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Das Fotomodell Elinor Brinton, schön, eigenwillig und verwöhnt, findet sich nach missglückter Flucht auf der grausamen Gegenerde wieder. Auf Gor muss sie sich den brutalen Gesetzen der Gesellschaft unterwerfen und ihren Stolz aufgeben. In dem berüchtigten Feldlager des Sklavenhändlers Targo wird sie fortan als Vergnügungssklavin gehalten. Elinor will um jeden Preis aus dieser Hölle entfliehen, doch dann wird sie an einen neuen Herrn verkauft...
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Veröffentlichungsjahr: 2024
1 Das Brandzeichen
2 Der Halsreif
3 Seidene Fesseln
4 Die Sklavenkapsel
5 Drei Monde
6 Targo, der Sklavenhändler
7 UnsereReisenach Norden
8 Was nördlich vor Laura geschah
9 Die Hütte
10 Was in der Hütte geschah
11 Soron von Ar
12 Beerenernte
13 Die Schlinge zieht sich zu
14 Ich muss mich fügen
15 Sklavenfreuden für meinen Herrn
16 In Ketten unter den Monden Gors
17 Port Kar
18 Nachwort von Bosk von Port Kar
Weitere Atlantis-Titel
John Norman
Die Sklavin
Folgenden Bericht hat mir mein Herr auferlegt, der erhabene Kaufmann Bosk von Port Kar, der wenn mich nicht alles täuscht, einst auch ein Held an der Waffe gewesen ist.
Mein eigener Name lautete Elinor Brinton, und ich war als Selbstständige zu einigem Reichtum gelangt.
Es gibt viele Dinge, die ich nicht verstehe. Andere mögen sich einen Reim auf diese Erzählung machen. Ich maße mir nicht an, eine außergewöhnliche Geschichte niederzuschreiben, zumal diese auch nur auf den ersten Blick seltsam anmutet. Am Schönheitsideal der Erdenbürger gemessen, galt ich als äußerst hübsch, wohingegen ich den Bewohnern dieser Welt zwar fünfzehn Goldstücke wert sein mag und somit wohl als überdurchschnittlich anmutig wahrgenommen werde, die bezaubernde Schönheit zahlreicher anderer jedoch nur beneiden kann. Man kaufte mich, damit ich im Hause Bosk den Küchendienst verrichte. Wie ich erfuhr, besteht reger Sklavenhandel zwischen dieser Welt und der Erde, in dessen Zuge auch Frauen veräußert werden. Diese finden sich alsdann auf den Märkten dieses eigentümlichen Planeten wieder. Obacht also, wer schön und begehrenswert ist.
Offenbar lässt man den Sklavenhändlern bei allem, was sie vorhaben, freie Hand.
Andererseits denke ich, dass Frauen ein ärgeres Schicksal bestellt sein kann, als in diese Welt verschleppt zu werden, selbst wenn sie hier bloß als teure Spielzeuge der Männer dienen.
Mein Herr hat mich dazu angehalten, bei der Beschreibung dieser Welt nicht allzu sehr ins Detail zu gehen. Was ihn zu dieser Anweisung bewogen hat, weiß ich nicht, doch ich muss mich daran halten. In erster Linie soll ich, wie er mir auftrug, von dem Zeugnis ablegen, was mir persönlich widerfahren ist. Vor allem, so bat er mich, müsse ich meine Gedanken und Gefühle beschreiben. Dem komme ich gerne nach, wobei ich seinen Worten auch Folge leisten müsste, falls dem nicht so wäre.
So will ich mich kurzfassen, was meine genaue Herkunft und Befindlichkeit betrifft.
Man hatte mancherlei in meine Ausbildung gesteckt und mich dennoch nicht richtig erzogen. Ich fristete mehrere Jahre lang ein einsames Dasein in Internaten sowie danach auf dem besten College für Frauen im Nordosten der Vereinigten Staaten. Diese Zeit erscheint mir rückblickend auf befremdliche Weise leer und geradezu von Leichtfertigkeit geprägt. Sehr gute Zensuren erlangte ich ohne größeren Aufwand. Während ich mich für durchschnittlich intelligent hielt und meine Leistungen kaum wertschätzte, lobte man diese tatsächlich in höherem Maße als jene meiner Kommilitoninnen. Deren wie auch meine Eltern waren wohlhabend und bezuschussten die Einrichtung entsprechend, auf welcher wir unseren Abschluss machten. Mit Männern hatte ich ebenfalls keine Probleme. Sie machten den größten Teil des Lehrpersonals aus und schienen in Wirklichkeit ihrerseits darauf aus zu sein, mir zu gefallen. In einem Fach, nämlich Französisch, fiel ich zunächst durch. Darin unterrichtete mich eine Frau, deren Note der Dekan wie üblich nicht anerkannte. So durfte ich mich von einer anderen Lehrkraft – natürlich einer männlichen – prüfen lassen und schloss den Kurs doch noch mit der Bestnote ab.
Häufig kann ich mich eines amüsierten Lächelns nicht erwehren, wenn ich mich an den Dekan, jenen anderen Lehrer, sowie viele weitere zurückerinnere.
Wie eifrig sie mir allesamt den Hof machten!
Oh, die Männer auf Erden!
Wie leidenschaftlich sie sich um unser Geschlecht bemüht haben!
Glaubten sie, dass Frauen ihr Verhalten schätzten?
Mit all dem im Hinterkopf ist mein Lächeln nunmehr eher verdrossener Natur.
Hier gestaltet sich vieles vollkommen anders, besonders für Frauen wie mich, weil wir – zumindest ich und ähnlich disponierte Frauen – uns unsererseits bis zum Äußersten anstrengen müssen, um der Männerwelt – unseren Herren – zu gefallen.
In jenem Frühjahr musste besagte Lehrerin die Schule verlassen. Mir tat es leid, doch sie hätte es wissen müssen. Als reiches Mädchen konnte ich mich über zu wenige Freunde nicht beklagen, denn ich war sehr beliebt. Ich wüsste jedoch niemanden, mit dem ich tiefgründigere Gespräche geführt habe. Meine Ferien verbrachte ich am liebsten in Europa.
Ich konnte mir feine Kleider leisten und zog mich entsprechend distinguiert an. Ständig legte ich mir eine neue Frisur zu, mit welcher ich mir manchmal bewusst den Anschein gab, überhaupt nicht auf mein Haar zu achten. Hier ein Bändchen und dort ein Accessoire in einer bestimmten Farbe, welche auch bei der Wahl jedes teuren Lippenstifts wichtig war; die Stickerei auf einem Rock sowie das Leder eines importierten Gürtels mussten meinen Qualitätsvorstellungen entsprechen und gleichzeitig zu meinen Schuhen passen … Nichts überließ ich dem Zufall. Falls ich wieder einmal säumig war, wenn es um die pünktliche Abgabe einer Hausarbeit ging, trug ich meine Bitte um Aufschub in abgewetzten Tretern und der klassischen Kombination aus Jeans und Sweatshirt vor, wobei ich mir die Haare zusammengebunden und Finger wie Wangen absichtlich mit Schreibmaschinentinte verschmiert hatte. Stets wurde ich erhört. Natürlich tippte ich meine Arbeiten nie selbst ab, wenn ich sie für gewöhnlich auch allein schrieb, weil ich das gern tat. Zudem waren sie mir lieber als solche, die ich hätte kaufen können. Eines Nachmittags gewährte mir einer meiner Dozenten einen Aufschub und erkannte mich noch am gleichen Abend nicht mehr, als er während eines Kammerkonzerts im Lincoln Center einige Reihen hinter mir saß. Er betrachtete mich verwirrt und hätte mich in einer Pause beinahe angesprochen, wäre ich ihm nicht mit einem eindringlichen Blick entgegengetreten, woraufhin er hochrot wurde und einen Rückzieher machte. Ganz in Schwarz, mit hochgestecktem Haar, Perlenschmuck und weißen Handschuhen, entzog ich mich für den Rest des Abends seiner Aufmerksamkeit. Wann man mir selbige jedoch erstmals schenkte und mich zu entführen trachtete, weiß ich nicht genau. Es könnte auf offener Straße in New York, auf einem Londoner Gehsteig oder in einem Pariser Café geschehen sein beziehungsweise während ich mich an der Riviera sonnte oder auf dem Collegecampus aufhielt. In jedem Fall fiel ich jemandem auf.
Wohlstand und Anmut ließen mich die Nase hoch tragen. Ich hielt mich für etwas Besseres und zeigte dies auch jedem auf meine ganz eigene Art. Interessanterweise schien das viele Menschen zu beeindrucken und ein wenig einzuschüchtern, was auch immer sie insgeheim denken mochten. Die Größe, die ich mir selbst zumaß, nahmen sie als gegeben hin, obwohl ich mir nicht wenig auf mich eingebildet habe. Deshalb behandelte man mich wie mit Samthandschuhen, was ich häufig zu meiner Erheiterung ausgenutzt habe, indem ich schmollte und so tat, als sei ich ihretwegen wütend oder ungehalten, nur um mich dann mit einem Lächeln versöhnlich zu zeigen. Daraufhin strahlten die Leute immer erleichtert. Oh, wie ich sie verachtete! Benutzt habe ich sie! Sie langweilten mich. Ich war reich, vom Glück gesegnet und schön. Sie waren bedeutungslos.
