Die Bergklinik 7 – Arztroman - Hans-Peter Lehnert - E-Book

Die Bergklinik 7 – Arztroman E-Book

Hans-Peter Lehnert

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Beschreibung

Die Arztromane der Reihe Die Bergklinik schlagen eine Brücke vom gängigen Arzt- zum Heimatroman und bescheren dem Leser spannende, romantische, oft anrührende Lese-Erlebnisse. Die bestens ausgestattete Bergklinik im Werdenfelser Land ist so etwas wie ein Geheimtipp: sogar aus Garmisch und den Kliniken anderer großer Städte kommen Anfragen, ob dieser oder jener Patient überstellt werden dürfe. "Grüß Gott, Herr Doktor!" Eine junge Schwester grüßte sehr freundlich, und ihre Kollegin lächelte Dr. Magnus Kelterer an, wie sie ihn bis dahin noch nie angelächelt hatte. Der Oberarzt der Bergklinik hatte das Münchener Klinikum betreten und wunderte sich, daß man ihn aus der Aufnahme heraus so freundlich grüßte. Vor einigen Monaten, als er noch im Klinikum Dienst tat und als jeder von seinen Meinungsverschiedenheiten mit dem Chef des Klinikums, Prof. Ludwig Weinert, wußte, war man ihm lieber aus dem Weg gegangen, denn allen war bekannt, daß Weinert durchaus nachtragend sein konnte. Auch andere Bedienstete des Klinikums grüßten Dr. Kelterer heute auffallend freundlich, und als er kurz darauf die chirurgische Station betrat, hatte er das Gefühl, zum ersten Mal wirklich etwas zu gelten im Klinikum, wo er nach seinem Examen circa zehn Jahre als Arzt tätig gewesen war. "Was ist denn hier los?" fragte Magnus Kelterer seinen ehemaligen Kollegen, Dr. Achim Sauer. "Alle grüßen so freundlich, als wenn ich der Glücksbringer einer Lotterie wär' und jedem den Hauptgewinn wirklich garantieren könnt'."

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Inhalt

Warum hast du kein Wort gesagt?

Du bist mein Schicksal

Die Bergklinik – 7–

Die Bergklinik

Hans-Peter Lehnert

Warum hast du kein Wort gesagt?

Roman von Hans-Peter Lehnert

»Grüß Gott, Herr Doktor!« Eine junge Schwester grüßte sehr freundlich, und ihre Kollegin lächelte Dr. Magnus Kelterer an, wie sie ihn bis dahin noch nie angelächelt hatte.

Der Oberarzt der Bergklinik hatte das Münchener Klinikum betreten und wunderte sich, daß man ihn aus der Aufnahme heraus so freundlich grüßte. Vor einigen Monaten, als er noch im Klinikum Dienst tat und als jeder von seinen Meinungsverschiedenheiten mit dem Chef des Klinikums, Prof. Ludwig Weinert, wußte, war man ihm lieber aus dem Weg gegangen, denn allen war bekannt, daß Weinert durchaus nachtragend sein konnte.

Auch andere Bedienstete des Klinikums grüßten Dr. Kelterer heute auffallend freundlich, und als er kurz darauf die chirurgische Station betrat, hatte er das Gefühl, zum ersten Mal wirklich etwas zu gelten im Klinikum, wo er nach seinem Examen circa zehn Jahre als Arzt tätig gewesen war.

»Was ist denn hier los?« fragte Magnus Kelterer seinen ehemaligen Kollegen, Dr. Achim Sauer. »Alle grüßen so freundlich, als wenn ich der Glücksbringer einer Lotterie wär’ und jedem den Hauptgewinn wirklich garantieren könnt’.«

Achim Sauer lachte kurz auf, dann erklärte er, warum man den Oberarzt der Bergklinik so freundlich empfing.

»Man weiß, daß du Clemens bei der Operation des Chefs assistiert hast«, antwortete er dann. »Alle Zeitungen haben darüber berichtet, und dein Name ist nicht unerwähnt geblieben. Du bist jetzt wer, vergiß das nicht.«

Magnus Kelterer tippte sich an die Stirn. »Schmarrn…!«

»Es ist aber so«, sagte Dr. Sauer. »Für viele Leute wird man halt erst dann interessant, wenn der Name mal in der Zeitung gestanden ist und jeder meint, mit einer berühmten Persönlichkeit zu reden.«

Da lachte Kelterer auf und schüttelte den Kopf.

»Red net so einen Blödsinn«, sagte er, doch man spürte, daß es ihm gefiel, mit einer gewissen Hochachtung behandelt zu werden.

