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Mecklenburg, im Jahre 1980. In einem abgelegenen Dorf unweit von Schwerin bereitet der Melker Hinrich die Hochzeit seiner ältesten Tochter Luise vor. Alles scheint den stillen Regeln des Landlebens zu folgen. Wären da nicht jene verschlossenen Türen und das geheimnisvolle Summen des alten Foron-Kühlschranks im Nebengemach. Denn Luise liebt seit ihrer Kindheit einen Schneemann. Über die Sommer rettet sie ihn, oft nur als winzigen Eiskern, um ihn im Winter mit dem ersten Schnee neu zu formen. Für den engsten Kreis ist diese Liebe längst eine stille Gewissheit. Der übrigen Verwandtschaft aber präsentiert man bei der Feier einen Studenten aus Schwerin als Bräutigam, um die zarte Wahrheit zu schützen. In der Form eines klassischen Lustspiels entfaltet sich eine Geschichte zwischen ländlicher Behaglichkeit und märchenhafter Unmöglichkeit. Große Reden, zarte Gesten, stille Kabalen und der unbeirrbare Wille einer Frau, ihr Glück zu bewahren, verweben sich zu einem Stück, das gleichermaßen schmunzeln lässt und nachdenklich stimmt. Ein Spiel über Treue, Geheimnis und die Kraft, das Unmögliche festzuhalten. Mit dem Charme des dörflichen Mecklenburgs.
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Seitenzahl: 96
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Einleitung
Akt I, Szene 1 – Wohnstube des Melkers
Akt I, Szene 2 – Die Speisekammer
Akt I, Szene 3 – Die Stube am Abend
Akt I, Szene 4 – Der Gast am Tisch
Akt I, Szene 5 – Das Zimmer unterm Dach
Akt II, Szene 6 – Der Morgen im Melkerhaus
Akt II, Szene 7 – Vor der Tür
Akt II, Szene 8 – Im Dorfkrug
Akt II, Szene 9 – Im Haus des Melkers
Akt II, Szene 10 – Die Wohnstube
Akt II, Szene 11 – Im Flur vor der Wohnstube
Akt II, Szene 12 – Die Wohnstube des Melkers
Akt III, Szene 13 – Der festlich geschmückte Dorfsaal
Akt III, Szene 14 – Später Abend im Saal
Akt III, Szene 15 – Nacht im verschneiten Hof
Akt III, Szene 16 – Die Entdeckung droht
Akt III, Szene 17 – In der Kälte der Nacht
Akt III, Szene 18 – Die Suche des Timm
Akt III, Szene 19 – Frühstück im Hause des Melkers
Akt III, Szene 20 – Auf dem Dorfplatz
Akt III, Szene 21 – In der Wohnstube des Melkers
Akt III, Szene 22 – Der Dorfplatz, zwei Tage vor der Hochzeit
Akt III, Szene 23 – Die Stube des Melkers, später Abend
Akt III, Szene 24 – Der Abend vor der Hochzeit
Akt III, Szene 25 – Der Hochzeitstag
Das vorliegende Lustspiel Die Braut des Winters (auch bekannt unter dem Arbeitstitel Luise und der Bräutigam aus Schnee) gehört zu den merkwürdigsten und zugleich reizvollsten Erzeugnissen der jüngeren deutschen Dramenliteratur. Entstanden in den ersten Jahrzehnten nach der politischen und kulturellen Zäsur der deutschen Teilung, wurzelt es in einem Milieu, das von ländlicher Tradition, staatlicher Reglementierung und eigensinniger Individualität gleichermaßen geprägt war.
Sein Stoff ist von märchenhafter Schlichtheit und zugleich von einer beinahe unheimlichen Poesie: Die Tochter eines Melkers im Mecklenburg der späten DDR-Zeit bewahrt seit Kindertagen die Erinnerung und die Gestalt eines Schneemanns, den sie in einem alten Foron-Kühlschrank über die Sommer rettet und dem sie nun, zur Verwunderung und Verschwiegenheit ihres engsten Kreises, das Jawort geben will. Diese Ausgangslage, die auf den ersten Blick ins Reich des Wunderbaren gehört, wird im Stück mit einer Ernsthaftigkeit behandelt, die an die tragische Würde bürgerlicher Trauerspiele erinnert und doch die leisen Ironien des Lustspiels nicht scheut.