Mein Vater verdiente ein Vermögen als Immobilienmakler in Chicago. Soweit ich weiß, hatte er nie etwas anderes im Sinn als seine Geschäfte. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er mich je geküsst hat, oder dass er überhaupt für die Familie da war. In meiner Gegenwart hat er Mutter nie zärtlich berührt und sie ihn auch nicht. Sie stammte aus einer wohlhabenden Chicagoer Familie, welcher zahlreiche Grundstücke entlang der Küste gehörten. Ich glaube nicht, dass mein Vater an dem Vermögen interessiert war, das er machte. Es ging ihm nur darum, reicher als andere zu sein, obgleich es immer Leute gab, die ihn übertrumpften, und zwar mehrere. Er war ein getriebener und unglücklicher Mann. Ich weiß noch, dass meine Mutter zu Hause für Stimmung sorgte. Das tat sie häufig, und Vater gab mir gegenüber einmal zu, sie sei sein wertvollster Besitz. Das war als Kompliment gedacht. Mutter war eine sehr hübsche Frau und hat meinen Pudel vergiftet, weil er einen ihrer Hausschuhe zerbissen hatte. Damals war ich erst sieben und weinte bitterlich, da ich den Verlust eines zutraulichen Freundes verwinden musste. Soweit ich mich erinnern kann, weinte ich damals das erste Mal, danach erst wieder anlässlich meiner Abschlussfeier, weil meine Eltern nicht zugegen waren. Vater hatte geschäftlich zu tun, während Mutter zu jener Zeit bereits in New York lebte, wo sie einige Freunde zum Abendessen bewirten musste. Sie schickte mir eine Glückwunschkarte mit einer teuren Armbanduhr, die ich einem anderen Mädchen schenkte.
Während jenes Sommers starb Vater dann an einem Herzinfarkt, obwohl er gerade erst Mitte vierzig war. Mutter wohnt nach wie vor in New York, soweit ich weiß in einer Mietwohnung in der Park Avenue. Der Großteil von Vaters Vermögen fiel ihr zu, doch auch ich erhielt ungefähr eine Viertelmillion Dollar, allerdings vornehmlich in Form von Aktien und Anlagepapieren. Mein Reichtum war also den Schwankungen an der Börse unterworfen, und zwar keinesfalls in geringem Maße. Im Großen und Ganzen konnte ich mir dieses Reichtums jedoch sicher sein, zumal es mich auch nicht interessierte, ob ich zu einem bestimmten Zeitpunkt knapp eine halbe oder etwas mehr als eine Dreiviertelmillion auf dem Konto hatte.
Nach meinem Abschluss bezog ich selbst ein Penthouse in der Park Avenue, meiner Mutter bin ich nie wieder begegnet. Nach der Schulzeit interessierte mich mehr oder weniger überhaupt nichts. Ich rauchte zu viel, obwohl ich es gar nicht wollte. Auch Alkohol konsumierte ich nicht wenig, wenngleich ich mich anderen Drogen gegenüber verwehrte, weil mir dies nicht sonderlich schlau erschien.
Vater hatte in New York im Rahmen seiner Geschäfte viele Bekanntschaften geschlossen, sodass Mutter sich einflussreicher Freunde sicher sein konnte. Nur wenige Wochen nach Beendigung meiner schulischen Laufbahn tätigte ich einen der seltenen Anrufe bei ihr, da ich mit dem Gedanken spielte, als Model zu arbeiten. Für mich haftete diesem Beruf etwas Glamouröses an, und ich hoffte, dabei vielleicht einige interessante Menschen kennenzulernen. Zwei Agenturen luden mich einige Tage später zu Vorstellungsgesprächen ein, welche ich jedoch, wie zu erwarten, nur der Form halber über mich ergehen lassen musste. Es gibt wahrlich genug schöne Mädchen, die als Models arbeiten können. Knappheit an hübschen Hälsen herrscht keineswegs bei einer Bevölkerungszahl von mehreren Millionen, weshalb man mit der Einschätzung nicht falsch liegt, weder ästhetische Faktoren noch ein gewisser Liebreiz sowie Selbstvertrauen gäben den Ausschlag dafür, dass gerade unerfahrene Anwärterinnen sich auf einem so hart umkämpften Feld erfolgreich behaupten. So war es bei mir, obwohl ich nicht daran zweifle, dass ich meinen Weg auch ohne Beziehungen hätte gehen können. Das musste ich aber nun einmal nicht.
Ich genoss meine Modelkarriere durchaus, wenngleich sie nur wenige Wochen andauerte. Ich mag schöne Kleider und trage sie mit Wonne. Das Posieren bereitet mir Freude, wenn es auch bisweilen quälend und anstrengend ist. Die Fotografen und Schöpfer wirkten auf mich relativ intelligent – gelegentlich etwas sprunghaft zwar, jedoch nichtsdestoweniger als von ansprechendem Humor beseelte Männer. Sie haben sich fraglos unheimlich professionell gegeben. Dass einer von ihnen mich einmal als Miststück bezeichnete, tat ich lachend ab. Immerhin konnte ich mich nicht über zu wenige Engagements beklagen.
Viel Geld hätte ich mit der Vorführung einer neuen Kollektion von Bademode einer recht bekannten Firma verdienen können, deren Name für meine weiteren Ausführungen allerdings unwichtig ist.
Ich schlug das Angebot aus.
Es war an einem Montagnachmittag eingegangen. Man bestellte mich für Mittwochmorgen in das dafür vorgesehene Studio. Der Dienstag dazwischen war nicht verplant, weshalb ich meiner afroamerikanischen Haushälterin und dem Koch freigab. Ich wollte die Wohnung für mich allein, um in Ruhe lesen und Schallplatten auflegen zu können.
Am Morgen schlief ich so richtig aus.
Die Sonnenstrahlen, die durch die Vorhänge fielen, weckten mich. Ich streckte mich, es war warm, und ich wollte den ganzen Tag keinen Finger krumm machen. Es war bereits fast Mittag, und ich lag wie immer nackt im Bett. Daneben stand mein Nachttisch, von dem ich den Aschenbecher nahm. Dann zündete ich mir eine Zigarette an und schaute mich im Zimmer um. Alles war wie immer: Mein Plüschtier, ein flauschiger Koalabär, lag am Fuß des Bettes und die Bücher verstreut auf den Tischen. Meine Nachttischlampe stand noch genauso da, wie ich sie am Abend zuvor ausgerichtet hatte, während der Wecker ausgeschaltet auf der Kommode lag. Obwohl mir die Zigarette nicht schmeckte, stand mir der Sinn danach. Nachdem ich mich aufgedeckt hatte, streckte ich mich zum zweiten Mal und schwang dann meine Beine über die Bettkante. Ich zog meine Hausschuhe an und schlüpfte in einen seidenen Bademantel, ehe ich die Zigarette im Aschenbecher ausdrückte und zum Duschen ins Bad ging.
Dort band ich mein Haar zurück, zog den Mantel wieder aus und schob die Tür der Duschkabine auf, um mich unter die Brause zu stellen. Sogleich genoss ich die wohlig warme Temperatur des Wassers. Auf diese Art fing der sonnige Tag, den ich ausschließlich mit Nichtstun zubringen wollte, prächtig an. Ich verharrte einige Minuten, in denen ich den Kopf in den Nacken legte und mir das warme Wasser den Rücken hinunterlaufen ließ. Dann nahm ich die Seife zur Hand und wusch mich.
Beim Einschäumen des linken Oberschenkels hielt ich überrascht inne, als ich etwas fühlte, das mir zuvor noch nicht aufgefallen war.
Ich beugte mich nach vorn, indem ich mein linkes Bein von mir streckte.
Plötzlich wurde mir schwarz vor Augen, und ich bekam kaum noch Luft. Der Anblick erschreckte mich, obwohl ich dort gar keinen Schmerz spürte.
Nun sah ich an meinem Bein jedoch etwas, das gestern noch nicht da gewesen war.
Ich hatte nun eine Narbe am Schenkel zur Hüfte hin. Sie maß vielleicht anderthalb Zoll und wirkte in ihrer länglichen Form elegant. Eigentlich sah sie relativ hübsch aus, doch ich wusste, dass sie nicht natürlich entstanden war, weil ich mich nicht verletzt hatte. Auf ihre Weise schien sie perfekt und sauber mit festem Druck eingebrannt worden zu sein, offenbar absichtlich genau an dieser Stelle.
Ich wollte tief durchatmen und musste mich an der Wand festhalten, damit ich nicht ohnmächtig wurde. Wie benommen duschte ich mich ab und drehte die Brause zu. Nachdem ich das Bad barfuß und ohne mich abzutrocknen verlassen hatte, ging ich über den Teppich zum Ankleidespiegel an der einen Wand des Schlafzimmers. Dort verschlug es mir wieder den Atem, und erneut fing sich alles um mich herum zu drehen an: Auf dem Spiegel befand sich ein Fleck, den ich zuvor ebenfalls nicht bemerkt hatte. Er stammte von meinem knallroten Lippenstift und entsprach vom Aussehen her der Oberschenkelnarbe, nur dass er über einen Fuß lang war, aber genauso hübsch schwungvoll aufgemalt.
Fassungslos betrachtete ich mich im Spiegel, befühlte erneut die Narbe an meinem Bein und verglich sie mit dem roten Lippenstiftbild auf dem Glas. Dann schaute ich mir selbst in die Augen.
Ich wusste so gut wie nichts davon, doch sie war nun einmal vorhanden, diese niedliche Narbe am Schenkel, die von einer tiefen Brandwunde herrühren musste.