Nach einigen Augenblicken sah er Sauer forschend an. »Hat es dir eigentlich nichts ausgemacht, daß Weinert letztendlich doch nicht hier operiert worden ist?«

Achim Sauer wiegelte den Kopf und grinste dann ein wenig schief. »Ich hatte da durchaus zwiespältige Gedanken. Einmal war es mir natürlich nicht recht, daß ausgerechnet unser Chef sich von… von einem Abtrünnigen hat operieren lassen. Zum anderen…!«

»… warst du froh, die Verantwortung nicht tragen zu müssen.« Magnus Kelterer nickte verständnisvoll.

Achim Sauer antwortete darauf nichts, sagte lediglich: »Weinert hat vor ein paar Tagen im kleinen Kreis von seinem Aufenthalt in der Bergklinik erzählt, und er hat deutlich zu verstehen gegeben, daß es ein Fehler seinerseits gewesen sei, Clemens und dich ziehen zu lassen.«

»Du willst dir einen Spaß mit mir machen?« Es war offensichtlich, daß Magnus Kelterer den Worten seines ehemaligen Kollegen nicht glaubte.

Der schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Es ist schon so. Weinert war voll des Lobes über euch.«

Magnus Kelterer grinste. »Das höre ich gern. Irgendwie fehlt mir zwar der Glaube, aber mit viel Phantasie kann ich mir es doch vorstellen, obwohl Weinert viel mehr mit Clemens zu tun hatte und ich mich weitgehend von ihm ferngehalten habe.«

Dr. Achim Sauer nickte. »Auch das hat er gesagt.«

»Was…?«

»Daß die Verbitterung wegen deines Abschieds vom Klinikum noch sehr tief in dir sitzt«, antwortete Sauer. »Daß du ihm stets aus dem Weg gegangen seist.«

»Da irrt der Professor.« Magnus Kelterer stand am Fenster und sah nach Süden, wo man am Horizont die Umrisse der Berge erkennen konnte. »Daß ich vom Klinikum weg und in die Bergklinik gegangen bin, habe ich noch keine Sekunde bedauert, verbittert bin ich deswegen schon mal gar nicht. Lediglich die Umstände habe ich bedauert, und da sitzt der Stachel schon tief, das stimmt allerdings.«

Dann betraten zwei junge Assistenzärzte das Ärztezimmer der Chirurgie und sie grüßten Magnus Kelterer so ehrfurchtsvoll, daß der, als die beiden das Zimmer wieder verlassen hatten, lauthals zu lachen begann.

»Das darf nicht wahr sein«, sagte er. »Die beiden haben letztens noch den großen Rand riskiert, und jetzt duckmäusern sie herum? Es ist nicht zu fassen.«

Es war offensichtlich: Magnus Kelterer war in ausgesprochen guter Stimmung. Als dann noch zwei Schwestern kamen und ihn sehr nett anlachten, war er rundherum zufrieden.

Plötzlich stand Schwester Carola Mallnitz vor ihm. Zuerst war sie ein wenig erstaunt, ihn zu sehen, doch dann gab sie ihm betont freundlich die Hand.

»Grüß Gott, Herr Doktor«, sagte sie. »Haben Sie es wieder mal geschafft, aus den Bergen her zu uns in die Stadt zu kommen? In letzter Zeit hat man Sie hier gar nicht mehr gesehen.«

Schwester Carola war eine ausgesprochen hübsche junge Frau, achtundzwanzig Jahre alt, sie hatte wunderschöne Augen, und wenn sie einen anlächelte, dann hatte das bei manchen Patienten mehr zur Genesung beigetragen als jede ärztliche Maßnahme.

Magnus Kelterer wirkte plötzlich befangen, das war nicht zu übersehen. Vor wenigen Wochen war Schwester Carola im Werdenfelsischen gewesen und mit Magnus Kelterer, Clemens Stolzenbach und dessen Freundin Monika ausgegangen. Aber der Abend war sehr rasch zu Ende gewesen, weil ein Notruf Magnus Kelterer in die Klinik beordert hatte.

»Dr. Kelterer meint, hier nicht besonders gelitten zu sein«, sagte Achim Sauer.

Carola Mallnitz sah Kelterer darauf fragend an. »Wieso denn das? Man redet hier nur in den höchsten Tönen von Ihnen. Vor allem, wo Prof. Weinert mit Ihrer Assistenz…!«

»Er glaubt es nicht«, unterbrach Achim Sauer die hübsche Schwester. Dann wurde er über sein Rufgerät in einen der OPs gerufen, und Kelterer und Schwester Carola standen alleine im Ärztezimmer.

