hatte ebenso alles mitbekommen wie zwei Lernschwestern, die so taten, als würden sie Bandagen sortieren.

»Wir werden heute mittag noch mal darüber reden«, sagte Vinzenz Trautner schließlich.

»Wenn Sie über Kelterers Einstellung reden wollen, dann können wir uns die Unterhaltung sparen«, antwortete Clemens Stolzenbach. »Er beginnt in drei Tagen. Daran beißt keine Maus mehr einen Faden ab.«

»Sie vergessen wohl, daß ich hier Chef bin«, schrie Vinzenz Trautner daraufhin.

Das war noch nie passiert. Der Chef hatte die Nerven verloren. Es war plötzlich mucksmäuschenstill auf dem Gang der chirurgischen Station. Alle starrten her und keiner wußte recht, was überhaupt passiert war.

Als Dr. Trautner merkte, daß er die Nerven verloren und laut herumgeschrien hatte, schloß er für einen Moment die Augen, und als er sie wieder öffnete, sah er an Clemens Stolzenbach vorüber, tat so, als sähe er ihn nicht. Dann ging er an ihm und Dr. Schröder hoch erhobenen Hauptes vorüber und wußte, daß er sich gegen Clemens Stolzenbach wieder einmal nicht hatte durchsetzen können.

*

Dr. Magnus Kelterer war vor einigen Wochen, nach einer Auseinandersetzung mit seinem Chef, Prof. Weinert, aus dem Münchener Klinikum ausgeschieden. Clemens Stolzenbach hatte seinen ehemaligen Studienkollegen in die Bergklinik eingeladen, um ihn als Oberarzt zu gewinnen, denn er kannte Kelterers Fähigkeiten gut genug, um zu wissen, daß er in der Lage sein würde, der chirurgischen Station in seiner Abwesenheit vorzustehen.

Magnus Kelterer war dann vor ein paar Tagen erschienen, um sich die Bergklinik anzusehen, und war erstaunt über die einmalig schöne Lage, aber auch über den medizinischen Standard, der geboten wurde.

»Es könnt’ mir da schon gefallen«, hatte er gesagt, »wenn ich München auch vermissen werde.«

»Heißt das, daß du zusagst?« hatte Stolzenbach wissen wollen.

»Ich denke schon.« Kelterer hatte genickt. »Allerdings möchte ich schon eine Probezeit haben und die Klinik wahrscheinlich auch. Das ist so üblich, denke ich.«

»Wegen mir müßten wir keine Probezeit vereinbaren«, hatte Clemens Stolzenbach geantwortet, »ich kenne dich und bin froh, daß du bereit bist zu kommen.«

Daraufhin hatte Kelterer seinen ehemaligen Studienkollegen lange angesehen und schließlich genickt. »Du meinst es anscheinend wirklich so, wie du es sagst. Bei Weinert hab’ ich immer gemeint, ich wär’ der letzte Depp.«

Clemens Stolzenbach lachte. »Das kenne ich. Früher hab’ ich das auch immer gemeint. Bis mir klargeworden ist, daß Weinert derjenige war, der von mir profitiert hat. So, und nicht umgekehrt wird ein Schuh daraus.«

»Um sich dessen klarzuwerden, braucht es aber eine große Portion Selbstbewußtsein…!«

»Du mußt dich dessen, was du kannst, nicht schämen. Ganz im Gegenteil. Ich würde dich nicht angesprochen haben, wenn ich nicht sicher wäre, daß du die Chirurgie leiten kannst.«

»Wie bist du bisher verfahren? Hast du nie frei gehabt, bist du immer dagewesen?«

»Ich hab’ einen sehr guten Assistenten, Wolfgang Schröder. Dann noch zwei Stationsärzte, aber keiner ist soweit, daß er die Chirurgie zumindest vertretungsweise leiten könnte.« Stolzenbach lächelte. »Deswegen bin ich sehr froh, daß du kommst.«

»Wir werden sehen…«, hatte Magnus Kelterer geantwortet, »denke bitte an die Probezeit, wenn du den Vertrag aufsetzen läßt.« Dann hatte er Clemens Stolzenbach angesehen. »Mußt du nicht den Klinikchef fragen, bevor du mir eine solche Position offerierst? Auch die Dotierung ist sehr gut und…!«

»Dr. Trautner hat mir völlig freie Hand gelassen bei der Suche nach einem Oberarzt«, hatte Prof. Stolzenbach geantwortet, »und ich bin froh, daß ich dich gefragt habe.«

Jetzt saß Stolzenbach in seinem Ärztezimmer, es war kurz nach sieben Uhr in der Früh, und er war vor zwei Stunden benachrichtigt worden, daß ein am Tag zuvor Operierter Blutungen bekommen habe.

