Die Tablas von Daimiel - Peter Handke - E-Book

Die Tablas von Daimiel E-Book

Peter Handke

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Beschreibung

Seine Beziehung zu Serbien und Slobodan Miloševic brachte Peter Handke nicht nur viel Kritik, sondern oft auch undifferenzierte Diffamierungen ein. In Paris wurde eines seiner Theaterstücke vom Spielplan genommen, die Stadt Düsseldorf verweigerte ihm den zuerkannten Heinrich Heine-Preis 2006 - höchste Zeit nun, seine Sichtweise kennenzulernen. In "Die Tablas von Daimiel" erzählt Peter Handke, warum und in welcher Form er zum Zeugen der Kriege auf dem Balkan wurde. Hier macht er seine Einstellung zu den mörderischen Auseinandersetzungen, ihren Voraussetzungen und Konsequenzen, unmißverständlich – für jeden, der lesen will – deutlich.

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Peter Handke

Die Tablas von Daimiel. Ein Umwegzeugenbericht zum Prozeß gegen Slobodan Milošević

Suhrkamp Verlag

Die Zeit ist Richterin

Ibn Arabi

Ich bin einer von den mehr als sechzehnhundert, die im Prozeß des Haager Jugoslawien-Tribunals gegen Slobodan Milošević als Zeugen der Verteidigung genannt worden sind. Nicht wenige der Genannten, zunächst zu einer Zeugenaussage bereit, haben sich in der Folge von der Liste streichen lassen. Der Hauptgrund wohl: Milošević war von seinen Richtern das Recht zur Selbstverteidigung entzogen worden, weil er krank sei. Gegen den Willen des Angeklagten wurde ihm ein Pflichtverteidiger bestellt.

Auch für mich wäre das ein Grund, oder zumindest einer der Gründe gewesen, von einem Auftritt vor dem Internationalen Tribunal in Den Haag Abstand zu nehmen. In der Zwischenzeit freilich hat die übergeordnete Instanz dem Protest von Slobodan Milošević gegen die Entscheidung seiner Richter recht gegeben. Der ehemalige Präsident Jugoslawiens, dann Serbiens, darf sich im Defilée seiner Zeugen, wie zuvor in jenem, zwei Jahre dauernden, der Anklage, selber vertreten. Ich könnte demnach (m)eine Aussage(n) machen. Nur war der Entzug, der vorübergehende, des Selbstverteidigungsrechts mir nicht der Hauptgrund für eine etwaige Zeugnisverweigerung gewesen. Es gab schon vorher mehrere Gründe, vor einem Mittun in der Zeugenszenerie vor dem Haager Tribunal kräftig zu zögern.

Inzwischen steht es fest: Ich werde in diesem Prozeß gegen Slobodan Milošević nicht Zeuge sein. Ich möchte es nicht. Ich will es nicht. Ich kann es nicht. Dabei habe ich den Zeugenstand, Tribunal hin, Tribunal her, eine Zeitlang durchaus erwogen. Einige Wochen nach dem Bekanntwerden der Liste der Zeugen der Verteidigung habe ich, auf Verlangen der Rechtsberater Miloševic', diesen sogar besucht in seinem Königlich-Niederländischen Gefängnis von Scheveningen nah der Nordsee, zur Zeit der Fußball-Europameisterschaft. (Mehr als ein halbes Jahr ist das nun her.)

Dabei wüßte ich keinen Haupt- oder den Ausschlag gebenden Grund dafür anzuführen, daß für meine Person die Zeugenrolle in diesem Verfahren nicht in Frage kommt. Ein paar der gleichermaßen zusammenwirkenden Gründe möchte ich aber hier und heute zu klären und aufzufächern versuchen, vordringlich einmal für mich selber.