Plötzlich waren auch die letzten Reste der Lockerheit des Oberarztes der Bergklinik verschwunden. Er musterte die hübsche Schwester ein paarmal von der Seite und machte einen überaus verlegenen und auch zurückhaltenden Eindruck, denn er sagte keinen Ton mehr. Kurz darauf verabschiedete er sich überhastet und verließ das Klinikum.

Als Achim Sauer eine Viertelstunde später zurück auf die Station kam und Magnus Kelterer nicht mehr da war, suchte er Schwester Carola auf und wollte von ihr wissen, wo sein ehemaliger Kollege sei.

»Dr. Kelterer ist gegangen«, antwortete sie.

»Magnus ist weg?« Achim Sauer wunderte sich. »Das versteh’ ich nicht. Ich wollte doch noch…!« Dann zuckte er mit

den Schultern und meinte: »Na ja, da kann man nichts machen.«

»Ich… ich würd’ Sie gern was fragen, Doktor.« Carola sah den chirurgischen Oberarzt des Klinikums an.

»Bitte…?«

»Wieso wirkte Dr. Kelterer plötzlich so still und… na ja, angeschaut hat er mich auch ein paarmal so komisch.«

»Soso, komisch angeschaut hat Magnus Sie.« Achim Sauers Mundwinkel spielte ein amüsiertes Lächeln.

»Wieso lachen Sie denn?« fragte Carola. »Ich begreife den Zusammenhang nicht.«

»Sie wissen wirklich nicht, warum Magnus Kelterer Sie, wie Sie sagten, still und komisch angeschaut hat?« erwiderte Dr. Sauer.

Carola schüttelte den Kopf.

»Still war er, weil er verlegen war«, erklärte Sauer.

»Verlegen? Wieso denn verlegen?«

»Herrschaftseiten, Schwester.« Dr. Sauer schüttelte amüsiert den Kopf. »Sie scheinen ja wirklich völlig ahnungslos zu sein.«

»Sie machen mir irgendwie angst, Herr Doktor.« Carola Mallnitz wirkte eingeschüchtert.

»Sie müssen sich nicht fürchten, Schwester Carola«, sagte Sauer, »nur nachdenken.«

»Aber ich weiß nicht, worüber.«

»Wenn ein Mann verlegen ist, wenn eine hübsche Frau ins Zimmer kommt, worauf läßt sie das Ihrer Meinung nach schließen? Überlegen Sie mal.«

Carolas Augen schienen noch dunkler zu werden. Sie sah Sauer betroffen an und schüttelte schließlich den Kopf. »Das glaub’ ich nicht…!«

»Es ist aber so«, antwortete Achim Sauer. »Magnus Kelterer ist in Sie verliebt, seit Sie damals vor neun oder zehn Jahren hier Ihre Ausbildung begonnen haben. Wir haben uns anfangs alle darüber amüsiert, später dann nicht mehr, weil wir wußten, daß es ihm sehr nahe ging.«

»Das kann doch gar nicht sein…!« Schwester Carola hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und wirkte völlig verstört.

Achim Sauer zuckte mit den Schultern.

»Wieso hat er denn nie was gesagt?« murmelte Carola. »Ich… ich bin vollkommen perplex. Damit hätt’ ich nicht gerechnet. Niemals wär’ ich auf die Idee gekommen.«

Dann schloß sie die Augen. Ihr fiel ein, wie nervös Magnus Kelterer reagiert hatte, als sie in dem Werdenfelser Lokal plötzlich mit ihm alleine am Tisch gesessen war, weil Prof. Stolzenbach und Monika Gratlinger sich still und leise verabschiedet hatten.

»Jetzt ist es eh zu spät, sich Gedanken darum zu machen«, sagte Dr. Sauer, »er weiß, daß Sie sich in Stolzenbach verschaut haben. Ich sage das nur zur Erklärung für sein Verhalten. Es war nämlich wieder mal ziemlich peinlich, mit was für verliebten Augen er Sie vorhin angestarrt hat.«

Schwester Carola saß danach lange völlig konsterniert im Ärztezimmer der chirurgischen Station des Münchener Klinikums. Sie starrte betroffen zu Boden und wußte nicht, was sie denken sollte.

Nach einer Weile stand sie auf und sah Dr. Achim Sauer ganz kurz an, murmelte ein »ich muß zurück auf die Station«, und war gleich darauf verschwunden.