»Er hatte die Sache behoben und wartete nun auf Magnus Kelterer, dessen erster Tag als Oberarzt in der Bergklinik bevorstand. Seine Sekretärin hatte er beauftragt, ihn außerdem zu benachrichtigen, wenn Dr. Trautner aus seinem Haus, das im Park hinter der Klinik lag, zum Dienst erschien.

Stolzenbach hatte sich ein paar Röntgenbilder vor die Lichtleiste gehängt und studierte sie, denn noch am selben Tag sollte ein Patient am Zwölffingerdarm operiert werden.

Dann klopfte es an die Tür, und der frisch gebackene Oberarzt erschien.

»Bitte nimm Platz«, forderte Stolzenbach ihn auf, »magst du einen Kaffee?«

Magnus Kelterer schüttelte den Kopf. Er stammte aus Südtirol, wo seine Familie ein Obstgut bewirtschaftete. Er war groß, von kräftiger Statur, hatte dunkle Haare, die Schwestern mochten ihn alle, weil er stets zu Scherzen aufgelegt war. Prof. Weinert hatte ihm einmal vorgeworfen, nichts ernst zu nehmen, und es war durchaus möglich, daß Kelterer auch im OP seine Späße machte.

Dann klingelte das Telefon, und die Sekretärin meldete, daß der Chef gekommen sei.

»Dann wollen wir mal in die Höhle des Löwen«, sagte Stolzenbach und stand auf.

»Wieso Höhle des Löwen…?« Verständnislos sah Magnus Kelterer seinen Kollegen an.

»Der Herr Trautner ist ein bisserl eigen«, antwortete der. »Er fühlte sich auf den Schlips getreten, als er mitbekam, daß ich dich eingestellt hab’.«

»Du hast es nicht mit ihm abgesprochen?« Kelterers Stimme klang überaus erstaunt.

»Er hatte mir freie Hand gegeben, und ich habe mir erlaubt, dies wörtlich zu nehmen.«

»O je, das ist kein guter Beginn für mich.«

»Das werden wir sehen«, antwortete Stolzenbach, während er zur Tür ging.

Kurz darauf klopfte er an Dr. Trautners Zimmer.

»Ich möchte Ihnen den neuen Kollegen vorstellen«, sagte er, als Trautner ihn hereingebeten hatte. »Das ist Dr. Magnus Kelterer und das ist unser Chef, Dr. Trautner.«

Der saß hinter seinem Schreibtisch und machte keinerlei Anstalten aufzustehen, um den neuen Arzt der Bergklinik zu begrüßen. Nicht einmal die Hand gab er ihm. Er nickte lediglich und bat ihn und Stolzenbach, Platz zu nehmen.

Magnus Kelterer sah seinen Studienkollegen einen Augenblick vorwurfsvoll an, dann setzte er sich.

»Sie wollen hier also Oberarzt der Chirurgie werden?« Trautner sah Kelterer mit kühlem Blick an. »Vielleicht erzählen Sie mir mal was über Ihren Werdegang.«

»Haben Sie meine Bewerbungspapiere denn nicht?« erwiderte Kelterer.

»So was haben Sie abgegeben?« Um Trautners Mundwinkel huschte ein ironisches Lächeln. »Ich dachte, Ihre Einstellung sei eine konspirative Verabredung zwischen Ihnen und Herrn Prof. Stolzenbach gewesen.«

Dann meldete sich Stolzenbachs Rufgerät, er wurde dringend im OP gebraucht.