Die Form verrät eine bewusste Anlehnung an die dramatische Architektur Friedrich Schillers: Drei Akte, klare Szenengliederung, lange und leidenschaftliche Reden, die nicht nur den äußeren Konflikt austragen, sondern auch die inneren Beweggründe der Figuren offenbaren.
Gleichwohl ist der Tonfall leichter, durchsetzt mit komischen Zuspitzungen, die den märchenhaften Kern der Handlung unterstreichen.
Auffällig ist die Mischung aus Lokalkolorit und zeitloser Symbolik. Die Sprache atmet das Mecklenburg der 1980er Jahre, mit seinen bäuerlichen Wendungen, den Andeutungen einer sozialistischen Lebensordnung, den vertrauten Dingen des Alltags: das Rattern des alten Kühlschranks, der Geruch von Heu, das Knirschen der ersten Schneeflocken. Gleichzeitig hebt die poetische Behandlung diese Elemente in eine Sphäre, in der Treue, Beharrlichkeit und die Überwindung der Naturgesetze zu allgemeinmenschlichen Themen werden.
Für die Bühne stellt das Stück eine Herausforderung dar: Die Verschmelzung von realistischer Dorfwelt und surrealem Motiv verlangt eine präzise Balance zwischen Erdung und Überhöhung. Der Student aus Schwerin, der als „Strohmann“ den Bräutigam mimt, ist nicht bloß eine komische Figur, sondern ein Katalysator für die Fragen nach Wahrheit, Schein und dem Recht auf ein eigenes Glück.
Die vorliegende Ausgabe stützt sich auf das revidierte Manuskript, das nach den Probenfassungen geordnet wurde.
Textabweichungen der handschriftlichen Urschrift sind in den Anmerkungen verzeichnet. Es bleibt dem Leser und Zuschauer überlassen, zu entscheiden, ob die Liebe Luises zu ihrem Bräutigam aus Schnee als naiver Traum, als poetische Metapher oder als subversiver Akt gegen gesellschaftliche Normen zu deuten ist.
Möge dieses Werk, in seiner Mischung aus zarter Poesie und feinem Spott, seine Leser und Hörer ebenso bezaubern, wie es in den stillen Winternächten seiner Entstehung den Autor bezauberte.
Dr. phil. Konrad Ebeling Institut für Neuere Deutsche Literatur Universität Rostock
(Eine niedrige Stube in einem mecklenburgischen Dorfhaus. Der Wintermorgen ist von hellem, aber blassem Licht; durch ein kleines Fenster fällt es auf einen abgewetzten Lehnstuhl, einen groben Tisch, an dem eine Emaillekanne und zwei Becher stehen. In der Ecke: eine schmale Tür, die in die Speisekammer führt. Hinter ihr hört man in Pausen ein leises, gleichmäßiges Brummen – das alte Tiefkühlgerät. Von draußen dringt in großen Abständen das ferne Muhen einer Kuh herein; ein Windug pfeift am Schornstein. Hinrich, der Melker, sitzt im Lehnstuhl, ein Wolltuch über den Knien, die Pfeife unangezündet in der Hand.)
Hinrich
(allein; langsam stehenden Atems, als wäge er jedes Wort)
Der Morgen weilt, und meine Gedanken eilen. –
O du Jahr der Umstände, das die Menschen in die Haltung einer Eule zwingt, sehend zu warten und wartend zu sehen! Und doch, was ist ein Morgen anderes als die nüchterne Rechnung des Lebens? Der Mensch erwacht, das Vieh verlangt, die Hände werden schwer, und aus allem wird Gewohnheit – und aus Gewohnheit Schuld. (Mit einem Lächeln.) Ach Hinrich, du alter Knecht der Wiederkehr, du schaust in den Tag und findest deinen Feind im Spiegel – die Zeit!