Achim Sauer sah ihr hinterher und zuckte, als die Tür ins Schloß gefallen war, mit den Schultern.

*

Schwester Carola hatte eine kleine Wohnung in dem Klinikum angeschlossenen Schwesternwohnheim und eine Wohnung im Haus ihrer Eltern in Peißenberg südwestlich des Starnberger Sees. Dorthin fuhr sie immer dann, wenn sie ein Wochenende dienstfrei hatte, und an jenem Wochenende, als Magnus Kelterer freitags im Klinikum gewesen war, hatte sie dienstfrei.

Doch diesmal rief sie in Peißenberg bei ihren Eltern an und sagte, daß sie in München bleibe, weil sie mit einer Bekannten ausgehen wolle. Das passierte zwar selten, aber sie tat es schon mal, deswegen waren ihre Eltern über den Anruf ihrer Tochter nicht verwundert. Sie wünschten ihr ein schönes Wochenende, und Carola war mit ihren Gedanken alleine.

Mit einer Kollegin hatte sie sich zwar verabredet, aber sie wollte nicht mit ihr ausgehen, sondern reden, das hatte sie zu Inge, so hieß die Kollegin, gesagt, und da die am Wochenende ebenfalls dienstfrei hatte, wollten sie sich in der Caféteria des Klinikums treffen.

»Was gibt’s denn?« Inge sah Carola neugierig an. »Wenn du das ganze Wochenende in Peißenberg drangibst, dann bedeutete das schon was.«

Carola erinnerte sich in dem Moment daran, daß Magnus Kelterer sie öfter in Schutz genommen hatte. Einmal, als ihr als Lernschwester nach Ansicht der sehr gestrengen Oberschwester ein Fehler unterlaufen war, hatte er ganz klar für sie Stellung bezogen, und sie erinnerte sich auch daran, daß damals einige ihrer Kolleginnen, auch Inge, sich sehr darüber amüsiert hatten.

»Jetzt sag schon endlich«, forderte Inge sie nochmal auf, »was ist los? Wenn du eines deiner Peißenberger Wochenenden dranhängst, dann muß dich was arg berühren.«

»Was fällt dir ganz spontan zu Magnus Kelterer ein«, fragte Carola daraufhin direkt.

»Magnus Kelterer?« Erstaunt sah Inge Carola an. »Wie kommst du denn grad’ auf ihn?«

»Antworte bitte auf meine Frage. Was fällt dir ganz spontan zu ihm ein?«

»Er ist ein großer, ganz lieber Junge. Ein bißchen tapsig oft, manchmal wie ein Bär. Aber ein absolut toller Mann. Viele schwärmen für ihn.«

»Und was fällt dir zu Magnus Kelterer im Zusammenhang mit mir ein?«

Daraufhin zögerte Inge, doch Carola ließ nicht locker und drängte: »Jetzt sag schon, was fällt dir zu Magnus Kelterer im Zusammenhang mit mir ein?«

»Er ist total in dich verliebt…!« Inge zuckte mit den Schultern. »Du hast mich gefragt.« Dann sah sie Carola forschend an. »Das wissen hier alle. Sag nur, du hast das nicht gewußt?«

Die hübsche Schwester schüttelte den Kopf. »Ich hatte keine Ahnung…!«

»Aber das gibt’s doch gar nicht«, entgegnete Inge. »Das… das mußt du einfach gewußt haben. Kelterer hat dich immer angesehen, wie man eine Heilige ansieht. Anfangs hat uns das amüsiert, später hat er uns dann leid getan.«

»Wieso hast du denn nie was zu mir gesagt? Oder sonstwer?« Schwester Carola atmete tief durch und schloß dann die Augen. Die Erkenntnis, daß Dr. Magnus Kelterer seit Jahren in sie verliebt sein sollte, traf sie unerwartet und deswegen besonders heftig.

»Warum von uns niemand was gesagt hat?« Inge lachte kurz auf. »Du bist vielleicht gut.«

Carola verstand nicht. »Wieso denn? Was heißt das denn?«

»Na, weil du doch in Stolzenbach verliebt warst…!«

»Wie bitte?« Jetzt begriff Carola gar nichts mehr.