»Gehen Sie ruhig, Herr Professor«, sagte Trautner, »ich werde mich inzwischen mit Ihrem Bekannten unterhalten.«

Schon die Wortwahl Trautners zeigte, daß sein Zorn noch nicht verflogen war. Wenn er mit Stolzenbach auf Kriegsfuß stand, redete er ihn stets mit Professor an, wenn er gar nichts mit ihm anfangen konnte, sogar mit Herr Professor. Daß er Magnus Kelterer jedoch als einen Bekannten Stolzenbachs bezeichnete, setzte allem die Krone auf.

»Sie waren vorher im Klinikum?« Vinzenz Trautner hatte seine randlose Brille abgenommen, putzte sie umständlich und setzte sie dann wieder auf. Dann musterte er Kelterer genau.

Der nickte. »Nach dem Studium habe ich dort eine Facharztausbildung bekommen, und seit vier Jahren…!«

»Warum wollen Sie dort weg?«

»Prof. Weinert hat mich hinausgeworfen.«

Vinzenz Trautner zog die Augenbrauen in die Höhe und rückte seine Brille zurecht. »Wie bitte? Habe ich Sie richtig verstanden? Prof. Weinert hat…!«

»Sie haben mich richtig verstanden, er hat mich hinausgeworfen«, antwortete Kelterer. »Clemens, ich meine Prof. Stolzenbach, weiß das. Er hat es unter anderem provoziert und…!«

»Sie und der Professor sind gut befreundet?«

Kelterer nickte. »Sicher. Wir haben zusammen studiert, zeitweise sogar eine Wohnung geteilt.«

»Sind Sie sicher, für die Position eines Oberarztes in Frage zu kommen?«

»Clemens meint, ich…!«

»Ich würde gerne Ihre Meinung kennenlernen, Herr Kollege.«

»Ich habe im Klinikum den Oberarzt ständig vertreten. Was im Klinikum möglich ist, sollte hier auch möglich sein.«

»Soll das heißen, daß… daß man weniger qualifiziert sein muß, um in der Bergklinik Dienst zu tun?« Dr. Trautners Gesicht zeigte wirklich keinerlei Regung.

»Nein, nein, das hab’ ich nicht gemeint«, Magnus schüttelte den Kopf. »Obwohl…!«

»Ja? Obwohl…?«

»Nun, im Klinikum hatten wir ein sehr breites Spektrum an Fällen, und es ist allgemein bekannt, daß schwierige Fälle im Klinikum behandelt werden.«

Trautner machte sich schon die ganze Zeit Notizen.

»Da schau her«, murmelte er vor sich hin. Er machte inzwischen einen durchaus zufriedenen Eindruck.

Dann sagten beide eine ganze Weile nichts, Trautner notierte ununterbrochen. Dann sah er auf, tat erstaunt und meinte: »Sie sind ja noch da. Ich denke, wir haben alles besprochen. Äh… hat der Professor Ihnen einen Vertrag…?«

»Kelterer nickte.

»Darf ich den mal sehen?« fragte Trautner.

»Aber… aber den müssen Sie doch auch haben. Schließlich müssen Sie ihn doch unterschreiben.«

»Ja schon, aber im Moment ist er nicht greifbar. Haben Sie Ihren Vertrag dabei?«

Magnus Kelterer nickte. Dann nahm er den Vertrag aus seiner Aktenmappe und legte ihn auf den Tisch.

»Danke, Herr Kollege.« Vinzenz Trautner lächelte verbindlich, stand dann auf und brachte Kelterer zur Tür, dort verabschiedete er sich von ihm. Auch diesmal nickte er nur, gab ihm aber wieder keine Hand.

Magnus Kelterer schloß die Augen, als er Dr. Trautners Zimmer verlassen hatte.

»Du meine Güte«, murmelte er, »auf was hab’ ich mich denn da eingelassen? Da wär’ ich besser im Klinikum geblieben. Wenn ich doch nur nicht auf Stolzenbach gehört hätte.«

*

Als Dr. Beate Gern ein paar Tage später die Bergklinik betrat, kam sie aus dem Haus ihres Vaters, den sie besucht hatte. Vor zwei Wochen hatte sie in Garmisch die Praxis eines Internisten übernommen und nun war sie zum ersten Mal wieder bei ihrem Vater gewesen, der ihr von seinem Streit mit Stolzenbach berichtet hatte.