Wieder wurde alles dunkel, ehe ich auf dem Teppich vor dem Spiegel zusammenbrach. Ich verlor das Bewusstsein. Jemand hatte mich gebrandmarkt.
Ich weiß nicht, wie lange ich auf dem dicken Teppich vor dem Spiegel gelegen habe.
Gemessen am Stand der Sonne, die durch die Vorhänge schien, war wohl etwas mehr als eine Stunde vergangen, bevor ich wieder zu mir kam.
Ich richtete mich auf und betrachtete mich auf allen vieren im Spiegel.
Dann fing ich zu schreien an.
Wahnsinnig hätte ich werden können!
Ich fasste mir an den Kopf und schüttelte ihn.
Ein Halsband trug ich jetzt auch. Daran krallte ich mich fest und zog daran, um es abzustreifen. Jemand musste es mir in meiner Ohnmacht angelegt haben.
Wie angegossen umschloss dieses zierliche Band aus glattem Stahl meinen Hals.
Geistesgegenwärtig fasste ich mir in den Nacken, um einfach den Verschluss zu öffnen und es loszuwerden, fand aber selbst nach sorgfältigem Tasten keinen. Ich konnte es nur langsam und mit Gefühl drehen, weil es so eng anlag. Im Spiegel stellte ich dann fest, dass ich es nicht ausziehen konnte, weil es keinen Klemmverschluss besaß, sondern nur ein kleines, aber umso stabileres Schloss, zu dem wohl ein winziger Schlüssel gehörte. Man hatte mir tatsächlich eine Halsfessel angelegt! Darauf stand etwas geschrieben, das ich aber nicht lesen konnte. Ich kannte nicht einmal die Schrift!
Zum dritten Mal verdunkelte sich alles, nachdem mir schwindlig geworden war. Nun aber versuchte ich verzweifelt, nicht wieder ohnmächtig zu werden.
Jemand musste eingebrochen sein, um mir das Band anzulegen. Womöglich hielt er sich noch im Haus auf. Ich ließ den Kopf hängen und schüttelte ihn wieder, sodass die Haare den Teppich berührten, während ich weiterhin auf Händen und Knien am Boden kauerte. Dabei zupfte ich am Flor des Teppichs. Ich musste bei Bewusstsein bleiben und einen klaren Kopf bewahren. Dann schaute ich mich im Raum um.
Einen Augenblick lang setzte mein Herzschlag aus: Doch er war leer.
Ich kroch zum Nachttisch am Bett, um das Telefon zu benutzen. Den Hörer hob ich so leise wie möglich ab, doch die Leitung war tot, das Kabel einfach durchgeschnitten. Mir schossen Tränen in die Augen.
Im Wohnzimmer gab es ein zweites, doch um dorthin zu gelangen, hätte ich die Tür öffnen müssen, wovor ich mich fürchtete. Ich warf einen Blick in Richtung Badezimmer. Es war mir ebenfalls nicht mehr geheuer, weil ich nicht wusste, ob dort jemand lauerte.
Ich besaß einen kleinen Revolver, mit dem ich noch nie einen Schuss abgefeuert hatte. Er fiel mir erst jetzt wieder ein, weshalb ich rasch aufsprang und zu meinem breiten, dreiteiligen Wandschrank lief. Ich durchstöberte die Schubladen, warf Schals und Unterwäsche durcheinander, bis ich endlich den Griff berührte. Erleichtert stöhnte ich auf, nur um die Waffe dann ungläubig zu betrachten. Es verschlug mir die Sprache; ich konnte weder schluchzen noch verstehen, was mit ihr passiert war. In der Hand hielt ich einen formlosen Metallklumpen, der fast aussah wie eine geschmolzene Tafel Schokolade, bloß aus Stahl. Nachdem ich den Revolver zurück zu den Seidenteilen geworfen hatte, stand ich wie vom Donner gerührt auf und schaute erneut in den Spiegel. Ich war vollkommen schutzlos und spürte weit mehr als nur blankes Entsetzen.
Ich ahnte, dass das, was mir widerfahren war, über die Grenzen dessen hinausging, was auf dieser Welt als normal galt. Verständlicherweise fürchtete ich mich.
Ich rannte zu den bis zum Boden gehenden Vorhängen vor den breiten Schlafzimmerfenstern und zog sie zur Seite.
Dann warf ich einen Blick auf die Stadt.
Sie lag düster unter der Abgaswolke, die im Sonnenlicht wie Goldstaub aussah. Inmitten dieses unwirklichen Glanzes erkannte ich Tausende Fenster, die das Licht teilweise reflektierten. Hohe Steinmauern, Stahl, Beton und Glas – das war meine Welt.
Wie ich so vor den dicken, schmutzigen Scheiben stand, strömten auch mir die Sonnenstrahlen entgegen. Ja, wirklich: Es war meine Welt!
Nur trug ich nichts am Leib außer einem stählernen Halsband, das ich nicht abnehmen konnte. Zudem hatte ich ein Brandzeichen am Oberschenkel.
»Nein!«, bemitleidete ich mich selbst. »Nein!«
Nachdem ich mich vom Fenster abgewandt hatte, schlich ich leise zur Wohnzimmertür, die einen Spaltbreit offen stand. Ich nahm all meinen Mut zusammen und zog sie noch ein Stück weiter auf. Als ich erkannte, dass die Luft dahinter rein war, fiel mir ein Stein vom Herzen. Der Raum befand sich im gleichen Zustand wie zuvor, als ich ihn das letzte Mal verlassen hatte. Ich eilte zur Küche, die man vom Wohnzimmer aus einsehen konnte. Aus einer der Schubladen zog ich ein Fleischmesser hervor. Hektisch drehte ich mich, mit dem Rücken zur Arbeitsfläche, um und hielt es vor mich, doch da war niemand.
Zumindest fühlte ich mich mit der Klinge etwas sicherer. Ich kehrte ins Wohnzimmer zurück und ging zum Beistelltisch mit dem Telefon. Auch dieses Kabel war gekappt worden. Ich fluchte.
Dann prüfte ich nach, ob alle Türen des Penthouse abgeschlossen waren. Meine Wohnung war leer, was auch für den Innenhof und die Terrasse galt.
Mein Herz klopfte wie wild, aber ich hatte neuen Mut gefasst. Ich wollte zum Kleiderschrank gehen, mir etwas zum Anziehen nehmen und die Polizei verständigen. Gerade als ich mir Kleider heraussuchte, klopfte jemand laut und verbindlich an der Tür.
Ich drehte mich um, das Messer fest im Griff.
Es klopfte erneut, aber diesmal noch nachdrücklicher.
»Öffnen Sie die Tür«, befahl eine Stimme. »Hier spricht die Polizei.«
Was für ein Glück! Ich rannte zur Tür, hatte das Messer jedoch noch nicht weggelegt.
Als ich vor dem Eingang stand, überkam mich erneut die Angst, sodass meine Hand mit der Waffe sich verkrampfte.
Ich hatte die Polizei nicht gerufen, und dass jemand meine Schreie so hoch oben gehört hatte, war ebenfalls sehr unwahrscheinlich. Als ich bemerkte, dass die Telefone nicht mehr zu gebrauchen waren, hatte ich keine weiteren Anstalten gemacht, um Hilfe zu rufen und nur noch das Weite suchen wollen.
Wer auch immer vor der Tür stand – die Polizei konnte es nicht sein.
Erneut klopfte es an.
Mir wurde wieder schwindlig.
Der Wartende wurde nun ungemütlich. »Öffnen Sie schon!«, bellte er. »Polizei!«
Ich gab vor, gefasst zu sein. »Einen Moment bitte«, entgegnete ich so arglos wie möglich.»Ich komme gleich, muss mir nur noch etwas anziehen.«
Ich rannte zurück ins Schlafzimmer und schaute mich hektisch um. Aus dem Schrank mit meinen Bettbezügen zog ich einige Laken hervor und begab mich hinaus, nachdem ich diese zusammengebunden hatte. Beim Hinabschauen wurde mir übel, doch ungefähr fünfzehn Fuß unter meinem kleinen Balkon befand sich der nächste von den unzähligen weiteren, die an allen Seiten des Gebäudes hervorragten. Er gehörte den Mietern unterm Penthouse. Frischluft und Sonnenlicht brannten in meinen Augen, zumal mir auch noch Ruß und Asche ins Gesicht rieselten, während ich das eine Ende meines aus Laken geknüpften Taus sicher an einem niedrigen Eisengeländer festmachte, welches entlang der hüfthohen Brüstung des Balkons beziehungsweise Innenhofs verlief. Das andere Ende reichte mühelos bis hinab ins niedrigere Stockwerk. Wenn ich mich nicht so bedrängt gefühlt hätte, wäre ich niemals tapfer genug zum Klettern gewesen.
Das neuerliche Klopfen an der Tür zeugte hörbar von Ungeduld.
Ich lief noch einmal zurück ins Schlafzimmer, um mir etwas überzuwerfen. Da hörte ich, wie der Mann mit der Schulter gegen die schwere Wohnungstür stieß.