»Jetzt tu nicht so.« Inge sah sie ein wenig reserviert an. »Du hast doch Clemens Stolzenbach angehimmelt wie einen Stern am Himmel. Du hast ihm damals, als er bereits Chefchirurg in der Bergklinik war, und dann hier im Klinikum diese Sportlehrerin operierte, einen Blumenstrauß überreicht.«

»Ja und?« Carola zuckte mit den Schultern. »Ihr habt mir den Strauß in die Hände gedrückt und gesagt, mach mal.«

»Na, na, na…!« Inge runzelte die Stirn. »Also angehimmelt hast du Stolzenbach damals schon und zwar nicht wenig. Man konnte schon der Ansicht sein, daß du dein Herz verloren hattest.«

»Jetzt hör aber auf«, schnitt Schwester Carola ihrer Kollegin das Wort ab. »Natürlich hab’ ich Stolzenbach angehimmelt. Aber ihr habt ihn alle angehimmelt. Ich erinnere mich daran, daß du mir mal erzählt hast, was für ein toller Mann er wär’, und was du dir alles vorstellen könntest.«

Daraufhin bekam Inge knallrote Ohren und sah verlegen zu Boden.

»Herrschaftseiten, man sagt schon mal was daher.«

Carola nickte. »Das mag sein. Aber ich möcht’ nicht, daß du mir Dinge unterstellst, die einfach nicht stimmen.«

»Ist ja gut.« Inge malte imaginäre Striche auf die Tischplatte. »Ich hab’ wirklich gemeint, du hättest dein Herz an Stolzenbach verloren. Und weil du wußtest, daß er vergeben war, hast du keinen anderen an dich herangelassen. Wieso eigentlich nicht, wenn Stolzenbach nicht deine Gedankenliebe ist? Wenn ich so aussehen würde wie du, ich hätte mir längst einen der Ärzte hier geschnappt. Die starren dir doch alle hinterher, nicht nur der gute Kelterer.«

»Aber Magnus hatt’ doch immer wieder Bekanntschaften«, sagte Carola, die gar nicht richtig zugehört hatte. »Man hat ihn öfter mit verschiedenen Frauen gesehen.«

Inge Marner lachte. »Das waren keine Frauen, die Kelterer wollte, das waren welche, die ihn wollten. Eine einzige hat es mal geschafft, ihn zu überreden, auch ein zweites Mal mit ihr auszugehen. Nein, nein, du mußt dir schon im klaren sein, daß Magnus Kelterer absolut auf dich steht.«

Schwester Carola saß danach sehr nachdenklich da. Daß ihre Kollegin Inge inzwischen gegangen war, hatte sie ebensowenig mitbekommen wie den Umstand, daß man an den Nachbartischen zu tuscheln begonnen hatte.

Carola kam sonst nämlich nie in die Mitarbeiter-Caféteria, und allein die Tatsache, daß sie da war, erstaunte die anderen. Dann saß sie inzwischen alleine am Tisch, und das wunderte ihre Kolleginnen noch mehr.

»Hast du am Wochenende nicht frei?« fragte Veronika, die auch auf der chirurgischen Station Dienst tat. »Wieso liegst du nicht längst im Englischen Garten und läßt die Sonne deine Haut bescheinen?«

Da wachte Carola aus ihren Gedanken auf. Sie sah sich zuerst irritiert um, dann Veronika an und fragte: »Was hast du gesagt?«

»Warum du in der Klinik hockst, wenn du frei hast?« antwortete diese.

Carola mühte sich ein Lächeln ab, zuckte mit den Schultern, stellte ihre Kaffeetasse in einen Korb und verließ die Caféteria. Auf dem Weg nach draußen überlegte sie, ob sie nicht doch noch nach Peißenberg fahren solle, entschloß sich dann jedoch, in München zu bleiben.

Sie ging in ihre kleine Wohnung, räumte dort ein wenig zusammen, weil sie sich ablenken wollte, doch immer wieder mußte sie an Magnus Kelterer denken. Sie erinnerte sich an sein oft gequältes Lächeln und wunderte sich plötzlich darüber, daß sie sich nie gefragt hatte, warum er ihr ab einem gewissen Zeitpunkt immer aus dem Weg gegangen war.

Wie hatte sie nur so egoistisch sein können? Hatten am Ende Inge und Dr. Sauer doch recht, wenn sie sagten, daß sie schon immer in Clemens Stolzenbach verliebt gewesen sei?

Aber das stimmte nicht. Sie hatte vor allem dessen Art bewundert. Wie geschickt er mit seinen Händen umzugehen wußte und wie unkompliziert er Prof. Weinert begegnet war. Natürlich wußte sie auch, daß Stolzenbach mit Marion, der Tochter Weinerts, zusammengewesen war. Aber darüber hatte sie sich nie irgendwelche Gedanken gemacht, was doch verdeutlichte, daß sie mit ihren Gefühlen Clemens Stolzenbach gegenüber immer ganz neutral umgegangen war.