»Wieso hängst du die Sache eigentlich so hoch?« hatte sie gefragt. »Es ist eh besser, wenn Clemens sich einen Oberarzt selbst sucht. Dann kann er sich erstens nie beklagen und zweitens, wieso willst du nicht ein wenig Arbeit deligieren?«

»Es geht ums Prinzip«, hatte Vinzenz Trautner geantwortet. »Stolzenbach nimmt sich immens viele Dinge heraus und spielt sich in einer Art und Weise auf, daß ich es weder dulden noch gutheißen kann.«

»Bist du vielleicht ein bisserl eifersüchtig auf seine Erfolge?« hatte Beate gefragt, aber keine Antwort bekommen.

Dann hatten sie sich noch ein wenig über ihre neu übernommene Praxis unterhalten, schließlich hatte Beate gesagt, sie wolle noch mal in die Klinik, wobei sie nichts anderes wollte, als mit Clemens Stolzenbach reden.

Als erstes begegnete ihr jedoch Magnus Kelterer. Sie sahen sich erstaunt an, kannten sich offensichtlich. Kelterer fand als erster die Sprache wieder.

»Kennen wir uns nicht?« fragte er vorsichtig. »Aus München?«

Beate sah auf sein Namensschild. »Magnus Kelterer…! Sicher kennen wir uns. Wir haben zusammen ein paar vorklinische Praktika absolviert.« Dann stutzte sie. »Entschuldige, seit wann bist denn du hier an der Bergklinik?«

»Seit anderthalb Wochen«, antwortete Kelterer, »aber am liebsten wär’ ich weit weg.«

»Bist du etwa der neue chirurgische Oberarzt?« Beate sah ihren Kollegen betroffen an. »O je…!«

»Wieso o je? Was weißt du von meiner unglücklichen Situation? Hat sich die Sache inzwischen etwa bereits bis nach München herumgesprochen?«

Beate schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht, ich… also Dr. Trautner ist mein Vater.«

Magnus Kelterer starrte sie daraufhin an, als habe ihm jemand gesagt, er habe jetzt ununterbrochen drei Monate Nachtdienst.

»Na dann Prost«, sagte er, dann lachte er kurz auf. »Also, so belämmert meine Situation auch ist, so witzig kommen immer wieder ein paar Komponenten zusammen. Du bist die Tochter des Chefs der Bergklinik? Warst du denn nicht aus dem Allgäu?«

»Daran erinnerst du dich noch?« Beate sah Magnus erstaunt an.

»Du hattest einen Talismann«, antwortete er, »und zwar eine bunte Kuh, glaub’ ich, und die war, so hast du immer behauptet, allgäuisch.«

Jetzt lachte Beate. »Du meine Güte, daß du dir das so gemerkt hast. Wieso nur?«

Kelterer zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht hast du mir irgendwie imponiert oder ich war verliebt in dich. Ich weiß es jedenfalls nimmer.«

Beate lachte wieder. »Du weißt nicht mehr, ob du verliebt warst? Das gibt’s doch gar nicht.«

»Und ob», erwiderte Magnus. »Ich war nämlich oft verliebt, das heißt, eigentlich immer. Es gab immer jemanden, in den ich verliebt war.«

»Dann befinde ich mich also in guter Gesellschaft?«

Kelterer zuckte mit den Schultern. »Möglicherweise.«

»Und jetzt bist du hier chirurgischer Oberarzt?« Beate schüttelte mit dem Kopf. »Es ist nicht zu fassen.«

»Das stimmt allerdings«, antwortete Magnus, »aber ob ich es bleibe, das steht auf einem anderen Blatt. Wetten würde ich im Moment jedenfalls nicht.«

»Wieso hat Clemens denn nicht gesagt, daß du dich beworben hast?«

»Ich hab’ mich nicht beworben, das heißt schon, aber erst auf seine Aufforderung.«