Im Innenhof war mir bewusst geworden, dass ich das Messer auf meiner Flucht unmöglich mitnehmen konnte, weil ich beide Hände zum Abseilen brauchte. Vielleicht hätte ich es mir zwischen die Zähne klemmen können, doch daran dachte ich in meiner Panik nicht. Das Holz der Tür splitterte bereits, und der Schieberiegel brach ab, während ich noch im Zimmer war. Als der Mann sie aus den Angeln hob, versteckte ich das Messer geschwind unterm Kissen und ging wieder ins Freie. Ich atmete kaum und wagte nicht, nach unten zu schauen, als ich das Tau packte. Ich hätte mich übergeben können, seilte mich aber stattdessen mit bemessenen Handgriffen ab. Gerade als mein Kopf unter der Brüstung verschwunden war, barst die Tür vollends auf. Ich hörte mehrere Männer ins Penthouse stürmen. Nur noch ein paar Fuß, dann stand ich auf dem Balkon unterhalb und befand mich in Sicherheit. Ich musste nur die Aufmerksamkeit der Bewohner auf mich ziehen oder mit einem Stuhl beziehungsweise irgendeinem anderen Gegenstand die Tür zur Wohnung einschlagen, falls es nicht anders ging.
Über mir im Penthouse brauste wütend jemand auf.
Von der Straße weit unterhalb vernahm ich Lärm, wagte jedoch nicht, nach dessen Quelle zu schauen. Ganz langsam und ängstlich näherte ich mich meinem Ziel.
Wäre doch gelacht gewesen, wenn ich den Abstieg nicht bewerkstelligt hätte!
Was war ich doch für ein gewieftes Mädchen!
Der Knoten, den ich oben am Geländer geknüpft hatte, lockerte sich unmerklich, was jedoch genügte, um mir einen kläglichen Schrei abzuringen. In meinem Elend klammerte ich mich noch fester an die Laken.
Ich musste mich auf den Balkon konzentrieren!
Noch ein Stück tiefer …
Ich bewegte meine Füße, so weit ich mich traute, und wollte das Geländer an der Mauer packen, die mir wie oben bis zu den Hüften reichte.
Dabei stieß ich gegen die Backsteinmauer.
Beinahe wäre ich abgerutscht!
Wo war das Geländer?
Die Laken verdrehten sich.
Natürlich hatte ich es nicht verfehlt, sondern war nur in die Gegenrichtung ausgeschwungen. Es musste sich hinter mir befinden! Bis zum nächsttieferen Stockwerk würde mein Tau nicht reichen, und zum Hochklettern besaß ich keine Kraft mehr!
Ich schaute hinauf zu meinem Balkon, wo die Laken befestigt waren. Nein, ich hatte mich nicht zu weit abgeseilt. Wieder stieß ich gegen die Mauer.
Dort fand ich weder Halt noch irgendetwas, an dem ich mich hätte orientieren können.
Ich ließ mich einen weiteren Fuß hinab, dann zwei …
Wo war das Geländer bloß?
Endlich fühlte ich es an der Mauer. Erneut drehte ich mich, während ich ein weiteres Stück absackte. Ich befand mich hinter dem Geländer, dann über der Brüstung!
Schließlich hatte ich den festen Boden des Balkons unter den Füßen!
Ich hätte vor Erleichterung zusammenbrechen können!
Stattdessen ließ ich mich zu einem Jubelschrei hinreißen.
Ich hatte sie überlistet!
Dachten sie wirklich, sie könnten es mit Elinor Brinton aufnehmen?
Dämliche Mannsbilder!
Ich war in Sicherheit!
Etwas Weiches, ein weißes gefaltetes Tuch nahm mir auf einmal die Sicht, und ein Stoffknebel schob sich tief in meinen Mund. Eine zweite Binde wurde mir über den Kopf gestülpt und mit einem festen Knoten im Nacken fixiert.
Aufschreien konnte ich nun nicht mehr.
»Wir haben sie«, hörte ich jemanden sagen.
Ich wand mich in meinem Unbehagen und schüttelte den Kopf. Mir war, als träumte ich schlecht. »Nein, nein«, sprach ich mir zu, damit ich wach wurde. »Nein …«
Offensichtlich hielt mich etwas zurück, sobald ich mich bewegen wollte. Das gefiel mir überhaupt nicht. Es fühlte sich unangenehm an.
Und ich war wütend.
Auf einmal glaubte ich, hellwach zu sein. Ich wollte schreien, brachte jedoch keinen Laut heraus.
Als ich versuchte, mich aufzurichten, schnürte ich mir selbst die Luft ab und musste mich wieder zurückfallen lassen. Ich strampelte weiter wie verrückt.
»Sie ist zu sich gekommen«, hörte ich eine Stimme.
Zwei maskierte Männer standen mir am Fuß des Bettes gegenüber. Ich hörte, wie sich zwei weitere im Wohnzimmer unterhielten.
Die beiden im Schlafzimmer drehten sich um und gingen nach nebenan zu ihren Komplizen.
Da gab ich mich wieder meinem wilden Gezappel hin.
Sie hatten mir die Knöchel mit dünnen Seidenbändern zusammengebunden, genauso wie die auf dem Rücken verschränkten Hände. Außerdem steckte mein Hals in einer Schlinge aus dem gleichen Material, und die war mit dem Kopfende des Betts verbunden.
Von dort aus sah ich mich selbst im Spiegel. Der seltsame Lippenstiftfleck war immer noch da.
Mein nächster Versuch, etwas Verständliches von mir zu geben, scheiterte ebenfalls. Im Spiegel bemerkte ich meinen irren Gesichtsausdruck, den Knebel im Mund.
Nachdem ich mich noch ein wenig weiter verausgabt hatte, hörte ich die Männer zurückkehren und hielt sofort still. Sie standen mit dem Rücken zu mir in der offenen Tür. Ihre Gesichter zeigten sie nicht, doch sie trugen Polizeiuniformen. Die beiden anderen, die hereinkamen, hatten nach wie vor ihre Masken auf.
Sie schauten auf mich herab.
Gern hätte ich sie angefleht mich freizulassen, aber ich brachte ja keinen Ton heraus.
Mit angezogenen Knien drehte ich mich zur Seite, um mich den Kerlen so gut es ging zu entziehen.
Einer berührte mich.
Abrupt fuhr der andere mit einer kurzen Lautäußerung dazwischen, woraufhin sein Begleiter von mir abließ. Zweifellos handelte es sich dabei um ein Wort, womöglich einen Befehl, doch ich verstand die Sprache nicht.
Um Diebe konnte es sich nicht handeln, denn sowohl die Bilder an den Wänden als auch meine Orientteppiche befanden sich an ihren angestammten Plätzen. Keiner der Männer hatte etwas angerührt.
Derjenige, der sich wieder von mir abgewandt hatte, musste dem anderen wahrscheinlich Folge leisten. Er zog ein Ledermäppchen aus der Innentasche seiner Jacke. Zuerst dachte ich, darin stecke ein Federhalter, doch als er es öffnete, musste ich mit Schrecken feststellen, dass es eine Spritze war.
Ich schüttelte manisch den Kopf. Das durfte nicht sein!
Er stach mir rechts ungefähr auf Beckenhöhe in den Rücken.
Es tat weh, machte sich aber nicht anderweitig bemerkbar.
Ich beobachtete, wie er das Mäppchen mit der Spritze darin wieder zumachte und zurück in die Jacke steckte. Der größere der beiden schaute nun auf die Uhr. Diesmal sprach er Englisch mit seinem Untergebenen, dem kleineren Kerl, der die Spritze hatte. Seinen ausgeprägten Akzent wusste ich nirgends einzuordnen.
»Nach Mitternacht machen wir uns auf den Rückweg«, erklärte er. »Das ist einfacher. Bei wenig Verkehr erreichen wir Punkt P in fünf Stunden. Ich muss mich heute Abend noch um andere Dinge kümmern.«
»In Ordnung«, antwortete der andere Mann. »Bis dahin werden wir bereit sein.« Bei ihm bemerkte ich nicht den Hauch eines Akzents. Unbestreitbar handelte es sich um einen Muttersprachler. Bestimmt hatte er Schwierigkeiten, seinen Vorgesetzten zu verstehen, wenn dieser seine eigene Sprache gebrauchte. Da er aber ohne Widerrede gehorcht hatte, nachdem jener ihn im fremden Ton angeherrscht hatte, fürchtete er sich gewiss vor dem größeren Mann.
Am Rande meines Blickfelds bemerkte ich Schatten.
Der Anführer kam hinters Bett, um meinen Puls an einem der gefesselten Handgelenke zu kontrollieren.
Er ließ mich gleich wieder los.
Es wurde immer dunkler im Raum. Gleichzeitig spürte ich eine zunehmende Wärme und bekam Schwierigkeiten, die Augen weiterhin offen zu halten.
Der Große verließ das Zimmer. Jetzt war ich mit dem anderen allein. Er nahm sich eine Zigarette vom Nachttisch und zündete sie mit einem meiner dünnen Streichhölzer an, die eine bekannte Pariser Firma herstellte. Achtlos warf er das Holz in den Aschenbecher. Er fasste mich wieder an, diesmal ziemlich unsittlich, ohne dass ich etwas dagegen sagen konnte.
Nur weiter strampeln konnte ich.
Er grinste.
»Du bist nicht das frigide, teilnahmslose Ding, das du zu sein vorgibst, was? Gefesseltes Luder, du!«, begann er. »Ich bin gespannt, wie du dich ausmachst, wenn du dich erst an deine Umgebung gewöhnt hast.«
Ich wusste nicht, wovon er sprach.
»Aus dir könnte etwas werden«, fuhr er fort. »Sogar jetzt wärst du schon zu gebrauchen. Man müsste dich nur ein bisschen heiß machen.«
Ich schaute zu ihm auf.