(Er erhebt sich, geht zum Fenster, wischt mit der Hand die feinen Eisblumen von der Scheibe.)
Die Felder liegen still, die Wege tragen die Spuren derer, die gestern zu lang feierten und heute zu früh schweigen. Es ist gut so. Das Dorf ist eine Kiste voll Rasseln; schüttelt man’s zu stark, klappert alles heraus, was besser drinnen blieb. – (Er lauscht.)
Da! (Er neigt den Kopf.) Der tiefe Atem hinter der kleinen Tür: mein heimlicher Stern, das gleichmäßige Herzstück eines Hauses – das Brummen aus der Kammer, das dem Fleiß gleicht, der nie zur Sprache kommt.
(Die Haustür öffnet sich: Luise tritt ein. Sie trägt einen grauen Wollmantel, durch den Schnee schmilzt und kleine dunkle Flecken zieht. In beiden Händen hält sie eine Blechschüssel. Darin: ein hoher, unregelmäßiger Schneehaufen – sauber, hell, funkend. Beim Eintreten bleibt sie wie versteinert stehen; die Kälte dampft von ihrem Haar.)
Hinrich
(fährt zusammen, dann weich)
Kind!
Luise
(ruhig, mit einem Leuchten, das man für fieberhaft halten könnte, wäre es nicht so klar) Vater.
Hinrich
(auf sie zu, unsicher zwischen Sorgfalt und Wachsamkeit) Was trägst du da, als hättest du den Winter selber in den Schoß gebeten?
Luise
(leicht, fast spöttisch über sich selbst)
Ein Berg aus Weiß, der im Auge schmilzt und im Herzen wächst. – Nichts, das die Welt etwas anginge.
Hinrich
(zurückweichend, mit halbem Lächeln, halbem Zittern)
„Nichts“ – das kleine Wort, das man vorschiebt, wenn alles dahinter steht. – (sanfter) Dein Schritt war der Schritt derer, die eine Flamme über die Dielen tragen. Also nennst du „nichts“, was dir die Hände so schwer macht?
Luise
(geht zum Tisch, stellt die Blechschüssel ab; ein feines Knistern ist hörbar)
Wenn das Schweigen eine Klinke hätte, ich schlösse sie dreimal ab. – Doch vor dir, Vater, schweigt sie nicht: Es ist er.
Hinrich
(leise)
Er.
Luise
Und wenn du mir nun sagst, ich sei ein Kind, das dem Wetter den Ring ansteckt – so höre: Ich habe ihm längst den meinen gegeben.
Hinrich
(lächelt bitter)
Die Welt hat viele Ehen gesehen; dies wäre die erste, die der Sommer scheidet.
Luise
(aufleuchtend)
Und der Winter schließt sie aufs neue! – Du weißt es. Du hast mich gesehen, Jahr um Jahr, wenn die Kälte kam: wie ich die ersten Flocken sammelte, wie ich seine Stirn aus dem gefrorenen Atem der Nächte hob. Was an ihm schmilzt, kehrt zu ihm zurück, sobald nur ein Funken, ein Tropfen, ein kristallenes Gedächtnis den Weg in frischen Schnee findet. – (Sie zeigt auf die Schüssel.) Ein Tropfen genügt; ein Wille vollbringt, was die Vernunft lächelt.
Hinrich
(wehmütig)
Das Dorf würde uns hängen – nicht an Stricken, aber an Blicken. Und an der langen Zunge des Nachbarn, die härter ist als Hanf. Luise, höre den Alten: Man kann die Leute nicht hindern, zu reden; man kann sie nur hindern, recht zu haben.
Luise
(ernst)
Darum rede die Welt. Ich werde tun. – (zum Nebenzimmer) Er ruft.
(Das Brummen hinter der Tür scheint für einen Augenblick anzuschwellen – oder bildet sich nur das Ohr etwas ein?)