Dann dachte sie wieder an Magnus Kelterer. Was mußte, wenn es stimmte, daß er in sie verliebt war, in einem Mann wie ihm all die Jahre vorgegangen sein? Annähernd neun Jahre war es immerhin her, seit sie als knapp neunzehnjährige Lernschwester am Münchener Klinikum begonnen hatte. Dr. Sauer hatte gesagt, seitdem sei Magnus in sie verliebt. Damals war er Assistent im ersten Jahr gewesen.

Dann erinnerte sie sich daran, daß Magnus Kelterer immer wieder mit anderen Frauen gesehen worden sein sollte. Es hatte auch Gerüchte gegeben, daß er sich verliebt habe, aber alles war irgendwann wieder im Sand verlaufen, nur eines war all die Jahre gleich geblieben: Sein, wie sie jetzt wußte, verliebter Blick. Seine Augen, auch daran erinnerte sie sich plötzlich, waren wunderschön und konnten sehr verträumt dreinsehen.

Carola Mallnitz schloß die Augen und wußte nicht, was plötzlich mit ihr los war. War das, was sie für Magnus Kelterer empfand, Zuneigung oder Respekt? Sie wußte es nicht, und je länger sie darüber nachdachte, desto verwirrter wurden ihre Gedanken. Schließlich schlief sie ein und träumte zusammenhanglose Träume.

*

Am Sonnabend zeitig in der Früh schon klopfte es an die Wohnungstür Carolas im Klinikum und Inge Marner stand draußen.

»Du, entschuldige, wenn ich dich störe«, sagte sie, »aber unser gestriges Gespräch geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Hast du wirklich keine Ahnung gehabt, daß Magnus Kelterer in dich verliebt ist, ich meine, daß er…!«

»Ich weiß, was du meinst«, erwiderte Carola. Dann bat sie ihre Kollegin herein. »Magst du vielleicht einen Kaffee? Ich mach mir grad’ welchen.«

Inge nickte. »Ja, gerne.«

Nach einer Weile nahm Carola den Gesprächsfaden wieder auf und sagte: »Ich hatte wirklich keine Ahnung und ich bin jetzt noch nicht sicher, daß es so ist. Niemand trägt derart lange solche zermürbenden Gefühle mit sich herum, niemand…!«

»Ich glaube, das kommt auf die jeweiligen Umstände an«, antwortete Inge. »Wenn ihr euch nicht hier im Klinikum, er Arzt, du Schwester, sondern irgendwo begegnet wärt, dann würde er dich sicher angesprochen haben.«

Carola saß nachdenklich da und zuckte schließlich mit den Schultern. »Es ist mühselig, darüber nachzudenken, und es führt auch zu nichts.«

»Was soll denn jetzt werden?« wollte Inge wissen. Sie war etwas kleiner als Carola, hatte einen modernen Haarschnitt, war bei den Patienten beliebt, konnte auch sehr energisch sein, und ihre Kolleginnen mochten sie wegen ihrer ausgeprägten Kollegialität.

»Ich hab’ keine Ahnung…!«

»Magst du Magnus Kelterer denn? Ich war ganz sicher, daß du dein Herz an Stolzenbach verloren hattest.«

Carola zuckte lächelnd mit den Schultern. »Sicher fand ich Clemens Stolzenbach toll. Vor allem damals, als ich im Klinikum mit der Ausbildung begann. Da war er schon ein aufstrebender Typ, und wie er sich dann durchgesetzt hat, das hat mich total beeindruckt.«

Inge rührte in ihrem Kaffee. »Beeindruckt hat Clemens Stolzenbach uns alle.« Sie lachte kurz auf. »Und nicht nur uns. Wenn ich dran denke, wer alles mit ihm in Verbindung gebracht worden ist, das waren nicht wenige.«

Carola nickte gedankenverloren. Nach einigen Augenblicken sagte sie: »Und du meinst, daß die Frauen, die man im Zusammenhang mit Magnus Kelterer erwähnt hat, nicht in näherem Kontakt zu ihm standen?«

Inge schüttelte sofort den Kopf. »Ganz sicher nicht. Ich denke mal, daß er ein ganz sensibler Typ ist. Er tut so, als könne er alles ab, wie ein Bär halt, dabei hat seine Seele ganz feine und hochempfindliche Seiten. Die kann man nicht willkürlich durchblättern, das läßt seine Seelenstruktur einfach nicht zu.«