»Und später«, meinte er, »das verspreche ich dir, wirst du auf Knien darum bitten und betteln.«
Ich hielt ihn für komplett wahnsinnig.
Wie ich indes erfahren sollte, war er es keineswegs.
»Jawohl«, erging er sich weiter. »Du wirst lernen, wie man zu Kreuze kriecht und darum fleht, du kleine Schlampe.«
Nein, er war es wirklich nicht.
»Gut siehst du aus mit deiner Fessel.«
Ich wehrte mich.
»Die gehört dir auch angelegt«, behauptete er.
Vergeblich zog ich an den Bändern.
Es hatte keinen Zweck.
Erneut sah ich ihn an.
»Du würdest gern etwas von dir geben, nicht wahr? Aber das kannst du leider nicht«, belustigte er sich.
Ich ließ den Blick nicht von ihm ab.
»Gefällt dir das, so festgezurrt zu sein und mit dem Pfropfen im Mund?«
Ich verneinte mit einem Wimmern.
Langsam kam seine erhobene Hand näher.
Mir blieb nichts, als weiter den Kopf zu schütteln: Nein, nein, nein!
Er berührte mich aber gar nicht.
»Interessant, wie sich Frauen aufführen, wenn man sie fesselt und knebelt«, sagte er.
Ich merkte, wie ich wieder das Bewusstsein verlor.
Er blies mir Rauch in Augen und Nase, nachdem er sich über mich gebeugt hatte.
Ich fühlte mich erniedrigt und drehte den Kopf zur Seite.
»Du willst es doch, oder?«, fragte er.
Erneut gestikulierte ich: Nein, nein!
Da er mich am Kinn packte, musste ich mich ihm zuwenden. So war ich gezwungen, ihm in die Augen zu schauen.
Ich tat es mit einem offenkundigen Ausdruck von Zorn.
»Du ahnst nicht, was dir blüht, du süße kleine Schlampe«, sagte er.
»Zum ersten Mal in deinem Leben«, sprach er weiter, »wirst du so behandelt werden, wie es dir zusteht, und dich geben müssen, wie du tatsächlich bist.«
Auf nichts von dem, was er mir unterbreitete, konnte ich mir einen Reim machen.
Ich wurde immer schläfriger, während er mir zum wiederholten Mal ganz langsam und genüsslich den Qualm in Augen und Nase blies.
Er brannte im Gesicht wie Feuer, und ich vermochte kaum zu atmen.
Da er mich festhielt, konnte ich mich diesmal nicht abwenden.
Ich bemühte mich nur noch halbherzig, die Fesseln abzustreifen. Meine ganze Kraft galt dem Vorsatz, bei Bewusstsein zu bleiben.
»Jawohl, du kleine Schlampe«, flüsterte er mir zu. »Auf Knien betteln wirst du.«
Ich hörte die Stimme des größeren Mannes. Er stand wohl an der Tür, doch es klang wie aus weiter Ferne.
Der andere wich von meiner Seite.
Sein Vorgesetzter trat schließlich ein, wobei ich mich nur matt nach ihm umdrehte. Ich schaute zu, wie die beiden Uniformierten das Penthouse verließen. Der kleine Kerl folgte ihnen und zog beim Hinausgehen die Maske aus. Sein Gesicht bekam ich aber nicht mehr zu sehen.
Der Anführer betrachtete mich von oben herab. Ich erwiderte seinen Blick, war jedoch bereits wie von Sinnen. Er bewahrte sich einen sachlichen Ton, als er mich wissen ließ: »Nach Mitternacht kommen wir wieder.«
Mit letzter Kraft versuchte ich, durch den Knebel hindurch und trotz der einsetzenden Betäubung zu antworten, doch eigentlich wollte ich nur noch schlafen.
»Sicher wüsstest du gern, was mit dir geschehen wird«, sagte er.
Ich nickte.
»Neugierde«, fuhr er fort, »geziemt sich nicht für eine Kajira.«
Diese Bezeichnung hatte ich noch nie gehört.
»Man könnte dich dafür züchtigen.«
Ich verstand nichts.
»Du brauchst nicht mehr zu wissen«, behauptete er, »als dass wir nach zwölf Uhr zurückkehren werden.« Ich erkannte, wie seine Lippen sich durch den Mundschlitz der Maske zu einem Lächeln verzogen. Auch seine Augen strahlten freudig. »Dann«, fügte er hinzu, »bekommst du eine weitere Dosis.«
So lag ich vor ihm, gefesselt und geknebelt, während er mich angaffte.
»Wir machen dich reisefertig.«
Mit diesen Worten ging er hinaus.
Ein letztes Mal, ehe ich vollends das Bewusstsein verlor, zerrte ich an meinen Fesseln.
Als ich wieder aufwachte, lag ich immer noch gefesselt im Bett.
Es war dunkel, und ich hörte den nächtlichen Verkehrslärm der Stadt durch die offene Tür zum Balkon beziehungsweise Innenhof. Durch die zurückgezogenen Gardinen sah ich Abertausende von Fenstern als leuchtende Rechtecke, wo noch Licht brannte. Ich war schweißgebadet und hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Allein dass es Nacht war, wusste ich. So rollte ich mich zur Seite, um auf den Wecker auf der Kommode zu schauen, aber sein Zifferblatt wies nicht mehr in meine Richtung.
Wieder fing ich an zu hadern, dass ich gefesselt war. Ich musste unbedingt freikommen!
Ich verschwendete einige kostbare Minuten auf meine Mühen und war am Ende nicht weiter als zuvor.
Unvermittelt brach mir von Neuem der Schweiß aus.
Das Messer!
Ich hatte es doch unterm Kopfkissen versteckt, bevor die Männer ins Penthouse eingedrungen waren …
Ich drehte mich um und zog, da ich gefesselt war, mit meinen Zähnen am Kissen. Meine Hoffnung stieg ins Unermessliche, als ich die Waffe tatsächlich darunter vorfand. Ich machte einige Anstalten auf dem Seidenlaken, das Messer mit dem Mund sowie meinem Hinterkopf nach unten zu schieben, damit ich es in die Hände bekam. Es funktionierte, obwohl das Unterfangen sich qualvoll in die Länge zog und die Klinge dabei einmal vom Bett fiel, sodass ich innerlich aufschrie. Als ich halb von der Matratze rutschte, um mit den Füßen nach dem Messer zu tasten, hätte ich mich beinahe selbst erwürgt wegen der Schlinge um meinen Hals. Da meine Füße überkreuzt und dabei sehr sorgfältig verschnürt worden waren, gestaltete es sich unheimlich schwierig, den Gegenstand mit den Zehen zu fassen. Immer wieder entglitt er mir, wobei ich das Seidenband verfluchte, das mich am Kopfende des Bettes festhielt. Ich weinte, während unten auf der Straße ein Feuerwehrauto vorbeiheulte und auch andere Geräusche des Nachtlebens an mein Ohr drangen. Ich hingegen kämpfte mich fortwährend in stiller Qual ab. Irgendwie bugsierte ich das Messer schließlich an den Fuß des Bettes und konnte es unter ungeheurem Kraftaufwand mit den Füßen hochziehen. Es war mir tatsächlich gelungen: Sein Griff lag in meiner Hand! An die Fesseln gelangte ich leider nicht. Sollte die Klinge sich, nun da ich sie halten konnte, letztlich als völlig nutzlos erweisen? Wie im Fieberwahn schöpfte ich neue Zuversicht aus dem Versuch, sie gegen das Kopfende auszurichten und mit dem Rücken hochzuschieben. So konnte ich die Fesseln mit der Schneide bearbeiten. Viermal entglitt sie mir, während ich den Griff mit meinem verschwitzten Rücken in Position hielt, doch ich nahm sie stets wieder auf und zwang mich zum Weitermachen. Am Ende gingen die Bänder entzwei. Ich nahm das Messer zur Hand, durchschnitt auch die Schlinge um meinen Hals und die Fußfesseln. Dann sprang ich aus dem Bett zur Kommode hin. Mit einem Mal ward mir all mein Mut genommen: Der Wecker zeigte bereits eine halbe Stunde nach Mitternacht an!
Mein Herz klopfte.
Ich zog den Knebel vom Gesicht sowie den dicken, säuerlich schmeckenden Stoffballen aus dem Mund. Im gleichen Moment wurde mir übel, sodass ich in die Knie ging, die Hände auf dem Teppich abstützte und mich erbrach. Ich schüttelte den Kopf und löste dann den Knoten des Knebelbands in meinem Nacken mit dem Messer.
Erneut bewegte ich den Kopf hin und her.
Schon fünf Minuten nach halb eins …
Ich eilte zum Schrank und zog die erstbesten Kleidungsstücke heraus, die ich zu fassen bekam, eine braune Schlaghose und eine schwarze bauchfreie Bluse mit Knöpfen.
Ich nahm sie an mich und atmete schwer, während ich mich im Zimmer umschaute. Fast wäre mir das Herz stehen geblieben, als ich im durch die Helligkeit von draußen entstandenen Zwielicht ein Mädchen sah, das nackt war und irgendetwas vor sich hielt. Sie hatte ein stählernes Halsband an und einen vernarbten Oberschenkel.
»Nein!«, kreischten wir beide gleichzeitig.
Ich keuchte, da mich der Schwindel packte, und wandte mich benommen von meinem Ebenbild im Standspiegel ab.