Handelte es sich um ein Spiel — Achtung, Ironie! —, könnte ich damit anfangen, ich hätte Angst gehabt. Angst wovor, vor wem? Na, zum Beispiel, nach meinen Aussagen in das beim Jugoslawien-Tribunal (von welcher Machtinstanz wohl?) eingeführte, vom angelsächsischen Recht kurzerhand abkopierte Kreuzverhör genommen zu werden, vielleicht sogar durch die Oberste Anklagevertreterin höchstselbst, die weltberühmte Strafrechtsexpertin aus der Schweiz, die unbeirrbare Sucherin nach Wahrheit und Gerechtigkeit, die Trägerin verschiedener internationaler Menschenrechtspreise; oder auch Angst vor Fragen aus dem mir von meinen Zuschauerbesuchen zuvor fast schon vertraut gewordenen Richtertrio, etwa des weißbärtigen schwarzen Jamaikaners nach den jugoslawischen Nationalfarben — ich, der bei Farbenbenennungen so selten Gewisse —, oder seines Beisitzers, des südkoreanischen Pfandrechtsexperten, nach der Aussprache der Kosovo-Orte wie »Dečani«, »Gračanica«, »Kosovska Mitrovica«.

In diesem Sinne könnte ich vom Zeugentum auch abgehalten worden sein durch Pressekommentare zu der publik gemachten Zeugenliste. Fast zur selben Zeit war nämlich auch, durchaus mit meinem Willen, öffentlich geworden, daß ich die Hälfte eines Theaterhonorars an die südserbische Stadt Varvarin weitergegeben hatte, wo während des Kriegs gegen Jugoslawien Ende Mai 1999 auf einer Brücke über die Morawa von der NATO zehn Menschen zu Tode gebombt worden sind. Die Betroffenen von Varvarin hatten gegen die den Krieg mitführende Bundesrepublik in Deutschland einen Schadensersatz- und Schmerzensgeldprozeß angestrengt, von einem deutschen Gericht in erster Instanz wegen Unzuständigkeit abgewiesen, und so sollte mein Weitergeben des aus staatlichen Quellen (?) fließenden (?) Stück-Gelds (Senat von Berlin) wenigstens ein kleines Zeichen setzen; fast verschwindend angesichts der Tatsache der Prozeßkosten.

Ein Kulturfachmann der Frankfurter Allgemeinen (Zeitung) unternahm nun zu diesen zwei zufällig eher zeitgleichen Nachrichten eine Art Zusammenschau und erarbeitete folgende Analyse: Da ich bei der Weitergabe des deutschen Staatsgeldes »diktierte«, solange die Leute von Varvarin nirgends auf der Welt eine Instanz hätten, die ihnen zu ihrem Recht verhelfe, verdiene das Völkerrecht nicht mehr seinen die Menschheit ehrenden Namen, sei es »klar«, daß so darauf abgezielt worden sei, »dem internationalen Recht, und damit auch Den Haag, seine Legitimation abzusprechen«. Mit meiner Frage: »Wo sind die heutigen Juristen?« frage, so der Sprachanalytiker, ich demnach nur »scheinbar im Namen der Menschen von Varvarin«. Sollte ich nun »wirklich« — so das Fazit der Analyse — »zur Verteidigung eines Mörders wie Milošević« antreten, hätte ich »das Recht zur Anklage endgültig verwirkt«.

Zusammenschau oder Zeitungsdemagogie? Analyse oder Meinung? Fazit oder Drohung? Abgesehen davon, daß die Leute von Varvarin, ihnen voran der Bürgermeister der Stadt, der durch die Bombenangriffe — der Bomber kehrte nach dem ersten Abwurf zur Vollendung seines Sonntagswerks noch einmal zurück — seine fünfzehnjährige Tochter verloren hat, von Anfang an wissen ließen, daß sie gegen Slobodan Milošević sind, und waren; abgesehen auch davon, daß es vielleicht noch immer nicht so ganz den internationalen Presse-Regeln entspricht, einem Angeklagten vor dem Urteil den »Mörder« zuzuschreiben: obwohl ich nun natürlich damit kommen könnte, daß jener Drohartikel, unter anderm, es war, der mich dann vor meinem Zeugenstand in Den Haag zurückschrecken machte, zum Beispiel »im Interesse meiner Bücher und vor allem meiner verstreuten Leser«, trug das doch, »bitte, mir zu glauben«, nicht im geringsten zu meinem Verzicht auf den öffentlichen Auftritt, meinem »Comeback« in die Öffentlichkeit, wie der Frankfurter Sprachspezialist das nannte, bei. Zu sehr bin ich über die Jahre daran gewöhnt, wie jeder meiner Sätze zu Jugoslawien, der, statt von »Massakern und Massengräbern«, von »Ruhe und Frieden« handelt, als ein regelrechtes Delikt bewertet wird.

