Die berühmte FKK-Wohngemeinschaft aus Schwerin - Herold zu Moschdehner - E-Book

Die berühmte FKK-Wohngemeinschaft aus Schwerin E-Book

Herold zu Moschdehner

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Beschreibung

Schwerin, 1983. Zwischen grauen Plattenbauten und streng getakteten Alltagen existiert ein Ort, den es offiziell nicht geben dürfte: die berühmte FKK Wohngemeinschaft vom Dreesch. Im elften Stock eines Hochhauses leben Theaterleute, Außenseiter, Schwule, Lesben und Freiheitsliebende Seite an Seite. Nackt, ohne Türen, nach eigenen Gesetzen. Wer hierher kommt, bringt eine Flasche Alkohol mit und lässt alles andere draußen: Kleidung, Vorurteile, Scham. Als Jochen aus dem kleinen Dorf Bobitz in die Stadt zieht, gerät er auf Umwegen in diese Gemeinschaft. Was er dort erlebt, sprengt nicht nur seine Vorstellung von Nähe und Freiheit, sondern auch die Grenzen dessen, was im grauen DDR Alltag möglich scheint. Zwischen hitzigen Nächten, absurden Ritualen und zärtlichen Momenten entsteht eine Geschichte, die so sinnlich wie politisch ist und doch ganz ohne Parolen auskommt. Ein Roman über die Suche nach Freiheit in einer Welt, die sie nicht vorsieht. Schräg, roh, absurd und romantisch.

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Seitenzahl: 76

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1: Bobitz

Kapitel 2: Schwerin

Kapitel 3: Der Dreesch

Kapitel 4: Die FKK-WG Pumpe

Kapitel 5: Willkommen in der Pumpe

Kapitel 6: Gesichter der Pumpe

Kapitel 7: Absurditäten und Rituale

Kapitel 8: Zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit

Kapitel 9: Der Alltag im Ausnahmezustand

Kapitel 10: Zwischen Rausch und Realität

Kapitel 11: Im Schatten der Freiheit

Kapitel 12: Verantwortung und Aufruhr

Kapitel 13: Die Nacht der Nächte

Kapitel 14: Das Theater des Wahnsinns

Kapitel 15: Im Strudel der Nacht

Kapitel 16: Grenzen und Brüche

Kapitel 17: Der Spiegel der Angst

Kapitel 18: Das letzte Spiel

Vorwort

Dieses Buch erzählt eine Geschichte aus einer Zeit und einem Ort, die längst vergangen scheinen und doch noch atmen. Schwerin im Jahr 1983, der elfte Stock eines grauen Hochhauses auf dem Dreesch, eine Welt, die im Innern ganz anders war als das, was draußen sichtbar blieb.

Es ist die Geschichte von Jochen, der aus einem kleinen Dorf kommt und inmitten der Betonwände und offenen Zimmer der FKK WG Pumpe eine neue Art von Freiheit findet.

Die Menschen, die hier leben, teilen mehr als nur ihre Räume. Sie teilen ihre Körper, ihre Hoffnungen und ihre Regeln, die wie unsichtbare Fäden durch jeden Tag laufen. In dieser Gemeinschaft ist kein Platz für Türen und Vorwände. Ein Nein ist ein Nein, und ein Ja ist mehr als nur ein Wort. Gäste bringen eine Flasche Alkohol mit, nicht aus Höflichkeit, sondern als Eintrittskarte in eine Welt ohne Scham.

Dieses Buch versucht, das Leben so zu zeigen, wie es damals war, ohne Erklärung, ohne nachträgliche Rechtfertigung. Die Gerüche, die Geräusche, die kleinen Dinge aus dem Alltag – sie tragen die Zeit in sich. Die Freiheit der WG war nicht laut und nicht still, sondern etwas dazwischen. Sie war ein Raum, in dem Menschen sich fanden oder verloren und manchmal beides zugleich.

Vielleicht ist dies kein gewöhnlicher Roman. Es ist eher eine Einladung, durch eine Tür zu gehen, die es eigentlich nicht gibt, und zu bleiben, solange man spürt, dass man hier atmen kann.