Nachdem ich in die Kleider geschlüpft war, fand ich noch ein Paar Sandalen. Zwei weitere Minuten waren vergangen.
Ich kehrte zum Schrank zurück und nahm einen kleinen Koffer heraus. Den warf ich vor den dreiteiligen Wandschrank, um alle möglichen Kleidungsstücke hineinzustopfen, ehe ich ihn zuklappte.
Eilig schleppte ich ihn gemeinsam mit einer Handtasche ins Wohnzimmer. Dort hängte ich ein kleines Ölbild ab und begann, am Zahlenschloss meines Safes zu drehen. Üblicherweise verwahrte ich immer ungefähr fünfzehntausend Dollar sowie etwas Schmuck zu Hause. Nachdem ich die Tür geöffnet hatte, scharrte ich das Geld mitsamt dem Schmuck in die Handtasche.
Beim Anblick der zersplitterten Wohnungstür war mir entsetzlich zumute.
Die Wanduhr zeigte zwanzig vor eins an.
Ich fürchtete mich davor, durch die Tür zu gehen. Dann dachte ich an das Messer und rannte zurück ins Schlafzimmer, um es mitzunehmen. Ich steckte es ebenfalls in die Handtasche und lief immer noch beklommen auf den Balkon zum Innenhof. Die zum Tau zusammengebundenen Laken, mit denen ich meinen Fluchtversuch unternommen hatte, waren nicht mehr da. Als ich wieder ins Schlafzimmer zurückkehrte, entdeckte ich sie in einer Ecke. Sie lagen nunmehr entknotet wie Schmutzwäsche auf einem Haufen.
Beim neuerlichen Betrachten meines Spiegelbildes musste ich innehalten. Ich knöpfte die schwarze Bluse am Kragen zu, um das Stahlband um meinen Hals zu verbergen. Dabei fiel mir auch der Lippenstiftfleck wieder ins Auge, bevor ich meine Handtasche und den Koffer aufnahm und durch die kaputte Tür floh. Draußen auf dem Gang vor meinem engen Privatfahrstuhl stutzte ich erneut. Ich hatte meine Armbanduhr in der Wohnung vergessen. Ich ging sie anziehen. Mittlerweile war es achtzehn Minuten vor eins. Ich schloss die Fahrstuhltür mit dem Schlüssel aus meiner Geldbörse auf und fuhr hinab ins nächste Stockwerk, wo auch alle anderen Fahrstühle des Gebäudes haltmachten. Nachdem ich alle Abwärtsknöpfe gedrückt hatte, beobachtete ich die Anzeigen über den Türen. Zwei waren bereits nach oben unterwegs, einer im siebten, der andere im neunten Stockwerk. Die hatte ich nicht in Gang gesetzt!
Ich stöhnte auf.
Dann drehte ich mich um und rannte zur Treppe, blieb jedoch gleich am oberen Ende wieder stehen. Von weit unten, wo die breiten Stufen sich ihres stahlverstärkten Fundaments enthoben, hallten dumpf die Schritte zweier Männer durchs Treppenhaus, die heraufkamen.
Ich musste zurück zu den Fahrstühlen.
Einer hielt gerade im 24. Stock, wo ich wohnte. Ich stand fest mit dem Rücken zur Wand.
Ein Mann stieg mit seiner Frau aus.
Ich atmete auf und lief an den beiden vorbei.
Sie schauten mich skeptisch an, während ich per Knopf den Fahrstuhl rief, der mich ins Erdgeschoss bringen sollte.
Gerade als ich eingetreten war und die Tür sich langsam zuschob, ging die des Fahrstuhls nebenan auf. Durch den sich schließenden Spalt erkannte ich von hinten die beiden Uniformierten.
Die Fahrt hinunter schien ewig zu dauern. Der Stuhl hielt zwischendurch viermal an, wobei ich in einer Ecke der Kabine stehen blieb, um drei Pärchen sowie einem Mann mit Aktentasche Platz zu machen. Unten wollte ich gleich davonlaufen, besann mich dann jedoch eines Besseren. Lieber zusammenreißen und mich umschauen … Im Foyer saßen ein paar weitere Leute, die warteten oder die Zeit mit Lesen verbrachten. Einige musterten mich träge. Die Hitze war in der Nacht kaum abgeflaut. Ein Mann mit Pfeife beäugte mich über den Rand seiner Zeitung hinweg. Gehörte er zu ihnen? Mir wurde bange, doch da vertiefte er sich schon wieder in seinen Text. Ich wollte zur Garage gehen, jedoch nicht durch die Lobby, sondern von der Straße aus.
Als ich das Gebäude verließ, tippte der Portier sich an seine Mütze,
Ich lächelte zurück.
Draußen auf der Straße bemerkte ich erst recht, wie schwül es noch war. Als ich aus Versehen den Kragen meiner Bluse berührte, spürte ich den Stahl darunter.
Jemand ging glotzend an mir vorüber.
Wusste er Bescheid? Ahnte er, dass ich ein Band aus Stahl um meinen Hals trug?
Was für eine abstruse Vermutung! Ich schüttelte den Gedanken ab, zitterte aber nach wie vor.
Also, Kopf hoch und Beine in die Hand … So gelangte ich rasch über den Bürgersteig zum öffentlichen Eingang in die Garage des Hauses.
Diese Affenhitze …
Ich passierte einen Mann, der mich aufmerksam betrachtete. Gleich ging ich einen Schritt schneller.
Als ich mich nach ein paar Metern umdrehte und nach ihm sah, hatte er mich immer noch im Auge.
Also versuchte ich, ihn mit einem kalten, abwertenden Blick zum Wegschauen zu bewegen.
Er ließ sich davon nicht beeindrucken. Ich bekam Angst, schaute wieder nach vorn und legte einen weiteren Zahn zu. Weshalb war es mir nicht gelungen, ihn mit meinem Blick einzuschüchtern? Er hätte doch rot werden, sich beschämt abwenden und seiner Wege gehen müssen, doch das hatte er nicht getan. Stattdessen war sein Glotzen umso eindringlicher geworden. Wusste er von dem Brandmal an meinem Schenkel? Konnte er spüren, dass es mich irgendwie auf subtile Weise verändert hatte? War ich nun im Vergleich zu meinen weiblichen Mitmenschen eine besondere Frau geworden, welche die Männer nicht mehr von sich weisen konnte? Falls das stimmte: Was bedeutete es? Was hatte diese kaum auffällige Narbe mit mir getan? Ich fühlte mich plötzlich so hilflos, irgendwie verwundbar und zum ersten Mal in meinem Leben durch und durch weiblich.
Ich stolperte weiter.
Dann befand ich mich in der Garage.
Nachdem ich die Autoschlüssel in meiner Handtasche gefunden hatte, gab ich sie dem Hausangestellten mit einem Lächeln.
»Stimmt etwas nicht, Miss Brinton?«, fragte er.
»Nein, nein«, wiegelte ich ab.
Selbst er schien mich komisch anzuschauen.
»Bitte beeilen Sie sich!«, bat ich ihn.
Er fasste sich kurz an die Mütze und ging fort.
Das Warten kam mir wie eine Ewigkeit vor. Ich konzentrierte mich auf mein Herzklopfen.
Endlich schnurrte mein Auto heran, ein frisierter Maserati, den man perfekt auf meine Bedürfnisse hin ausgestattet hatte, und bremste am Bordstein vor mir ab. Der Angestellte stieg aus.
Ich drückte ihm einen Geldschein in die Hand.
Er bedankte sich.
Obwohl er sich mir gegenüber angemessen höflich verhielt, schien ihn etwas zu stören. Indem er mir die Wagentür öffnete, tippte er sich erneut an den Kopf.
Schnell huschte ich – nicht ohne rot zu werden – an ihm vorbei. Nachdem ich Koffer und Handtasche verstaut hatte, klemmte ich mich hinters Steuer und zog die Tür zu.
Er beugte sich noch einmal nach vorn und ließ nicht locker: »Geht es Ihnen gut, Miss Brinton?«
Ich fühlte mich bedrängt.
»Aber ja doch, sicher!«, antwortete ich, legte rasch den ersten Gang ein und trat aufs Gas, musste aber sofort wieder bremsen, was mich einiges an Gummi kostete und ungefähr zehn Fuß rutschen ließ, ehe ich unter Quietschen zum Halten kam.
Erst nachdem der Angestellte die Schranke per Knopfdruck für mich geöffnet hatte, konnte ich mich ins Verkehrsgetümmel der heißen Augustnacht schlagen.
Obwohl es heute Nacht noch sehr heiß war, erfrischte mich der milde Fahrtwind, der mein Haar zerzauste.
Ich hatte mich durchgeschlagen.
Ich war entkommen!
Als ich an einem Polizisten vorbeifuhr, wäre ich beinahe stehen geblieben, um ihn um Hilfe zu bitten, damit er mich beschützte. Wie aber hätte ich ihm trauen können, nachdem bereits meine Peiniger uniformiert gewesen waren? Vielleicht hätte er mich für verrückt gehalten und mit aufs Revier genommen, wo auch die anderen Männer sich aufhalten mochten und womöglich nur auf mich warteten. Ich wusste nicht, wer sie waren. Nein, ich verstand nicht einmal, was sie von mir wollten. Sie konnten mir überall auflauern. Mir blieb nur eins: Ich musste fliehen, fliehen, fliehen!