Zur Zeit, da Slobodan Milošević noch der Friedensschlußpartner von Dayton 1995 war, vertuschte ich noch die Untaten ganz Serbiens und »der Serben«, indem ich die »himmelan weidenden Schafe« in den Weinberghügeln an der Morawa erzählenswert fand oder »den walddunklen Honig« — solche Wörter strömten, meinte man unabhängig von Jugoslawien, einen Geruch »von Blut und Boden« aus. Dann, mit der Einkerkerung des ehemaligen Präsidenten in Belgrad im neuen Jahrtausend und seiner Auslieferung an das Internationale Tribunal nach Holland — womit das bekriegte Jugoslawien, im Juni 1999, bei Kriegsende, unbesiegt, erst in der Tat den Krieg verlor —, änderten sich solche öffentlichen Zuschreibungen: Jeder meiner Sätze, in denen nicht die Massaker usw. mitangetippt waren, zeigte inzwischen meine Komplizenschaft mit dem blutbefleckten Diktator und Schlächter des Balkans.

Aus dem medialen Umlauf gezogen überhaupt die langjährigen Pauschalisierungen Serbiens, etwa in der Haupteigenschaft des Volkes, des »Trotzes« (zu dem der damalige Jugoslawienkorrespondent der Frankfurter Zeitung, Büro in Budapest, während der stärksten antiserbischen Klimax dazusetzte: »böswillig« — »inat«, das serbische Wort für »Trotz«, sei noch weit Böseres als eben nur Trotz — während in Wahrheit »inat« aus dem fremden Türkischen stammt, den Serben hineingewürgt in den fast fünf Jahrhunderten der Türkenherrschaft); dafür die Personifizierung des Bösen nun in der Gestalt des Slobodan Milošević: nicht gar untypisch etwa, daß, als der französische Advokat Jacques Vergès sich als Rechtsberater für M. in Den Haag anbot, dem Namen Vergès öffentlich wie selbstredend Titel wie »Verteidiger Klaus Barbies und des Terroristen Carlos« folgten, ohne einen Gedanken, daß die große Leistung des Anwalts vor allem die Verteidigung der algerischen Unabhängigkeitskämpfer vor den französischen Gerichten war, und bleibt.

Was mich betrifft, so genügte, noch vor kurzem, die Aufführung, und nicht einmal die erste, meines Untertagblues, daß der Reisekritiker der Süddeutschen Zeitung aus dem heiteren Untertaghimmel es auf das Stück und dessen Schreiber donnern ließ, mit der Benennung der »andersgelben Nudeln« vom Belgrader Grünmarkt (Oktober 1995, Friede von Dayton) hätte ich den »Massenmörder Milošević« verteidigt und als Autor meine »Integrität verloren«. Und selbst ein (1) langjähriger Freund sah in mir, aufgrund meiner jugoslawischen Reiseerzählungen, einen »Freund von Milošević« — was er mich freilich nicht von Angesicht zu Angesicht, privat, wissen ließ (gibt es »öffentliche Freundschaft«?), vielmehr, obwohl wir einander doch regelmäßig und stets freundschaftlich trafen, auf dem Zeitungswege und im da üblichen Deutsch (er, ein Künstler): Meine »Freundschaft mit …« habe mir »die Brille beschlagen«.

Ich bin also gewohnt, Freund eines Massenmörders, etc., geheißen zu werden. Die mediale Androhung, mit dem Zeugenauftritt endgültig »das Recht zur Anklage« zu verwirken, hätte mich — siehe den inat