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Lisa wird gehänselt, weil ständig ein Tropfen an ihrer Nase hängt. Die anderen Kinder nennen sie "SchnotterLisa", und sie fühlt sich klein und allein. Doch eines Tages offenbart sich etwas Unglaubliches: Ausgerechnet der lästige Schnupfen wird zu einer magischen Kraft, die Lisa zu einer wahren Superheldin macht. Plötzlich kann sie Blasen formen, Dinge bewegen und sogar Leben retten. Doch mit dieser Gabe kommen auch Angst, Neid und die Aufmerksamkeit der Behörden. Wird Lisa lernen, ihre außergewöhnliche Kraft zu kontrollieren und ihren Platz in der Welt zu finden? Eine warmherzige Geschichte über Mut, Zusammenhalt und die Stärke, die in unserer Andersartigkeit steckt.
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Seitenzahl: 64
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Vorwort
Kapitel 1 – Lisa und der Fluss der Jahre
Kapitel 2 – Zwischen Wahrheit und Gerücht
Kapitel 3 – Flüstern und Mutproben
Kapitel 4 – Zwischen Zwang und Freiheit
Kapitel 5 – Heimkehr und Neubeginn
Kapitel 6 – Der große Fluss und der Sturm
Liebe Leserinnen und Leser,
manchmal fragen mich Menschen, wie Geschichten entstehen. Oft beginnt alles mit einer kleinen Beobachtung oder einer Frage, die sich wie ein Stein in den Schuh schleicht und nicht mehr vergessen lässt.
Bei „Superheldin SchnotterLisa“ war es das Bild eines Mädchens mit einer permanent laufenden Nase und der Spott, der ihr entgegenweht. Wieso schämen wir uns für Dinge, die wir nicht ändern können? Und was, wenn gerade das, was wir an uns ablehnen, unser größtes Geschenk ist? Die Figur der Lisa trägt diese Frage durch ein Abenteuer, das an die großen Märchen erinnert und doch im Hier und Jetzt verwurzelt ist. Sie muss sich nicht nur gegen dumme Sprüche wehren, sondern auch gegen die Angst der Erwachsenen und gegen die eigene Unsicherheit. Sie findet Freunde, die zu ihr stehen, und eine Gemeinschaft, die erkennt, dass Anderssein keine Gefahr, sondern eine Bereicherung sein kann.
Ich hoffe, dieses Buch schenkt Kindern wie Erwachsenen Mut, Vertrauen und einen liebevollen Blick auf die Vielfalt unserer Welt. Mögen wir alle das Besondere in uns selbst und in den anderen entdecken – und uns daran erinnern, dass wahre Superheldinnen und -helden nicht immer fliegen oder Laserstrahlen schießen, sondern oft ganz normale Menschen mit ungewöhnlichen Fähigkeiten und viel Herz sind.
Mit herzlichen Grüßen
Herold zu Moschdehner
Es ist eine merkwürdige Sache mit dem Blick durch ein Fenster. Von innen sieht man die Welt wie durch ein Gemälde, alles wirkt klein und entfernt, und man glaubt, die Dinge seien so friedlich, wie sie sich in der Scheibe spiegeln. Von außen hingegen, wenn man vor dem Haus steht und hineinblickt, erkennt man, wie eng und schief manche Stuben sind. Lisa liebte es, im Winter aus dem Fenster ihres Zimmers zu schauen. Ihr Zimmer lag im oberen Stockwerk eines Hauses, das in der kleinen Stadt an der Kreuzung zweier gepflasterter Straßen stand. Wenn sie sich auf Zehenspitzen stellte, konnte sie über die Dächer hinweg bis zu dem Fluss blicken, der hinter den Feldern floss und dessen Wasser bei Sonnenaufgang rosenrot glühte. Im Sommer glitzerten Libellen über den glatten Flächen, im Winter lagen Eisschollen auf den Ufern, und beim Frühjahrsregen schwollen die braunen Wellen an und trugen Äste, Grasbüschel und manchmal das eine oder andere holprige Fass mit sich fort.
Lisa war neun Jahre alt, oder eigentlich „fast zehn“, wie sie immer sagte, und während andere Kinder sich auf der Straße Ball zuwarfen oder Fangen spielten, stand sie oft an diesem Fenster.
Nicht, weil sie nicht mitspielen wollte. Sie wollte. Sie sehnte sich danach, dazuzugehören. Doch jedes Mal, wenn sie die Haustür verließ, wenn sie ihre abgetragenen Stiefel schnürte, den Schal der Mutter um den Hals wickelte und hinaus in den Hof trat, fühlte sie ein Ziehen in ihrer Nase. Es war kein Schmerz, sondern ein ständiger Begleiter: ein Kitzeln, das anfangs so zart war wie das Flattern eines Schmetterlings, das sich aber rasch in ein Nagen verwandelte, das sie zum Niesen brachte. Ein Tropfen, kaum sichtbar für andere, löste sich, wuchs zu einem glänzenden Faden und setzte sich an ihre Oberlippe. Lisa hasste dieses Gefühl. Es ließ sie ungeschickt wirken, schämte sie vor anderen. Sie wischte mit dem Ärmel darüber, doch der Faden kam wieder.