»Aber wenn er mich wirklich mögen sollte«, gab Carola zu bedenken, »dann hätte er doch was sagen müssen, so muß er sich doch herumgequält haben.«

»Oje.« Inge nickte heftig. »Natürlich hat er sich herumgequält. Denk doch nur an deine letzte Begegnung mit ihm. Strahlend ist er ins Klinikum gekommen, er war total happy, wie man ihn empfangen hat. Die Ulla hat mir gestern erzählt, wie sehr er gestrahlt und seine kleinen Storys erzählt hat. Kaum hattest du das Ärztezimmer betreten, hatte er nur Augen für dich, und mit seiner Selbstsicherheit war es vorbei.«

Carola schloß für einen Augenblick die Augen. »Daß mir das nie aufgefallen ist. Ich fasse es einfach nicht.«

»Dabei hat es jeder gewußt…«

»Nur ich nicht.«

»Das ist oft so. Der- oder diejenige, wen immer es betrifft, erfährt es immer ganz zum Schluß.«

Carola stand auf, holte den Kaffee und wollte nochmal nachgießen, aber Inge schüttelte den Kopf.

»Für mich nicht mehr«, sagte sie. »Ich fahr’ gleich an den Starnberger See. Willst du mit? Aus der Inneren kommen noch zwei Schwestern mit und ein Assistenzarzt aus der Pathologie.« Sie lächelte. »Ein ganz süßer Typ.«

Carola schüttelte den Kopf. Solche Kurztrips mit Kollegen und Kolleginnen irgendwohin waren nie ihre Sache gewesen.

»Mach dir nicht zuviel Gedanken«, sagte Inge, »das führt zu nichts, und was war, kann man sowieso nicht mehr zurückholen.« Dann stand sie auf, und kurz darauf fiel die Tür des Appartements hinter ihr ins Schloß. Carola war alleine.

Sie räumte ein wenig zusammen, aber eher, um sich zu beschäftigen, denn es gab im Grunde genommen nichts zu räumen. Ganz offensichtlich wollte sie sich ablenken, denn immer wieder dachte sie an Magnus Kelterer und seine Liebe.

Plötzlich ertappte Carola sich dabei, daß sie ganz anders als vorher, viel zärtlicher an den Arzt der Bergklinik dachte.

»Bei allen Heiligen«, murmelte sie schließlich, »vielleicht ist tief drinnen doch was in mir, was mich zu Magnus Kelterer hinzieht, und ich hab’ nur nichts davon gewußt.«

*

»Du bist so nachdenklich, Alter!« Clemens Stolzenbach stand im Vorbereitungsraum zum OP und streifte die Gesichtsmaske ab, dann die OP-Handschuhe und zum Schluß die Haube.

Er hatte einem Patienten eine Darm-Fistel entfernt, und Magnus Kelterer hatte einer Münchener Studentin, die in der Bergklinik ihr chirurgisches Praktikum absolvierte, die einzelnen Schritte erklärt und seinem langjährigen Freund und ärztlichen Chef Clemens gleichzeitig assistiert.

Als Magnus Kelterer nichts antwortete, fragte Stolzenbach nochmal. »Was ist los mit dir? So still und schweigsam kenne ich dich gar nicht.«

»Man kann nicht immer herumrennen und den Fröhlichen mimen«, brummelte Kelterer.

»Du mimst den Fröhlichen nur?« Erstaunt sah Stolzenbach seinen Kollegen an. »Ich hab’ immer gemeint, du seist fröhlich. Wieso spielst du was, was du nicht sein willst.«

»Ich will’s ja sein, bin’s aber nicht immer.« Dann winkte Magnus Kelterer ab. »Hör auf mit dem Quatsch. Ich bin heute wirklich nicht in der Stimmung, um herumzutändeln, auch wenn es nur sprachlich ist.«

»Ist ja schon gut.« Prof. Clemens Stolzenbach streifte dann auch noch den grünen OP-Kittel ab, wusch sich die Hände, zog einen weißen Kittel über, und als er die Schuhe gewechselt hatte, fragte er: »Was hältst du von unserer Studentin? Sie ist hübsch, oder?«

Magnus Kelterer schüttelte grinsend den Kopf und murmelte leise: »Die Katze läßt das Mausen nicht. Ich dachte, du seist in festen Händen.«

»Deswegen darf ich doch eine Studentin hübsch finden.« Clemens Stolzenbach atmete tief durch, sah auf die Uhr und dann Magnus Kelterer an. »Was hast du heute noch vor?«

Der zuckte mit den Schultern. »Nichts Besonderes.«

»Heißt das, daß du dich wieder sehr rasch in deine vier Wände zurückziehst?«

»Meine Schwester Giovanna hat angerufen und auf den Anrufbeantworter gesprochen. Ich werde sie zurückrufen, um zu erfahren, was sie will.«

»Ist Giovanna immer noch so hübsch?« Clemens Stolzenbach sah Magnus fragend an. Er hatte dessen Schwester vor einigen Jahren schon, damals waren beide noch im Studium, kennengelernt.