Hinrich
(zwischen Bitte und Befehl)
Nur eine Sekunde – laß mich dich sehen, bevor du verschwindest! – (Zärtlich, zögernd.) Dein Gesicht hat den Glanz, den junge Frauen kurz vor der Unvernunft tragen.
Luise
(heiter)
Und Männer kurz vor dem Mut.
(Sie greift nach der Schüssel.)
Hinrich
(auffahrend)
Warte! – Die Diele knarrt heute wie ein Denunziant.
(Sie gehen auf Zehenspitzen zur schmalen Tür. Luise bleibt davor stehen, legt die Hand auf den Türknauf, als segnete sie ihn, und atmet einmal tief.)
Luise
(beinahe feierlich)
Wächter im Frost, schweige; liebender Herzschlag, töne!
(Sie öffnet. Ein hauchkalter Atem entströmt der Kammer. Das Brummen des Geräts ist klarer zu hören – nicht laut, aber entschlossen. Die Stube füllt sich für einen Augenblick mit dem Gesicht der Kälte: alles wirkt schärfer, wahrer.)
Hinrich
(leise, ehrfürchtig)
Es ist, als stünde ein Altar dort.
Luise
(flüsternd)
Eher ein Kinderzimmer. – (Sie tritt ein, Hinrich bleibt an der Schwelle; man hört leises Umpacken, das zarte Kratzen des Schnees an Metall. Dann das sanfte Schließen einer inneren Klappe.) – Schlaf du. Ich wecke dich im richtigen Traum.
(Sie kehrt mit leerer Schüssel zurück; ihre Finger sind rot vor Kälte und Glück.)
Hinrich
(Setzt sich langsam, ringt um Erdung.)
Kind, setz dich. Dein Atem raucht – und meine Gedanken auch.
Luise
(legt die Schüssel ab, reibt die Hände)
Ich bin warm, Vater. Warmer als die, die in Salons stehen und von Vernunft reden. – (Sie lächelt, plötzlich verspielt, dann ernst.) Du wolltest mir etwas sagen. Ich sehe es an deinem Stuhl: Wenn er schief wird, ist dein Herz voll.
Hinrich
(lacht kurz, dann erzählt, mit jener langsamen Würde, die ihm eigen ist)
Daß du mich noch kennst. – Höre: Einst, noch bevor du laufen konntest, hatte ich eine Kuh, die war stur wie ein Amtsschimmel und stolz wie eine Königin. Jeden Morgen, Punkt fünf, stand sie am Tor. Aber eines Tages – es war ein Dezember wie keiner – blieb sie weg. Der Frost hatte die Tränke zu Glas gemacht, das Gras war ein Messer, und ich, ein Narr, glaubte, es sei mir erlaubt, mich auf die Uhr zu verlassen. (Er beugt sich vor.) Da lernte ich: Nicht die Zeit herrscht über die Dinge – die Dinge herrschen über die Zeit. So ist’s mit deinem… (er stockt, sucht eine neutrale Form) deinem Weißen. Du glaubst, du hältst ihn in Händen – und doch hält er dich.
Luise
(ruhig, entwaffnend)
Und wenn? – Ich will gehalten sein von etwas, das nicht lügt. Schnee ist treu: Er kommt, wie er spricht, er schmilzt, wie er droht. Menschen sind kunstfertiger.
Hinrich
(zärtlich, mit dem leisen Gelächter eines Mannes, der hinter seiner Wehmut Humor versteckt)
Ein Mann aus Schnee lügt gleichwohl auf seine Art: Er verspricht den Winter für immer.
Luise
(nahezu trotzig)
Ich brauche kein „immer“. Ich brauche „heute“ – und einen Tropfen für „morgen“. – (Sie wird weicher.) Vater, du mißverstehst mich, um mich zu schützen. Ich danke dir dafür. Aber laß mich das Einzige tun, worin ich besser bin als die Welt: bewahren.
(Es klopft an der Haustür – hastig, kleinlaut, neugierig. Beide fahren zusammen.)
Hinrich
(flüstert)
Das Dorf kommt auf zwei Beinen und einem Vorwand.
Luise
(Beiseite, mit blitzendem Humor)