Kapitel 1: Bobitz

Jochen stand auf dem Bahnsteig von Bobitz, und es war noch nicht einmal richtig Morgen. Der Nebel hing tief, grau und schwer, wie ein nasser Mantel, den niemand abstreifen wollte. Die Schienen glänzten feucht im dämmrigen Licht, und ab und zu klang ein leises Quietschen, wenn sich ein Rad gegen das Metall stemmte. Der Wind, der durch die Kiefern wischte, brachte die geraden Linien der Plattenbauten aus der Nachbargemeinde nicht mit, er brachte nur die kalte Stille, die sich im Dorf festgesetzt hatte, als hätte sie es verschluckt.

Die Frau vom Kiosk stand müde hinter der Theke, ihr Gesicht war von Sorgen und Zigarrenrauch gezeichnet, und sie hatte schon lange aufgehört zu lächeln.

Jochen grüßte sie knapp, die Stimme klang rau und fremd. Sie nickte zurück, ohne wirklich hinzusehen, als ob das Grußwort nur eine Formalität wäre, ein Bestandteil des Tagesablaufs, der so unverrückbar war wie die Felder ringsum.

Das Dorf schlief noch, aber die Zeit war da, sich zu regen, um die Fäden des Lebens wieder aufzunehmen, die durch die Nacht gerissen waren.

Jochen schob seine Tasche näher an sich heran, ein abgewetzter Rucksack, der nach Leder roch, oder besser gesagt, nach dem was Leder einmal gewesen war. Darin nur das Nötigste, aber schwer genug, um ihn auf seinen Schultern zu drücken. Die Felder vor ihm waren in zartes Grau getaucht, das nur der Nebel und nicht das Licht erschaffen hatte. Man konnte sie nicht richtig sehen, nur erahnen, wie die Erde darauf lag, kalt, fest, erwartungslos.

Er erinnerte sich daran, wie er als Kind barfuß über diese Felder gelaufen war, den nassen Boden unter den Füßen gespürt, den Duft von frischem Heu in der Nase gehabt hatte. Jetzt war er groß genug, um zu gehen, wegzugehen, ohne zurückzusehen. Und doch spürte er dieses Ziehen im Magen, eine Mischung aus Sehnsucht und Angst, die ihn in Atem hielt.

Die Mutter hatte das Frühstück noch am Abend vorher vorbereitet: ein Stück Schwarzbrot mit Margarine und ein paar Scheiben Salami, verpackt in braunes Papier. Sie hatte es ihm in die Tasche gesteckt, ohne viel zu sagen, nur die Hände gefaltet, als betete sie für etwas, das keiner aussprach. Jochen hatte das Paket kaum angesehen. Er war nicht der Typ, der gerne Erinnerungen mit sich herumtrug, besonders keine, die so schwer auf der Brust lagen.

Der Vater hatte an der Werkbank gestanden, als Jochen das Haus verlassen hatte. Ein großer Mann mit breiten Schultern und Händen, die mehr gewöhnt waren, schwere Werkzeuge zu halten als Worte. Er hatte nur kurz den Kopf gehoben, ein müdes Lächeln gezeigt und Jochen mit einem Blick versehen, der mehr sagte als tausend Worte. Kein großer Abschied, keine Umarmung, nur dieses Schweigen, das zwischen ihnen stand wie eine Mauer.

Der Zug war schon zu hören, ein dumpfes Brummen, das näher kam. Jochen fühlte sich plötzlich klein, wie eine Nadel in einem Heuhaufen, verloren zwischen all den Träumen, die der Nebel verschluckt hatte. Er war bereit, die Welt hinter sich zu lassen, aber die Welt war nicht bereit, ihn so einfach gehen zu lassen.

Als der Zug hielt, stiegen ein paar Nachbarn ein, Gesichter alt und jung, ausdruckslos, in sich gekehrt. Sie warfen kaum einen Blick zu Jochen, als wollten sie sagen: „Das ist unser Leben. Wir kennen es. Und du bist jetzt draußen.“

Die Türen schlossen sich mit einem metallischen Klicken, und der Zug setzte sich in Bewegung.

Jochen lehnte sich gegen das Fenster, sah die Häuser, die Bäume, die Felder vorbeiziehen. Er dachte daran, was ihn in der Stadt erwarten würde. Kein Vater, keine Mutter, kein Kiosk mit müden Gesichtern, nur das große Unbekannte.