Magnus nickte. »Noch viel hübscher.«

»Ist sie inzwischen unter der Haube?«

»Nein, sie ist noch solo.«

»Das ist nicht zu verstehen. Gibt es in Südtirol keinen Mann, der sie will?«

»Sie wollen tun viele, aber sie will nicht.«

»Was ist nur mit euch los?« fragte Clemens Stolzenbach daraufhin. »Du bist solo, deine Schwester ist solo und beide könntet ihr längst in festen Beziehungen leben.«

»So einfach ist das nicht«, entgegnete Magnus. »Giovanna war mal verliebt, aber unglücklich, und sie läßt gefühlsmäßig einfach niemanden mehr an sich heran.«

»Und du? Was ist mit dir? Bist du dir langsam klar darüber geworden, was du willst? Du läßt gefühlsmäßig auch keine Frau an dich heran.«

Magnus Kelterer hatte sonst eine sehr offene Mimik, plötzlich wirkte er immer verschlossener.

»Hör auf damit«, sagte er, »ich hab’ keine Lust, darüber zu reden. Außerdem weißt du eh nicht, wovon die Rede ist.«

Clemens Stolzenbach spürte, daß er einen wunden Punkt berührt hatte. Er zuckte mit den Schultern und meinte, wenn Magnus’ Stimmung sich gebessert habe, könne er ihn ja zu Hause anrufen, dann könne man gemeinsam was unternehmen. Gleich drauf hatte er den OP-Trakt verlassen.

Als Dr. Kelterer alleine war, kleidete auch er sich um und ging dann in Richtung Intensiv-Station, um sich den eben operierten Patienten nochmal anzusehen. Auf dem Gang traf er die Studentin, der er vorher im OP die einzelnen Schritte des Eingriffs erklärte hatte.

Sie hieß Heike Bittner, war aus München, war auf eine Art sehr hübsch, hatte hellblonde Haare, und sie lächelte oft nett, was sie auch jetzt tat.

»Darf ich Sie noch was fragen, Dr. Kelterer?« sagte sie, als der an ihr vorübergehen wollte.

Magnus nickte. »Sicher, dazu bin ich da. Geht es um den Eingriff? Ich will gerade auf die Intensivstation zu dem Patienten, Sie können sich mir gerne anschließen.«

Heike folgte Magnus bis ans Bett des Patienten. Sie sah zu, wie der Oberarzt die Kreislaufdaten am Monitor überprüfte und dann zufrieden nickte.

Dann verließen sie den Raum, und Magnus gab der Intensivschwester noch einige Instruktionen. Auf dem Gang wandte er sich dann an Heike Bittner und wollte wissen, was sie auf dem Herzen habe.

Die bildhübsche Studentin sah ihn verlegen an, dann fragte sie, ob sie am Wochenende frei haben könne.

Magnus zog die Augenbrauen zusammen. »Wieso fragen Sie gerade mich das? Außerdem können Sie doch tun und lassen, was Sie wollen.« Dann lächelte er sie an. »Kommt vielleicht Ihr Freund zu Besuch?«

Heike Bittner schüttelte rasch den Kopf. »Nein, nein. Eine Studienkollegin kommt.« Sie zögerte einen Moment. »Sie kennen sie übrigens.«

Magnus Kelterer stutzte. »Ich kenne eine Ihrer Kommilitoninnen? Wenn ich’s auch nicht gerne zugebe, aber wir gehören verschiedenen Generationen an.«

»Schon, aber mit Christianes Schwester haben Sie damals studiert«, antwortete die junge Studentin.

»Und wer soll das gewesen sein?«

»Friederike Lind…!«

Es sah aus, als würde Magnus Kelterer ein wenig blasser, doch dann murmelte er: »Friederike Lind, die schöne Friederike…!«

»Sie erinnern sich?« Heike Bittners Auftreten wurde sicherer.

Der Oberarzt nickte. »Sicher, wer würde sich nicht an Friederike Lind erinnern?«