Der Wind verhalf mir zu frischem Elan. Ich war entkommen! Geschwind und vollkommen ungehindert bahnte ich mir meinen Weg durch den Verkehr, wobei die anderen Teilnehmer gelegentlich Vollbremsungen hinlegen mussten. Dann hupten sie, woraufhin ich jedoch bloß den Kopf in den Nacken warf und lachte.
Bald schon ließ ich die Stadt hinter mir und überquerte die George Washington Bridge. Über die Schnellstraße Richtung Norden erreichte ich Connecticut innerhalb weniger Minuten.
Ich steuerte und versuchte gleichzeitig, meine Armbanduhr wieder überzustreifen. Zu dem Zeitpunkt war es 1:46 Uhr morgens.
Ich fing zu singen an.
Wieder war ich ganz die alte Elinor Brinton.
Nachdem ich beschlossen hatte, die Schnellstraße besser zu verlassen und eine weniger dicht befahrene Strecke zu wählen, nahm ich um 2:07 Uhr morgens die Ausfahrt. Dabei fuhr mir ein anderer Wagen hinterher. Zuerst dachte ich mir nichts dabei, doch selbst nach ein paar weiteren Abzweigungen hatte ich den Verfolger nicht abgehängt.
Die Angst stieg erneut ganz unvermittelt in mir hoch, sodass ich aufs Gas trat. Das andere Auto wurde ebenfalls schneller.
Als ich dann einen leidvollen Schrei ausstieß, war ich nicht mehr ich selbst, die stets beherrschte, ach so feinsinnige Elinor mit dem dicken Bankkonto, erlesenen Geschmack und hellen Köpfchen. Vielmehr verhielt ich mich wie ein verängstigtes Mädchen auf der Flucht vor dem Unbekannten, unsicher und desorientiert, ein Hasenfuß mit einer Narbe am linken Oberschenkel und einer eng anliegenden Halsfessel aus Stahl.
Nein, ich musste mich selbst zurechtweisen, wollte wieder zu mir finden … Ich war Elinor Brinton!
Gleich fuhr ich wesentlich ruhiger, schneller und zugleich angepasst. Geradezu mit Bravour meisterte ich den Verkehr. Falls sie ein Rennen wollten, dann bitte – nur zu gern … Auf dem Präsentierteller bekamen sie Elinor Brinton nicht! So oder so, wer auch immer sie sein mochten, stand ich außer Konkurrenz. Sie hatten es immerhin mit Elinor Brinton zu tun, der betuchten und gescheiten Elinor Brinton!
Länger als eine Dreiviertelstunde behielt ich die Führung, manchmal mit größerem, dann wieder geringerem Abstand zu meinen Verfolgern. Während ich über eine geschotterte Seitenstraße rumpelte, schlossen sie zu mir auf, bis sie weniger als vierzig Yards hinter mir waren, doch ich baute meinen Vorsprung schrittweise wieder aus.
Die Verfolgungsjagd begeisterte mich. Ich würde ihnen entwischen!
Als ich schließlich über zweihundert Yards vor ihnen fuhr, schaltete ich die Scheinwerfer auf einem sich gefährlich schlängelnden Streckenstück aus, um ungesehen zwischen den Bäumen zu warten. Auf der Straße gab es viele Abzweigungen und Kurven. Sie sollten glauben, ich sei irgendwo abgebogen.
So saß ich mit klopfendem Herzen im Dunkeln in meinem Maserati.
Sekunden später rasten meine Verfolger vorüber und schlitterten in eine Kurve.
Nach ungefähr einer halben Minute fuhr ich wieder auf den Asphalt. Das Licht ließ ich noch einige Minuten länger ausgeschaltet, wobei ich mich dank des hellen Mondes am doppelten gelben Mittelstreifen orientieren konnte. Erst auf einem dichter befahrenen Highway mit anständiger Straßenbeschaffenheit schaltete ich es wieder ein und setzte meine Flucht fort.
Ich hatte sie überlistet.
Ich versuchte, mich immerzu Richtung Norden zu halten, da ich damit rechnete, dass sie mich in der Gegenrichtung verfolgen wollten. Ihren Einschätzungen zufolge musste ich einen Rückzieher gemacht haben. Sie rechneten gewiss nicht damit, dass ich immer noch in die gleiche Richtung fuhr. Für so dumm konnten sie mich nicht halten, ich war ihnen haushoch überlegen, was meine Intelligenz anging. Also wagte ich das Unerwartete!
Mittlerweile war es zehn nach vier in der Frühe. Ich hielt an einem Motel, etwas abseits der Strecke, an, zu dem mehrere Bungalows gehörten. Da ich hinter einem der Gebäude parkte, bemerkten Vorbeifahrende den Wagen nicht, zumal sowieso bestimmt niemand auf die Idee kam, dass ich zu dieser Zeit haltmachte. Nicht weit entfernt von den Bungalows befand sich nördlich des Highway ein Restaurant, das noch geöffnet hatte. Es waren kaum Gäste zugegen, und die rote Neontafel hob sich deutlich vom dunklen Nachthimmel ab. Die Luft war anhaltend stickig und ich wie ausgehungert, da ich am Vortag überhaupt nichts zu mir genommen hatte. Im Restaurant setzte ich mich in einen der abgegrenzten Bereiche, wo man mich vom Highway aus nicht sehen konnte.
»Kommen Sie doch an die Theke«, bat der junge Mann, der allein Dienst hatte.
Ich verlangte die Karte.
Meine Mahlzeit bestand aus zwei Sandwiches mit kaltem Roastbeef auf trockenem Brot, einem Stück Kuchen vom vorigen Nachmittag sowie einem kleinen Tetrapak Schokoladenmilch.
Normalerweise hätte ich das widerlich gefunden, doch an diesem Abend kam es mir wie ein Festmahl vor.
Später mietete ich den Bungalow, hinter dem ich den Maserati geparkt hatte, für eine Nacht.
Nachdem ich meine Sachen hineingebracht hatte, sperrte ich ab. Trotz meiner Müdigkeit sang ich vor mich hin, weil ich immens zufrieden damit war, wie ich mich der Gefahr entzogen hatte. Gern hätte ich mich sofort niedergelegt, war aber verschwitzt, schmutzig und darüber hinaus zu penibel, um nicht ohne Dusche ins Bett zu gehen. Waschen musste sein.
Im Bad wurde ich angesichts meiner Oberschenkelnarbe erneut wütend. Nach eingehender Betrachtung allerdings war ich trotz meines Unbehagens fasziniert davon, wie unverschämt hinreißend sie in ihrer lang gezogenen Form aussah. Ich ballte die Fäuste: Mit welchem Recht hatte man sie mir eingebrannt? Oh, diese Vermessenheit! Ich war nun gezeichnet, wenn auch wahrlich nicht entstellt, wie ich im Spiegel feststellte. Nein, es bestand kein Zweifel: Diese anmaßende Narbe machte mich aus unerfindlichen Gründen noch schöner, ob ich es wollte oder nicht. Daher mein Zorn …
Ferner konnte ich mir meine unerwartete Sehnsucht nach der Berührung eines Mannes nicht erklären. Ich hatte nie sonderlich viel für dergleichen übrig gehabt und wies den Gedanken deshalb entrüstet von mir. Ich war doch Elinor Brinton!
Gereizt untersuchte ich auch meine stählerne Halsfessel. Aus der Inschrift wurde ich nach wie vor nicht schlau. Obwohl ich die Buchstaben überhaupt nicht kannte, erwog ich, dass es sich in Wirklichkeit nur um eine spezielle Type handeln musste. Allerdings ließen mich Laufweite und Anordnung der Lettern daran zweifeln. Das Schloss war klein, aber robust, und das Band gerade so weit, dass es perfekt passte.
Es kam mir im Spiegel genauso wie das Brandmal nicht unattraktiv vor. Es betonte meine Verletzlichkeit und ließ sich genauso wenig entfernen. Einen Augenblick lang fühlte ich mich ausgeliefert und abhängig wie eine Gefangene oder jemandes Eigentum. Dabei zog eine kurze Szene an meinem inneren Auge vorbei, in welcher ich einem verwegenen Kerl mit nichts als dem Halsband und meiner Narbe am Körper in den Armen lag. Ich schauderte, weil ich noch nie von solch schrecklichen Gedanken heimgesucht worden war.
Ich schaute nicht weiter in den Spiegel.
Am Morgen, so nahm ich mir vor, würde ich den Stahl aufschweißen lassen.
Unter der Dusche trällerte ich munter weiter.
Mit einem Handtuch um den Kopf, trocken gerieben und frisch gemacht, verließ ich das Badezimmer müde, aber gut gelaunt.
Dann deckte ich das Bett auf.
Ich befand mich in Sicherheit.
Vor dem Duschen hatte ich meine Armbanduhr abgenommen und in die Handtasche gesteckt. Jetzt zog ich sie erneut hervor. Es war 4:45 Uhr. Die Uhr legte ich wieder in meine Tasche.
Schließlich streckte ich mich nach dem Kettchen aus, an dem man die Nachttischlampe ausschaltete.
Dann sah ich es: Vor dem Spiegel lag mein Lippenstift geöffnet am Boden. Jemand musste ihn aus der Tasche genommen haben, während ich unter der Dusche gestanden hatte, um damit einen Fleck auf der Glasoberfläche zu hinterlassen, hübsch in die Länge gezogen wie meine Narbe.
Als ich das Telefon zur Hand nahm, war die Leitung tot.