»Und jetzt spielt Vater den Beleidigten und Clemens den Starken.« Beate atmete tief durch. »Und du hast auszubaden, daß die beiden nicht miteinander geredet haben.«

Magnus Kelterer lachte. »Es ist mein Schicksal, für anderer Leute Probleme herhalten zu müssen. Schon als Kind hat man mir eine runtergehauen, wenn mein Bruder oder meine Schwester irgendwas angestellt hatten.«

Beate lachte. »Es ist gut, daß du es von der humorigen Seite siehst.«

»Sonst könnt’ man in dieser Welt nicht überleben.« Kelterer gab ihr daraufhin die Hand. »Ich muß wieder zurück in den OP. Bis dann mal wieder und mach dir nichts draus. Mein Vater ist oft auch ein alter Kauz.«

Beate ging weiter. Sie wollte Stolzenbach treffen und ihn fragen, ob er einen ihrer Patienten aufnehmen könne.

»Seine Leber zeigt im Ultraschall einen sehr schwachen Schatten«, erklärte sie, als sie Clemens traf. »Ich bin mir nicht sicher und möchte, daß du ihn dir mal anschaust. Außerdem könntet ihr eine Computer-Tomographie anfertigen.«

Stolzenbach nickte gedankenverloren, dann sagte er: »Wieso ist dein Vater ein solcher Paragraphenreiter? Hast du von unseren Probleme gehört?«

Beate nickte. »Ich hab’ eben Magnus Kelterer getroffen. Wir haben zusammen studiert.«

»Das auch noch…!« Stolzenbach schüttelte den Kopf. »Schick mir den Patienten her.«

»Wann paßt es dir?«

Clemens Stolzenbach lächelte Beate verbindlich an. »Wann immer du möchtest.«

*

Dr. Peter Stumpf war fünfundvierzig Jahre alt, stammte aus Aschaffenburg, hatte in Heidelberg studiert, war dort Leiter eines gentechnischen Instituts und hatte sich, nachdem er zufällig davon gehört hatte, bei Dr. Trautner als chirurgischer Oberarzt beworben.

Er hatte eine chirurgische Fachausbildung an einem kleineren Haus erhalten und war nun neun Jahre an dem Institut gewesen, das sich ausschließlich mit genetischen Fragen befaßte.

Sein Auftreten war tadellos, ebenso seine Erscheinung, und beides hatte Vinzenz Trautner sehr imponiert. Erste Kontakte zu Dr. Stumpf hatten bereits bestanden, als von Magnus Kelterer noch nicht die Rede war. Ein wenig Bedenken hatte Dr. Trautner wegen der mangelnden Erfahrung Peter Stumpfs.

»Immerhin sind S’ neun Jahre in keinem OP mehr gestanden«, hatte er zu ihm gesagt.

Doch Stumpf hatte geantwortet, die Chirurgie verlerne man ebenso wenig wie Fahrradfahren. Trautner hatte den Vergleich als sehr gewagt angesehen, doch jetzt, wo Stolzenbach ihm einen Oberarzt präsentiert hatte, mußte er reagieren, und er hatte keinen anderen als Stumpf.

So bekam Dr. Peter Stumpf einen Vertrag als Oberarzt der Chirurgie der Bergklinik, obwohl er die Klinik noch nie gesehen und mit seinem zukünftigen Chef lediglich ein paar belanglose Worte gewechselt hatte.

*

Als Dr. Magnus Kelterer aus dem Zimmer Vinzenz Trautners kam, hatte er ein knallrotes Gesicht. Man hätte meinen können, daß er unter Luftnot leide, so sah er jedenfalls aus. Dabei hatte er gerade lediglich erfahren, daß sein Vertrag mit Ablauf der Probezeit ende.

»Es tut mir leid, Herr Kollege«, hatte Dr. Trautner zu ihm gesagt, »aber Sie haben wirklich gewußt, auf was Sie sich einlassen.«

Kelterer hatte das Zimmer Trautners wortlos verlassen und ging zuerst ins Stationszimmer der Chirurgie, um einen Kaffee zu trinken. Er war schweigsam wie nie, was Schwester Almut, der Stationsschwester, sofort auffiel.