„Schon wieder erkältet?“ rief Frau Müller, die Nachbarin, wenn sie Lisa sah. „Kind, du musst mehr Tee trinken. Und trink Mutters Hühnersuppe, die soll Wunder wirken.“ Frau Müller meinte es gut, aber ihre Worte bohrten sich in Lisas Herz wie kalte Nadeln. Ihre Mutter stand oft bis spät in der Nacht an der Nähmaschine und flickte Hemden für den Dorfarzt, nähte Vorhänge für das Rathaus oder stopfte Socken für den Bäcker. Ihr Vater arbeitete in der Ziegelfabrik am Rand der Stadt, wo der Rauch aus den Schornsteinen tagein, tagaus über die Felder zog. Wenn er abends heimkam, war er so müde, dass er sich an den Küchentisch setzte, seinen Teller leerte und nur wenige Worte sprach. Er hatte das Lachen verlernt, und seine Finger waren vom Ton und vom Staub rissig.
Lisa versuchte nicht zu husten, wenn er da war.
Sie wollte ihn nicht kränken. Sie wusste, wie hart er für die Familie arbeitete. Sie wusste auch, dass ihr „ewiger Schnupfen“, wie sie es nannte, ihn manchmal verärgerte. „Was hast du nur?“ brummte er gelegentlich und strich sich über den Vollbart. „Früher hatten wir auch Erkältungen, aber die vergingen. Vielleicht bist du zu schwach, Lisa.“ Lisa zuckte dann die Schultern, denn was sollte sie darauf antworten? Dass sie jede Nacht wachlag, weil ihre Nase verstopft war und sie dennoch atmen musste? Dass sie tagsüber beim Schreiben in der Schule nicht auf das Heft schauen konnte, weil ihr ständig die Augen tränten? Ihre Mutter seufzte. „Es wird schon“, sagte sie und legte ihre Hand auf Lisas Stirn.
„Solange du atmest und lachst, ist alles gut.“
Doch Lisas Lachen klang dünn in jenen Tagen.
Die anderen Kinder lachten sie aus. Sie vergaß nie den ersten Tag in der Schule, als der Lehrer sie aufrief: „Lisa Müller“, sagte er, „komm an die Tafel und sag ein Gedicht auf.“ Lisa hatte sich das Gedicht auswendig gelernt, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte. „Schnee, du weißes Kleid der Erde…“, begann sie. Aber kaum hatte sie die ersten Worte gesprochen, lief ihr die Nase. Sie zog sie ein, eine Musik aus schniefenden Lauten, die den Reim unterbrachen. Einige Kinder kicherten.
Michael, ein großer, pummeliger Junge mit wilden Locken, rief: „Die heult schon wieder!“ Die Klasse prustete los. Lisa stand wie festgenagelt an der Tafel, die Wangen rot, die Augen voller Tränen. Der Lehrer klopfte an seine Pfeife und sagte: „Ruhe, Kinder. Lisa, setzte dich. Du sagst das Gedicht ein andermal auf.“
Seit diesem Tag trug sie den Spitznamen, den Michael ihr gegeben hatte: „SchnotterLisa“. Sie hörte ihn auf dem Schulhof, in der Straße, sogar auf dem Wochenmarkt, wenn sie mit ihrer Mutter Gemüse kaufte. Die Erwachsenen sagten es als Scherz, die Kinder flüsterten es boshaft. Lisa wusste nicht, ob sie wütend oder traurig sein sollte. Manchmal, wenn sie allein war, schaute sie in den Spiegel und formte mit den Lippen leise den Namen. „SchnotterLisa“, sagte sie und versuchte, das Wort wie Zucker schmelzen zu lassen. Aber es blieb herb.
Je älter sie wurde, desto länger wurden die Strecken, die sie ging. Sie liebte die Felder hinter der Stadt, den Duft von feuchtem Gras und das Rascheln der Maiskolben im Sommerwind. Sie lief barfuß durch die Matschpfützen, auch wenn die anderen Mädchen sie dafür ansahen, als sei sie verrückt. Sie setzte sich an den Fluss, warf Steine ins Wasser und beobachtete, wie die Wellen sich kräuselten und fortliefen. Oft suchte sie Zuflucht in Geschichten. Ihre Mutter hatte ein paar zerfledderte Bücher auf dem Dachboden gefunden – Geschichten von fernen Ländern, von tapferen Mädchen und Jungen, die Drachen bezwangen und Riesen überlisteten. Lisa schlug die Seiten auf, roch an dem staubigen Papier und las mit glänzenden Augen. Besonders mochte sie Geschichten, in denen die Protagonisten etwas Besonderes besaßen. Ein verzaubertes Schwert, eine magische Lampe.
Etwas, das sie von den anderen unterschied. Und manchmal, ganz manchmal, dachte sie: „Vielleicht ist mein Schnupfen ja auch etwas Besonderes.“ Dieser Gedanke kam wie ein Vogel, setzte sich kurz auf ihre Schulter und flog wieder davon, bevor sie ihn festhalten konnte.