Die Stadt war ein Versprechen, aber auch eine Bedrohung. Er fühlte die Schwere seiner Entscheidung, spürte, wie das Heimweh ihm in die Kehle kroch, aber gleichzeitig war es wie eine Flamme, die in ihm brannte.

Die Gedanken kreisten um seine Zukunft, und doch war alles noch unscharf, wie ein Bild im Nebel. Jochen wusste nicht, ob er stark genug sein würde, sich durchzusetzen, sich nicht zu verlieren zwischen all den grauen Mauern und kalten Blicken der Großstadt.

Die Landschaft draußen wurde karger, die Bäume wurden weniger, das Licht wurde heller. Die Welt war nicht mehr die gleiche, und Jochen wusste, dass er auch nicht mehr der sein würde, der er gewesen war, als er hier auf dem Bahnsteig stand. Der Zug rauschte durch das Land, und mit jeder Sekunde wurde der Abstand zu Bobitz größer, der Schleier der Vergangenheit dünner.

In seinen Händen hielt er das kleine Bild der Mutter, und für einen kurzen Moment öffnete sich in seinem Inneren eine Tür, die er eigentlich schließen wollte. Aber dann schloss er die Augen, atmete tief durch und sagte sich, dass jetzt alles neu begann.

Kapitel 2: Schwerin

Der Zug rollte in den Bahnhof Schwerin ein, ein kaltes, graues, rostiges Ding, das sich aus der feuchten Landschaft erhob wie ein Monument aus Stahl und Beton.

Jochen stieg aus, und sofort fiel ihm die Schwere der Stadt auf. Nicht die Last der Straßen oder Häuser, sondern eine, die sich wie ein unsichtbarer Mantel um die Menschen legte. Es war kein Mantel, der wärmte, sondern einer, der drückte und atmete – schwer, zäh und fast lebendig.

Die Luft roch nach nassem Asphalt, nach Öl, nach altem Rauch und Bier, das schon zu lange in den Kellern gestanden hatte. Jochen zog den Mantel fester um sich, obwohl es schon Frühling war und die Sonne nur müde zwischen den dicken Wolken hindurchschimmerte. Er hatte das Gefühl, dass die Stadt ihn nicht nur empfing, sondern auch prüfte, abtastete, wie ein Tier, das seine Beute misst.

Menschen drängten sich an ihm vorbei, Gesichter ausgeblichen, die Augen leer oder verbissen. Männer in abgetragenen Mänteln, Frauen mit zusammengerunzelten Stirnen, Kinder mit schmutzigen Jacken. Sie sprachen wenig, hörten kaum hin, liefen weiter wie Schatten, die sich vor der Kälte versteckten. Jochen fühlte sich klein, unbedeutend, fast wie ein Fremder in einem Land, das er nur aus Erzählungen kannte.

Er ging langsam die Straße entlang, die vom Bahnhof wegführte, vorbei an Plattenbauten, deren Fassaden bröckelten und von grauen Flecken übersät waren. Die Fenster waren schmutzig, viele standen offen, aber es war nicht die Frische der Luft, die hereinkam, sondern der Geruch von abgestandenem Essen, Rauch und unbestimmter Müdigkeit. Hier lebten Menschen, die kaum Hoffnung hatten, die ihre Träume schon vor Jahren verloren hatten, oder die sie wie verbotene Schätze tief vergraben hielten.

Jochen spürte, wie sich eine Leere in ihm breit machte, eine Unruhe, die ihm bis in den Magen krabbelte. Er hatte nichts mitgebracht außer der Tasche, dem Mantel und seinem Wunsch nach einem Neuanfang. Doch der Anfang war schon holprig, und die Stadt war kein Freund, der ihn willkommen hieß.

An einer Ecke entdeckte er eine Kneipe, deren Fenster von Rauch und Feuchtigkeit beschlagen waren. Drinnen brannte schwaches Licht, und die Stimmen waren laut und rau. Die Tür knarrte, als er eintrat, und sofort schien die Luft schwerer zu werden, dichter, wie ein Stoff, der sich um ihn legte.