»Was ist mit Ihnen, Doktor?« fragte sie. »Sie sind so still. Und ausschauen tun S’ auch net wie sonst. Irgendwie machen S’ einen angegriffenen Eindruck. Fehlt Ihnen was?«

Magnus Kelterer ging einer Antwort aus dem Weg, indem er wissen wollte: »Wo ist Stolzenbach?«

»Der Professor ist vorhin nach Haus gefahren. Er hat erst morgen mittag wieder Dienst.« Almut spürte, daß was passiert war, und daß es keine Lappalie war, war ihr auch klar. Deshalb sah sie Kelterer noch mal an und fragte, was passiert sei.

»Können S’ mich mit Clemens verbinden und dann bitte allein lassen?« Magnus sah die hübsche Stationsschwester mit müden Augen an.

»Sicher geht das«, murmelte Schwester Almut, dann nahm sie den Hörer von der Gabel, wählte die Privatnummer Stolzenbachs in Mittenwald, und als der sich meldete, gab sie den Hörer an Kelterer weiter, verließ das Stationszimmer der Chirurgie und schloß die Tür hinter sich.

»Clemens?« Kelterers Stimme zitterte. »Trautner hat mir eben gekündigt. Nach der Probezeit ist mein Job da zu Ende. Was soll das denn bedeuten?«

Stolzenbach sagte zuerst einmal gar nichts, dann ließ er sich noch mal wiederholen, was Kelterer gesagt hatte.

Der tat es und sagte zum Schluß: »Der Mann ist völlig verrückt. Was soll das denn? Ich hab’ mir nichts, aber auch gar nichts zuschulden kommen lassen. Er hat ja nicht einmal darauf geschaut, was ich gearbeitet hab’. Wieso tut er das? Das ist doch völlig idiotisch? Nur weil er damals nicht informiert war? Das war aber doch nicht meine Schuld.«

»Bleib, wo du bist, ich komme«, antwortete Stolzenbach, dann legte er den Hörer zurück und blieb einen Augenblick in Gedanken versunken in der Diele seines Hauses stehen.

Zehn Minuten später saß er in seinem Wagen und fuhr den Weg zurück, den er zwei Stunden zuvor gekommen war. Je näher er der Klinik kam, desto aufgebrachter wurde er.

»Der Chef will nicht gestört werden«, sagte die Sekretärin Vinzenz Trautners, als Stolzenbach an ihr vorüber auf die Tür zu Dr. Trautners Zimmer zuging.

Doch Stolzenbach störte sich nicht daran, öffnete die Tür nach ganz kurzem Anklopfen, und bevor Vinzenz Trautner sich von dem Schrecken erholt hatte, sagte er mit einer schneidend kalten Stimme: »Sagen Sie, sind Sie noch ganz gescheit?«

»Es ist gut…!« Dr. Trautner gab seiner Sekretärin, die hinter Stolzenbach hergekommen war, ein Zeichen, worauf sie sich wieder entfernte. Dann sah er Stolzenbach an. »Haben Sie heute nachmittag nicht frei? Trotzdem wollen Sie mich sprechen?«

»Wieso haben Sie Magnus entlassen?« Stolzenbachs Blick fixierte Vinzenz Trautner.

»Das wissen Sie so gut wie ich, Herr Kollege.«

»Sagen Sie es mir. Sind es fachliche Gründe? Hat er silberne Löffel gestohlen? Oder ist er einer Patientin zu nah gekommen? Los, sagen Sie es mir.«

»Nichts von dem, was Sie aufgezählt haben, trifft zu, das wissen Sie.«

»Weswegen entlassen Sie ihn dann?«

»Ganz einfach«, antwortete Dr. Trautner. »Er ist nicht mein Kandidat.«

»Aber meiner…!« Stolzenbachs Stimmvolumen hatte erheblich zugenommen.

»Ich führe die Klinik.« Vinzenz Trautner war aufgestanden. »Begreifen Sie das endlich. Solange ich da Chef bin, entscheide ich immer noch, wer eingestellt wird.«

»Ich sollte mir einen Oberarzt suchen, Sie hatten mir freie Hand gegeben.« Fast hätte Stolzenbach geschrien, so gerade eben konnte er sich noch beherrschen.