Die Eingangstür stand offen. Sie war aufgesperrt und sogar entriegelt worden, obwohl ich zuvor abgeschlossen hatte. Ich rannte hin und machte schnell wieder zu. Schluchzend lehnte ich mich dagegen.
Dann schnappte ich mir hysterisch meine Kleider und zog mich an.
Vielleicht hatte ich noch Zeit. Waren sie wieder verschwunden oder warteten sie draußen? Ich wusste es nicht.
Ich zog die Autoschlüssel aus der Handtasche.
Rasch zur Tür …
Vor lauter Angst wagte ich nicht, sie anzurühren. Bestimmt lauerten sie mir vorm Bungalow auf.
So ging ich in eines der hinteren Zimmer, schaltete das Licht aus und blieb wie vom Blitz getroffen im Dunkeln stehen. Nach hinten hinaus zeigte ein Fenster, dessen Vorhänge ich zurückzog. Es war verschlossen. Wie froh war ich, dass die Scheibe sich beim Öffnen lautlos zur Seite schieben ließ. Ich schaute mich draußen um. Niemand in Sicht … Also konnte ich geruhsam vorgehen, während sie noch vor dem Haus ausharren mochten. Falls sie bereits verschwunden waren, erwarteten sie wohl, ich würde den Fleck auf dem Spiegel erst am Morgen bemerken. Nein, es war doch wahrscheinlicher, dass sie immer noch an der Tür lauerten …
Ich kletterte hinaus.
Den kleinen Koffer ließ ich zurück. Ich trug ja die Handtasche bei mir, und die war viel wichtiger. Fünfzehntausend Dollar und Schmucksachen befanden sich darin, aber vor allem natürlich die Schlüssel zum Wagen. Ich stieg ganz leise ein. Nun musste es schnell gehen: Anlassen, Gang einlegen und losfahren, bevor mich jemand aufhalten konnte. Da der Motor noch warm war, sollte er auch sofort anspringen.
Stotternd und fauchend erwachte der Maserati zum Leben. Seine Hinterräder wirbelten Steine und Staub auf, als ich um die Ecke des Gebäudes raste.
Vor der Auffahrt zum Highway trat ich auf die Bremse, damit das Auto auf dem Zement in die Spur hineinrutschte. Ein lautes Quietschen, der Geruch von verbranntem Gummi, und schon röhrte ich den Highway hinunter. Auf dem Weg hatte ich niemanden gesehen. Erst jetzt schaltete ich die Scheinwerfer ein. Andere Autos überholten mich, auf der Gegenspur herrschte ebenfalls Verkehr.
Offenbar folgte mir aber niemand.
Ich wagte kaum, mich in Sicherheit zu wiegen, doch hinter mir fuhr tatsächlich niemand.
Mit einer Hand knöpfte ich das schwarze bauchfreie Oberteil wieder zu, und nachdem ich die Armbanduhr aus meiner Handtasche gezogen hatte, legte ich sie mir wieder ums Handgelenk. 4:51 Uhr morgens. Noch war es dunkel, doch im August sollte die Sonne relativ früh aufgehen.
Ohne es im Vorfeld geplant zu haben, nahm ich instinktiv eine der zahllosen Seitenstraßen, die vom Highway abzweigten.
Niemand würde nachvollziehen können, wo genau ich abgebogen war.
Es war ja auch kein Mensch hinter mir gewesen.
Das Atmen fiel mir nun wieder leichter, und auch mein Fuß entspannte sich auf dem Gaspedal.
Da fiel mir etwas im Rückspiegel auf. Zur Vergewisserung drehte ich mich um. Obwohl dort kein Auto zu sehen war, folgte mir zweifellos irgendetwas die Straße entlang.
Für den Moment konnte ich kaum schlucken, doch da mein Mund so trocken war, musste ich mich dazu zwingen. Was auch immer sich dort mehrere Hundert Yards hinter mir herbewegte, war recht langsam und besaß nur einen Scheinwerfer, der jedoch nicht nach vorne strahlte, sondern den Boden beleuchtete, sodass ihm ein gelber Lichtkegel auf dem Asphalt vorauseilte. Nun kam es näher, ganz still. Jedenfalls hörte ich weder Motoren, noch andere Antriebsgeräusche. Ich kreischte auf, als ich schwarz seine kugelförmigen Umrisse erkannte. Es maß ungefähr sieben bis acht auf fünf Fuß und fuhr nicht, sondern schwebte.
Ich schaltete die Scheinwerfer wieder ab und verließ die Straße unvermittelt in Richtung einer abgelegen Baumgruppe.
Das Fluggerät erreichte die Stelle, an welcher ich mich ins Feld geschlagen hatte. Zu meinem Entsetzen bog es ebenfalls ganz geruhsam ab, als bestünde keine Eile. Anhand des gelben Rundes unter ihm erkannte ich meine eigenen Reifenspuren im Gras des Feldes, über das ich Reißaus genommen hatte.
Hastig fuhr ich weiter, schlug hier und dort Haken und beschleunigte. Falls ich irgendwo stecken blieb, wollte ich das Gaspedal bis zum Bodenblech durchtreten.
Dieses Ding glitt hingegen ganz sachte mit seiner Lampe übers Gelände und kam beständig näher.
Als der Maserati einen dicken Steinbrocken rammte, würgte ich den Motor ab. In meiner Nervosität fummelte ich sofort wieder am Anlasser. Der Wagen heulte kurz auf, dann ein zweites Mal. Mit jedem weiteren Versuch, ihn wieder zum Laufen zu bringen, vernahm ich ein Klicken, das ohne Auswirkung blieb – immer und immer wieder. Urplötzlich brach grelles Licht herein. Ich schrie, als ich das Fluggerät über mir schweben sah, sprang aus dem Wagen und flüchtete in die Dunkelheit.
Es suchte mich mit seinem Scheinwerfer, fand mich jedoch nicht.
So schaffte ich es bis zu den Bäumen.
In deren Schutz beobachtete ich mit Schrecken, wie der übergroße Diskus über meinem Maserati schwebte.
Augenblicklich veränderte sich die Farbe des Lichtkegels zu einem Blauton.
Dann begann der Maserati zu wackeln wie auf einem grobkörnigen Bild. Mir graute: Mit einem Male war er verschwunden!
Ich lehnte mit dem Rücken an einem der Bäume und musste mir die Hand vor den Mund halten.
Das blaue Glimmen hatte aufgehört.
Die Maschine schaltete wieder auf Gelb.
Dann bewegte sie sich langsam auf mich zu. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich mich krampfhaft an meiner Handtasche festklammerte. Ich hatte sie unbewusst mitgenommen, als ich aus dem Auto geflohen war. Was ich im Penthouse darin verstaute hatte – Geld, Schmuck und das Fleischmesser –, befand sich immer noch darin. Ich drehte mich um und lief unbesonnen in das dunkle Waldstück. Dabei verlor ich meine Sandalen, sodass ich mir Blessuren zuzog und die Füße aufschnitt. Meine Haare verfingen sich im Geäst, und mit den Kleidern blieb ich ebenfalls daran hängen. Einer der Zweige schlug aus und gegen meinen Bauch, sodass ich vor Schmerzen auffuhr, während ein anderer mir in die Wange stach. Ich rannte davon, doch das Licht blieb mir dicht auf den Fersen, obwohl ich seinen Einzugskreis vermied. Zerkratzt und mit Schrammen übersät, bahnte ich mir meinen Weg zwischen den Bäumen durchs Dickicht, um zu entkommen. Immer wieder schien das Objekt kurz davor zu sein, seinen gelben Strahl auf mich zu werfen, der die Pflanzen erhellte und mich nur um einen Fußbreit verfehlte. Dann aber flog es vorbei, oder ich wechselte die Fluchtrichtung. Ich stolperte unentwegt voran, hatte mir nunmehr die Füße blutig gelaufen und keuchte. Mit meiner Rechten musste ich die Tasche festhalten, während ich gleichzeitig Sträucher und Äste zur Seite drückte, die mich am Weiterkommen hinderten. Irgendwann konnte ich nicht mehr und brach außer Atem am Fuß eines Baumes zusammen. Jeder Muskel meines Körpers tat weh, die Beine schlotterten, und mein Herz raste.
Das Licht schwenkte herum und kam näher.
Ich raffte mich auf und hastete weiter.
Annähernd fünfzig Yards voraus, fielen mir durchs Gestrüpp und das Laub winzige helle Punkte ins Auge. Es musste sich um eine Lichtung handeln.
Ich lief darauf zu.
Im Stolperschritt tappte ich ins Freie.
»Guten Abend, Miss Brinton«, grüßte eine Stimme.
Überrascht hielt ich inne.
Gleichzeitig packte mich von hinten ein Mann am Arm.
Ich setzte mich nur schwach zur Wehr. Es hatte auch gar keinen Zweck.
Der Waldboden warf das grelle Licht zurück, weshalb ich die Augen schließen musste.
»Das ist Punkt P«, sagte der Mann. Nun erkannte ich seine Stimme wieder. Es war die des größten der vier, die mich am Nachmittag im Penthouse überfallen hatten. Er hatte dunkle Haare und Augen, wobei er ohne Maske recht attraktiv wirkte. »Sie haben uns einigen Ärger bereitet«, bemerkte er, um sich alsdann an einen Begleiter zu wenden. »Die Fußspange für Miss Brinton, bitte.«
Der Mann, der mich gestellt hatte, führte mich an den Rand der Lichtung. Seine Begleiter und einige weitere Helfer folgten uns.