»Unter dem Vorbehalt, daß ich keine Einwände hätte. Und ich habe Einwände, und zwar enorme.« Dann begann Trautner aufzuzählen. »Man muß auch menschlich zu uns passen, und man darf die Bergklinik nicht als Notlösung ansehen.«

»Was soll das denn heißen…?«

»Man muß hier arbeiten wollen, sonst hat es keinen Sinn.«

»Dann hätten Sie mich nicht einstellen dürfen.« Clemens Stolzenbach starrte Trautner aus zusammengekniffenen Augen an. »Ich bin damals gekommen, weil ich sonst nichts zu haben glaubte. Magnus dagegen…!«

»Er ist von Weinert entlassen worden.«

»Ja, weil ich es provoziert habe. Er wäre nie aus München weggegangen. Das Klinikum war seine zweite Heimat. Ich habe Magnus, als ich letztens wegen Karen Klagner nach München geflogen bin, als Assistenten verlangt. Es war klar, daß der eitle Weinert ihn daraufhin kaltstellen würde.«

Vinzenz Trautner biß sich auf die Lippen, die er dann wieder fest aufeinander preßte.

»Sie haben eigenmächtig gehandelt und so provoziert, was passiert ist!« Der Chef der Bergklinik stand auf und ging zum Fenster. Er öffnete es und atmete tief durch. »Außerdem habe ich bereits einen neuen Oberarzt eingestellt. Er kommt am kommenden Montag. Richten Sie sich darauf ein.«

»Was haben Sie?« Clemens Stolzenbach stellte sich neben Dr. Trautner und starrte ihn entgeistert an. »Sie haben einen Oberarzt der Chirurgie eingestellt, den ich nicht mal kenne? Mit dem ich aber zusammenarbeiten soll? Sagen Sie mal, wollen Sie mich mit aller Gewalt vertreiben? Sie brauchen nur ein Wort zu sagen und ich bin weg. So geht es jedenfalls nicht. Ich bestehe darauf, daß Magnus Kelterer weiterbeschäftigt wird.«

»Es ist nett von dir, daß du dich derart für mich einsetzt«, sagte Kelterer, der das Zimmer inzwischen unbemerkt betreten hatte, »aber jetzt möcht’ ich nimmer. Jetzt soll der Dr. Trautner bitte seinen Kandidaten präsentieren.«

»Was jetzt passiert, werter Herr Trautner«, Clemens Stolzenbachs Stimme zitterte, »das haben allein Sie zu verantworten. Ich hoffe, Sie werden eines Tages nicht auf üble Art und Weise an das, was ich jetzt gesagt habe, erinnert!« Dann verließ er mit Kelterer im Schlepptau das Chefarztzimmer der Bergklinik.

*

Dr. Peter Stumpf trug einen neuen, gestärkten weißen Kittel, ein Namensschild mit dem Oberarzt darunter prangte eindrucksvoll an der Brusttasche, und er machte einen betont wichtigen Eindruck, als er am dritten Tag seines Dienstes in der Bergklinik die chirurgische Station betrat.

Clemens Stolzenbach war gerade gekommen. Er hatte auf zwei Tage Urlaub bestanden und kannte seinen neuen Oberarzt deswegen noch nicht. Der Chef der Chirurgie trug noch keinen Kittel, war wie meistens in Jeans zum Dienst erschienen und saß im Stationszimmer, um sich von Schwester Almut über die Vorkommnisse der letzten Tage informieren zu lassen.

Dann betrat Dr. Stumpf das Stationszimmer. Er zog die Augenbrauen in die Höhe, als er Clemens Stolzenbach sah, und musterte ihn auffallend lange und ein wenig pikiert, schließlich wollte er wissen, was er hier im Stationszimmer der Chirurgie zu tun habe.

»Besuche sind jetzt nicht gestattet«, sagte er, »und Privatbesuche des Pflegepersonals schon mal gar nicht. Also, was wollen Sie hier?«

Als Schwester Almut den Sachverhalt klarstellten wollte, winkte Stolzenbach ab.